In der Ausstellung „Sensaria – die Neokonservativen aus Ungarn“ in der Produzentengalerie Pupille präsentieren sieben talentierte Maler aus Budapest insgesamt 29 Werke auf Leinwand. Diese zeigen verschiedene Herangehensweisen an die figurative Malerei und bringen eine Vielzahl von Geschichten und Momenten zum Ausdruck.
Hauptthemen und künstlerische Ansätze
Ein zentrales Thema, das viele der ausgestellten Werke durchzieht, ist die Auseinandersetzung mit Beobachtungen der eigenen Umgebung und Geschichte – sowohl persönlich als auch historisch. Obwohl diese Themen nicht neu sind, beeindruckt die frische und kreative Art ihrer Bearbeitung.
Kristzian Horvath: Antike und griechische Mythen
Kristzian Horvath beschäftigt sich in seinen Gemälden mit der Antike und den griechischen Mythen. Seine Werke zeichnen sich durch eine klassizistische Darstellung der Figuren aus, die an alte Wandgemälde erinnern. In den Arbeiten „Seperatio“ und „Resurrectio“ ist Horvaths beeindruckende Ausarbeitung der Landschaft bemerkenswert. In „Resurrectio“ wird die Landschaft im oberen Bildbereich von einer Wolkenfront gestört, während im unteren Bildbereich zwischen der Rüstung des Oberkörpers und der des Unterkörpers eine undefinierbare Masse zu sehen ist. Ist es eine Landschaft? Eine Decke? Oder bleibt es eine undefinierbare Masse?
Die leere Rüstung scheint vor uns zu schweben, weniger schützend, sondern fast schon wie aus Fleisch, auf dem sich Blut, Schweiß und Dreck abgesetzt haben. Arme, Oberschenkel und Füße fehlen komplett, an deren Existenz das auf dem Boden liegende Schwert erinnert. Zwischen den Rüstungselementen hat sich eine Schlange gewickelt, die in der griechischen Mythologie als Beschützerin der Unterwelt galt und die religiöse Verbindung zur Erdtiefe symbolisierte. Das Wort „Resurrectio“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Auferstehung“ – ein Thema, mit dem sich alle Religionen unterschiedlich auseinandersetzen. In der griechischen Mythologie geht es bei der Auferstehung aber immer nur um die Wiederbelebung von Scheintoten, ohne Seele. Ist oder war in der Rüstung eine Seele enthalten? Wenn ja, wo ist sie? Und warum steht die leere Rüstung wieder auf? Macht sie sich für einen Kampf bereit?
Tamás Lörincz: Sehen und Gesehenwerden
Tamás Lörincz beschäftigt sich in seinen Werken ebenfalls mit dem Menschen. Auffällig ist, dass die hier ausgestellten Werke einen harmonisierenden Farbton besitzen und fast ausschließlich in Braun- und Gelbtönen gehalten sind. Farbe wird nur für einige Details verwendet. Lörincz behandelt in jedem Gemälde stets das „Sehen und Gesehenwerden“, aber auch den Kampf mit dem eigenen Dämon? Es sind Menschenpaare zu sehen, die sich äußerlich sehr ähneln. Vermutlich geht es hier weniger um das Mysterium des „Zwillings“, sondern viel mehr um surreale Situationen, in denen man sich selbst sieht oder im realen Leben gar nicht selbst sehen kann. Niemand von uns kennt seine Rückenansicht, niemand kann sich beim Schlafen oder Tanzen real sehen. Wenn wir uns kennen, dann nur aus Bild- und Filmaufnahmen. Lörincz gelingt es, die Grenzen zwischen Realität und Vorstellungskraft auf subtile Weise zu verwischen.
Daniel Laszlo: Postsozialistische Architektur
Auf Basis von Fotoaufnahmen entstehen auch die Landschaften von Daniel Laszlo. In seinen hier zu sehenden vier Landschaftsdarstellungen hat er die Reutlinger Partnerstadt Szolnok malerisch festgehalten. Zu sehen ist postsozialistische Architektur, stets menschenleer und doch für Menschen gemacht. Ein Busbahnhof, ein Veranstaltungsraum, Brücken und Unterführungen. Beeindruckend ist die Ausarbeitung der quadratischen Leinwände. Aus der Ferne wirken sie sehr realistisch, doch bei näherer Betrachtung sind nicht ausgearbeitete Farbfelder und flüchtige Pinselstriche zu erkennen.
Schauen Sie sich die Arbeit „Busbahnhof“ gerne etwas länger an und inspizieren Sie die Farblichkeit. Laszlo verwendet als dunkelste Farbe in seinen Werken nur Indigo; Schwarz kommt nicht auf seine Leinwand. Bei der erwähnten Arbeit ist zudem die morgendliche Winterdämmerung in einem Lilaton gut zu erkennen. Je länger man davorsteht, desto intensiver wird das Lila mit der Zeit. Prinzipiell ist die Nutzung des Lichts in den vier Arbeiten sehr ähnlich aufgebaut. Die Sonne kommt stets aus dem Hintergrund, mal sichtbar, mal unsichtbar, beeinflusst jedoch auch die dunklen Momente in den Werken. Hier ist stets die Wintersonne zu sehen, die am Nachmittag nicht mehr allzu hoch steht und einen einmaligen Lichteinfall auf die Stadtlandschaft ermöglicht.
Ábel Szabó: Non-Spaces und Großstadtleben
Ábel Szabó thematisiert in seinen Landschaften sogenannte non-spaces: Orte, die existieren, aber nicht wahrgenommen werden. Damit möchte er der Frage nachgehen: Wie leben wir in einer Großstadt? Durch die Thematisierung von z. B. aus dem Bus spontan aufgenommenen Bildern oder von Bahnhöfen bleiben diese Momente für die Zukunft erhalten. In der Arbeit „Travel through the city“ ist ein Moment während einer Bahnfahrt aus dem Bahnhof in Budapest zu sehen. Eine Brücke mit Graffitis, Schienen – ein Ort, an dem sich kein Mensch zu Fuß bewegt, aber dennoch durch die Durchfahrt von Zügen für kurze Minuten belebt wird. In der Arbeit sind die Reflexionen des Lichts im Zug zu erkennen, sowie die durch die Geschwindigkeit bewegenden Regentropfen am Fenster.
Die Geschwindigkeit nimmt Szabó auch bei dem Werk „Landscape 2021“ auf. Während der Pandemie gemalt, wie an dem Fahrer mit Mund- und Nasenschutz zu erkennen ist, hält der Maler auch hier wieder einen spontanen, scheinbar unspektakulären Moment fest. Durch die Geschwindigkeit verschwindet die karge Landschaft schnell, so ist sie dementsprechend auch nicht komplett ausgemalt. Doch bestehen zwei Kontraste in der Arbeit: Zunächst der Größenkontrast des Autos im Verhältnis zur Landschaft und zur Bildgröße sowie der farbliche Kontrast des gesättigten blauen Autos mit der grauen Landschaft und den pastelligen Regenbogenfarben am Himmel, die für die Hoffnung in schweren Zeiten stehen.
Lehel Kovács: Abstraktes Farbenspiel und realistische Momente
Die Arbeiten von Lehel Kovács heben sich von den sehr realistischen Malereien der anderen Künstler ab. Ursprünglich aus der realistischen Malerei kommend, bearbeitet Kovács seine Leinwand mit reichlich bunter Farbe und wilden Pinsel- und Spachtelstrichen. Wie bei „Fragment With Kestral“ baut er die Farbe Schicht für Schicht auf. Vom hellen zum dunkleren und dann wieder mit einer kompletten Übermalung der blauen Farbe zum Schluss. Auf dieser setzt er gekonnt einen Wanderfalken in altmeisterlicher Manier. In seinen Arbeiten verbindet Kovács das abstrakte Farbenspiel mit realistischen Momenten wie einer Wasserleitung oder einem Hula-Hoop-Reifen auf einer scheinbar rostigen Wand.
Kelemen Dénes: Historische Protagonisten und visuelle Kontraste
Kelemen Dénes ist mit querformatigen Werken in eher gedeckten Farben vertreten, wobei er visuelle Kontraste durch die Nutzung von Hell-Dunkel- und Komplementär-Kontrasten erzielt. Die Arbeiten „Dolly am Strand“ und „Obsidionis Szigetianae“ beschäftigen sich mit historischen Protagonisten. In „Ultraviola“ ist allerdings ein Ochse der Hauptprotagonist. Der erste Irritationsmoment kommt durch das fehlende Fell; die unterschiedlichen Muskelpartien werden durch farblich weiße und rosafarbene Unterscheidungen hervorgehoben. Während der Körper auf diese Teile quasi reduziert wird, bleibt der Kopf des Ochsen altbekannt ausgemalt, und sogar der Kuhhalfter in einem Lilaton betont den Bezug zum domestizierten und für die Wirtschaft gedachten Tier. Verstärkt wird diese Thematik durch die im oberen Teil des Bildes sichtbaren weißen Kacheln, die häufig in Schlachthöfen zu finden sind. Diese scheinen den Untergrund des unteren Fragmentes darzustellen und bestärken die Thematik der Tierhaltung für den Menschen.
Dávid Utcai: Landwirtschaft und Surrealismus
Auch Dávid Utcai behandelt in seinen Arbeiten den Einfluss von Landwirtschaft auf die Natur und den Menschen. Selbst als Kind eines Landwirts aufgewachsen, hält er in der kleinen Arbeit „Maisbruch“ einen familiären, realen Moment der Maisernte Ende September fest, setzt diesem aber auch Kritik an der Nutzung von Spritzgeräten, seien es fahrbare oder fliegende, mit der Arbeit „Frühling“ entgegen. Irritiert werden die Betrachter:innen von dem scheinbar fröhlich und unbekümmert springendem Mädchen zwischen den Geräten.
Solche surrealen Momente sind auch in den weiteren Arbeiten Utcais zu erkennen. Eine Frau joggt auf dem Strand, tritt in eine große Pfütze, die an Hockneys „Big Splash“ erinnert. Der Strand ist vollgemüllt, und scheinbar aus dem Nichts steht eine Erntemaschine im Sand versunken vor den Wellen. Wie kommt sie dahin, was macht sie da? Auch die zwei Helikopter, die am Himmel erscheinen werfen neue Fragen auf: Was passiert links außerhalb des Bildrandes, wo wollen diese hin?
Fragmente, scheinbar zufällig zusammengestückelt eröffnen eine neue Geschichte. Die Zufälligkeit dieser Fragmente scheint es im realen Leben selten zu geben, zum Glück, könnte man sagen. Aber in einem anderen Kontext, den Utcais Arbeit ebenfalls beeinflusst, ist die Welt der Computerspiele. In dieser erwähnten Arbeit, sowie in der „X-Stadt“, gibt es die „spielbare Person“, auf die herabgeblickt werden kann. Während es hier die Frau ist, ist es in dem Gemälde im Eingangsbereich die kleine Person in der großen Landschaft am unteren Ende der Brücke – der Maler selbst. Auch diese Landschaft besteht aus Fragmenten von echten Gebäuden und ausgedachter Architektur, von echten Bergen mit zufälliger Höhe, von einem Fluß, den es gibt, der aber so nicht verläuft, von Autos, die mal die eigenen des Malers waren und Wahllosen und einem Himmel und einem Fluß, die so pastos aufgetragen worden sind, dass man die eigentlich gasigen und fluiden Atome anfassen könnte.
Der Artikel basiert auf der Einführungsrede der Autorin am 4. August 2024.
Allgemeine Informationen
Sensaria – die Neokonservativen aus Ungarn
Künstler des Kunstvereins Sensaria aus Budapest
04.08.2024–08.09.2024
Produzentengalerie Pupille e.V.
Peter-Rosegger-Straße 97
72762 Reutlingen
Fr–So 14–17 Uhr