Ein Museum – drei Ausstellungen: Ein Besuch in Langenargen

Gleich drei erfrischend ungewöhnliche Ausstellungen in einem Museum. Noch bis zum 5. November sind im Museum Langenargen "Wolfgang Henning – Porträts und Jagdgesellschaften", "Hans Purrmann als Porträtist und Porträtierter" und "1250 Jahre Bilderbuch Langenargen" zu sehen.

Wer gleich drei erfrischend ungewöhnliche Ausstellungen in einem Museum sehen möchte, der sollte noch bis zum 5. November einen Besuch am Bodensee einplanen. Im Museum Langenargen und seinem historischen Bau können drei so unterschiedliche Ausstellungskonzepte erlebt werden, dass es schon zu Beginn neugierig macht, wie so etwas wohl funktionieren kann – und das tut es!  

1250 Jahre Stadtgeschichte, aber alles andere als „altbacken“

Schon im Erdgeschoss kommen nicht nur Kunstinteressierte, sondern auch passionierte Historiker:innen auf ihre Kosten. Als Einstieg werden die Besucher:innen durch 1250 Jahre Stadtgeschichte mit historischen Darstellungen, Dokumenten und besonderen Objekten der Stadt Langenargen geführt. Hier treffen tatsächliche Porträts wichtiger Langenargener Persönlichkeiten auf verschiedenste Stadtporträts: Ansichten des benachbarten Schlosses Montfort mit seinem markanten Aussichtsturm (persönliche Empfehlung: unbedingt hochgehen und den Blick über den Bodensee genießen, am besten bei Sonnenuntergang!), Georg Kleiners Darstellungen eines untergehenden beziehungsweise längst vergessenen Langenargens, das originale Eröffnungsfoto der Kabelhängebrücke von 1898 und die neuerworbenen, selten gezeigten Trachtenholzschnitte des Langenargener Künstlers Jan Balet, die vor seiner Emigration in die USA entstanden sind.  

Ausstellungsansicht 1250 Jahre Bilderbuch Langenargen, 2023. Foto: Julia Berghoff.

Als wäre die Kombination so vielseitiger historischer Appetithappen für ein Geschoss nicht schon genug, sind noch weitere verblüffende Überraschungen versteckt. Wer hätte gewusst, dass Yves Klein Ende der 1940er Jahre in Langenargen stationiert war? Auch solche Informationen bietet die Präsentation „1250 Jahre Bilderbuch Langenargen“. Wer ganz genau hinschaut, findet viele weitere Verknüpfungen und Vernetzungen, auch mit zeitgenössischen Positionen wie dem großformatigen „Monalinda-Portrait“ von Dietlinde Stengelin, die bewusst zwischen den historischen Ansichten platziert wurden. Von chronologischer Eintönigkeit ist hier keine Spur.  

Dietlinde Stengelin, Monalinde, 1997, Acryl, Kopien und Papiere. © Dietlinde Stengelin. Foto: Julia Berghoff.

Sogar das Museumsgebäude selbst ist hier Exponat, indem auch die frühere Funktion der Räume gezeigt wird. Dabei spiegelt sich die Geschichte Langenargens nochmals aus einer anderen Perspektive. So wurde das Gebäude zum Beispiel in den 1940er Jahren als Unterkunft für Kriegsflüchtlinge genutzt. In Schlaglichtern zeigt sich schließlich ein multiperspektivisches Porträt der 1250 Jahre alten Stadt Langenargen, die alles andere ist als „altbacken“.  

Hans Purrmann als Porträtist und Porträtierter

Im zweiten Stock trifft man wiederum auf einen „Altbekannten“ Langenargens und einen wesentlichen Sammlungsschwerpunkt des Museums: Hans Purrmann. Allerdings stehen hier nicht seine Landschaften und Stillleben im Zentrum, sondern seine in der Forschung und Ausstellungstätigkeit eher vernachlässigten Porträts. Gleichzeitig ist eine Verbindung zum Erdgeschoss in Hans Purrmanns Porträt seines „Roten Fischerhauses“ zu finden, da er mit seinen Darstellungen Langenargens wesentlich zum „Bilderbuch Langenargen“ beigetragen hat.  

  • Ausstellungsansicht Hans Purrmann als Porträtist und Porträtierter, 2023. Foto: Julia Berghoff.
  • Ausstellungsansicht Hans Purrmann als Porträtist und Porträtierter, 2023. Foto: Julia Berghoff.

Als „Porträtist und Porträtierter“ werden Purrmanns Darstellungen in Langenargen überhaupt erst zum zweiten Mal gezeigt, womit das Museum als Pionierarbeit zur Purrmann-Forschung beitragen und Anstöße liefern möchte.  

Purrmann porträtierte sich selbst vor allem nach seinem 70. und 80. Geburtstag, vermutlich sogar angeregt durch die Bildhauerin Emy Roeder, deren stilisierter Purrmann-Kopf in Kassel 1955 auf der documenta 1 gezeigt wurde. Purrmann selbst bezeichnete seine Porträts als „Gelegenheitsbildnismalerei“, dennoch ist an ihnen eine andere, nicht weniger aufschlussreiche Seite Purrmanns künstlerischen Schaffens abzulesen: Seine Porträtradierungen zeigen, wie er ohne sein üblicherweise zentrales Ausdrucksmittel – Farbe – agierte. Eine Darstellung Purrmanns Schwagers, „Hans Vollmoeller auf dem Totenbett“ von 1917, stellt darüber hinaus sogar die spannende Frage, ob das Porträt eines Toten überhaupt noch ein Porträt ist, also Persönlichkeit vermittelt, oder lediglich die Darstellung eines toten Körpers.  

Von Edvard Munch bis Miles Davis

Ein Raum, der eigentlich eine vierte Ausstellung beinhaltet, ist in der Purrmann-Etage zu finden und greift das Thema des Porträts nochmals mit geballter Kraft auf. Denn hier sind Werke u. a. von Edvard Munch, Erich Heckel und zeitgenössischen Künstlerinnen wie Dietlinde Stengelin und Inge Kracht versammelt. Zudem ist sogar ein Plattencover von Miles Davis eingebaut, das Bezug nimmt auf Max Uhligs Porträt des berühmten Musikers – alle Liebhaber:innen der ungewöhnlichen Verknüpfungen werden sich in diesem Raum wiederfinden!  

Wer noch weitere Aspekte Purrmanns künstlerischer Arbeit sehen möchte, kann noch bis zum 5. November Ausstellungen in Meersburg und Kressbronn besuchen. Die Präsentation in Langenargen ist dabei ein Teil der Kooperation „Purrmann Seeweit“ mit der Galerie Bodenseekreis und der Galerie in der Lände Kressbronn.

Die „Jagdgesellschaften“ Wolfgang Hennings

Das Leitmotiv des Todes zieht sich auf subtile und explizite Weise weiter im obersten Stockwerk. Die humorvoll-eindringlichen Arbeiten von Wolfgang Henning stellen Porträts und Jagdgesellschaften ins Zentrum, wobei das Wort „Jagdgesellschaften“ zu bewusster Fehlinterpretation verleitet. Hier geht es nicht um röhrende Hirsche und Jäger zu Pferd, sondern um den Menschen als gejagtes und jagendes Wesen – zumeist von seinen eigenen Mitmenschen.

Im Aufgang begegnet uns bereits ein ungewöhnliches Porträt mit dem humorig-zynischen Titel „Der Herr mit dem besonderen Hut hatte schon ganz vergessen, dass er seit zweihundert Jahren nicht mehr unter den Lebenden ist“. Dieses Werk ist ein beispielhafter Einstieg zur Bilderwelt Wolfgang Hennings, der hier gleich mehrere künstlerische Fragen zur Diskussion stellt. Die Anspielung auf Napoleon ist zwar offenkundig, gleichzeitig geht es letztlich nicht um die Wiedererkennbarkeit des Feldherrn. Farbe und Form stehen im Zentrum. Sie fügen sich zu einer fast schon abstrakten Farbkomposition, die vielmehr auf Farbharmonien gründet, als die Präsentation einer historischen Figur darstellt. Alle Grundlagen des Porträts werden negiert, wobei der Titel ebenso zum Schmunzeln anregt, wie er die Abgründe des menschlichen Lebens anschneidet. Der „Herr mit dem besonderen Hut“ ist nicht mehr unter den Lebenden und strahlt uns dennoch aus zahlreichen Schichten und Facetten von Grün entgegen. Ob hier eine weitere versteckte, zynisch-apokalyptische Anspielung zu finden ist?  

Wolfgang Henning, Der Herr mit dem besonderen Hut hatte schon ganz vergessen, dass er seit zweihundert Jahren nicht mehr unter den Lebenden ist, 2021, Öl auf Karton. © Wolfgang Henning, Foto: Julia Berghoff.

Ein Dialog zwischen Vater und Sohn  

Die Grenzen des Porträts zeigt Wolfgang Henning auch in seinen Darstellungen von Menschenmassen als „Jagdgesellschaften“. Jegliche Individualität geht hier verloren und doch sensibilisiert Henning gleichzeitig dafür, dass jede Gruppe aus Individuen besteht. Bewusst beklemmend und dicht arrangiert, fühlt man sich der gegenüberliegenden Jagdgesellschaft als Betrachter:in hilflos ausgeliefert. Die eigene Spiegelung im Glas des Rahmens verstärkt das Unbehagen, wobei sich die Frage anschließt, ob man selbst zur Jagdgesellschaft gehört oder doch das Opfer darstellt – das Henning in seinen Bildern nie zeigt. Die Betrachter:innen werden so zum Teil des Bildes und werden mit der Rolle des oder der Jagenden oder Gejagten konfrontiert.  

Die Arbeit „Vision“ von Wolfgang Hennings Vater, Erwin Henning, zeigt schließlich, was passiert, wenn sich Jagdgesellschaften verselbstständigen. Der Bezug zur NS-Zeit führt dabei schonungslos vor Augen, welche Gefahr sich hinter Gruppendynamiken verbergen kann. Gerade der Dialog zwischen Vater und Sohn ist in dieser Ausstellung eine Besonderheit.  

Ausstellungsansicht Von Ort zu Ort – Wolfgang Henning Porträts und Jagdgesellschaften, 2023. Foto: Julia Berghoff.

Gegensätze ziehen sich an – Drei Ausstellungen miteinander vernetzt  

Vieles prallt hier aufeinander, was gegensätzlich wirkt – und das in allen drei Ausstellungen. Umso spannender ist es, Bezüge zwischen den Gegensätzen zu erschließen, denn jeder Gegensatz ist bewusst gesetzt. Neben Hennings Jagdgesellschaften finden wir beispielsweise auch einen Raum mit Katzenporträts. Allerdings sind Hennings Katzen keine kuscheligen, flauschigen Haustiere, sondern Wesen mit einer individuellen Persönlichkeit, dem Menschen vergleichbar. In ihrer sympathischen Eigenständigkeit stehen sie den bedrohlichen Jagdgesellschaften gegenüber und zeigen doch gleichzeitig als „Jäger auf vier Pfoten“ einen humorigen Rückbezug zum Ausstellungstitel.    

Wer sich also auf eine besondere „Schnitzeljagd“ begeben möchte, sollte die über 200 Exponate auf keinen Fall verpassen!    

Die Ausstellung ist Teil des bundesweiten Projekts „Trüffelsuche“

Von Ort zu Ort: Wolfgang Henning – Porträts und Jagdgesellschaften

Hans Purrmann als Porträtist und Porträtierter

1250 Jahre Bilderbuch Langenargen