Drei Schwestern im Museum im Steinhaus, Nagold

Das Museum im Steinhaus in Nagold zeigt mit der Ausstellung „Was bleibt“ Werke von drei deutsch-jüdischen Künstlerinnen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Wir waren vor Ort und geben einen Überblick darüber, was zu sehen ist.

In Nagold läuft zurzeit im städtischen Museum im Steinhaus die Sommerausstellung „Was bleibt“. Sie vereint Werke der drei deutsch-jüdische Schwestern und Künstlerinnen Käthe Loewenthal, Agnes Schaefer und Susanne Ritscher. Bis jetzt wurde hauptsächlich Käthe Loewenthal ausgestellt, während die beiden anderen Schwestern noch kaum gewürdigt wurden. Die Ausstellung in Nagold ermöglicht Vergleiche zwischen den verschiedenen Ausdrucksarten der Schwestern und zeigt ihre Differenzen und Gemeinsamkeiten, sowie ihre künstlerische Entwicklung über verschiedene Jahrzehnte und Medien. Ausgehend von der Biographie als Schwestern und Jüdinnen, über den professionellen Werdegang als Künstlerinnen, der Frauen zu dieser Zeit oft verwehrt war, bis zur Geschichte der Kunst und ihrer Medien im frühen 20. Jahrhundert stellt die Ausstellung die Künstlerinnen und ihr Werk auf facettenreiche Weise vor.

Ausstellungsansicht Was bleibt, Foto: Paul Ambros

Die Ausstellung im Steinhaus

Die Ausstellung erstreckt sich über die drei Stockwerke des Steinhauses – eines der ältesten Häuser in Nagold. Die Kuratorin der Ausstellung Lena Hauser macht es nicht auf die einfache und vielleicht naheliegende Art, jeder Künstlerin eine eigene Etage zu widmen. Vielmehr durchmischt sie die Arbeiten der drei Künstlerinnen in allen Räumen, um Verbindungen zwischen den Werken und den unterschiedlichen Arbeitsweisen herzustellen. So ergibt sich immer wieder eine thematische Ordnung nach Motiven – etwa gegenseitige Portraits, Darstellungen von Kindern oder Landschaftsansichten. In den oberen Stockwerken hängen die Zeichnungen, Gemälde und Fotografien vor temporär eingezogenen Wänden, die die Fachwerkwände des historischen Gebäudes zu einer angemessenen Ausstellungsfläche erweitern. Zwischen den Werken hängen Texttafeln, die über die Ausstellung verteilt Biografien und künstlerische Werdegänge der drei Protagonistinnen beschreiben.

Agnes Schäfer, Selbstporträt und Porträt der Tochter Gertraud, Fotografie, ohne Jahr, Foto: Paul Ambros

Meisterhafte Fotografie

Von Agnes Schäfer sind vor allem Fotografien ausgestellt – nach der Scheidung von ihrem Ehemann arbeitete sie im Fotoatelier einer Freundin, absolvierte eine Ausbildung als Fotografin und arbeitete daraufhin in München und Athen in Fotostudios. Die Arbeiten in Nagold zeigen ihr vielseitiges Können mit dem Apparat. Besonders beeindruckend sind ein Selbstporträt und ein Porträt ihrer Tochter Gertraud, die in einer Raumecke einander gegenüber hängen. Beide Fotos zeigen die jeweils abgebildete Person in sich versunken, den Blick nach unten auf die Hände gerichtet, die einen Korb beziehungsweise einen Zweig halten – das Bild fixiert einen scheinbar intimen Moment, in dem der Charakter der Abgebildeten sichtbar wird. Schäfer arbeitet dies künstlerisch mit den Mitteln der Fotografie heraus: Der Hintergrund ist bei beiden Fotos zwar strukturiert, bleibt aber verschattet und durch die Wahl der Blende ergibt sich eine geringe Schärfentiefe, so dass vor allem das Gesicht und die Hände der Personen klar erscheinen.

Agnes Schäfer, Griechische Tempelrunie vor Bergkulisse, Fotografie, ohne Jahr, Foto: Paul Ambros

Ganz nüchtern, fast dokumentarisch, kommt dagegen ihre Fotografie einer Tempelruine daher: Das Motiv ist über die gesamte Bildfläche scharf gezeichnet. Der Ruine im Vordergrund kommt die gleiche Gewichtung zu wie der Landschaft mit spärlicher Besiedelung und dem felsigen Berg im Mittel- und Hintergrund. Die Ruine schreibt sich wie der Berg im Hintergrund in die Landschaft ein und erweckt so den Eindruck, als wäre sie schon immer da gewesen. Gleichzeitig wirkt das Foto auch wie eine touristische Werbung für die Region – es könnte sich um eine Auftragsarbeit für das Studio von Nikos Zographos in Athen handeln, für das Schaefer bis 1933 arbeitete. In diesem Jahr verliert sich ihre Spur bei einer Bergwanderung in Griechenland; ihre Familie geht davon aus, dass sie unter dem Eindruck der erstarkenden Nationalsozialisten in Deutschland Selbstmord begangen hat, um ihre dort verbliebenen Kinder zu schützen.

Zeichenübungen während der Ausbildung

Im selben Raum wie die zwei Porträts von Agnes Schaefer befindet sich ein Skizzenbuch von Käthe Loewenthal. Das Zeichenbuch ist auf einer Doppelseite aufgeschlagen, die verschiedene Zeichnungen von Händen zeigt. Die Hände sind über beide Seiten verteilt, liegen übereinander, ragen vom Seitenrand in die Mitte des Papiers hinein. Sie sind unterschiedlich weit ausgearbeitet. Manche sind einfache Linienzeichnungen, während bei anderen durch Schraffierungen die Schattenwürfe angedeutet sind. Darüber hinaus sind die Hände beschriftet und lassen sich so Personen zuordnen: Mutter, Suse (die Schwester Susanne) und Ego (also die Hände der Künstlerin). In der Mitte der Doppelseite befindet sich ein Datum – vermutlich der 20. Januar 1903. Das Buch zeigt Zeichenübungen der Künstlerin, vielleicht eine Aufgabe aus einem der Kurse, den Loewenthal zu dieser Zeit besuchte. Sie zeigen die genaue Beobachtung und zeichnerische Umsetzung des Gesehenen. So sind, trotz weniger Linien, die schwierig zu treffenden Hände sowie die Schattenwürfe natürlich dargestellt.

Käthe Loewenthal ist vor allem für ihre Ölgemälde bekannt und war mit ihnen die Erfolgreichste der Schwestern. Sie besuchte diverse Malereikurse, unter anderem bei Ferdinand Hodler, und studierte anschließend an der Kunstakademie in Stuttgart bei Adolf Hölzel. Daraufhin arbeitete sie im Atelierhaus in der Ameisenbergstraße 61, das damals wie heute von der Stadt Stuttgart als Teil eines Stipendiums zur Verfügung gestellt wird. Während dieser Zeit verdiente Käthe Loewenthal ihren Lebensunterhalt vor allem mit Aufträgen für Porträts, von denen eines in der Ausstellung zu sehen ist. 1934 wurde Loewenthal ein Arbeitsverbot erteilt, 1941 musste sie ihr Atelier aufgeben und wurde im folgenden Jahr deportiert und im Durchgangsghetto Izbica ermordet. Ein Großteil ihres Werks wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört; eine Mappe mit Arbeiten auf Papier konnte jedoch gerettet werden und ging im Anschluss an ihre Schwester Susanne Ritscher.

Der Hiddensoer Künstlerinnenbund

Susanne Ritscher ist die jüngste der Schwestern und die Einzige, die die Shoa überlebte. Sie nahm professionellen Unterricht in der Damen-Akademie des Münchner Kunstvereines und konnte im Anschluss mit dem Verkauf von Bildern ein Haus auf der Ostseeinsel Hiddensee finanzieren, in dem die Familie im Sommer zusammenfand. Susanne Ritschler und Käthe Loewenthal waren dort Teil der Gruppe Hiddensoer Künstlerinnenbund, in dem sich Künstlerinnen aus ganz Deutschland trafen, um für ihre professionelle Gleichstellung einzutreten.

Aus dieser Zeit stammt die kleine aquarellierte Zeichnung, die die Hucke, einen Steilufervorsprung, auf der Insel zeigt. Die Landschaftsdarstellung ist mit großer Sicherheit an der freien Luft vor Ort entstanden – zumindest die Bleistiftvorzeichnung, von der noch einige Linien zu erkennen sind. Diese Vorzeichnung wurde daraufhin mit dem dunklen Strich einer Feder präzisiert. Die Farben legte die Künstlerin mit Aquarell in großen Flächen an. Mit schnellen Federstrichen und nur wenigen, zurückhaltenden Farben entsteht so ein bleibender Eindruck der Topografie und Stimmung der Ostseeinsel.

Direkt daneben hängt in Nagold eine Pastellzeichnung von Käthe Loewenthal der gleichen Ansicht in fast identischer Perspektive. Die ältere Schwester scheint noch schneller gearbeitet zu haben. Die Farbflächen und -striche entfalten in der Fernsicht ihre Wirkung als Landschaftsbild. Von nahem löst sich vor allem der Vordergrund expressiv auf, wird fast abstrakt.

Mit der Geburt ihrer Kinder in den 1910er Jahren trat Ritschers künstlerische Karriere in den Hintergrund. In den letzten Kriegsjahren versteckte sie sich auf der Schwäbischen Alb bei Zwiefalten und überlebte so. In den Folgejahren nahm sie ihre malerische Tätigkeit wieder auf und fertigte unter anderem Landschaftsansichten von der Alb und bei Urlauben an.

Ausstellungsansicht Was bleibt, Foto: Paul Ambros

Welche Geschichten erzählt die Ausstellung?

Was zuerst wie eine einfache Ausstellung mit Werken von drei Schwestern aussieht, zeigt auf den zweiten Blick, in welche komplexen Gefüge die Protagonistinnen und ihre Kunst eingespannt waren. Die Biografien ziehen sich durch die ganze Ausstellung und zeigen, wie Familien jüdischer Herkunft von den Nationalsozialisten gebrandmarkt, verfolgt und zu einem großen Teil ermordet wurden. Sie sprechen darüber hinaus von den Schwierigkeiten, eine Ausbildung als Künstlerin zu erhalten und vom Durchhaltevermögen, sich als freischaffende Künstlerin zu etablieren. Dabei befinden sich alle drei am Puls der Zeit, sei es mit den expressionistisch wirkenden Zeichnungen und Gemälden oder sei es mit der noch relativ neuen Technik der Fotografie, die dabei war, sich zu professionalisieren und als künstlerisches Medium zu etablieren.

Mit dem Blick auf einige Kunstwerke der Ausstellung sind diese Geschichten in Kürze angeworfen. Der Artikel kann aber nur einen kleinen Überblick bieten – der Ausflug nach Nagold und der Besuch der Ausstellung lohnen sich!

Die Ausstellung läuft noch bis zum 22. September 2024. Der Eintritt in das Museum ist frei. Am Sonntag, den 25. August findet eine öffentliche Führung statt.

Informationen

Museum im Steinhaus
Badgasse 3
72202 Nagold Öffnungszeiten
Dienstag | Donnerstag | Sonntag | Feiertag
14:00 bis 17:00 Uhr