Im Gespräch mit: Verónica Munín-Glück

Verónica Munín-Glück arbeitet als Architektin und als Künstlerin. Wir haben uns mit Ihr getroffen und über ihren Werdegang und über ihre Kunst gesprochen.

Die Künstlerin Verónica Munín-Glück lebt seit dreißig Jahren in Deutschland, davon einige Zeit in Sulz am Neckar. Aufgewachsen ist sie in Buenos Aires, wo sie an der Universidad de Buenos Aires Architektur studiert und als Modedesignerin gearbeitet hat. Einen größeren Kontrast zum ländlichen Schwaben können wir uns kaum vorstellen. Seit einem Jahr hat sie ihr Atelier in die Halle 16 verlegt, wo man ihr beim Arbeiten zusehen kann. Diese alte Industriehalle in Sulz ist inzwischen zu einem Projektraum für Kunst geworden. Gemeinsam mit Gitta Bertram hat sie diesen experimentellen Kulturraum 2023 initiiert und begleitet.

Verónica Munín-Glück im Atelier in der Halle 16, Sulz
Verónica Munín-Glück im Atelier in der Halle 16, Sulz

Wie war Dein Weg zur Kunst?

Der begann schon in meinem Elternhaus. Meine Mutter hatte eine Vorliebe für Kunst und Kultur, das heißt ich war als kleines Kind in Konzerten, in Museen, im Teatro Colón. Das gehörte einfach dazu. Sie war Modedesignerin und mit 16 habe ich mit ihr zusammen Kollektionen entworfen und das während meines Studiums der Psychologie weiter gemacht. 

Zu dieser Zeit habe ich dann ein paar Architekturstudent:innen kennengelernt. Die haben mich in ihre Fakultät mitgenommen und ich war von der ganzen Atmosphäre begeistert. Du kamst da rein und alles war voll mit Zeichnungen und alle waren sie toll. Ich dachte: Wow! Genau das und mehr. Ich habe dann dort angefangen und es nie bereut. Ich war etwas traurig, dass ich keine Zeit hatte, zwei Fächer zu studieren. Aber schon für die Architektur habe ich viele Fächer in der Nachtschicht belegt, damit ich tagsüber arbeiten konnte.

Blick auf eine Häuserfassade. In einem Fenster im oberen Stock ist eine Person zu erkennen, im Fenster daben ein Leguan.
Verónica Munín-Glück Ceres, 2023. Mischtechnik auf Leinwand, 160 x 100 cm. © Verónica Munín-Glück, Foto: Verónica Munín-Glück.

Wie kommt es, dass Du neben der Architektur dann auch Künstlerin geworden bist?

Architektur ist toll und ich liebe sie, weil ihre beiden zentralen Themen Raum und Licht mich seit meiner Kindheit bewegen. Aber es gibt so viele Zwänge. Wenn du als Architektin etwas entwirfst, dann ist das ein Objekt, was man bewohnen können muss und was große Auswirkungen hat auf diejenigen, die es tatsächlich nutzen. Dazu kommen die konstruktiven und gesetzlichen Zwänge, aber auch die, die vom Grundstück gegeben sind und von der Orientierung. Zu all dem kommt dann noch ein:e Bauherr:in. Wenn Du Dich aber selbst ausdrücken möchtest, dann sind das zu viele Zwänge. So habe ich relativ schnell wieder angefangen zu malen und mir in meinem Haus ein Atelier eingerichtet.

Was heißt relativ schnell?

Also in Argentinien habe ich durchgehend intensiv gezeichnet und gemalt. An der Uni hatten wir das Fach architektonische Darstellung, das habe ich fünf Jahre belegt. Wir hatten eine fantastische Professorin, Alicia López. Sie war eine von Energie sprühende Frau, die uns viele Techniken beigebracht hat und uns motiviert hat. Als ich kurz nach dem Studium in einem Büro in Stuttgart angefangen habe zu arbeiten, hatte ich keine Zeit mehr zum Malen und Zeichnen. Mit der Selbständigkeit in Dornhan gab es keinen Raum dafür. Irgendwann war der Druck zu hoch, ich musste malen und habe mir dann Raum dafür geschaffen.

Wie bekommt man zwei Berufe unter einen Hut? (Ich frage für eine Freundin…)

Ich denke, es ist für mich möglich, da die Berufe für mich nah beieinander liegen. Im Gunde beschäftigen mich Themen und die probiere ich in den verschiedenen Bereichen aus. Ich schätze, das ist wie bei allen Künstler:innen. Die Erfahrungen, die dich prägen, aber auch wie Du die Welt siehst, wie du sie dir vorstellst oder sie haben möchtest, all das bringst Du in Deine Kunst ein.

Wie meinst Du das?

Mich bewegt zum Beispiel das Thema Migration sehr. Ich weiß wie es ist, wenn du zwei verschiedene Universen kennst, die dich beide prägen aber stark auseinandergehen und du musst sie für dich wieder zusammenbringen. Deshalb spielen diese Porträts auch ganz anders mit Raum und Licht, als das meine anderen Bilder tun.

Du hast für diese Porträts ein spezielles Pigment benutzt, das in der Dunkelheit leuchtet?

Ja, denn das, was du von jemandem siehst, ist nur ein kleiner Teil eines Menschen. Für Migrant:innen ist das extremer. Als Migrant:in bist du plötzlich in einer ganz anderen Umgebung. Und das, was die Menschen von dir sehen, ist noch partieller, als wenn du dein ganzes Leben in dem Ort gelebt hast. Dann kennen die Menschen um dich herum zumindest deine Geschichte und die Geschichte deiner Familie. Bei uns Migrant:innen gibt es aber eine ganze Seite, die irgendwie im Verborgenen bleibt. Deshalb dieses Spiel mit der Farbe: Tagsüber siehst du ein Bild und nachts ein ganz anderes.

Sechs Personen stehen geordnet im Vordergrund. Sie befinden sich in einer hohen Industriehalle.
Verónica Munín-Glück Infiltration, 2019. Mischtechnik auf Leinwand, 140 x 200 cm. © Verónica Munín-Glück, Foto: Verónica Munín-Glück.

Die meisten Deiner Arbeiten zeigen aber vom Menschen gemachte Räume…

In diesen Arbeiten macht das Licht die Räume erfassbar und erzeugt eine bestimmte Atmosphäre. Und gerade darum geht es mir. Diese Atmosphäre, die dann diese Botschaft verstärkt, die ich mit anderen Elementen in diese Bilder einbringe. In Infiltration zum Beispiel, geht es um die Militärdiktatur in Argentinien, unter der ich aufgewachsen bin. Für mich war das Thema diese vorherrschende bedrückende Atmosphäre und ich zeige sie anhand von Raum, Licht und Figur. Unter dieser Diktatur wurden viele Folterzentren errichtet. In diesen Zentren sind so viele Menschen verschwunden. In den großen Fabriken hier soll es Listen gegeben haben von den Arbeiter:innen, die „gestört“ haben und die anhand der Listen „beseitigt“ wurden. Eines dieser Zentren war sehr berüchtigt, es lag mitten in Buenos Aires und war eigentlich eine Schule der Marine, ESMA hieß es. Es gab in meiner Kindheit immer wieder Gerüchte über diesen Ort und was dort passiert. Aber wirklich mehr dazu erfahren haben wir erst nach der Diktatur.

Und auf dieses Folterzentrum beziehst Du Dich in Deinem Bild?

Ja, indirekt schon. Ich habe viel dazu gelesen, als wir endlich eine Demokratie hatten. Das waren vor allem Berichte von Amnesty International, die schon in den 80ern aufgedeckt haben, was dort geschehen ist. Diese Bücher haben mich zu diesem Bild gebracht. Ich selbst war nie in dem Gebäude, das heißt, es ist meine eigene Vorstellung dieser Hölle. Du wirst das niemals finden, was ich gemalt habe.

Das heißt Du beziehst Dich nicht direkt auf die Orte oder auf Fotografien?

Jein. In diesem Fall nicht. Meistens ist es aber so, dass ich etwas sehe, was für mich eine Bedeutung bekommt und damit Teil meiner Geschichte wird, die ich zeigen will. Ich arbeite schon auch mit Fotografien, wenn ich kurz etwas festhalten möchte.

Warum wurde das Folterzentrum für Dich zum Thema?

Dieses starke oppressive Gefühl hat meine Kindheit begleitet. Und irgendwann habe ich dem Thema Raum gegeben, genauso wie dem Thema Migration. Kunst ist keine Therapie, aber natürlich verarbeitest du die Themen, die in dir sind. Für mich ist meine Kindheit mit diesem dunklen Gefühl verbunden. Um mich herum waren wirklich tolle Menschen, aber du konntest kein Vertrauen ins System haben. Man musste sehr aufpassen was man sagt, durfte nicht einfach rausgehen. Man hat geschaut, dass man ja nichts mit der Regierung zu tun hatte. Wenn ich einen Polizisten gesehen habe, habe ich die Straßenseite gewechselt. Man wusste nie, wem man da begegnet, wie korrupt er war oder wie er seine Macht missbrauchen würde. Als wir endlich eine Demokratie hatten und es Bücher und Informationen gab, begann ich viel über diese Zeit zu lesen. Durch die Malerei kann ich dieses belastende Wissen auch aus meinem eigenen System rausarbeiten.

Gibt es Künstler:innen, die Dich beeinflusst haben?

Klar, je nach Alter hatte ich Lieblingsmaler. Zum Beispiel hatte meine Mutter so einen Ausdruck von einem Renoir im Zimmer hängen, ein Mädchen vor einem riesigen Heuballen. Das habe ich als Kind bewundert. Am meisten bewegt mich bis heute Edward Hoppers Kunst, mit seinen Großstädten und der Einsamkeit. Das kann ich gut nachfühlen. Ich bin der volle Großstadtmensch, selbst die Abgase mag ich. Ich bade in den Menschenmengen, die gleichzeitig sehr anonym sind. Dieses Spiel zwischen Distanz und Nähe fasziniert mich. Und das erkenne ich in Hopper wieder. 

Ein scheinbar endloses Labyrinth erstreckt sich bis zum Horizont. Etwa in der Bildmitte steht eine Person mit gesenktem Kopf.
Verónica Munín-Glück laberinto I. Mischtechnik auf Leinwand, 140 x 200 cm. © Verónica Munín-Glück, Foto: Verónica Munín-Glück.

Das findest Du in der schwäbischen Kleinstadt aber nicht.

Naja, ich liebe auch die Natur und das genieße ich in Sulz sehr. Aber ja, ich brauche den Rhythmus, das pulsierende Leben von Kultur und Menschen um mich herum, das vermisse ich sehr und suche das dann auch in den Städten hier in der Region. Seit wir die Halle 16 aufgebaut haben, ist das aber weniger geworden. Ich hatte früher immer den Eindruck, dass bei uns gar nichts ist. Mit dem ersten Sulzer Kulturtag vor zwei Jahren hat sich das geändert. Plötzlich waren da ganz viele, die ähnlich gestrickt waren und wir beide haben uns da auch kennengelernt.

Also hat die Halle 16 auch über dein Atelier hinaus eine große Veränderung für Dich gebracht?

Ja. Irgendjemand hat mich gefragt, warum ich dieses Jahr gar nicht so viel in Stuttgart war. Ich bin normalerweise oft im Opernhaus oder Theaterhaus. Dieses Jahr ist die Welt aber nach Sulz gekommen. Und dann habe ich diese ganze Community an Gleichgesinnten getroffen. Alle sind sehr verschieden, aber es ist immer ein Vergnügen, sich zu treffen und auszutauschen. Und das alles passiert einfach in meinem Atelier.

Einige befreundete Künstler:innen haben mich gefragt, wie wir in einem so öffentlichen Atelier arbeiten können.

Ja, wie geht das? Ich wusste es auch nicht. In einem öffentlichen Atelier ist plötzlich nicht mehr das Endprodukt so wichtig, sondern der gesamte Prozess. Natürlich ist es manchmal sehr schwer auszuhalten, dass jede:r alles in jedem Stadium von dir sieht. Besonders schlimm ist es, wenn ich sehr unzufrieden mit einem halbfertigen Bild bin und es am liebsten den Flammen geben würde, und alle sehen es. Damit habe ich mir am Anfang sehr schwergetan. Als wir zum Beispiel die Einweihung hatten und alle haben die halbfertigen Bilder gesehen, die ich stehen gelassen hatte, um die Atmosphäre des Ateliers zu behalten, und alle gingen damit um, wie mit fertigen Bildern. Dann kamen diese halbfertigen Bilder auch noch in der Presse! Für mich war das erst einmal schwer auszuhalten.

In der Zwischenzeit habe ich mich aber entspannt und den darunter liegenden Perfektionismus abgelegt. So ist alles ein Teil des Prozesses. Es ist viel spannender für mich, wenn es um den Prozess geht: Mein Arbeiten ist nicht mehr so zielorientiert, etwas spielerischer. Das habe ich dieses Jahr gemacht und es war für mich ein super Experiment. Trotzdem komme ich manchmal nicht zum Arbeiten. Wenn dann plötzlich unsere jungen Hallenkünstler:innen dastehen und ein wenig Anleitung und Aufmerksamkeit brauchen, dann ist das in dem Moment wichtiger.

Was ist für Dich die Halle 16?

Die Halle ist magisch. Man kommt rein mit dem Gewicht der Welt und geht beflügelt wieder raus.

Liebe Veró, vielen Dank für Deine Zeit und Gedanken.

Im LABORfenster im Mirabeauweg 3, Tübingen seht ihr momentan ihre Ausstellung „Von Räumen, Licht und anderen Dingen“. Das Schaufenster ist immer sichtbar. Ihr könnt Verónica Munín-Glück am 19. Januar 2024 um 18 Uhr zum Artist’s Talk vor dem LABORfenster treffen und mit ihr über ihre Kunst reden. Oder ihr kommt ab Februar nach Sulz am Neckar in die Halle 16.