In unserer letzten Ausgabe der KUNST REUTLINGEN 2020-Reihe bekommen weitere 18 Künstler*innen und ihre Werke ihren Auftritt. Über 50 Positionen in der Ausstellung vertreten das regionale Kunstgeschehen in und um Reutlingen.
Wir freuen uns schon auf die kommende Ausgabe der Kooperationsausstellung zwischen Kunstverein Reutlingen und Kunstmuseum Reutlingen und sind schon gespannt, wie sich die Kunstszene unserer Region bis dahin wandeln wird. Doch nun viel Spaß mit den finalen Positionen der diesjährigen Ausgabe von KUNST REUTLINGEN.
Minny Beckmann – Arsnaturae
Minny Beckmann arbeitete für die Umsetzung ihrer Arbeit Arsnaturae mit zwei Tiefdruckverfahren: Ätzradierung und Mezzotinto. Diese Kombination ließ ein Werk hervorgehen, das einen unglaublichen Tiefensog besitzt. Als Betrachter*in assoziiert man, eventuell auch geleitet durch den Titel der Arbeit, Dargestelltes mit naturhaften Objekten. Doch exakt bestimmbar ist in Minny Beckmanns Werk nichts. Formen greifen ineinander, überschneiden sich oder gleichen sich in ihrer Struktur. Gemeinsam werden sie zu einer einzigartigen Gesamtkomposition.
Eva Borsdorf – Zellen (2 + 1), Zellen / Wolke (rot + schwarz) II und Zellen (5 + rote Wolke)
Eva Borsdorf präsentiert ein Triptychon der Zellen. Drei Graphiken tragen unterschiedlich viele Tuschekreise, von der Künstlerin als Zellen bezeichnet, die alleine oder mit neonroten Wolken das jeweilige Blatt beherrschen.
Borsdorf chargiert mit Räumlichkeit sowie mit Größendimensionen. Sind Zellen für uns, sobald sie alleine auftreten, nur mit Hilfsmitteln zu sehen? Doch um welche Zellen handelt es sich? Eva Borsdorf überlässt es uns Betrachter*innen, mit welchem Maßstab wir ihre Arbeiten betrachten.
Heidi Degenhardt – Porifera 1 + 2, aufgebrochen und Inkubation
Die Künstlerin Heidi Degenhardt ist mit vier Arbeiten in der Ausstellung vertreten. Porifera 1 und 2 thronen auf Sockeln, geschützt durch einen Glaswürfel vor den äußeren Einflüssen. Die Werke wirken nicht nur filigran, sondern sind auch äußerst fragil. Im ersten Augenblick assoziiert man Schwämme oder Korallen mit den beiden Gebilden. Gar nicht so falsch, denn, Porifera 1 und 2 sind Porzellanabgüsse dieser. Beim Brennvorgang zersetzen sich die von der Künstlerin gewählten Schwämme und Korallen und so entstehen diese einzigartigen Abbilder der Natur.
aufgeborchen trägt eine ähnliche Fragilität in sich. Ein eventuell ehemals schützender Raum, eine Kugel, ist aufgebrochen. Dass dieses Werk aus Porzellan geschaffen wurde, lässt manche Betrachter*innen am eigenen Verstand zweifeln. Hauchdünn hat Heidi Degenhardt mit diesem Material gearbeitet. Man hat fast schon Angst, dass das Nest aus Porzellanfasern beim kleinsten Windstoß in die Lüfte steigt. Umso besser, dass auch diese Arbeit mit einem Glaskubus gesichert ist.
Das Werk Inkubation tritt mit einem ganz anderen Erscheinungsbild den Rezipient*innen gegenüber. Mächtig und schwer wirkt die Keramikarbeit, die mit weißer Engobe, eine dünnflüssige Masse, die zur Einfärbung sowie zur Beschichtung dient, überzogen wurde. Amorph-auskragende Strukturen schenken dem Werk Lebendigkeit. Es macht fast den Anschein, als würde Inkubation langsam über den Boden wandern.
Susanne Dohm-Sauter – Kristall-klar
Das Werk von Susanne Dohm-Sauter scheint über den grauen Betonboden des Kunstvereins zu schweben. Sonnenstrahlen und das grelle Leuchtröhren-Licht spiegeln sich in ihm. Umso näher man an dieses Werk herantritt, umso deutlicher erkennt man das Ausgangsprodukt, das die Künstlerin verwendet hat. Kristall-klar setzt sich aus unzähligen zerschnittenen und miteinander verbundenen PET-Flaschen zusammen, die zu einem großen Ganzen zusammengewachsen sind. Ein Werk, das aus allen Richtungen betrachtet werden möchte.
Lisa Voss – Matrosenlied, Ade und Erfrorene Blume
Altes Liedgut, historisches Material finden Raum in den Arbeiten Matrosenlied, Ade und Erfrorene Blume von Lisa Voss. Die Künstlerin verwendet für ihre Tuschezeichnungen Notenblätter altbekannter Liebes- und Heimatlieder. Dabei ergänzt sie die tanzenden Noten mit grafischen Elementen, seien es Linien oder Flächen. Vereinzelt lassen sich real existierende Objekte imaginieren.
Ellen Junger – Planlos? und Open Data
In Ellen Jungers Arbeit Open Data finden Fotografien einen ganz eigenen Auftritt. In feine Streifen geschnitten und präzise aneinander geklebt, ist das einst Abgelichtete nicht mehr zu erkennen. Es finden sich neue Zusammenschlüsse, neue Partnerschaften. Ein spannendes Ergebnis eines zunächst destruktiven Vorgehens, dass nun konstruktiv agiert.
Ebenso funktioniert die Arbeit Planlos?, die aus in Streifen geschnittenen Architekturplänen besteht. Neu arrangiert zeigt das Werk einen ganz neuen Grundriss eines fiktiven Gebäudes.
Helm Zirkelbach – Duo der Batterie
Das Duo der Batterie des Künstlers Helm Zirkelbach besteht aus zwei großformatigen Holzplatten, die horizontal mit feinen Linien durchzogen sind und in changierenden Grautönen gefasst wurden. Das Werk zeugt von einer unglaublichen Anziehungskraft. Je ein senkrechte, in der Bildmitte gesetzte Linie, um die sich kleine schwarze Punkte versammeln und in das Holz des Trägers gefressen haben, evozieren eben diesen Sog. Helm Zirkelbachs Duo der Batterie lädt zu einem stundenlangen Bestaunen und Erkunden ein.
Christine Ziegler – Öffnen und Schließen und Federobjekt
Auf dem kalten grauen Betonboden des Kunstvereins liegen die beiden Plastiken Öffnen und Schließen der Künstlerin Christine Ziegler. Mit Bedacht scheinen beide Objekte nur sehr zögerlich einen Blick in ihr Inneres zu gewähren. Sie erinnern an Samenkapseln oder an Muscheln, die in ihrer Existenz dem Öffnungs- und Schließprozess folgen. Der Blick ins Innere bedarf einer Bewegung im Raum des*der Rezipienten*in. Nähert man sich den Objekten am Boden, dann kann man das Innere erspähen.
Die Paarskulptur Federobjekt ist nicht nur auf Grund ihrer Größe beeindruckend. Aus Filz ließ Christine Ziegler in mühevoller Handarbeit ein unvergleichliches Kunstwerk entstehen.
Eva-Maria Schulz – o.T. und zerissen
Die Künstlerin Eva-Maria Schulz ist mit zwei in ihrer Materialität sehr divergierenden Arbeiten vertreten. Die Steinarbeit o.T. wirkt organisch und trotz ihrer Beschaffenheit extrem weich.
In ihrem Materialdruck zerissen hat die Künstlerin grobes Textil, das sie mehrfach eingerissen und eingefärbt hat, auf das Trägerpapier abgedruckt. So entsteht eine mehrschichtig wirkende Arbeit, die zum genauen Studieren einlädt.
Kathrin Fastnacht – Verdichtung I & III
Tag und Nacht, hart und weich, laut und leise – was assoziiert ihr mit den Arbeiten von Kathrin Fastnacht? Das Zusammenspiel aus Druck und Draht eröffnet nicht nur einen Raum und evoziert Tiefenwirkung, sondern gerade das Zusammenspiel aus Verdichtung I und Verdichtung III wirft viele Deutungskontexte auf.
Eckart Hahn – Rattlesnake
Dass ein massives Stahlseil elegant, agil und äußerst beeindruckend sein kann, beweist die Arbeit Rattlesnake von Eckart Hahn. Zum Angriff bereit, scheinbar bei der Ruhe gestört, blickt einem die Stahlschlange direkt ins Auge – zumindest evoziert die vom Künstler gewählte Präsentation eben diesen Eindruck.
Claudia Krieger – Tapki
Präsentiert Claudia Kieger in ihrem Werk Gestricktes? Oder welche Strukturen können in diesem Werk erkannt werden? Mit Graphit und Kohle ließ die Künstlerin ein Gebilde entstehen, das viele Interpretationsmöglichkeiten öffnet. Wer allerdings der russischen Sprache mächtig ist, wird alleine durch den Titel der Arbeit schon in der eigenen Imagination geleitet: Tapki ist eine Kurzform für Hausschuhe. Warm und einfach gemütlich müssen Hausschuhe sein und eben so fühlt sich in mancher Imagination das Dargestellte von Claudia Krieger an.
Susanne Gayler – Hemisphäre III
Linien spannen Flächen auf, Flächen werden von Linien durchzogen. Susanne Gayler benetzt das ganze Trägerblatt mit unterschiedlichen Formen. Es scheint als folge die Künstlerin einem horror vacui, einem Wunsch, der schon über Jahrhunderte in der Kunst bekannt ist, jegliche Leerräume und Flächen zu füllen. In den verschiedenartigen Lineaturen lassen sich teilweise florale wie auch anthropomorphe Elemente erkennen.
Henning Eichinger – Herz
Die kleinformatige Arbeit von Henning Eichinger präsentiert wohl das wichtigste Organ des Menschen, das Herz. Feingliedrig und mit äußerster Präzision hat der Künstler auf nur wenigen Quadratzentimetern Schleifpapier den Druck im Hochdruckverfahren umgesetzt und mit Ölfarbe pointiert. Das Herz bekommt auch seinen ganz individuellen und besonderen Auftritt, eine eigene Bühne in einer Zigarrenschachtel.
Elisabeth Wacker – Dirigierter Zufall 1-4
Die unglaubliche und vor allem experimentierfreudige Arbeitsweise der Künstlerin Elisabeth Wacker durften wir bereits in einem Beitrag von Julia Berghoff kennen lernen. Dirigierter Zufall 1-4 zeugt von eben dieser künstlerischen Schaffensweise. Der Auftrag der Acrylfarbe ist einmalig. Fließend und das weiße Papier erobernd verteilt sie sich jeweils auf der Oberfläche. Dirigiert wurde der Anfangspunkt durch die Künstlerin. Der weitere Verlauf ergab sich durch Zufall: dirigierter Zufall eben.
Helga Mayer – Dorfansicht am Abend und Dorf – Zerstört zu Gunsten des Militär-Übungsplatzes
Ein Dorf, das zerstört wurde, damit ein Übungsplatz für das Militär errichtet werden konnte? Helga Mayer setzt mit ihren beiden Werken ein Denkmal und erinnert an das kleine Dorf Gruorn, bei Münsingen gelegenen, eine Wüstung auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg.
Brigitte Tharin – ich gedenke ihrer I
Die zweiteilige Arbeit der Künstlerin Brigitte Tharin evoziert bei vielen Rezipient*innen Trauer. Liegt es am Titel? Oder kommen diese Gedanken durch das äußere Erscheinungsbild auf? Der Begriff Gedenken wird von uns mit einem Moment des Innehaltens in Verbindung gebracht und erinnert an die Anlässe des Erinnerns, seien es private oder gesellschaftspolitische. Die beiden dünnen Holzplatten sind nun nicht nur Träger der künstlerischen Arbeitsweise Tharins, sondern auch ihre ganz eigenen Assoziationen des Gedenkens.
Ulrich Schultheiss – An der schwarzen Küste II
Auf schwarzem Hintergrund hebt sich eine anthropomorph wirkende Figur ab. Sie ist gänzlich in helle Tücher gehüllt, menschliche Mimik ist somit nicht erkennbar. Es ist kein Gesicht erkennbar und so ist es nicht klar, ob wir und die Figur zu- oder abgewandt sind. Was will uns Ulrich Schultheiss mit seiner Arbeit sagen? Nimmt er Bezug auf die romantische Malerei mit ihren allseits bekannten mystischen und nächtlichen Szenerien?