Eine Buchhandlung als Ort für Kunst?!

Die Künstlerin Anna Arlamova zeigt aktuell 40 Kunstwerke aus ihrem sogenannten Pushkin-Zyklus an einem ungewöhnlichen Ort: Das Osiander Outlet in der Wilhelmstraße wird zum Kunstraum auf Zeit.

Die Künstlerin Anna Arlamova zeigt aktuell ihren rund 40 Werke umfassenden Pushkin-Zyklus im Osiander Outlet in der Wilhelmstraße Tübingen

Bereits seit ihrer frühen Kindheit setzt sich die Künstlerin Anna Arlamova mit dem Leben und Werk des russischen Dichters Alexander Sergejewitsch Pushkin auseinander. Die Ausstellung Mein Pushkin, ihr Lebenswerk, so Arlamova, wird aktuell in der leerstehenden ersten Etage im Osiander Outlet in der Wilhelmstraße gezeigt. Kann eine Buchhandlung ein geeigneter Ort für die Präsentation von Kunst sein? Vor einigen Monaten gab es schon einmal eine Ausstellung in diesen Räumen. Kune war damals ebenfalls vor Ort und durfte Chris Landrock kennenlernen.

Anna Arlamova: Zum Gedicht über die Ballett-Tänzerinnen. Aquarell, Zeichnung. 2010 © Anna Arlamova

Beim Betreten des Ausstellungsraumes wird schnell klar, dass es sich hier um einen ungewöhnlichen Ort für die Präsentation von Kunst handelt. Die leeren Bücherregale und Verkaufsflächen wurden von ihrem ursprünglichen Zweck befreit und umrahmen nun die rund 40 Kunstwerke von Anna Arlamova, darunter Aquarelle und Arbeiten in unterschiedlichen Drucktechniken, die sich alle mit dem russischen Nationaldichter Pushkin befassen.

Pushkin war schon immer mein Lieblingsdichter

Anna Arlamova über Pushkin

Ausstellungsansicht in der Buchhandlung Osiander. Foto: Sarah Hergöth

Welch außergewöhnliche Wirkung Pushkin auf die Künstlerin ausüben muss, wird in Anbetracht der Exponate schnell klar. Arlamova verarbeitet in ihren Kunstwerken nicht nur das Leben des großen Dichters. Der größte Teil der Arbeiten nimmt direkt Bezug auf Märchen und Gedichte Pushkins. Hier und da taucht der Dichter in Person auf. Ob als Porträt neben Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, oder als Figur in seinen eigenen literarischen Erzählungen. Pushkin ist omnipräsent. Einzelne Gedichte von Pushkin liegen ausgedruckt in deutscher Übersetzung in der Ausstellung vor und erzeugen so eine direkte Verbindung zu den Arbeiten Arlamovas. Neben der Präsentation eines der bedeutendsten russischen Literaten, stellt die Künstlerin sich gleichermaßen selbst vor. In Sibirien geboren, in der Ukraine aufgewachsen, lernte sie schon in der Schule jenen Dichter kennen, der sie ihr Leben lang begleiten sollte. Nach der Arbeit am Theater und der Leitung einer Jugendkunstschule in Odessa, führte sie ihr Weg vor einigen Jahren nach Deutschland und Tübingen, wo wir aktuell eine eindrucksvolle Präsentation der Künstlerin und ihrer Faszination für Pushkin und dessen literarischem Erbe erleben dürfen.

Anna Arlamova: Zu Puschkins Märchen. Aquarell, Zeichnung, 2010 © Anna Arlamova

Dazu kommt ihr Engagement in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Denn sie malt und zeichnet nicht nur selbst, sondern unterrichtet auch andere Kunstinteressierte in ihrem Atelier. Die Ergebnisse einiger Schülerinnen und Schüler werden ebenfalls in der Ausstellung präsentiert. Zusätzlich bietet sie während der Dauer der Ausstellung Workshops für Kinder und Lesungen aus Pushkins Gedichten an.

Die Ausstelltung thematisiert auch Arlamovas Arbeit am Theater: Zwei Kostümentwürfe fügen sich wunderbar in die märchenhafte Atmosphäre von Pushkins Schriften und Arlamovas sphärischen Arbeiten auf Papier, die ein wenig an Arbeiten von Marc Chagall erinnern. Eine reale Traumwelt, die durchaus abstrakte Momente in sich vereint und trotzdem figürlich bleibt. Das war Arlamova wichtig: Sie wollte, wie sie selbst sagt, eine klassische Ausstellung zu den Arbeiten Pushkins: auf den Werken sollten Figuren zu erkennen sein. Dabei wechselt die Farbigkeit der Aquarelle und Monotypien zwischen bunt und monochrom.

Kostümentwürfe von Anna Arlamova in der Ausstellung Mein Pushkin. Foto: Sarah Hergöth

Unterstützt wird die Ausstellung von zwei Vereinen. Der West-Ost-Gesellschaft Tübingen und dem Ort für Kunst e.V. Letzterer existiert in seiner heutigen Form bereits seit mehreren Jahren. Arlamova ist dort ebenfalls Mitglied. Ort für Kunst e.V. hat sich zum Ziel gesetzt einen Zugang zu Kunst und Kulturschaffenden im Raum Tübingen zu schaffen, eine bessere Vernetzung für Künstler*innen zu ermöglichen und Leerstand in der Stadt sinnvoll zu nutzen. 

Eine Buchhandlung und Pushkin. Das passt perfekt.

Anna Arlamova über den ungewöhnlichen Ausstellungsort

So kam auch die Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Osiander zustande und für Anna Arlamova bot sich die Gelegenheit, ihre Kunstwerke in einem angemessenen Rahmen zu präsentieren. Der Verein stellt aber nicht nur Kunst von Mitgliedern aus. Jede Künstlerin und jeder Künstler darf sich angesprochen fühlen und auf den Verein zugehen. Natürlich bietet sich nicht immer gleich eine Gelegenheit Projekte zu realisieren, so Josefine Gras, 1. Vorsitzende von Ort für Kunst e.V. Oft sei auch Spontaneität gefragt. In Zusammenarbeit mit der West-Ost-Gesellschaft e.V. ist auch das aktuelle Ausstellungsprojekt entstanden: Marketingmaßnahmen, Vernissageprogramm, all jenes konnte in dieser Form nur dank des Engagements der beiden Vereine entstehen.

Die leerstehenden Bücherregale werden zum Kunstregal. Foto: Sarah Hergöth

Können also auch solche Räume für Kunstprojekte in Betracht gezogen werden? Durchaus. In diesem Fall passen ja sogar Thema der Ausstellung und Ort perfekt zusammen. Gleichzeitig wird Leerstand in der Stadt sinnvoll überbrückt und für die Gesellschaft sichtbar gemacht. Tübinger Künstler*innen haben eine Chance, ihre Kunstwerke zu präsentieren. Auch abseits von Galerien und Museen. Auf der anderen Seite bilden vorhandenes Mobiliar und bestimmte Gegebenheiten der Räume natürlich durchaus Herausforderungen für die Ausstellungsmacher, aber vielleicht entstehen ja auch hier durchaus neue Ansätze in der Verknüpfung von Kunst und Gesellschaft.

Anna Arlamova bei ihrer Lesung aus Pushkins Gedichten vor ihren Kunstwerken. Foto: Sarah Hergöth

Wer sich für die Ausstellung im Osiander Outlet Wilhelmstraße interessiert und die Arbeiten von Anna Arlamova kennenlernen möchte, hat dazu noch Gelegenheit bis zum 1. Februar 2020, montags bis samstags von 11 bis 17 Uhr. Danach bleibt abzuwarten, ob die Räume für weitere Kunstprojekte genutzt werden können oder welche anderen Leerstände der Verein Ort für Kunst e.V. findet, um seine Mission weiter voranzutreiben: der zeitgenössischen Kunst wortwörtlich Raum zu verschaffen. Wir sind gespannt und drücken die Daumen.