Kune erklärt: Modernisme

Beim Schlagwort Jugendstil taucht bei vielen Kunstfans ein deutliches Bild vor dem inneren Auge auf: Dünne, geschwungene Linien, Blatt- und Blütenformen und weibliche Idealkörper. Neben dieser vor allem in Frankreich und Belgien entwickelten Formensprache gingen spanische beziehungsweise katalanische Künstler:innen um die Jahrhundertwende andere Wege: Der Modernisme oder Modernisme Català zeichnet sich durch seine ganz eigenen Stilelemente aus.

Modernisme: Eine Stilrichtung für eine aufstrebende Region

Keine andere Stadt wurde durch den Modernisme so geprägt wie Barcelona, in der die Bauwerke aus der Zeit von 1870–1910 (immerhin über 2000 Stück) heute für Tourist:innen die Hauptattraktionen darstellen. Vor allem drei Architekten prägten mit ihren Gebäuden das Stadtbild: Lluís Domènech i Montaner, Josep Puig i Cadafalch und natürlich der berühmteste von den dreien, Antoni Gaudí. Barcelona erlebte im ausgehenden 19. Jahrhundert einen wirtschaftlichen Aufschwung, der mit einem starken Bevölkerungszuwachs einherging. Das aufstrebende Bürgertum, das durch die boomende Industrie sehr wohlhabend geworden war, entwickelte ein neues Selbstwertgefühl, erlebte politische Stabilität und grenzte sich immer stärker vom restlichen Spanien ab: Es begann die Zeit der Renaixença, in der die Katalan:innen ihren Nationalstolz und ihre Traditionen wiederentdeckten. Barcelona erweiterte sein Stadtgebiet, bürgerte umliegende Gemeinden ein und entwarf mit dem Stadtteil Eixample eine ideale Planstadt. Hier kaufte die reiche Oberschicht Grundstücke und ließ sich von jungen, innovativen Architekt:innen imposante Stadtpaläste bauen.

Lluís Domènech i Montaner: Architektur für ein neues Katalonien

1888 eröffnete auf der Weltausstellung ein Café von Lluís Domènech i Montaner, der hier seine theoretischen Abhandlungen zur nationalen Architektur Kataloniens zur Umsetzung brachte. Er verband Backsteinwände mit tragenden Stahlelementen und bediente sich außerdem am Formenrepertoire von maurischen Bauten: Türmchen, Zinnen und vor allem der Einsatz von Keramik in der Fassadenverzierung sollten im Modernisme an Bedeutung gewinnen. Der Rückgriff auf die Traditionen in Verbindung mit modernsten technischen Entwicklungen ist eines der zentralen Elemente des Modernisme. In Lluís Domènech i Montaners späterem Werk, dem Hospital de la Santa Creu i Sant Pau, kulminieren die Ideen des Architekten. Die Pavillons, in denen die Patient:innen untergebracht wurden, sind mit bunten Keramikfliesen verziert und werden von Türmchen bekrönt. Lichtdurchflutete Erker sorgen dafür, dass Helligkeit und Luft in die Krankenräume gelangt. Ein ausgeklügeltes unterirdisches Flursystem verband alle Räume und ermöglichte die Anlage eines Parkbereichs, der zur Erholung genutzt werden konnte.

Ein Haus mit gefliester Fassade.
Die Casa Amatller vereint maurische Dekorationselemente mit gotischer Formensprache. ©Foto: Creative Commons.

Josep Puig i Cadafalch: Visionär über den Modernisme hinaus

Inspiriert durch die Arbeiten von Lluís Domènech i Montaner entwickelte Josep Puig i Cadafalch seine eigene Formensprache und setze eigene Schwerpunkte. Seine Architektur wird von handwerklich gefertigten Elementen dominiert, die oft katalanische nationalistische Symbole integrierten. Neben seiner Arbeit als Architekt war Josep Puig i Cadafalch auch als Stadtrat von Barcelona, im spanischen Parlament und als zweiter Präsident des Commonwealth von Katalonien politisch aktiv. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenoss:innen veränderte sich sein Baustil im Laufe seines Wirkens stark, sodass er auch ein bedeutender Vertreter des Noucentisme wurde, der den Modernisme ab circa 1910 ablöste. Die Casa Amatller mit ihrer von Fliesen überzogenen Fassade und den mittelalterlich anmutenden Fenstereinrahmungen ist eines seiner bedeutendsten Werke des Modernisme. 

Antoni Gaudí: Architektur im Stile des göttlichen Plans

Der bekannteste Vertreter des Modernisme ist sicherlich Antoni Gaudí, dessen Hauptwerk, die Kirche Sagrada Familia, weltweit bekannt ist und zum Symbol für ganz Barcelona wurde. Im Mittelpunkt seiner architektonischen Arbeitsweise stand immer die Natur, die als Vertreterin eines göttlichen Bauplans zum Vorbild für seine Entwürfe wurde. Seine detaillierte Betrachtungsweise physikalischer Wirkungen an natürlichen Beispielen ließ ihn immer wieder außergewöhnliche Bauweisen und Entwürfe entwickeln. Sein letzter profaner Bau, bevor er sich ganz seinem Lebenswerk, der Sagrada Familia, widmete, verbindet mehrere seiner außergewöhnlichen Ideen zu einem besonderen Bauwerk. Die Casa Milà wurde einem Wald nachempfunden, in dem die Innenhöfe Lichtungen bilden, durch die sich Treppen wie Wurzeln großer Bäume in höhere Stockwerke schwingen. In den Wohnungen sorgen die Innenhöfe für lichtdurchflutete Räume in den Arbeits- und Repräsentationsbereichen.

Der Modernisme: Ideen für Katalonien und die ganze Welt

Bis heute sind die Bauwerke des Modernisme identitätsstiftend für Barcelona und ganz Katalonien. Während die Bauten und die Ursprünge des Modernisme stark mit dem katalonischen Nationalismus verbunden waren, beeinflussten die von den Architekt:innen entwickelten Ideen und Grundsätze auch Theoretiker:innen über Spanien hinaus. Die Betonung der Funktionalität, die Verbindung von Kunst und Handwerk mit der Industrie und die Begeisterung für neue Materialien und Techniken sind Aspekte, die sich im Sezessionismus des Wiener Jugendstils und im Bauhaus wiederfinden lassen.