„zerteilt“- Abbildungen einer Gesellschaft

Nur noch selten finde sich im öffentlichen Raum der Mut, für seine eigene Meinung einzustehen. In der Shedhalle stehen deshalb jetzt die persönlichen Ausdrücke von 23 Künstler:innen noch bis zum 06. Oktober präsentiert, um dem Ende des Pluralismus entgegenzuwirken.

Die Frage nach der räumlichen Zukunft der Shedhalle hat Spuren bei André Pfeiffer hinterlassen. „Wir haben uns zerstreut gefühlt“, gibt er im Gespräch preis. Dabei gäbe es noch viel mehr Faktoren, die drohen, eine Gesellschaft zu teilen oder im Gegenteil das Potenzial haben, jene wieder näher zusammenzubringen. „Wo wird Identität geschaffen, wo wird sie gestört und an welchem Punkt sogar verletzt?“, so beschreibt er die Gedanken weiter, die dann letztendlich zur Idee der Ausstellung „zerteilt“ führten. 

Mit der offenen Einladung im Juni diesen Jahres forderte der Shedhallen-Verein dann aktiv Künster:innen dazu auf, sich mit dem Verhältnis von Individualität und dem Konzept von Gesellschaft auseinanderzusetzen. Nur noch selten finde sich im öffentlichen Raum der Mut, für seine eigene Meinung einzustehen. In der Shedhalle stehen deshalb jetzt die persönlichen Ausdrücke von 23 Künstler:innen noch bis zum 06. Oktober präsentiert, um dem Ende des Pluralismus entgegenzuwirken.

Ein Blick in die Ausstellung ©Foto: Lisa Keppner

Eine aus seinem Ursprung heraus sehr bunte Ausstellung erstreckt sich in den Hallen des alten Schlachthauses. Größtenteils sind die Werke aktuell und vor zwei bis drei Jahren angefertigt worden, jedoch auch brandneue und ältere Anfertigungen sind zu bestaunen. Die Künstler:innen sind dabei hauptsächlich aus dem Raum Tübingen, aber auch einzelne Werke aus der weiteren Umgebung und der Schweiz füllen die Räume mit internationaler Kunst. Es wurde dabei auch in der Auswahl für André Pfeiffer wieder deutlich: das „interessiert einfach jeden, nur jeder drückt es anders aus“.

Betritt man die Ausstellung, so wird einem zuerst die Anfertigung Robin Gommels auffallen. Inmitten des Raumes erstreckt sich ein großer Block aus Glas, der eingeteilt in kleine Rechtecke, umgeben von Holzrahmen, eine große Menge an zerkleinerten Geldscheinen beinhaltet. An dessen Spitze ist das Gebilde durch Stacheldraht versehen. Eine Europaflagge steigt aus dem Inneren empor. „The grass is always greener on the other side“, heißt das Werk, welches im Jahr 2016 entstanden ist. „Auf der anderen Seite ist das Gras immer grüner“, so die deutsche Übersetzung, stellte die Ausstellung dabei nicht nur organisatorisch zunächst vor Herausforderungen, sondern weist auch direkt zu Beginn auf einen großen politischen Missstand hin, welcher die Gesellschaft teilt. Zwischen den Jahren 2016 und 2018 zahlte die EU sechs Millionen Euro an die Türkei, um die Ankunft weiterer Flüchtlinge zu verhindern. Eben jene Geldsumme ist im Werk verinnerlicht worden. Nun wird man als Zuschauer:in ganz bewusst dazu aufgefordert, sich mit diesem Konflikt zu beschäftigen, egal wo man sich im Raum bewegt, man wird sich nicht weigern können hinzusehen. 

Robin Gommels „Fortress Europe“ ©Foto: Lisa Keppner

Geht man um das Werk Robin Gommels herum, welches ebenfalls „Fortress Europe“ genannt wird, so stößt man auf das Werk einer jungen Künstlerin aus Tübingen. Djemia Trari konnte die Jury im Open Call durch aufwendige Collagen von sich überzeugen. Die verschiedenen Magazinausschnitte zeigen dabei in ihrer unterschiedlichen Größe und Form die Individualität des Einzelnen, symbolisieren als zusammengefügtes Gesamtwerk dann jedoch ebenfalls, wie diese sich als Gesellschaft zu einem ergänzen können. Von den vier Grundelementen, über die weltlichen Kräfte bis hin zu primitivsten Trieben, interpretiert sie das Thema mit der Note, dass alles auf der Ebene der menschlichen Erfahrungsrealität trennen und näher zusammenbringen kann.

Collagen der jungen Tübingerin Djemia Trari ©Foto: Lisa Keppner

Lapiz hat sich auf Streetwork spezialisiert. Für die Ausstellung „zerteilt“ allerdings hat er seine Stellungnahme auf Ulmer Holzmalgrund verewigt. Das Motiv der Maria ist mit einer VR-Brille vor dem Hintergrund mehrerer Firmenzeichen verschiedenster „konservativer und rechter Parteien“ abgebildet. Damit möchte er die „schweigende Mehrheit“ zum Sprechen bewegen. Die Medien werden oft genutzt, um vermeintliche christliche Werte zum Schutz gegen andere Religionen, vor allem den Islam zu publizieren. Dabei wird das Leitbild der Nächstenliebe und Toleranz gänzlich verworfen.

Der Streetart- Künstler Lapiz interpretiert das bekannte Motiv der Maria neu ©Foto: Lisa Keppner

Ein vergesellschaftlicher Missstand, der sich im Ausstellungsraum neben dem Thema des „Elite Recycling“ manifestiert. Ken Werner hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Fotografien auf den mangelnden öffentlichen Diskus bezüglich sozialer Fragen in einer elitären Stadt wie Tübingen aufmerksam zu machen. Es sei immer einfacher, sich in einer „Stadt, die grün wählt“ mit Ökonomie zu beschäftigen als mit der Klassenfrage. Er greift in seinen Bildern sowohl mehrere historische Elemente auf als auch zukunftsvisionäre Motive, um auf einer ästhetischen Weise zu verbinden, dass die deutsche „Hofelite“ einfach recycelt wird und es der Gesellschaft an einer Idee für eine neue Zukunft mangelt. 

Fotografie „Elite Recycling“ von Ken Werner ©Foto: Lisa Keppner

Miteinander 

Dass sich die Ausstellungstücke spiegeln und in einer übergeordneten Balance dennoch Spannung erzeugen sollen, wird im Gespräch mit André Pfeiffer besonders bei den Werken von Ute Diez und Eva Engelhardt deutlich. Beide Frauen haben sich mit dem hoffnungsvollen Miteinander innerhalb einer Gemeinschaft beschäftigt. 

Ute Diez verarbeitet hierbei auf der Vorderseite einer Wand die Rede „The hill we climb“ der jungen Afroamerikanerin Amanda Gorman auf zahlreichen, bunten Ballons aus Epoxidharz. Diese sind mit Textausschnitte geschmückt worden und sollen von den Besucher:innen mitgenommen werden, um die Botschaft auch außerhalb des Rahmens der Ausstellung in die Welt zu tragen.  

Ute Diez lässt mit ihren Ballons hoffnungsvolle Worte in die Ausstellung fliegen ©Foto: Lisa Keppner

Geht man auf die andere Seite, kann man die Entsprechung der Ballons in Form von „Nippeln“ von Eva Engelhardt erkennen. Es sind Salzteigabgüsse verschiedener Bauchnabel, die die körperliche Vielfalt innerhalb eines Netzwerkes aus Freund:innen und Familie darstellen. Es ist ein simpler und trotzdem starker Gedanke, „es hat nun mal eben jeder einen Bauchnabel“, lacht André Pfeiffer. Oft reicht die Rückführung auf einfache Gemeinsamkeiten, um daran zu erinnern, dass man nicht allein ist und gemeinsam das Potenzial hat, Großes zu erschaffen. Eine Verbindung zwischen Menschen habe dabei auch  die Kraft, eine Einzelperson durch schwierige Zeiten hindurch zu halten.

Ebenfalls ein Appell an mehr Humanität und vor allem Solidarität findet man am anderen Ende der Ausstellung bei Paola Selin Demirci. Sie zeigt in ihrem Fotodruck zwei Seiten einer Kindheit. Läuft man auf das Bild zu, so sieht man ein paar Heranwachsende, die in einem hellen Umfeld zusammensitzen und Kerzen auf einer schmuckvoll gestalteten Geburtstagstorte auspusten. Sie lachen, tragen ordentliche Kleidung und feiern in einem festlichen Rahmen. Geht man weiter, wendet sich die Fotografie. Zwischen grauen, eingestürzten Gebäuden werden Kinder in einem Graben aus Dreck mit einer schmächtigen Menge Nahrung versorgt. Die Stimmung ist gedrückt, die Kinder nervös und ängstlich. Das Werk, welches den Namen „Gaza 9.2.2024“ trägt, soll die Betrachter:innen ganz bewusst darauf aufmerksam machen, wie entmenschlicht der Krieg ist. Hinter Zahlen stecken Menschen, die nicht aufgrund von „verhärteten Gegenteilen“ von Mitleid ausgeschlossen werden dürfen. Das Ziel solle stets der Frieden sein.

„Gaza 9.2.2024“ ©Foto: Lisa Keppner

Berit Spieß hat sich mit ihrem Gartenzaun „who is afraid of black red gold” näher mit dem beobachteten Verhalten ihrer Nachbar:innen und deren Abgrenzungsversuchen auseinandergesetzt. Zwischen Privatisierung durch Holz und mangelndem Zusammenhalt, wird die deutsche Flagge, an Metallketten gebunden, durch den Dreck gezogen. Diese Handlung ist ebenfalls mit einer Kamera festgehalten worden und kann von den Besucher:innen auf einem kleinen Bildschirm angesehen werden. „In anderen Ländern würde einen hierfür eine große Strafe erwarten“, kommentiert André Pfeiffer, „In Deutschland ist das völlig okay“. 

Berit Spieß: „who is afraid of black red gold“ ©Foto: Lisa Keppner

Auch zwei aufwendig gestaltete Videoproduktionen, mehrere Collagen und Fotografien warten auf Kunstbegeisterte, die sich auf ästhetische Weise neu mit ihrer Rolle innerhalb der Gesellschaft beschäftigen wollen.