Im Gespräch mit: Carlo Weiß

KUNE traf sich mit dem Tübinger Künstler Carlo Weiß in seinem Atelier und sprach mit ihm bei einer Tasse Kaffee über sein Kunstverständnis, seine Arbeit mit Zinn, Holz und Fließ.

Ich treffe mich mit dem Tübinger Künstler Carlo Weiß in seinem Atelier in der Reutlingerstraße. Seit über 13 Jahren ist er hier in der Werkstatt auf einem ehemaligen Speditionsgelände, das 2005 aufgrund eines großen Brandes in den Schlagzeilen stand. Die angespannte Atelierverfügbarkeit in Tübingen macht auch ihm etwas zu schaffen. Leider gibt es immer weniger Nischenräume in der Stadt, weshalb er froh ist eine so freundliche Vermieterin zu haben.

„Jetzt bin ich angekommen“

Der gelernte Schreiner begann 2014 mit seinen ersten Arbeiten aus Zinn, nachdem er sich eine Zeit lang der Fotografie widmete. „Es ist ganz erstaunlich. Ich habe schon viele Sachen ausprobiert und gemacht und getan, aber jetzt habe ich das Gefühl, dass es das Richtige ist,“ so Carlo Weiß im Gespräch. 1959 in Herrenberg geboren, kam er 1996 nach Tübingen, wo er seitdem lebt, arbeitet und Familie hat.

Nach einem kurzen Kennenlernen bei einer Gruppenausstellung in der Shedhalle Tübingen im Rahmen des Sommerfests 2022 sprechen wir bei einer Tasse Kaffee über sein Kunstverständnis, seine Arbeit und Technik.

Carlo Weiß in seinem Atelier in Tübingen, Foto: Jessica Plautz

Im Gespräch mit: Carlo Weiß

Was ist Kunst für dich? Was machst du?

„Ich tu mich schwer mit den Begriffen Kunst – Künstler sein. Und was ist ein Kunstwerk? Mittlerweile glaube ich, dass meine Arbeiten die Welt mit dem zweiten Blick anschauen und sichtbar machen was der erste Blick nicht zeigt – das kann nur Kunst.  Die, die sich angesprochen fühlen, bleiben hängen, jede:r an was Anderem. Aber ich will, dass man hängen bleibt, nachfragt, sich mit den Werken beschäftigt. Ich will die Leute anregen und inspirieren. Außerdem darf Kunst auch ästhetisch sein: nie ohne Spannung, im besten Fall auch optisch widersprüchlich, dann ist sie gut. Ich glaube, das ist in einigen meiner Arbeiten gelungen. Ein wenig näher bin ich an den Künstlerstatus kürzlich gerückt, als ich beim VBKW  (Verband Bildender Künstler und Künstlerinnen Württemberg) als Mitglied aufgenommen wurde.“

Blick in Carlo Weiß‘ Atelier in Tübingen, Foto: Jessica Plautz.

Mit welchen Materialien arbeitest du denn momentan?

„Durchgängig mit eingeschmolzenem Zinn. Das ist mittlerweile nicht mehr einfach zu beschaffen. Ich grabe dafür tief in jeder Flohmarktkiste. Ab und zu kommen auch Menschen und bringen mir Zinn zum Einschmelzen. Außerdem ist auch Holz ganz wichtig für mich als Träger- und Objektmaterial und  Filz als Begleiter.“

Wie arbeitest du?

„Manche beschäftigen sich nur mit einem Thema über Jahrzehnte. Ich bin eher spontan. Ich sehe etwas, habe eine Idee und arbeite sie aus. Das Gießen ist eine diffizile Angelegenheit, die Gussformen müssen funktionieren und die richtige Temperatur ist extrem wichtig. Oftmals braucht es viele Anläufe, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, wobei immer ein Überraschungsmoment bleibt, weil ich nie weiß, welche Zuschlagstoffe dem Zinngeschirr beigemischt wurden. Zum Beispiel die Puppenköpfe: Die sind alle total unterschiedlich. Es sind alles Unikate, ich habe nichts nachbearbeitet. Es wuchs langsam im Arbeitsprozess die Idee der individuellen Schicksale aller dieser ‚Kinder‘.“ 

Detail, Puppenköpfe, 200 x 76 x 6 cm, Zinn, Dielen, Foto: Carlo Weiß.

Und das Holz? 

„Das ist geflammt, damit es Struktur kriegt. Die harten Jahresringe bleiben stehen und die weichen verkohlen. Dann kann man das überschüssige Material herausbürsten.“

Bei der Arbeit „DIELIEBE“ hast du jetzt nichts geschmolzen?

„Das habe ich auf einem Flohmarkt gefunden. Wenn ich sowas sehe, hab ich schon gleich eine Idee. Einige meiner Objekte sind auf diese Art entstanden. Das hier ist ein Versatz zum Drucken. Vermutlich für Hochzeits- oder Trauerkarten, wer weiß. Ich fand das so großartig in Kombination mit der Holzkiste.“

Hier ist auch Filz der Begleiter

„Schönes Detail: Es gibt noch eine Fabrik in Deutschland, die Wollfilz herstellt und aus der ich meinen Filz beziehe – ebenso wie auch Joseph Beuys  seinerzeit (was ich aber nicht wusste). Zu der Verkäuferin hab ich gesagt, dass ich lieber Filzabfälle als unversehrte Meterware hätte. Als ich auf ihre erstaunte Nachfrage geantwortet habe, dass ich daraus Kunst machen will, und der ‚Abfall‘ sei meistens spannender, hat sie mir das ganze Auto vollgeladen für wenig Geld. Im Anschluss hab ich dann gelesen, dass Beuys dort Kunde war und sich damals die Produktionshallen sehr andächtig angesehen haben soll. Das hat keine wirkliche Bedeutung. Nichtsdestotrotz ist es eine schöne Geschichte.“

Blick ins Atelier, Mitte: Scheibe, 31 x 31 x 3 cm, Zinn, Holzplatte, Foto: Jessica Plautz.

Das Werk „Scheibe“ hatte ich bereits schon in einer Ausstellung in der Shedhalle 2022 gesehen. Ich finde es hat sowas beruhigendes

„Das find ich so toll! Jede:r sieht etwas anderes. Das lieb ich: Manche sehen eine Welt, die auseinanderfällt.“

Tatsächlich sehe ich eher etwas, das zusammenkommt

„Aber das ist doch das, was ich sehr spannend finde: wenn Leute Sachen  sehen, die ich nicht sehe. Sobald es stimmig ist für die Person, entsteht etwas zwischen Werk, Betrachter und vielleicht auch mir…

Carlo Weiß holt eine Arbeit hervor

Das ist tatsächlich mein diesjähriger Liebling. Das habe ich meinem Vater gewidmet. Es heißt auch „Ich danke meinem Vater“.

Ich danke meinem Vater, 48 x 20 x 19 cm, Zinn, Eiche, Foto: Carlo Weiß.

Warum genau deinem Vater?

„Das Verhältnis zu meinem Vater war sehr distanziert; von gelungener Kommunikation, konnte keine Rede sein. Dennoch hatte ich vor einigen Jahren, Jahrzehnte nach seinem Tod, eine Art Einsicht, die mich immer tiefer durchdringt: Ich fühle Dankbarkeit, weil er seine Sache als Vater, der mir nicht zuletzt das Leben geschenkt hat, schlicht so gut gemacht hat, wie es ihm möglich war. Von dem, was er hatte, gab er alles.“

Die Arbeit sieht bisschen aus wie ein Sarg, ist das Absicht?

„Die Ähnlichkeit ist zufällig, aber die Assoziation passt für mich, die Form hat was Endgültiges. Ich hab die hermetische Quaderform gewählt, eine starke Form wie die Dankbarkeit zu meinem Vater, die sich nicht verschieben lässt. Sie ist tief gegründet wie der Block im tiefdunklen Holz. Das Gefühl hat was von Ankommen, ein bisschen so wie das Ankommen in meinem künstlerischen  Arbeiten, was ich am Anfang des Gesprächs erwähnt habe. Die Dankbarkeit meint vielleicht auch eine Grundzufriedenheit, es gibt nichts zu hadern, das Leben, das mir geschenkt wurde ist in Ordnung. Noch ein Detail: Meine Arbeit mit Zinn fing an mit der Becher/Teller-Sammlung meines Vaters, die er mir vererbte.“

Blick ins Atelier. Carlo Weiß baut ein Kunstwerk auf, Foto: Jessica Plautz.

Und das Boot hier?

„Das ist ein dreiteiliges Werk, das noch nicht ganz fertig ist. Quasi eine Zeitleiste und gleichzeitig die Individuation jedes einzelnen. Im ersten Teil sehen wir hier die Gussform des Bootes. Der Negativabdruck des menschlichen Bewusstwerdens: alles ist möglich. Die Zeit vergeht, das Menscheits-Boot schippert Richtung Bewusstsein, es gibt jetzt alles gleichzeitig: die ursprüngliche Rückbindung an die Natur, Mythen, institutionalisierte Religionen und tiefempfundene Spiritualität. Und schließlich landet oder strandet das Boot am Ufer der rationalen Moderne an: gescheitert oder gerettet? Die Welt zu untertan oder als Heimat? Die Mitgeschöpfe als Sklaven oder als Geschwister? Wo sind wir gelandet und wie geht es weiter?“

Gibt es irgendwas, das du nicht verkaufen würdest?

„Gerade eben, das mit meinem Vater. Das ist was ganz Persönliches. Ich trenne mich allgemein schwer von meinen Sachen. Aber umso lieber stelle ich sie aus.“

Lieber Carlo, vielen Dank für das nette Gespräch und den Einblick in dein Atelier.

Carlo Weiß‘ Objekte sind vom 13. Mai bis 14. Mai 2023 im Rahmen des „Markt der Möglichkeiten. Kunst und Handwerk in Tübingen“ im Salzstadel (Madergasse 7) zu sehen.

Last but not least: Carlo freut sich über jegliches Zinngeschirr.
Bitte melden unter carlo.weiss@gmx.de