In Katharina Wurzingers Kopf schwebt zum Zeitpunkt des ersten Treffens des „Kollektiv Ramasuri“ die Idee einer Ausstellung, die sich um das Thema „Liebe“ dreht, bereits seit über einem Jahr. Die Tatsache, dass sich Themen wie die der Unterwürfigkeit von Frauen in Beziehungen oder der so gern bezeichneten „femininen und maskulinen“ Energien immer häufiger im öffentlichen Diskurs finden lassen, ist für sie ein Grund zur Sorge. Für sie steht schnell fest: Sie möchte ihren Horizont zu diesem Thema über den Kreis ihrer Bekannten und Freund:innen hinaus erweitern. Im Oktober findet sie dann schließlich zusammen mit ein paar Mitstreiter:innen den Mut, einen „Open Call“ in die Welt zu rufen, der Leute dazu animieren soll, sich mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf das große Thema der Liebe zu beschäftigen. Was aus dem Versuch gewachsen ist, „Liebe zu sammeln“, ist unter dem Namen der Ausstellung „Collecting Love“ noch bis zum 25. Januar mit einem bunten Rahmenprogramm in der Shedhalle Tübingen zu sehen.

Introspektivität als Leitmotiv
Kunst, die sich mit dem komplexen Thema „Liebe“ befasst, sollte sich außerhalb des digitalen Raumes bewegen und für die Leute erlebbar gemacht werden, dabei war sich das Kollektiv einig. Ein Highlight der Ausstellung stellen daher vor allem auch die zahlreichen interaktiven Stationen dar. Die Besucher:innen werden unter anderem dazu eingeladen, sich in einem Leseraum mit der Literatur vertraut zu machen, die auch die Organisationsmitglieder gelesen haben, um einen ersten Einstieg in das Thema zu finden. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, eine eigene Liebesbiografie oder einen Liebesbrief zu verfassen – alles unter den liebevoll gestalteten Anleitungen des Kollektivs. „Wir wollten keine festen Antworten geben, sondern Fragen aufwerfen“, erklärt Emily, eine Mitorganisatorin. „Es ging darum, die Besucher:innen selbst in die Reflexion einzubinden.“ Von Bastelstationen über Filmräume bis hin zu Mitmach-Übungen, die die eigene Wahrnehmung schärfen – das Konzept setzt auf Vielfalt und Dialog.

Von Tübingen in die Welt: ein wachsendes Netzwerk
Die Ausstellung hat sich weit über ihren Ursprung hinaus entwickelt. Mit der ersten Welle von Open Calls in Tübingen begann ein Dialog, der mit einer zweiten Runde Menschen aus anderen Bundesländern erreichte. Insgesamt sind so zwischen 15 und 20 Beiträge in den unterschiedlichsten Medien zusammengekommen, die neue Perspektiven einbringen. Besonders stolz ist das Team auf die Zugänglichkeit: kein Eintrittsgeld, offene Strukturen und ein Raum, in dem Mitmachen und Mitdenken im Fokus stehen.
Zuspruch fand das junge Team, welches sich ehrenamtlich zusammenfand und dennoch den Aufwand eines Vollzeitjobs investierte, auch von nahen Anlaufstellen im Raum Tübingen. So finden beispielsweise auch die AIDS-Hilfe, das Queer-Zentrum und zahlreiche zentrale Hilfsorganisatoren vor allem im Bereich Gewalt in der Liebe ihren wertvollen und wichtigen Platz in der Ausstellung. „Wir wollen Vernetzung unter unseren Besucher:innen erreichen“, kann Katharina Wurzinger erneut als wichtiges Leitmotiv des Kollektivs festhalten. Auch deshalb findet sich im letzten Raum der Shedhalle eine Säule, an der mit kleinen Notizen Nummern und Kontaktdaten ausgetauscht werden können. Man stolpert über Menschen, die einen Reisebegleiter, eine neue Freundschaft oder sogar die große Liebe suchen. Ein herzlicher Gedanke ist es, dass man die Ausstellung mit mehr als nur neuen Perspektiven, sogar mit neuen Kontakten und mehr Liebe im Leben verlassen kann.

Die Shedhalle bot für das Kollektiv den idealen Rahmen als ein großzügiger Ort mit viel Platz für kreative Freiheit. Im Kontrast zu den bisherigen Veranstaltungsorten – wie einem Wohnheim in der Münzgasse – erlangte das Projekt hier eine größere Bühne. Sie können im Interview am Sonntag bereits auf 400 Besucher:innen der Vernissage zurückblicken. „Das sind so viele, wie wir eigentlich für den ganzen Zeitraum einkalkuliert haben“, erklärt Katharina Wurzinger mit einem Lächeln. Stolz und ein starkes Gefühl des „Miteinander-Seins“ schwebt durch die Räume der Shedhalle, die das Kollektiv in fünf Kategorien einteilen konnte.
Es geht zuallererst um die gesuchte Definition von Liebe und die eindringliche Frage, ob eine solche überhaupt existiert. Die Wände der Shedhalle sind dabei im „Intro“ mit verschiedenen Zitaten versehen, die Impulse schaffen und das eigene Denken anregen. Das Werk von Emily, die ebenfalls im Organisationsteam der Ausstellung mitwirkte, kommt dabei auf einen Standpunkt, bei dem sich wohl die meisten einig werden können. „Meine Liebe ist anders als deine“ steht auf ihrem Linoldruck geschrieben und lädt zu der Individualität ein, die sich durch die ganze Shedhalle ziehen wird.

Wenn Gewalt die Lücke der Liebe füllt, ist ein Thema, bei dem das Kollektiv schon zu Beginn wusste, dass es seinen Platz in der Ausstellung finden muss. Die darum kursierenden Stereotypen wecken bei dem Kollektiv Missachtung und Wut. Deshalb ist das Thema der Unterdrückung im zweiten Raum der Shedhalle auf mehreren Ebenen ausgedrückt worden. Es hängen Werke im Raum, die das im Fernsehen oft thematisierte Phänomen zeigen, in welchem klar queer geschriebene Charaktere innerhalb der Fangemeinde „gestraight washed“, das bedeutet, als heterosexuell umgedeutet werden. Daneben finden sich Bilder, die auf die Missstände der partialen Rollenerwartungen hindeuten. Fotografien zeigen eine Frau, die kopfüber in der Waschmaschine hängt. Als „typische Hausfrauenbilder“ können diese im Gespräch mit dem Kollektiv betitelt werden. Ein Thema, das sich auch im Werk von Katharina Wenk „Forced to give“ auf der anderen Seite finden lässt. Sie beschreibt die Aufopferung von „Care Personen“, die oft ihre eigenen Bedürfnisse stark zurückschrauben, um in ein vorgefertigtes Bild der Gesellschaft zu passen.

Auch in diesem Teil der Ausstellung sowie schon in der Themenfarbe pink, die die Ausstellung als dominierendes Licht füllt, werden Klischees bewusst aufgenommen, um sie dann zu brechen. So stößt man ebenfalls auf eine Vase, die in ihrer Machart an die von antiken Vorbildern erinnert. Auf ihnen waren oft homoerotische Szenen abgebildet, die allerdings nie auf die romantische Beziehung zwischen zwei Frauen hingedeutet haben. Dies soll nun in der Ausstellung umgedreht werden. Alte Geschichten sollen überschrieben werden, um Sichtbarkeit und Platz für alle Formen der Liebe zu schaffen.

Viele Arten von Liebe
Dass Liebe eben nicht nur die Beziehung zwischen zwei Personen oder noch enger die von einem Mann und einer Frau sein kann, steht in der Shedhalle fest. Wenn man den letzten Raum der Ausstellung betritt, blickt man vermutlich zuerst auf die Parodie des klassischen Motives des weihnachtlichen Familienfotos. „House of Hure“ heißt das Foto von Maria Kontomari, das eine Abbildung des gleichnamigen „Drag Hauses“ darstellen soll und erklärt, dass sich der Begriff von Familie außerhalb der konservativen Familienästhetik auch der der „found family“ annähern darf.

Die nächste Wand ist der freundschaftlichen Liebe gewidmet, dargestellt durch verschiedene Gegenstände. Einmal hängen Klamotten an einer Garderobe. Sie spiegeln das typische Borgen von Kleidung innerhalb eines Freundeskreises dar. Es sind kleine Gesten im Alltag, die die Liebe zwischen Freund:innen verdeutlicht. So beispielsweise auch das Pflegen von Pflanzen, wenn jemand verreist ist, oder das Erstellen einer gemeinsamen Playlist auf Spotify. Im letzten Raum der Shedhalle sind Momente der Freundschaft gesammelt worden, die einige Besucher:innen zum Schmunzeln bringen und fern von romantischen Gefühlen das Herz höher schlagen lassen.

Viele weitere liebevolle Projekte, die ganz neue Perspektiven schaffen, lassen sich in der „Collecting Love“-Ausstellung finden. Es wird unter anderem noch die Liebe im Bereich der Tätowierkunst, die nötige Liebe zur Natur und das Thema der Nähe und Distanz in einem Filmprojekt beleuchtet. Ebenfalls finden Live-Perfomance-Acts täglich ihre verdiente Zuschauerschaft. Bis zum 25. Januar kann Liebe noch fühlbar in der Shedhalle erlebt werden.
