Dank Frau Engeser, Leiterin und Organisatorin der Bibliothek, haben diesen Sommer Artefakte von 10 Vertreter:innen der Ammerbucher Künstlervereinigung ihren Weg nach Bodelshausen gefunden: In alphabetischer Reihenfolge sind das Friederike Fricker; Sylvia Grauer; Iris Groebe; Petra Heymann; Angelika Jaschke; Kristina Negele-Holder; Luise Nill; Jutta Peikert; Günther Schubert und Uli Waiblinger. Einblicke lautet der Titel der Ausstellung. Dabei hat sich jedes Individuum der ausstellenden Künstler:innen mit diesem Begriff auseinandergesetzt. Eventuell mag das Zitat von Goethe “ Einblick ins Buch und zwei ins Leben…“ als Inspirationsquelle gedient haben.
Günter Schubert: Einblicke in Reiseutensilien
Im Foyer des Forums sind in einer Vitrine Metallkonstruktionen von Günter Schubert ausgestellt. Es sind poetische Vehikel, die dazu einladen auf Reisen zu gehen- das passt natürlich zum Sommerurlaub- zumal Sie das Gegenteil von nervigem Stau, vollgepackten Autos, Wohnmobilen und Warteschlangen im Flughafen suggerieren. Mit Propellern, Schrauben, Rädern, Häusern und Segeln regen diese kleinen Nippeskreationen zu einer mobilen Kreativität an, bei dem für jeden wohl, dass passende dabei ist-
Günter Schubert erläutert in einem Schriftstück seine liebevoll gestalteten Objekte in Form von Rädern, Propellern, Häusern, Barken und Leitern als Metaphern für gewisse Sehnsüchte der Menschheit: „Die Räder stehen für die Erweiterung des Horizontes, unseres Wissens. Mit Hilfe des Propellers haben wir uns den Raum erschlossen, sind dem Himmel, dem Traum vom Fliegen etwas nähergekommen. Aber wirklich fliegen werden wir nie. Ein Airbus kann auch nicht fliegen. Mit Fliegen meine ich das sanfte Abheben, das federleichte Gleiten und Schweben durch die Lüfte, ein sich von den Winden treiben lassen, so wie eben nur Vögel leicht und frei sein können. Die Häuser stehen für unser Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit, sind die Sehnsuchtsorte, die Leitern für das Erreichen, bei mir eher für die Unerreichbarkeit und die Barken, sie sind Sinnbild für Aufbruch in andere Lebensabschnitte oder, wie in vielen Mythologien, Mittler zum Jenseits“.
Das Rohmaterial aus dem die Objekte gefertigt sind sammelte Schubert auf seinen unzähligen Reisen in ehemaligen und aktuellen Grenzregionen. Es sind recycelte Schrottteile mit historischer Bedeutung. Mit der Beilage des Textes hat der Rezipient einen guten „Einblick“ in die Welt des Hobbykünstlers.
Uli Waiblinger: Einblicke mit Makrofotografie
Die monumentalen Tafeln von Uli Waiblinger, die in einer Symbiose von Makrofotografie, Collagen und Malerei unter anderem Bilder von Fensterfassaden wiedergeben, beziehen sich mit ihren Titeln allesamt auf das Ausstellungsthema. Waiblinger spielt mit einem Effekt, den schon vor ca. 100 Jahren die Fotografen faszinierte, beispielsweise den Piktoralisten Alfred Stieglitz: Das visuelle Einfangen von industriell groß angelegtem bzw. Vorgängen in der Natur, dabei immer den Prozess der Vergänglichkeit mit berücksichtigend. Aus seiner Perspektive geben die Fensterfronten weniger Einblicke in die tatsächlich abgebildeten Gebäude, vielmehr Einblicke in das menschliche Unwissen.
Das Foto-Composing Einblicke -Wasser ist dabei unzweifelhaft ein Gag über die Unmissverständlichkeit von Forscherdrang und Bestätigungsbedürfnissen, der aber nicht befriedigt werden kann: Ein QR-Code, der unter einer bewegten, beleuchteten und beschatteten Wasseroberfläche ersichtlich wird und dennoch verschwommen bleibt. Wie bei den Werken Venedig mit Fenster, Beirut und Haute Couture ist dieser Druck auf Forexplatte ein Spiel mit dem Oberflächlichen und dem Phänomen der Verhältnisse von Licht, Schatten und Illusion. Also kein Einblick, sondern doch nur ein (flüchtiger) Blick?
Bei Einblick- Venedig mit Fenster ist es das verrostete Eisengitter mit den kleinen kaputten Fensterscheiben, von dem jede eine Geschichte erzählen kann, das einen daran hindert, einen Blick in den dunklen Raum dahinter zu erhaschen und ihn dennoch erahnen lässt.
Einblicke-Beirut ist das Gegenstück dazu: Ein modernes Hochhaus mit spiegelnder Glasfassade, vor der man im gleißenden Sonnenlicht geblendet davorsteht. Die Verzerrung des Bildes durch die Blendung verstärkt die Wirkung der Anonymität. Daher hat man auch hier eben keinen Einblick in die Büros oder Wohnungen hinter der spiegelglatten Fassade, vielmehr eine flüchtige Illusion.
Einblicke- Haute Couture zeigt ein Wechselspiel von Anonymität und Individualität: Aus zahlreichen sich überlagernden, neonfarbigen Linien vor schwarzem Hintergrund, die Bestandteil von Schnittmustern sind, wird ein weibliches Gesicht geformt, das einen mit einem (überlegenen) Blick von oben herab anschaut. Der Betrachter hat also selbst keinen Einblick angesichts des Wirrwarrs an Linien und Markierungen, wird aber mit dem fixierenden „einen Blick“ des Gesichts konfrontiert.
Luise Nill: Einblicke mit Zeitreise
Kommen Wir nun zu Luise Nill. Sie hat mit ihrer Trilogie Zeitreise eine künstlerische Chronik geschaffen, die aufgrund ihrer Materialbeschaffenheit auf die Geschichte von Bodelshausen hinweist: Sie hat einzelne Styroporplättchen mit Farbe bemalt und damit die Wirkung einer groben Holzstruktur erzielt. Mit Schnüren sind diese einzelnen Latten vertikal und Schräg als Bild verbunden. Die Holzstruktur hat die Bedeutung des einfachen, bäuerlichen Handwerks- wie es früher in dem Ort vorherrschte-und die Schnüre sollen symbolisch den Durchbruch und die wichtige wirtschaftliche Bedeutung der Textilindustrie zum Ausdruck bringen- beispielhaft für unzählige Ortschaften in der Region der Schwäbischen Alb.
Auf dem einen Bild sind Ammoniten auf Rot-Blau und weißem Hintergrund gezeichnet, das sind die sogenannten „Bodelshäusener Schnecken“, die sich hier im Boden finden und der Bevölkerung ihren Spitznamen gegeben haben. Auf dem Bild darüber ist vor einem nachtblauen Hintergrund die Silhouette des Ortskerns auf dem Berg mit der Dionysiuskirche gezeichnet. Das dritte Bild ist eine Hommage an die Bücherei im Forum, bei der sich viele bunte Buchrücken, ordentlich im Regal verstaut, erkennen lassen. „Geschichtszüge“ lässt sich als Buchtitel auf einem Buch lesen- ein Wortspiel mit „Gesichtszüge“?
Luise Nill liebt die Gestaltung mit kräftigen, leuchtenden Grundfarben. In dem Bild In wachsenden Ringen (ausgestellt im ersten Stock) sehe ich unverkennbar Anspielungen auf die Künstlerin Sonja Delaunay und die Malerei des orphischen Kubismus mit der Charakteristik der kreisförmigen Simultankontraste.
In dem Gemälde In wachsenden Ringen bezieht sich Luise Nill auf ein Gedicht von Rainer Maria Rilke aus seinem 1905 erschienen Frühwerk „Stundenbuch“, eine Art religiöse Selbstreflexion, des spätromantischen Dichters und damit auch ein Einblick in das eigene Selbst:
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang“.
Das Gemälde ist in gewisser Weise eine kunsthistorische Symbiose dieser Stilrichtung und des Gedichtes.
Die leuchtenden Grundfarben hat Luise Nill auch in Aufwind zur Geltung gebracht. Dieses Bild vermittelt durch die ineinanderlaufenden Farblinien, im Stil des abstrakten Expressionismus, den Eindruck einer sommerlichen Blumenwiese mit thermodynamischer Luftzirkulation. Die weiße Zeichnung in der unteren Mitte erinnert an das Schema eines dreiblättrigen Kleeblattes, kann aber passend zum Bildtitel auch als Propeller gedeutet werden.
Kristina Negele-Holder: Einblicke in Energien
Kristina Negele-Holder schafft mit ihrem Gemälde Kernreaktion eine Versinnbildlichung der heftigen, energetischen, exothermen Reaktion der Teilchenumwandlung. Damit bringt das Bild einem wieder die starke Gewalt ins Bewusstsein, der wir durch unseren hohen Bedarf an elektrischem Strom ausgesetzt sind. Aufgrund von unberechenbaren Reaktorunfällen in der Vergangenheit, hat das Thema Kernreaktion bei der Menschheit jahrzehntelang großen Respekt veranlasst. Seit neuestem steht jedoch eine, durch wissenschaftliche Erkenntnisse angeblich sichere, Kernenergiegewinnung zur Debatte, die im Kontrast zu den herkömmlichen Methoden wie Kohlekraftwerke, Wasserkraftwerke und auch Windkraftanlagen eine sauberere Alternative zu sein verspricht.
Mit blue harmonie hat Kristina Negele Holder weiterhin ein Bild gemalt, das an unseren blauen Planeten denken lässt. Fast versöhnlich erscheint dieses abstrakte Gemälde sehr in sich ausgeglichen mit den wässrig verlaufenden Linien und Flächen.
Silvia Grauer: Einblicke in Farbkompositionen
Bleiben wir bei dem Thema blau: Silvia Grauer bezeichnet ein florales Gebilde, das eine Symbiose aus Seerosengewächs und weißen Hornveilchenblüten zu sein scheint und sich wie schwerelos in einem blauen Raum bewegt als bleu enfanti“ (kindliches/ kindisches blau).
Silvia Grauers Malstil ist unverkennbar schwungvoll und farblich stimmungsvoll gebrochen. In ihren Bildern ist viel Gefühlsdynamik zu erkennen. So in dem Bild Von Herzen das einen Einblick in ein anatomisch pulsierend, bewegtes Herz nach eigener Vorstellung gibt. –
Aquis submersus lautet der Titel eines zweiten, sehr bewegten Bildes von Silvia Grauer. „In Wasser getaucht“ lautet die lateinische Übersetzung und lässt viele Interpretationsmöglichkeiten offen. „Aquis submersus“ ist gleichzeitig eine Novelle des bedeutsamen Schriftstellers Theodor Storm über eine unglückliche unerfüllte Liebe mit tragischem Ausgang vor der historischen Kulisse des 30-jährigen Krieges.
Jutta Peikert: Einblicke ins Menschliche
Jutta Peikert hat sich auf die Kreation von Keramikreliefs spezialisiert, die auf den ersten Blick amorph wirken, es aber in keiner Weise sind. Das Thema bei Jutta Peikert ist der von Schicksalsschlägen gebrochene Mensch, der jedoch nicht zerbrochen ist, sondern es schafft, sich wieder aufzurichten, durch die Schwere hindurch zu kommen und so im Begriff ist, sich selbst zu finden und zu sammeln. Hierbei wendet Jutta Peikert eine von ihr allein entwickelte Methodik an: Sie formt ihre Figuren auf Tonplatten aus rohem Ton und taucht diese eine Weile in ein Wasserbad, so dass sie sich etwas verformen aber nicht komplett auflösen. Anschließend werden die Flachreliefs getrocknet und mit erdigen Farben glasiert. So wirken Sie so naturverbunden und ursprünglich.
Aufbruch heißt ein Flachrelief mit zwei halbplastischen Figuren, die sich wie Krebse aus einem Schlamm herauszuarbeiten scheinen. Schemenhaft sind noch weitere Figuren ganz schwach angedeutet zu erkennen.
Like a Puppet on a string lautet der Titel eines anderen, zweiteiligen Keramikreliefs. Dieses stellt zwei spiegelbildlich zueinander positionierte Figuren dar, die inmitten eines breiten weißen Streifens wie an einer Felswand emporzuklettern scheinen. Ob Jutta Peikert ursprünglich von dem gleichnamigen Song der britischen Pop-Sängerin Sandie Shaw zu dieser Kreation inspiriert wurde, die 1967 damit den Eurovision Song Contest gewann?
Angelika Jaschke: Einblicke in Naturformen
Kommen wir zu Angelika Jaschke: Sie proklamiert: „Ein neues Gefühl der Angst treibt uns raus in die Natur und lässt uns neue Welten entdecken, die eigentlich schon immer da waren“. So sind die beiden wunderbar naturalistisch und mystischen Monotypien in der gelliprint-technik zu betrachten, die den Titel Blumen abstrakt und Geheimnisse der Nacht tragen. Das Gemälde Untiefen wirkt wie ein Herbstwald, der sich im Wasser spiegelt und besticht durch den dicken Farbauftrag.
Petra Heymann: Einblicke in den Kosmos
Petra Heymann verarbeitet in Ihren Bildern die Natur sehr aufs Ganze bezogen. Ihre Gemälde sind kreisrund wie der Kosmos und haben aber stets ein Oben und Unten. Landschaftsbilder in liebevoll und feinsinnig komponierten Farbsymphonien. So wie Wetterzärtlichkeit, Orangeland und Blauland als zwei Kontraste oder Versinken– das den stimmungsvollen Sonnenuntergang am Meer heraufbeschwört.
Petra Heymann: „Wetterzärtlichkeit 1; Orangeland und Blauland jeweils Acryl auf Leinwand; „Versinken, (rechts) 80 cm. Foto: C. Rieker
Friederike Fricker: Einblicke in die Fantasie
Friedericke Fricker erschafft mit ihren ausdrucksstarken figürlichen Werken eine Vielfalt an Charaktergrößen, die allesamt mit einer Farbpalette aus kräftigen Farben, fließenden, aber dennoch klaren, präzisen Linien deutliche Akzente setzen.
Eine Spezialität sind ihre Porträts auf Sackleinen (Jute) mit Acrylfarben. Es sind Portraits von fantastischen Fabelwesen, die dennoch so deutlich realistisch, plastisch und lebendig wirken, als würden Sie aus dem Material (Sack) heraus gezaubert kommen.
Iris Groebe: Einblicke in Naturmomente
Iris Groebe ist die Vertretung der Ammerbucher Künstlervereinigung für die Öffentlichkeit: Sie verriet im Gespräch, dass ihre Serie „Garden in a Glass“ aus einer Naturbetrachtung hervorgegangen ist, was zunächst etwas verwundert: Beim Betrachten ihrer Bilder denkt man zunächst an ein kleines Biotop wie ein Aquarium, das im Zimmer steht. Inspirationsquelle war aber wohl tatsächlich der Bodelshäusener Butzensee, eine sogenannte Hülbe, bzw. Hüle– ein Stillgewässer oftmals künstlich angelegt, inmitten natürlicher Feuchtgebiete. Iris Groebe lebte selbst einmal einige Zeit in Bodelshausen und weilte oft am Butzensee, der ja vor einigen Jahrzehnten und Jahrhunderten viel ausgedehnter war und dann beim Bau der B27 verkleinert wurde. Das Leben, das aus dem Wasser gespeist wird, findet in diesen Gemälden verschiedene vegetative Formen, vielleicht auch als Einzeller? Wie dem auch sei, der Butzensee hat Bestand als dekoratives Element und inspiriert zum Nachdenken über die Anfänge des Lebendigen.
Iris Groebe: „Garden in a glas 2-4“; Acryl auf Leinwand; 20 x20 cm, gerahmt; Foto: C. Rieker
Künstlervereinigung Ammerbuch – Einblicke
7. Juni – 13. September 2024
Forum Bodelshausen
Bachgasse 2
72411 Bodelshausen
Mo: geschlossen
Di: 10-13 Uhr und 15-18 Uhr
Mi: 15-19 Uhr
Do: 15-18 Uhr
Fr: 15-18 Uhr
Sa: 9-13 Uhr