Die Künstlerin Eva Michielin begleiten wir bereits seit über einem Jahr sehr intensiv. Momentan hat KuneProjects mit ihr ihr im Alten Schlachthaus auf dem Alten Schlachthof die erste Einzelausstellung „Alive. Eva Michielin“ realisiert. Diese ist noch bis zum 12. November 2023 zu sehen.
Große Rezeptionen oder Ausstellungen unserer eigenen Projekte veröffentlichen wir hier auf dem Onlinemagazin keine – dafür passiert da draußen in der Region viel zu viel. Dennoch wollen wir euch mit dem zeitlichen Faktor der Ausstellung die Künstlerin und Aktivistin Eva Michielin vorstellen. Für den Ausstellungskatalog „Eva Michielin. 2013–2023“ haben wir ein Interview mit ihr geführt.
Im Gespräch mit: Eva Michielin
Wie bist du zur Kunst gekommen?
Als Kind bin ich eigentlich den halben Tag in „den Farben gesessen“, ich war begeistert von ihrer Kraft und habe ein Bild nach dem anderen gemacht. Das verblasste dann durch meine Kindheitserlebnisse, bis ich als Erwachsene mein altes Ich wieder freilegen konnte.
Was bedeutet Kunst für dich? Welche Aufgaben hat Kunst?
Kunst ist für mich die stärkte Form des Ausdrucks, den ich habe. Sie bedeutet für mich Kommunikation. Ihre Aufgabe besteht für mich darin, dass mit ihr die Welt ein kleines bisschen besser wird.
Wie arbeitest du? Welche Materialien verwendest du? Und warum?
Ich streune durch die Natur und mache Fotos. Die Strukturen von Bäumen und Steinen drucke ich auf große Leinwände. Darauf arbeite ich weiter, meist mit meinem Körper – auf jeden Fall ohne Pinsel, Spachtel, Kelle oder sonstige Malhilfen.
Wie entsteht ein Kunstwerk? Woher kommt die Idee?
Sie entsteht in meiner Seele. Häufig bin ich jahrelang damit „schwanger“, bevor die Idee geboren wird. Meine Bildideen sind dann MUSTS: ich muss sie machen! Ich kann nicht anders, sie müssen dann raus.
Woher nimmst du die Motive für die Fotografien?
Beinahe ausschließlich aus der Natur. Besonders Baumrinden und Steinformationen haben es mir angetan, neuerdings aber auch Wasser. Mich begeistert die Schönheit der natürlichen Strukturen, ihre Feinheiten, ihre Wildheit, die Perfektion der Farbabstimmung, die Harmonie in den Elementen. Manchmal schaffe ich es gar nicht, meinem gedruckten Bild noch etwas hinzuzufügen, weil es so perfekt und so schön ist.
Wie lange brauchst du für ein Kunstwerk?
Manchmal Jahre – mit Pausen, weil es noch in mir arbeitet. Neulich habe ich ein Bild in einem Tag in seinen groben Zügen fertiggehabt, allerdings über zwei Jahre daran „gehirnt“.
Gibt es eine Art Philosophie, der du folgst?
Ich weiß nicht, ob es eine Philosophie ist, aber ich versuche in meinen Arbeiten eine starke Verbindung zur Natur einzubringen. Ich möchte am liebsten mit ihr verschmelzen, mit ihr eins werden. Es ist ein starker Wunsch nach Verbundenheit, der mich leitet.
Welche Themen behandelst du in deinen Kunstwerken?
Starke Frauen, schöne Frauen, wunderbare Frauen, Baumfrauen, Wasserfrauen… alles aus einem Kontext der Heilung heraus, des Hinauswachsens über erfahrenes Leid.
Wieso behandelst du diese Themen?
Schätzungen zu Folge erlebt etwa jedes drittes Mädchen und jeder fünfte Junge auf der Welt Missbrauch. Das ist unerträglich und muss sich ändern. Mit meiner Kunst mache ich genau darauf aufmerksam und setze so ein Zeichen. Ich leiste damit einen Beitrag zur Sichtbarkeit dieses so oft verborgenen Leids und hoffentlich zu dessen Linderung.
Wie entscheidend ist die Biografie für die Werke?
Sie ist alles, denn auch ich bin eine Überlebende.
Was möchtest du mit Kunst erreichen?
Ich möchte die Menschen jenseits von trockenen Statistiken für das Thema sexueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt sensibilisieren. Denn es ist nichts Abstraktes, sondern der Nachbar im Haus nebenan oder die Kollegin im Büro, die es betrifft. Nur wenn wir hinsehen, wird sich etwas ändern.
Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Ich werde meine Body Voices-Arbeit in zehn Ländern der Welt wiederholt haben und mit meiner Arbeit tausende von Menschen berührt haben. Ich möchte den Überlebenden Mut und Hoffnung bringen und sie dabei begleiten, aus Angst und Scham zurück ins Licht zu treten.
Liebe Eva, vielen Dank für das Interview, dein Vertrauen und die Zusammenarbeit.