Der weitere Ort der Ausstellung „sitting in a tin can“, der Kunstverein Wagenhalle, liegt versteckt zwischen Bahngleisen und Friedhofsgrün im Stuttgarter Norden. Im Projektraum des Vereins, einer geräumigen ehemaligen Eisenbahnwagenhalle mit kühlem industriellem Charme, zeigen 17 regional und international ansässige Künstler:innen ihre vielfältigen Arbeiten. Einige von ihnen, wie Barbara Hindahl mit ihren subtilen Videoarbeiten und Reinhard Brunner mit seinen Markerzeichnungen, sind an beiden Ausstellungsorten vertreten. Andere, wie Alberto Zamora Ruiz mit seinem großformatigen Doppel-Diptychon und Nina Laaf mit ihrer raumgreifenden Skulptur simple touch ,sind nur hier zu entdecken.
Florina Leinß und Daniel Mijic luden in den Kunstverein Wagenhalle ein
Zur Auseinandersetzung mit dem die zwei Standorte verbindenden Thema „Rand und Zentrum“ wurden in Stuttgart die Künstler:innen von Florina Leinß und Daniel Mijic eingeladen. Beide verfügen über vielfältige internationale und regionale Kontakte auf Grund ihrer Tätigkeiten am universitären Institut für Gestalten und Darstellen bzw. der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste (ABK). Beim gemeinsamen Aufbau der Ausstellung durch alle Teilnehmenden entstand im künstlerischen Austausch miteinander und dem Raum vor Ort eine facettenreiche Ausstellung mit Videoarbeiten, Performance, Malerei, Plastik und Grafik.
Die Verbindung vom Ausstellungsraum in Stuttgart bis nach Tübingen schlagen besonders die Werke „Tunnel“ von Jochen Damian Fischer und „TACET – Stillemelder“ von Ulla Rauter. Fischer platzierte an beiden Orten jeweils eine Version seiner Miniaturkonstruktion eines runden, symmetrischen Raumes mit Durchblicken und Treppen, die ins dunkle nach unten, vielleicht zum anderen Ausstellungsort führen. Rauter greift hingegen das aktuelle Geschehen an beiden Orten auf. Ihre Arbeit misst vor Ort die Lautstärke und zeigt am jeweiligen anderen Ort an, wenn dort Stille herrscht.
Eröffnet wurde mit einer Performance von Selman Trtovac und Vladimir Frelih
Eröffnet wurde die Schau in Stuttgart mit der Wiederaufführung der Performance „im selben Raum“ von den beiden Düsseldorfer Akademieabsolventen, Selman Trtovac und Vladimir Frelih, heute Professor in Osijek, Kroatien. Dabei standen sich die Beiden zunächst barfuß auf einem großformatigen, am Boden fixierten weißen Papier gegenüber, zwischen ihnen befand sich ein Häufchen Kohlestaub. Nach und nach verteilten sie mit den bloßen Füßen dieses schwarze Pigment auf dem Untergrund. Mit kreisenden Bewegungen und linearen Schrittabfolgen rieben sie so mit der Zeit die Farbe auf den Grund und färbten ihn vollständig schwarz. Dabei umkreisten die zwei einander, wie Satelliten, auf Abstand, die Blicke auf den Boden gerichtet. Jeder auf seiner Weise arbeitet an dem gemeinsamen Prozess, ohne wirklich mit dem Anderen zu interagieren. Die Spuren des einen, werden vom anderen im Staub überschrieben, doch trägt dies zur Beschreibung des gemeinsamen Bewegungsraumes bei. Es wird eine Ambivalenz zwischen gemeinsamen und unabhängigen Handeln der Akteure, welche sich einen Raum teilen und sich daher aufeinander beziehen müssen, vermittelt.
In dieser Arbeit thematisieren die Künstler so ihre gemeinsame Erfahrung des Auseinanderbrechens ihrer Geburtslandes Jugoslawien, welche die beiden Landsleute zu Bürgern unterschiedlicher Länder: Kroatien und Serbien, machte. Das Ergebnis dieses Auseinandersetzungsprozesses, sowie ein Video der ursprünglichen Aufführung der Performance können nun in den Wagenhallen betrachtet werden.
Mit zwei unterschiedlichen Werken im Kunstverein Wagenhalle vertreten: Florina Leinß
Florina Leinß, die seit 2005 in Stuttgart lebt, hatte den kürzesten Weg zur Ausstellung, denn ihr Atelier befindet sich in den Wagenhallen. In dieser Schau ist sie mit zwei sehr unterschiedlichen Werken vertreten. Mit seiner glänzenden schwarzen Oberfläche fängt „pic174.21 black screen“ das Geschehen im Raum und somit unseren Blick ein. Hängen bleibt man an Rahmung dieser Spiegelfläche, welche mit Ölfarbe in abgestuften grau-bläulichen Tönen bemalten ist. Das Miteinander von händischer Bemalung im klassischen Medium und industriell anmutender Lackoberfläche thematisieren somit Bild- und Ausstellungsraum zugleich.
Tatsächlich physisch bemächtigt sich Leinßens zweites Werk „birdy (ikrs)“ des Ausstellungsraumes. Ausgehend von der abstrakten Malerei hat die Künstlerin mehrere Holzplatten beidseitig monochrom oder mit subtilen Farbverläufen bemalt. Die einzelnen Teile weisen unterschiedliche, längliche Formen auf, welche aus der geometrischen Bildsprache der Schöpferin stammen. Die Einzelteile sind miteinander beweglich durch Scharniere aus PVC verbunden. Dies ermöglicht eine dreidimensionale Aufstellung des Werkes in verschiedenen Konfigurationen. In Stuttgart wurde frei im Raum eine langgezogene Grundfläche gewählt, auf der sich die verschiedenen Elemente zusammen und in die Höhe auffalten. Je nach Standort überwiegen helle, blau-weiße Farben, oder eher dunklere, erdige Schwarz-, Grau- und Rostrottöne. Himmel und Erde scheinen sich in diesen Flächen widerzuspiegeln und in dieser „Vogelkonfiguration“ zusammen zu kommen.
Mehr über die Arbeitsweise der Künstlerin könnt ihr in unserem Interview mit ihr von 2021 nachlesen.
Reto Boller bringt die Natur in die Ausstellung „sitting in a tin can“
Ganz praktisch bringt Reto Boller, Professor für Malerei an der ABK Stuttgart, die Natur in Form von zwei hohen Baumstämmen in die Ausstellung. Sein Werk „T-23, 1 (Tor)“ entstand im direkten Austausch mit dem Raum, den die ehemalige Wagenhalle bietet. Sie besticht durch eine ungewohnte Höhe und Größe, sowie sachliche Betonwände und industrielle Rohrinstallationen. Boller greift in seinem Werk das massive, historische Tor des Projektraumes auf. Er rahmt es durch zwei ebenso hohe Baumstämme, welche zu den Seiten des Tores an der Wand lehnen. Fixiert sind sie dort durch jeweils eine Fläche aus vielen Streifen roten Klebebands, welches von den Stammspitzen aus sich auf die Wand ergießen.
Wie riesige Flaggen markieren sie das für die Besucher:innen nicht zu öffnende und überdimensionierte Tor. Diese Inszenierung erinnert durch ihre Farbgebung und in ihrer Monumentalität an totalitäre Machtarchitekturen. Dieser Eindruck wird aber durch die Wahl der einfachen und alltäglichen Materialien gebrochen. Außerdem spielt die Arbeit mit dem Raum indem sie changiert zwischen zweidimensionaler Farbfläche und natürlichem dreidimensionalen Objekt. Die kontrastierenden Oberflächen von Baumrinde und glattem, leicht strukturierten Klebeband tragen ebenfalls zum Reiz des Werkes bei.
Die Ausstellung „sitting in a tin can“ in der Galerie peripherie Tübingen und den Wagenhallen in Stuttgart zeigt eindrucksvoll wie vielfältig und spannend Künstler:innen auf Themensetzungen und Orte reagieren können. Das Projekt ist ein gelungenes Beispiel dafür wie Künstler:innen sich selbst Ausstellungsräume eröffnen und gemeinschaftlich interagieren, um mit einander und mit uns ins Gespräch zu kommen.
Zu den Hintergründen der Ausstellung „sitting in a tin can“ ist auf dem Blogmagazin „KuneOnline“ bereits ein Gespräch mit Initiator Kristof Georgen erschienen.
Wir danken der Künstlerin Ivana Škvorčević für die großzügige Bereitstellung ihrer Ausstellungsfotos.