Kunst und Inklusion: Die Künstlerin Ute Diez
Ute Diez lebt und arbeitet in Kiel und beschäftigt sich in ihren Werken schon seit Längerem mit dem Zusammenhang von Inklusion und Kunst. In einem Arbeitsfeld, in dem der Sehsinn zentral ist, fertigte sie in der Vergangenheit beispielsweise Grafiken an, die aus Brailleschrift bestanden. So wurden die Sehbehinderten plötzlich zu Experten und erklärten den nicht eingeschränkten Besucher:innen, was das Bild zeigt. Ute Diez arbeitet aber auch gerne installativ, beispielsweise mit Ballons oder Bällen, die Textfragmente enthalten. Durch die Interaktion mit den Ausstellungsbesucher:innen werden diese in neue Reihenfolgen und Kontexte gestellt.
„Das ist das, was meinen Werken zentral ist: Text und ein spielerischer Ansatz“ (Ute Diez)
Denn Texte stehen im Zentrum ihrer Arbeiten, die den Installationen und Werkkomponenten eine poetische Qualität verleihen. Zu Beginn ihrer Arbeit steht immer der Ort, an dem die Ausstellung oder die Werke gezeigt werden. Sie schaut sich vor Ort um und lässt sich inspirieren von bestimmten Aspekten oder der Geschichte ihrer Wirkungsorte. Das dann entstehende Konzept wird bis zum Ende durchdacht, die Anfertigung des Kunstwerks gestaltet sie aber ergebnisoffen.
„Bei Text als Medium ist das Material immer unterschiedlich und es tauchen unweigerlich Hindernisse und Unwägbarkeiten auf“ (Ute Diez)
Dabei bleibt sie ihrer Formensprache treu, denn sie weiß, wohin der Prozess führen soll. Alles andere ist im Werden und entwickelt sich laufend weiter. Seit Oktober 2023 ist die Stipendiatin im Kulturpark Reutlingen Nord.
Das Projekt „1000 Kissen für Reutlingen“
Seit Juni arbeitet sie mit vielen ehrenamtliche Helfer:innen und Interessierten an ihrem aktuellen Projekt: 1000 Kissen für Reutlingen. Wieso gerade 1000 Kissen? „Bei einer Menge von 1000 Stück muss man zusammenarbeiten“ so die Künstlerin, „das schafft man nicht allein. Am Ende steht das gemeinschaftliche Erlebnis, die Stückzahl erreicht zu haben.“
„Die Identifikation mit dem Textilthema ist immer noch stark verankert, insbesondere bei den älteren Reutlinger:innen.“ (Ute Diez)
In Reutlingen wurde sie von der Geschichte der Textilindustrie inspiriert, die das Stadtleben seit der Industrialisierung prägte. Am Anfang stand die Idee, einen Raum mit Kissen zu füllen, die einen Bezug zu Reutlingen haben – am besten aus Gminder Leinen, dem Stoff, der Reutlingen zur Textilhochburg machte. Das Material ist allerdings schwer zu bekommen. Trotzdem bilden die Kissen aus Gminder Leinen die Basis für das Projekt.
„Das Beteiligungsprojekt ist in dieser Dimension auch für mich ganz neu“ (Ute Diez)
Die anderen Stoffe sind gespendet: von Privatpersonen und Textilfirmen, die sich kurzentschlossen bereit erklärten, das Projekt zu unterstützen. Wie so viele Kooperationspartner:innen: die Stadt Reutlingen, Reutlinger Grundschulen, die Textilhochschule, das Kunstmuseum, der Kunstverein, die Stadtbibliothek, Hugo Boss und Engel Textil.
Die Kissen sind alle 40 cm x 40 cm und enthalten alle Textfragmente, ansonsten sind sie ganz individuell gestaltet. So konnten Künstler:innen ganze Bilder darauf malen, Texte wurden von Hand geschrieben, es wurde bedruckt und bestickt. „Die Inklusion kam so ganz natürlich, da jeder nach seinen eigenen Fähigkeiten teilhaben konnte“, so die Künstlerin. Die Textfragmente verweisen auf Reutlingen und die Schwäbische Alb: Die Namen zentraler Institutionen der Stadtgeschichte sind ebenso darauf zu finden, wie schwäbische Redewendungen und ganz persönlicher Verbindungen zur Stadt.
Die Kissen werden in offenen Workshops gestaltet oder in Kleingruppen während der Öffnungszeiten des Kulturparks Reutlingen Nord – jeder ist herzlich eingeladen. Eine Liste mit ausgesuchten Textfragmenten hängt im Atelier aus, aber natürlich sind eigene Beiträge erwünscht.
„Wenn man den Prozess locker lässt, entstehen Dinge, die überraschen“ (Ute Diez)
Am Ende des Projekts steht eine raumgreifende Installation im Kunstverein Reutlingen mit einem gemütlichen Loungebereich. Am 20. September gibt es eine große Kissenschlacht mit den 1000 Kissen, bevor sie am 25. September in einer „Kissendemo“ zu den Echazterrassen übersiedeln.
„Ein Kissen ist etwas, was jeder kennt und was für das eigene Zuhause steht“ (Ute Diez)
Jede:r Kooperationspartner:in und jede helfende Hand erhält am Ende ein Kissen als Erinnerung. Der Rest wird an Unterkünfte gespendet.
Das Stipendium „Kunst und Inklusion“ im Kulturpark Reutlingen Nord
Das Stipendium war inhaltlich wie für sie gemacht, sagt Ute Diez. Zunächst war sie aber unsicher, immerhin ist das Stipendium mit einer Residency in der Künstler:innenwohnung des Kulturparks verbunden. Die Künstlerin konnte aber nicht für 12 Monate ihre Familie in Kiel verlassen. Doch ihre Konzept aus Präsenzphasen mit Workshops und Projekten geht auf: Sichtbarkeit zu schaffen ist eines der Anliegen des Stipendiums. Wie die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort gestaltet wird, bleibt aber den Stipendiat:innen überlassen. Das Stipendium richtet sich ausdrücklich an Kunstschaffende und nicht an Kunsttherapeuten. Der Werksprozess wird zum Mittel der Inklusion, für das der/die Künstler:in den Input leistet.
Wichtige Informationen
Wer mitmachen möchte, meldet sich am besten bei Iara Peters (iara.peters@habila.de)
Alle Infos zum Projekt unter 1000 Kissen – Habila
Kommende Termine:
Samstag, 20.09.2024 bis Sonntag 22.09.2024
Ausstellung der 1000 Kissen im Reutlinger Kunstverein
Freitag, 20.09. 18 Uhr
Vernissage der Ausstellung mit großem Kissenschlacht-Happening
Mittwoch, 25.09. 13 bis 17 Uhr
Große Verteilaktion auf der Kulturbühne an der Echazterasse.