in situ – Blickfänge in der Kanzlei Reichl und Vetter

Die Kanzlei Reichl und Vetter in Kusterdingen wird zum „White Cube“: Vier Künstler:innen verwandeln das lichtdurchflutete Gebäude in eine Bühne für individuelle Kunst. Mit ausdrucksstarken Werken, die zum Träumen und Nachdenken anregen, wird Kunst zum Blickfang im Arbeitsalltag.

Günther Sommer ist derjenige, der als erster der vier Künstler:innen das Potenzial der Kanzlei Reichl und Vetter in Kusterdingen erkennt. In dem neuen Gebäude, welches mit vielen weißen Wänden punkten kann und zudem dank der zahlreichen Fenster mit reichlich Sonnenlicht ausgestattet ist, sieht er vor dem inneren Auge seine Bilder glänzen. Er beginnt schließlich Ursel Gerdemann, Graeme Nicholson und Peter Schall danach zu fragen, mit ihm gemeinsam den unscheinbaren „White Cube“ direkt an der Ortseinfahrt zu füllen. Das Ergebnis der vier sehr individuellen Maler:innen ist nun bis Jahresende unter dem Titel des „An-Ort-und-Stelle“-Seins – kurz „in situ“ – zu bewundern.

Vor den weißen Wänden und hinter hellen Fenstern leuchten bunte Farben. ©Foto: Lisa Keppner

Betritt man die Kanzlei, so wird man von den Mitarbeiter:innen freundlich begrüßt. Sie strahlen den positiven Eindruck ihrer neu beschmückten Bürowände aus. Man blickt zunächst auf die großen Leinwände Ursel Gerdemanns zur Linken des Eingangs. Ohne Titel hat sie hier damit experimentiert, wie sich ein Blick auf einen einfachen Acker ändern kann, wenn man lediglich seine Strukturen statt dessen volles Bild widergibt. „Manche sagen, es sähe aus wie Berge“, kann sie darüber lachen. Dabei kommt es ihr bei ihrer Kunst genau darauf an, dass eben jeder diese durch seine eigene Deutung prägt. Sie selbst zieht ihre Inspiration aus den kurzen Augenblicken des Alltags, die sie fotografiert und dann später zuhause neu umgestaltet. Es entstehen so reliefartige Helldrucke, die ganz verschiedene Augenblicke der Natur in sich getragen halten. 

Die Bilder Ursel Gerdemanns lassen die Betrachter:innen rätseln. ©Foto: Lisa Keppner

Jeder findet seinen Platz in dem zunächst für Kunst ungewöhnlich wirkenden Gebäude. Ursel Gerdemann berichtet, wie sich bei dem ersten Treffen der Zusammenarbeit sofort für jeden der Teilnehmenden der richtige Ort offenbarte. „Nicholson hat sofort gesagt, dass er mit seinen Aquarellen ans Licht muss“, erzählt sie mit einem Lächeln, als sie vor den eindrucksvollen Werken aus Öl steht. Tatsächlich strahlen im langen Gang des Bürogebäudes kurz vor dem Fenster Malereien, die zum Träumen anregen. „Es sind Sehnsuchtsorte“, fasst sie treffend zusammen und unterscheidet erneut von ihrer freien Strukturkunst am Eingang. Lange Alleen mit großen herbstlichen Bäumen sowie Seen, in denen sich die untergehende Sonne hinter einem Ferienhaus spiegelt, zaubern eine Welt, die es versteht, seine Betrachter:innen aus dem schlichten Weiß der Kanzlei zu entführen. 

Nicholson verzaubert die Angestellten der Kanzlei. ©Foto: Lisa Keppner

Im Treppengang trifft man dann anschließend auf Peter Schall. Er überzeugt mit Bildern, die aus kräftigen, überzeugenden Farben bestehen und klare Umrisse aufzeigen. Sie wirken von unten hinauf und strahlen so durch das gesamte Gebäude hindurch eine Wirkung aus, die Motivation und Energie bei den Mitarbeiter:innen versprüht. Sie bleiben immer wieder stehen, machen Fotos und unterhalten sich über die zeitgenössische Kunst. Es erweckt den Eindruck, sie hätten trotz dessen, dass die Bilder sie täglich umgeben, noch lange nicht genug von ihnen bekommen. 

Peter Schall beleuchtet den Treppengang. ©Foto: Lisa Keppner

Vorbei am ersten Stock eröffnet sich der Gang Ursel Gerdemanns. „Viele sagen, dass sei einfach Unordnung“, philosophiert sie, „dabei muss man zunächst Unordnung feststellen, um Ordnung zu formulieren“. Ihre Werke verstehen sich darin, zum Nachdenken anzuregen, und wecken die verschiedensten Assoziationen bei den Menschen. Es sind perspektivische Positionen, in denen sie kleine weiße Flächen lässt, die die Zuschauer:innen mit sich selbst füllen können. So bietet sie einen Platz für eigene Gedanken innerhalb ihrer Kunst, „einen Raum, in dem man das Ganze verarbeitet“. Die Bilder, die im langen, hellen Gang der Kanzlei ausgestellt sind, spiegeln ihre Laufbahn wider. Es sind Werke aus unterschiedlichen Zeiten, die teilweise aus langen Reihen herausgenommen wurden, um nun die weißen Wände kunstvoll mit Leben zu füllen. 

Die Leerstellen warten darauf von den Mitarbeiter:innen gefüllt zu werden. ©Foto: Lisa Keppner

Jeder der Künstler:innen hat ein zentrales Anliegen für die Ausstellung formuliert. „Dass alle Werke trotzdem so stimmend wirken, hätte man nicht gedacht“, gibt Ursel Gerdemann schließlich am Ende des Rundganges zu. Trotzdem hat sich die Kanzlei auch in eine Galerie verwandelt, in der jede freie Wand und jede unscheinbare Ecke genutzt wurde, um Raum für kreative Entfaltung zu machen. 

Einblick in die kunstvoll gestalteten langen Gänge des Bürogebäudes. ©Foto: Lisa Keppner