CONTAMINATION – Ein künstlerischer Gedankenaustausch

In der Ausstellung "CONTAMINATION" ist die Zusammenarbeit zugewanderter und bereits ansässiger Künstler:innen in Tübingen auf verschiedenste Art und Weise festgehalten worden. Was passiert wenn sich Menschen mit ihren Ideen gegenseitig infizieren?

Die Idee, gemeinsam mit anderen zugewanderten Künstler:innen in Tübingen Neues zu entwerfen, konzipierte Laura Conte gemeinsam mit Annagreta König Dansokho schon vor Jahren. Der Name für das Projekt „CONTAMINATION“ stieß dabei bei den zugewanderten Künstler:innen entgegen der deutschen Interpretation auf rege Begeisterung. „Für mich ist dieses Wort absolut positiv“, beschreibt Chandal Nasser, „es bedeutet, sich anstecken zu lassen von einer anderen Person, es beschreibt einen Gedankenaustausch und war in Brasilien sogar eine kulturelle Bewegung“. Auch Laura Conte betont, dass der Begriff der „Contamination“ in der Kunstszene Italiens sogar noch weiter ausgedehnt wurde. Er sei eine ganz „gängige Idee“ und führte zu „radikalem Erfolg“. 

Dieser Prozess des „Miteinander-in-Verbindung-Kommens“ von zugewanderten und bereits ansässigen Menschen in Tübingen, die auf diesem Wege gemeinsam Kunst schaffen, wurde in Zusammenarbeit mit KUNE als Projektleitung aufbereitet und auf verschiedenste Art und Weise festgehalten. Das Ergebnis ist noch bis zum 28. September in der Kulturhalle Tübingen zu sehen.

Erster Blick in die Ausstellung. ©Foto: Lisa Keppner

BEHAUSUNGEN

Bevor man den ersten Raum der Ausstellung betritt, blickt man zunächst auf ein Gedicht der Autorin Chandal Nasser. Jenes brachte sie damals als einen Vorschlag am ersten Tag der Zusammenarbeit mit in den Arbeitsraum. 

das Verhältnis zur gewöhnlichen Kleidung infrage stellen  

1  

ich ziehe das Haus an, es passt mir gut 
obwohl es mich fülliger macht und auf die Schultern drückt  
eine voluminöse Bomberjacke 
asymmetrisch geschnitten  

wegen seiner markanten Formen 
lässt es sich nicht einfach kombinieren  
beißt sich mit allem, dafür ist es langlebig  
könnte über Generationen vererbt werden  

so maximalistisch gekleidet wäre ich 
ein umwerfender Elefant im Porzellanladen  

2  

ich ziehe das Haus an, das ist heikel 
denn im Haus trage ich etwas anderes als aushäusig  
jetzt weiß ich nicht mehr 


ob ich draußen oder drinnen bin  

so gerät meine Kleiderordnung durcheinander  
ebenso mein Orientierungssinn  

Im ersten Raum der Ausstellung richtet man seinen Blick zunächst auf einige Häuser aus Papier, die handschriftlich beschrieben von der Decke hängen. Es sind Rohgedanken der Autorin, die sich von Häusern aus verschiedenstem Material der Künstlerin Margarete Warth inspirieren lassen hat. Diese kann man weit verbreitet auf dem Boden des Raumes entdecken. Ein langes Schriftstück über den Häusern der bildenden Künstlerin geben den Entwicklungsprozess der Ausstellungsstücke gut wieder. Es sind Momente der gegenseitigen Inspiration. Dabei hat das Thema der Behausung für alle Beteiligten auch stets etwas mit Abschied zu tun. Es sind die individuellen Lebenserfahrungen der Ausstellenden präsentiert die sich mit tiefem, gegenseitigem Vertrauen der Frage nach dem „Wo lebt und wo ist man?“ stellen. 

Die Gedanken Chandal Nassers schweben unvollendet im Raum. ©Foto: Lisa Keppner

Was dann bildlich aus den Worten entstanden ist, stellt Laura Conte in ihrer Performance „Blau“ dar. „Dem Handwerk eine Körperlichkeit geben“, dies war das Ziel der Schauspielerin. Dabei sei das Ausstellen von Theater eine große Herausforderung gewesen. „Theater ist im Moment“, berichtet sie. Sie freut sich darüber, dass obwohl die Ausstellung fertiggestellt ist, der Prozess durch ihre Live-Performance-Acts noch nicht vollständig beendet ist. „Man kann sich auch in einem Pulli zuhause fühlen“, erzählt sie von ihren Inspirationen. „Man kann sich darin zurückziehen oder daran hängen bleiben.“ So gibt die Schauspielerin dann die Worte von Chandal Nasser in ihrer Perfomance darstellerisch wieder, während diese ihr Gedicht zeitgleich über einen Projektor an die Wand schreibt. „Wir haben alle das Gefühl, etwas für uns gewonnen zu haben“, beschreibt sie die Zusammenarbeit innerhalb ihrer Gruppe. „Die Ideen hatten so viel Kraft und sie mussten kommen.“

UND BEI DREI TANZEN ALLE

Die zweite Arbeitsgruppe – bestehend aus Annagreta König Dansokho, Christina Liakopoulou und Bachir Mbaye – beschäftigte sich damit, die Unsichtbaren sichtbar zu machen. In der Stadtgesellschaft treten Kunstschaffende selten als solche auf und Menschen mit einem Migrationshintergrund verschwinden in der Masse. „Versteckte Menschen“, genau diese haben die Künstler:innen gesucht. Stellvertretend für sie alle, haben einige Menschen in Tübingen ihre Arbeit niedergelegt und begonnen, vor der Kamera zu tanzen.

Ausgestellt ist dieses Projekt im zweiten Raum der Ausstellung. Man wird zunächst von den Fotowänden an beiden Seiten des Raumes beeindruckt. Auf zwei Collagen, die jeweils in ihrer Länge die ganze Wand einnehmen, sind verschiedenste Menschen, die alle aus ganz unterschiedlichen Ländern nach Tübingen gekommen sind, sichtbar gemacht worden. Es wird den Zuschauer:innen die Möglichkeit geboten, sich ganz bewusst Zeit zu nehmen, um diesen Menschen entgegenzusehen. 

Unsichtbaren Menschen entgegenblicken. ©Fotos: Künstler:innen CONTAMINATION ©Foto:Lisa Keppner

Ein Video in der Mitte des Raumes spiegelt die Tänze der Menschen wider. Neben ihm findet man eine Kleiderstange mit traditioneller Kleidung von internationalen Bräuchen. Teilweise wurde auch in ihnen durch Tübingen getanzt, um auf die zugewanderten Menschen aufmerksam zu machen. „Bei drei legen alle Menschen mit Migrationsgeschichte in Tübingen die Arbeit nieder und beginnen zu tanzen“, ein Akt, um zu offenbaren was diese Menschen oft ungesehen von ihrer Umgebung leisten.

Menschen in Tübingen beginnen zu tanzen. ©Video: Künstler:innen CONTAMINATION ©Foto: Lisa Keppner

In diesem Teil der Ausstellung findet der Begriff der „Contamination“ eine andere wichtige Bedeutung. „Keine Migration kann ohne ein ‚Sich-gegenseitig-Infizieren‘ stattfinden“, kommentiert Laura Conte ihr Konzept. Das Thema sei an dieser Stelle ganz bewusst provokativ aufgefasst worden. Der Prozess der Eingliederung in eine fremde Gesellschaft ist nicht immer einfach und schön, verdient allerdings gerade deshalb Aufmerksamkeit und soll akzeptiert werden.

DIE WELT DARF BESSER WERDEN

Dieser wichtige Kerngedanke der Ausstellung manifestiert sich ebenfalls im letzten und dritten Raum von Sarah Dunn, Seatile Neyrinck und Carlo Weiß. Das eben doch jedes Wort zählt und welche Mächtigkeit diesen Worten zukommt, ist durch einen großen Wandteppich künstlerisch dargestellt worden. Er reicht von der Wand hinunter bis auf den Boden. In ihm sind die Worte „Ich bin, weil wir sind“ unzählige Male aufgedruckt. Durch ein kleines Loch in der Mitte bietet sich die Möglichkeit, hindurchzublicken und aus den Worten bildlich hervorzugehen. Drei Polaroidbilder zeigen diesen Prozess mit Menschen, denen man zuvor bereits im zweiten Raum auf den Bildern begegnen konnte. 

„Ich bin, weil wir sind“. ©Foto: Lisa Keppner
Chandal Nasser geht aus den Worten hervor. ©Foto: Lisa Keppner

Dass alles die Welt auf seine eigene Art und Weise verändert und wie wichtig dabei ein achtsamer Umgang miteinander ist, ist das Thema, dem die letzte Wand der Ausstellung gewidmet ist. Sie erinnert die Besucher:innen an die schwierige Zeit der Inklusion. Ein Pendel über Ketten hängt an einer kleinen Empore mit einem Elefanten und schlägt symbolisch manchmal aus, bleibt aber auch regelmäßig still. Es soll den Elefanten im Raum darstellen. Ein Werk für die Worte, die unausgesprochen bleiben, jedoch dringend gebraucht werden. Weiter folgt ein Flaschenzug, der die ausgesprochenen Worte mahnend betrachtet. „Achte auf deine Worte“, ist in das Metall geschrieben worden. 

Ein Schleier verdeckt die Sicht auf den dritten Raum der Ausstellung. ©Foto: Lisa Keppner

„Jede Handlung verändert etwas“, unter diesem Motto glänzt der dritte Raum allerdings auch mit Hoffnung. Auf einem großen Holztisch dürfen die Besucher:innen ihren Gedanken freien Lauf lassen. Er bietet einen Platz für Begegnung, damit auch die Vorbeikommenden Teilhabe an dem Prozess der „Contamination“ haben können. Er symbolisiert einen Ort der Entschleunigung auf Augenhöhe und wird von drei Wandteppichen, auf denen die Worte „DIE WELT DARF BESSER WERDEN“ abgedruckt sind, leicht vom Rest der Ausstellung abgetrennt. Schon einige Vorbeikommende haben sich in ihm verewigt und führen so den Entstehungsprozess der Ausstellung immer fort. Auch sie haben sich, wie die Künsterler:innen zuvor, voneinander mit Gedanken, Ideen und Träumen anstecken lassen.

Weitere Informationen zur Ausstellung findet man auf KuneProjects.