Noemi Fulli ist als freischaffende Künstlerin in Tübingen tätig. Ihre Leidenschaft ist das Theater, wo sie als Schauspielerin, Tänzerin und Performerin auf der Bühne steht. Auch hinter den Kulissen ist sie durch ihre Vorstandsposition beim Performing Arts Collective Tübingen – kurz PACT – fest in der Kunst- und Kulturszene Tübingens verankert.
Liebe Noemi, schön, dass du dir Zeit für das Gespräch genommen hast. Bevor wir so richtig mit den Fragen anfangen, würde ich dich erst mal darum bitten, über dich und deinen Lebensweg zu sprechen. Kannst du darüber einfach mal erzählen?
Ok, ich bin in Italien, in Rom geboren. Dort habe ich 22 Jahre meines Lebens verbracht. Ich habe dort ein Anthropologiestudium angefangen und bin dann mit einem Erasmus-Programm in Tübingen gelandet. In Tübingen habe ich dann erst mal mein Kind bekommen und mein Studium abgebrochen. Kurz danach habe ich angefangen, an einer Schauspielschule in Ulm zu studieren. Dann bin ich täglich nach Ulm gependelt und habe dort abgeschlossen. Und seitdem habe ich vor allem eben mit der freien Szene Projekte gehabt – in München, Tübingen, Ludwigsburg und anderen Städten. Und ich wohne immer noch in Tübingen mit meinem Sohn.
Und was war der Anstoß, eine Laufbahn als Darstellerin auf der Bühne zu verfolgen?
Ich wollte mein Studium hier weitermachen und quasi mit der Uni hierherziehen. Das ist aber ein bisschen in die Hose gegangen, weil mir so wenige Kurse anerkannt wurden, die ich schon gemacht hatte. Das ist ein bisschen ein strukturelles Problem. In Italien ist Anthropologie ein Studium, und hier sind es zwei Fächer, in Italien gibt es kein Nebenfach, es gibt nur ein Hauptfach. Dann habe ich mich entschieden, weil mir nur drei Kurse oder vier Kurse von 16 oder 17 anerkannt wurden, das mache ich nicht weiter. Und das hat mich schon ziemlich aus der Bahn geworfen – irgendwie gar nichts mehr in der Hand zu haben. Und dann hatte ich diesen Alltag allein mit dem Kind, was sehr schön war, aber auf der anderen Seite sehr einseitig und ich habe mich stark nach was anderem gesehnt. Vor allem, weil ich erst durch das Studium so viel Impulse und Kopfnahrung hatte und dann irgendwie das Gegenteil in dem Alltag mit dem Kind. Dann bin ich in eine bisschen schwierige Phase gerutscht, in der es mir gar nicht gut ging. Da habe ich gemerkt, dass wieder auf der Bühne zu sein das Einzige ist, was mir richtig guttut. Das hatte ich schon vor dem Studium der Anthropologie. Bevor ich mit dem Studium angefangen habe, hatte ich mich schon an Hochschulen in Italien für Schauspiel beworben und dann den Plan wieder verworfen, weil es halt noch schwieriger ist als hier in Deutschland. Und dann habe ich diesen Wunsch nochmal abgestaubt und gemerkt, dass es mein wahrer Wunsch war.
Was waren Highlights in deiner bisherigen Laufbahn und welche Projekte waren vielleicht auch besonders herausfordernd?
Ich fange mit der Herausforderung an. Herausfordernd sind fast immer eher die Projekte in der freien Szene gewesen. Einfach deswegen, weil diese Infrastruktur viel weniger gegeben ist als in einem festen Theater, wo man sich wirklich entspannen und zurücklehnen kann und sich einfach auf die Arbeit an der Rolle und dem Stück konzentrieren kann. Aber die vielleicht größte Herausforderung für mich war, einmal in München, da habe ich mein erstes Solostück gehabt. Das war ein Stück von einer Münchener Autorin und Regisseurin namens Maja Das Gupta. Sie hatte dieses Stück Lillys Bus geschrieben und das hat auch in einem Bus gespielt. Das war schon eine Herausforderung und wirklich etwas ganz Neues für mich, so alleine auf der Bühne zu stehen. Das war auch ein Kinderstück – das heißt doppelte Herausforderung. Also, den ganzen Raum zu füllen und dieses Gefühl, ganz auf sich alleine gestellt zu sein auf der Bühne, das war eine große Herausforderung, aber natürlich gleichzeitig auch ein Highlight. Das war ein sehr tolles Stück. In dieser Umgebung in einem Bus zu spielen – und das war wirklich ein Bus, der auf die Bühne umgestellt wurde. Also da waren quasi die Sitze umgebaut auf Theatersitze und dann habe ich in diesem Bus gespielt, der ewig lang war. Das war ein tolles Projekt, genau. Noch ein Highlight in der freien Szene war auf jeden Fall dieses Projekt mit Laura Conte vom MasckaraTheater. Sie ist übrigens auch in PACT. Sie hat dieses Stück über eine Partisanin geschrieben. Eine italienische Partisanin, und es gab schon sehr viele Frauen, die Partisanen waren, aber man kennt sie halt nicht. Und dieses Stück zu spielen war oder ist für mich immer noch ein Highlight, mit der darauffolgenden Fahrt nach Italien, wo wir dann dort gespielt haben, wo die Person gelebt hat. Wo auch die Angehörigen dieser Partisanin herkamen. Highlight erstens, weil wir die Premiere mitten in der Pandemie gehabt haben und wir haben quasi das ganze Stück auf Corona angepasst. Das heißt, wir haben am Anfang gedacht, wir werden nur für ein oder zwei Haushalte spielen können und in so einem kleinen Raum mit Abstand zwischen ihr und mir. Das war wirklich für mich einer der hellsten Momente überhaupt und in der Pandemie sowieso – dass wir es irgendwie geschafft haben, trotzdem Kunst zu machen in so einer schwierigen Zeit und sich doch anzupassen. Daraus ist wirklich etwas Tolles entstanden. Für mich als Schauspielerin ist es auch ein Highlight im festen Theater aufzuspielen und von älteren Kollegen und Kolleginnen zu profitieren und da sehr viel zu lernen.
Gibt es Bereiche oder Themen, die du in Zukunft spielen willst oder in die du vielleicht tiefer eintauchen willst?
Ja, absolut. Ich habe schon ein bisschen Erfahrung sammeln dürfen. Das ist ja nicht selbstverständlich in dem Bereich. Aber ich fühle mich immer noch total am Anfang, weil ich auch glaube, dass die freie Szene, ja, sehr frei ist, aber wenn es wirklich darum geht, irgendwie Routine zu kriegen, ist es halt schwierig. Und mein Problem oder überhaupt, wie ich so ein bisschen bin, ist halt, dass ich sehr gut in Beziehung funktioniere. Also ich funktioniere sehr gut mit Menschen und bei mir kommen die Ideen und Inspirationen, wenn ich mit Menschen zusammenarbeite, die ich inspirierend finde. Das heißt, es gibt immer wieder so Themen, die mich interessieren, aber vor allem Menschen, die mich interessieren, bei denen ich denke: „Ok, mit der Person will ich auf jeden Fall was machen.“ Was mich persönlich auch interessiert, das sind natürlich alle Themen, die mit Migration zu tun haben. Mit Biografien oder auch alltäglichen Dingen – finde ich sehr interessant. Und bei den Bereichen finde ich es halt sehr interessant, wenn die Projekte am Ende so spartenübergreifend sind. Wenn es sich nicht nur auf Schauspiel konzentriert, sondern auch in Kontakt kommt mit Tanz und Gesang oder anderen Dingen.
Du hast ja jetzt schon öfters erwähnt, dass du freie Künstlerin bist. Kannst du nochmal darüber sprechen, wie du überhaupt zur freien Szene gekommen bist?
Das habe ich schon vor der Ausbildung gehabt, dass ich halt einfach spielen wollte. Dann bin ich in Kontakt mit Laura Conte gekommen, die auch aus Rom kommt und auch in Tübingen freie Künstlerin ist. Mit ihr habe ich ein paar Projekte gemacht – auch schon vor der Ausbildung. Und nach der Ausbildung hat es sich so ergeben. Ich habe mich für ein Projekt rund um Menschen mit Beeinträchtigungen in München vorgestellt, da habe ich vorgesprochen und wurde genommen. Dann habe ich dort angefangen zu spielen. Daraus hat sich übrigens auch die Kooperation mit Maja Das Gupta ergeben. Das ist alles die freie Szene in München. Genau, und man macht halt teilweise auch aus der Not eine Tugend, wenn man kein festes Engagement kriegt oder keine Kooperation mit Theatern. Dann ist es halt so, dass es die freie Szene auch gibt – was nicht heißt, dass es etwas weniger Interessantes ist. Im Gegenteil. Aber es ist natürlich von der Finanzierung her viel prekärer.
Und wie findest du die Arbeit als freie Künstlerin insgesamt?
Schön und anstrengend.
Um da noch mal direkt beim Thema Anstrengung einzuhaken: Mit welchen finanziellen oder organisatorischen Hürden siehst du dich als freischaffende Künstlerin am meisten konfrontiert?
Also ich muss sagen, ich habe gerade angefangen, alleine Projekte zu beantragen. Bis jetzt habe ich einfach mit Gruppen kooperiert, die selber die finanzielle Lage und die Infrastruktur vorgelegt haben, und deswegen hatte ich das Problem weniger. Ich habe das so am Rande mitgekriegt, aber nicht aktiv mitbekommen. Das ist halt das eine, ja. Ich finde auch, es ist sehr, sehr schwierig oder utopisch, davon zu leben. Es ist irgendwie notwendig, da so eine finanzielle Unterstützung zu haben, weil es sonst gar nicht geht. Also, das heißt, manchmal braucht man ein zweites Standbein, um überhaupt ein bisschen Brot zu haben, sage ich mal. Und auf der anderen Seite bedarf es in der freien Szene so viel mehr Einsatz und Kraftaufwand, was sich niemals auszahlt, und die Energie geht sehr schnell verloren, finde ich, wenn man sich um beides kümmern muss. Also, das Geld verdienen und auf der anderen Seite irgendwie Platz zu schaffen für Projekte und für diese Projekte dann Geld zu beantragen oder irgendwo zu suchen und vielleicht nur teilweise etwas zu bekommen. Trotzdem ist dieser Wunsch da, die Dinge zu realisieren, aber das ist irgendwie so ein perverses System, finde ich. Ich werde daraus nicht schlau. Also, da muss man wirklich auch Lebenskünstler sein und nicht nur Künstler allgemein. Einfach zu gucken, dass sich alles zusammen einfädelt – das ist ein enormer Kraftakt.
Und wie erlebst du die Kunst- und Kulturszene in Tübingen und Region?
Ich glaube, der Wunsch ist da. Für so eine kleine Stadt gibt es aber teilweise ein bisschen zu viel, denke ich. Zu viel im Sinne, dass es zwei große Theater gibt. Es gibt ein Landestheater und ein Stadttheater. Und wenn die Leute Kultur erleben wollen, dann gehen sie häufig in diese Häuser, und für alle anderen ist es dann ein Kampf eventuell. Es gibt natürlich auch das Sudhaus. Ich glaube, das Problem ist auch, dass es zum Beispiel Infrastruktur für die freie Szene nicht wirklich gibt. Also, dass es keinen physischen Ort für die freie Szene gibt. Zum Teil ist es ja sehr schön und frei, dass man irgendwie überall auftreten kann, aber ich glaube, auf der anderen Seite wird es dann gar nicht so wahrgenommen von den Zuschauern und Zuschauerinnen.
Waren da auch schon Gründe dabei, weshalb du Gründungsmitglied von PACT geworden bist? Was hatte dich damals dazu bewegt, zu PACT zu kommen?
Ja, genau das. Das ist sehr gut, dass diese Frage an der Stelle kommt. Es war eben so, dass ich in München sechs Monate wegen diesen Projekten war. Kurz vor Corona. Dort habe ich dieses Kreativquartier erlebt. Und dann bin ich nach Tübingen zurückgekommen und ich dachte: „Ja, schade, dass wir nicht so was haben.“ Das ist einfach so viel Mehrwert für eine Stadt, wenn es so einen Ort gibt, wo physisch Kunst und Kultur gemacht wird – egal welche Richtung, ob darstellende Kunst oder bildende Kunst. Als ich zurückgekommen bin, habe ich mitgekriegt, dass sich gerade PACT bildet und dann habe ich das total gefeiert, dass sich genau zu dem Zeitpunkt so was formt oder am Entstehen ist.
Und inwiefern hat sich PACT aus heutiger Sicht auf deine Laufbahn ausgewirkt und was hat sich seit deinem Beitritt für dich verändert?
Wovon ich an PACT profitiert habe, ist, glaube ich, dieser Austausch, der für mich sehr wichtig ist – mit Künstlern und Künstlerinnen aus Tübingen, die ich wahrscheinlich nie kennengelernt hätte. Ich wusste nicht, dass es so viele Menschen in Tübingen gibt, die Kunst machen, weil sie teilweise auch sehr selten in Tübingen Kunst machen dürfen und können. Und ich glaube, das hat mich so ein bisschen mehr über die kulturpolitische Lage in Tübingen und Vernetzung und auch diese Professionalisierung des Freiseins aufgeklärt. Das hat alles viel mehr Form angenommen.
Kannst du uns zum Abschluss noch mal ein bisschen darüber erzählen, was in Zukunft bei dir ansteht, oder besser gesagt, welche Projekte in Planung sind?
Ich habe gerade ein Projekt über Coaching bei der Stadt eingereicht. Das ist ein Thema, was mich persönlich beschäftigt hat, da jetzt gerade sehr viel mit Coaching gemacht wird. Der Coach ist aber zum Teil keine definierte Figur und teilweise driftet das Ganze irgendwie so von der Realität ab. Das habe ich immer mitbekommen, dass es teilweise so eine Vereinfachung der Realität ist und das hat mich sehr beschäftigt. Dann habe ich gedacht, das wäre interessanter, das mal zu recherchieren und so was Künstlerisches darüber zu machen. Ansonsten bewerbe ich mich fleißig. Ohne Erfolg. Bis jetzt.