Edit: Nach Ablauf der Ausstellung mussten die Abbildungen aufgrund der Bildrechte entfernt werden.
Von Daniel Richter wird oft behauptet, er sei ein Künstlergenie, das außerhalb der tradierten Kunstgeschichte steht. Natürlich soll sein Können nicht in Frage gestellt werden. Doch die Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen zeigt immer wieder Verbindungen zu bekannten Bildtypen, Kompositionsmustern und Motiven der Kunstgeschichte in Daniel Richters Werk auf. So abwechslungsreich seine Werkphasen auch sind, bildet diese Lesart seiner Werke einen roten Faden, der die ganze Kunsthalle durchzieht.
Die Retrospektive mit über 50 Werken ist seit langer Zeit die erste in Deutschland und daher ebenso die erste, die auch neuere Werke im Kontext des Gesamtwerks zeigen kann. Dabei überrascht nicht nur der Künstler mit neuen Ansätzen und Maltechniken in jedem Raum, sondern auch die Kuratorinnen um Nicole Fritz: Nicht nur die großformatigen, monumental wirkenden Bilder, für die Richter bekannt ist, werden gezeigt. Auch kleinere Arbeiten, wie die Collage „XXX“, bereichern die Ausstellung und zeigen so ein vielschichtiges Bild des Malers.
Daniel Richter indes weiß, wie er sich als Künstler präsentieren will: Am Pressetermin zeigt er sich entspannt, selbstironisch und Herr der Lage – Direktorin Nicole Fritz kommt kaum zu Wort, während Richter seine Werke teilweise als „offensichtlich schlechte figürliche Bilder“ und „überfrachtete Kitschbilder“ bezeichnet. Als wäre es ihm unerklärlich, warum sich jemand eine Retrospektive über ihn anschauen wollen sollte. Doch Nicole Fritz schafft es (wenn sie zu Wort kommt), dem Künstler auch reflektiertere Antworten zu entlocken. Beispielsweise, als er über sein Verständnis seiner Historienbilder spricht.
Im Gegensatz zum kunsthistorischen Historienbild, das zumeist heroische Momente der Geschichte überhöht, setzt Daniel Richter auf die Überführung eines konkreten, wirklichen Moments in all seiner Tragik. Es geht ihm um deprimierende Motive, die in die Malerei überführt werden. Als Beispiel wählt er sein Werk „Hotel Jugend“. Während das Hotel zur Zeit der Sowjetunion ein Zentrum für Völkerverständigung und internationalen Austausch war, zeigt er es im Niedergang: Verschiedene Tiere bevölkern den Platz vor dem Gebäude, denn „wenn der Krieg beginnt, werden die Zoos aufgemacht“, ein Topos, den der Künstler hier in die Zeit nach dem Mauerfall überführt.
Die monumentalen Historienbilder machten Daniel Richter in den 1990er-Jahren berühmt. Doch nach fünf bis neun Jahren, so der Künstler selbst, war die maximale Anzahl an glaubwürdigen Schilderungen erzählt. Die für ihn typische Kompositionsform der Theaterbühne empfand er auf einmal als bedeutungslos und er veränderte seinen Fokus: Weg vom Inhalt hin zur Form.
Der Raum mit den chronologisch anschließenden Bildern, in denen Daniel Richter sich an formale Experimente wagt, ist eines der geheimen Highlights der Ausstellung: Bunte Leinwände und dicke Linien bilden einen krassen Gegensatz zu den düsteren Großleinwänden der Historienbilder.
In seiner neuesten Werkphase ist Daniel Richter beeinflusst von Kriegspostkarten von der Front des Ersten Weltkriegs, die bis 1916 von Frontfotografen angefertigt wurden. Körper, Fläche und Linie stehen im Mittelpunkt, gepaart mit der Ästhetik von Wärmebildkameras.
Die Ausstellung ist ein buntes Feuerwerk verschiedener Ideen, formaler Lösungen und Motive, die Daniel Richter im Laufe seines Schaffens begeisterten. Da er am Ende einer Werkphase gerne eine 180-Grad-Drehung einlegt und etwas ganz Neues beginnt, verspricht die Kunsthalle einen äußerst abwechslungsreichen Kunstgenuss, den man gesehen haben muss.