KUNE im Atelier von Ursula Huth

Ursula Huth modernisierte die Glaskunst in Deutschland, indem sie die Ideen aus den USA nach Deutschland brachte. Ihre Glasskulpturen in den 1980er Jahren sorgten für viel Aufregung – und Ansehen. Nach vielen Auslandsaufenthalten in den USA, Indien, Nepal und Japan hat sie sich in Tübingen-Lustnau eingerichtet.

Ursula Huth: Künstlerin von Weltrang im gemütlichen Tübingen

Ursula Huths Wohn- und Ateliergebäude steht mitten in einem versteckten Garten, in dem Vögel zwitschern, sich im naturnahen Gebüsch und an den Futterstellen versammeln. Die Welt hinter der Gartenmauer lässt sich hier leicht vergessen: „mein Paradies“, nennt Ursula Huth ihren Garten.

Mittendrin steht das Wohnhaus mit ihrem Atelier, einem hohen, lichtdurchfluteten Raum mit angrenzenden Werkstatt- und Lagerräumen: „Es ist ein Geschenk, dass ich so ein tolles Atelier habe“, sagt sie selbst. Am großen Leuchttisch liegen verschiedengroße Scheiben mit Glas, die auf die Bearbeitung warten. Die Künstlerin nimmt sich dabei Zeit: „Vor Corona habe ich beschlossen, für fünf Jahre keine Einzelausstellung mehr zu machen“. Denn eine Ausstellung benötigt Organisation, Inventarisierung, Auseinandersetzung mit Versicherungen, Abrechnungen und das „Business“, wie Ursula Huth es nennt, „hat mir noch nie Spaß gemacht“. So kann sie nun arbeiten, wie es ihr am besten gefällt: ohne Druck, ohne Termine, ganz aus sich selbst heraus.

Derzeit arbeitet sie an Bildern aus kleinen Glasscheiben, die bei der Begradigung ihrer Werke entstehen. Denn Reste gibt es bei der Arbeit mit Glas nicht – das Material ist so aufwändig in der Herstellung, dass auch kleine Glasteile sehr kostbar sind. Die Abschnitte der letzten Jahrzehnte bewahrte sie daher auf und setzt sie nun in den Collagen in neue Kontexte.

Eine Frau an einem beleuchteten Tisch.
Ursula Huth in ihrem Atelier am Lichttisch.©Foto: Maik Hanicz

Glas: ein besonderer Werkstoff für die Künstlerin Ursula Huth

Normalerweise liegen ihren Arbeiten stets Skizzen zu Grunde, vor allem in Form von Aquarellen oder Buntstiftzeichnungen. Bei ihren Glasbildern fertigt sie diese auch gerne im Maßstab 1:1 an, damit die Glashütte die Farbverteilung genau nachvollziehen kann.

Die Grundlagen für ihre Bilder, mundgeblasene farbige Glasscheiben, entstehen zumeist in einer Glashütte in Waldsassen. Bis das gewünschte Ergebnis erzielt ist und die Glasplatte genauso aussieht wie die Vorlage, müssen die Mitarbeiter:innen manchmal 10 bis 20 Scheiben herstellen.

„Einmal war die Hütte am Ende ganz stolz, dass die Platte genau wie mein Aquarell aussah. Ich habe damals alle Scheiben gekauft und sie nie zerschnitten, weil ich sie so schön fand. Ich wollte nicht, dass ein anderer Künstler ‚meine‘ Scheiben kauft – und war danach pleite“, erzählt die Künstlerin lachend. Es wird klar: In ihren Arbeiten steckt viel Herzblut, jedes Werk ist eine individuelle Auseinandersetzung mit Idee und Material. Der künstlerische Prozess ist zeitaufwändig und erfordert viel Feinarbeit.

Die von der Glashütte mundgeblasene Scheibe ist mit mehreren hauchdünnen Farbschichten versehen, die dann von Ursula Huth abgetragen werden, um Helligkeit, Farbintensität und Bildstrukturen zu erstellen. Was auf der Vorlage im Aquarell durch die Dicke des Farbauftrags oder die Wassermenge und Papierstruktur beeinflusst wird und spontan entsteht, muss auf der Glasscheibe einzeln herausgearbeitet werden. Dazu wird die Oberfläche mit Säure geätzt, geschliffen oder mit dem Sandstrahler bearbeitet – oft werden unzählige winzige Bildelemente einzeln herausgearbeitet. Dieser Prozess dauert mehrere Wochen, das Ergebnis sind Glasbilder mit erstaunlicher Tiefe und Detailgenauigkeit. Es ist diese Farbintensität und Bildtiefe, die Ursula Huth an den mundgeblasenen Scheiben schätzt: „Das ist maschinell so gar nicht herstellbar.“

Ursula Huth steckt sich ihre eigenen Ziele

Dabei gilt für Ursula Huth „geht nicht, gibt’s nicht“ – wenn sie sich an einer Idee festgebissen hat, dann sucht sie so lange nach Lösungen, bis sie ihre Idee umsetzen kann. Mit ihrer zielstrebigen und direkten Art eckte sie in ihrer Kindheit bei Eltern und Lehrern oft an, da sie sich weigerte, ungerecht erscheinende Regeln zu akzeptieren. Ihre Eltern entschuldigten ihr Verhalten immer damit, dass sie „halt eine Künstlerin“ sei. Es formte sich in ihr die Idee, dass sie nur als Künstlerin ihre Persönlichkeit ungestört entfalten konnte und sie bewarb sich nach der Schule an der Kunstakademie in Stuttgart. Als sie im Bewerbungsgespräch nach ihren Alternativen gefragt wurde, sagte sie: „Das geht gar nicht – nicht bestehen.“

Sie studierte Kunsterziehung unter Hans-Gottfried von Stockhausen, der vor allem durch Glaskunst und Kunst am Bau bekannt wurde und an der Akademie einen Lehrstuhl für Malerei und Glas innehatte. Er war auch derjenige, der sie an die Arbeit mit Glas heranführte. „Das fand ich ganz schrecklich, wenn bei den Kirchenfenstern den Heiligen die Bleilinie durch das Gesicht ging, um zwei verschiedenfarbige Gläser zu verbinden. Das mit dem Blei konnte ich nicht akzeptieren, doch als ich dann mit dem Glas anfing, hat es mich gepackt“, so Ursula Huth.

Während ihre Kommiliton:innen in den Sommerurlaub fuhren, ließ sie sich den Akademieschlüssel geben und arbeitete jeden Tag von 9 bis 17 Uhr an ihrer Kunst und verfeinerte ihre Technik. Die Problematik mit dem zweifarbigen Glas und den Bleiverbindungen bestand aber weiterhin. Über einen Kommilitonen hörte sie dann von der „Studioglas“-Bewegung in den USA, die die künstlerischen Möglichkeiten von Glas erforschte.

Die Studioglasbewegung in den USA

Begründet wurde die Bewegung von Harvey K. Littleton, der nach seiner Ausbildung zum Industriedesigner 1947 in Michigan enttäuscht darüber war, dass seine Arbeit vor allem am Schreibtisch stattfand. Das Glasblasen war fest in der Hand der Glasarbeiter, die in den Firmen industriell arbeiteten. Nach einem Europaaufenthalt, in dem er unter anderem in Murano bei Venedig Glasmanufakturen besuchte, experimentierte er in den USA mit dem Glasblasen in seinem eigenen Atelier. Aber erst zwei von ihm organisierte Glasworkshops im Toledo Museum of Art 1962 brachten für ihn einen Durchbruch und er konnte 1963 als Professor an der Universität von Wisconsin den ersten Studiengang für Glas in den USA einführen.

Gemeinsam mit zwei seiner Studenten dort, Marvin Lipofsky und Dale Chihuly, veränderte Littleton damit die Art und Weise, wie die Glasverarbeitung im Kunstbetrieb wahrgenommen wurde und begründete die moderne Glaskunst. Nun konnten die Künstler:innen im kleinen Rahmen den Umgang mit dem Material erproben und kreativ tätig werden. In den 1970er Jahren weitete sich die Studioglas-Bewegung international aus. Sie war geprägt von der Lust am Experimentieren, dem Gefühl des Aufbruchs und dem engen Austausch der Künstler:innen untereinander.

Drei Glasobjekte.
Die Werkreihe „Caste“ brachte Ursula Huth internationales Ansehen ©Foto: Ursula Huth.

Ursula Huth und das Studioglas

Über ein DAAD-Stipendium kam Ursula Huth 1980 in die USA und begann bei Dale Chihuly ein Postgraduiertenstudium zu absolvieren. Gemeinsam mit ihren Kommiliton:innen lernte sie das Glasblasen im Atelier. Dabei fiel ihr auf, dass die so entstehenden Glasobjekte weiterhin Vasen ähnelten. Zwar wurden sie im künstlerischen Kontext hergestellt und als Kunstwerke präsentiert, doch „es waren immer Gefäße mit einem Loch. Die wurden dann umgedreht und Skulptur genannt. Dabei ist die Skulptur für mich etwas, wo die Bedeutung in der Form liegt“, so Ursula Huth.

Für ihre Masterarbeit suchte sie daher nach neuen Techniken und entwickelte eine Methode, Glasskulpturen zu blasen, die ihr internationales Ansehen verschaffte. Sie entwarf eine Metallform, in die das Glas geblasen und gegossen werden konnte. Dazu benötigte es viel Vorsicht und Fingerspitzengefühl, doch die entstehende Skulptur konnte unterschiedlich geformt werden und war reproduzierbar – eine revolutionäre Idee. So entstanden ihre „castles“, Glasobjekte, die an die Giebelhäuser ihrer Heimat erinnerten.

Die Freude an neuen Techniken als künstlerischer Antrieb

Als Pionierin der „Studioglas“-Bewegung in Europa wurde sie regelmäßig ins Ausland eingeladen. Neben einer Gastprofessur in Australien 1992 kam sie auf diese Weise auch nach Hongkong, Schottland, Irland, in die Schweiz, nach Japan und Indien. Dort lernte sie in Orissa mehrere Wochen lang in einem abgelegenen Dorf von Einheimischen die Kunst der Dokratechnik (eine uralte Gusstechnik, die am offenen Feuer stattfindet und sehr filigrane Muster ermöglicht) und kombinierte sie mit ihren Arbeiten in Pâte-de-verre ein.

Was sie mit ihren Dozenturen verdiente, investierte sie umgehend in neues Material oder Studienreisen. Geld spielte für sie als Künstlerin nie eine zentrale Rolle, äußere Umstände waren ihr nie wichtig. Im Mittelpunkt stand für sie immer die Wirkung von innen her: „In meiner Kunst mache ich keine Kompromisse. Das Einzige, was ich habe und am besten kann, ist der künstlerische Umgang mit Glas – den möchte ich mir unbedingt bewahren.“

„Die Landschaft“ ist für Ursula Huth ein besonderes Motiv

In Reaktion auf den 11. September 2001 beschäftigte sie sich intensiv mit Landschaftsdarstellungen. Sie fasziniert der Kontrast zwischen der Schockstarre, die ein solches Ereignis bei Menschen auslöst, und der scheinbaren Unbekümmertheit, mit der der Lauf der Natur weitergeht.

Besonders berührt haben sie die Nachwehen des Tsunamis 2011: Über ihre Galeristin in Japan hat sie die Auswirkungen unmittelbar erfahren und beim nächsten Besuch Osterglocken im vergifteten Schlamm beobachtet. „Da habe ich mich gefragt: ‚Was kann ich denn noch machen in meinem Leben?‘ – Die Antwort war: Landschaften.“

Das Bild einer Landschaft.
Seit den Anschlägen am 11. September beschäftigt sich Ursula Huth intensiv mit Landschaftsdarstellungen. © Foto: Ursula Huth

Ihre Glasobjekte sind Bestandteil von Sammlungen in aller Welt, unter anderem im Kunstmuseum Düsseldorf, im National Art Museum of Ukraine, im Finnischen Glasmuseum in Riihimäki und im Hokkaido Museum of Modern Art in Japan. In Württemberg ist sie u.a. im Württembergischen Landesmuseum und in der Sammlung Würth zu finden.

In Tübingen-Lustnau hat sie zwar seit 15 Jahren ihren Lebensmittelpunkt, arbeitet aber weiterhin international. Vor allem zu ihrer Galeristin in Japan reist sie regelmäßig – aber sie genießt auch gerne in Ruhe eine Tasse Kaffee und den Besuch der Vögel in „ihrem Paradies“.


Neugierig geworden? Ab 8. Oktober ist Ursula Huth in der Jubiläumsausstellung des Künstlerbundes „Zum Runden. 50 Jahre Künstlerbund“ in Tübingen zu sehen: Zum Runden. 50 Jahre Künstlerbund Tübingen – KuneProjects