Wer sieht Was: Juan Sánchez Cotán – Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke

Wer sieht was? Unsere Autor:innen schreiben, was ihnen auf einem spanischen Stillleben außer alltäglichen Gegenständen so alles auffällt.

Ein spanisches Früchte-Stillleben

Auch dieses Jahr führen wir unsere „Wer sieht Was?“-Reihe fort. Dieses Mal schauen sich unsere Autor:innen ein frühes spanisches Stillleben an. Der Titel „Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke“ verrät schon viel von dem, was auf dem Gemälde von Juan Sánchez Cotán dargestellt ist. Auf jeden Fall sieht es aber erst einmal ganz anders aus als das Blumenstillleben von Ambrosius Broschaert, das wir vor einiger Zeit schon besprochen haben. Vielleicht entdecken einige doch ein paar Gemeinsamkeiten? Wie immer wünschen wir viel Spaß beim Nachlesen, was unterschiedliche Augen so alles in einem Gemälde aufspüren. Wenn euch noch etwas auffällt, schreibt es uns in den Kommentaren!

Das Gemälde zeigt in einer Kurve von links oben nach rechts unten eine Quitte und einen Kohl, eine aufgeschnittene Melone, einen Melonenschnitz und eine Gurke. Quitte und Kohl sind an einem Faden aufgehängt, der Rest liegt auf einem Sims. Der Hintergrund ist schwarz.
Juan Sánchez Cotán: Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke, um 1600, Öl auf Leinwand, 69 × 85 cm, San Diego Museum of Art

Rebecca: Fein, schlicht und dramatisch

An sich ein schlichtes Bildmotiv: etwas Obst, etwas Gemüse vor der Dunkelheit. Aber dennoch kann man nicht wegschauen, man bleibt dabei, denkt darüber nach, sinniert. An sich könnte man meinen: relativ unspektakulär – hier etwas saftiges Grün, dort eine paar sanft-zarte Farbtöne dazu. Das Ganze wird vom einfallenden Licht beschienen. Die Melone wurde aufgeschnitten und aufgebrochen, die Quitte und der Kohl an ähnlich zart wirkenden Schnüren aufgehängt. Man hat das Gefühl, dass sie im nächsten Moment reißen. Diese sanfte Fragilität des Moments wirkt umso dramatischer vor dem schwarzen Hintergrund. Was auch dafür sorgt, dass alle malerischen, schwarzen Feinheiten an den Objekten im Vordergrund umso bewusster hervortreten. Dramatisch, fein und so schnell vorbei. Liegen die Objekte in einer Fensteröffnung? Scheint die Sonne auf sie herab? Werden sie in schon kurzer Zeit verdorben und heruntergefallen sein?

Maik: Vorhang auf für virtuoses Obst und Gemüse

Sorgsam arrangiert der Maler Quitte, Kohl, Melone und Gurke. Während in der Hochzeit des Stilllebens die Arrangements eher zufällig wirken, werden Obst und Gemüse hier ganz offensichtlich akribisch angeordnet. Die Objekte berühren sich nicht, sie werden nicht gesammelt als Obst- oder Gemüsekorb dargestellt. Verbunden sind sie lediglich durch Farbgebung und die kurvenförmige Komposition. Während in späteren Stillleben die abgebildeten Lebensmittel Botschaften (wie z. B. die Erinnerung an die Vergänglichkeit) vermitteln, stehen Quitte, Kohl, Melone und Gurke hier also für sich. In den Mittelpunkt des Gemäldes rückt somit die Virtuosität des Künstlers: Seine Fähigkeit, die kleinsten Fältchen des Kohls abzubilden und die Reflexion des Lichtes auf dem Fruchtfleisch der Melone einzufangen.

Paul: Mathematisches Rätsel vor dunklem Hintergrund

Das Stillleben ist eines der ersten Kunstwerke, zu dem ich während meiner Schulzeit eine ausführliche Bildbeschreibung geschrieben habe (und somit vielleicht mit daran schuld, dass ich Kunstgeschichte studiert habe?). Seitdem ist es mir im Gedächtnis geblieben.
Ich erinnere mich gut, dass ich damals die Anordnung von Obst und Gemüse befremdlich, sogar surreal empfand. Auch heute hinterlässt das Gemälde bei mir noch einen unwirklichen Eindruck. Warum sind Quitte und Kohl an Fäden aufgehängt? Warum liegen der Melonenschnitz und die Gurke so prekär auf dem Sims? Warum ist der Hintergrund einfach eine dunkle Fläche? – Alles nur aus Gründen der Komposition? Jedenfalls leuchten die Früchte so schön und bilden eine geometrisch genaue Kurve. Und auch die Melone ist erstaunlich rund und sehr exakt aufgeschnitten. Vielleicht handelt es sich also um ein Bild, das dazu einlädt, über mathematische Probleme nachzudenken? Jedenfalls ist es ein Rätselbild, das im Gedächtnis bleibt.

Jessy: „Gute und schlechte Zeiten“

Ich bezweifle, dass sich Juan Sánchez Cotán 1600 schon Gedanken zum Thema Surrealismus gemacht hat. Aber wie unwirklich kann diese Komposition wirken? Mit einem fast schon Hyperrealismus stellt der Maler das Obst und Gemüse auf dem Sims dar. Der Ort der Szenerie bleibt aufgrund der Lichtgegebenheiten unbekannt. Das scheinbare Fenster öffnet den Blick ins Schwarze, nicht wie gewohnt in eine bunte Landschaft. Quitte, Kohl, Melone und Gurke sind kompositorisch in einer Kurve angeordnet. Dafür hängen Quitte und Kohl an Fäden in der Luft, die Cotán natürlich nicht verschleiert. Warum auch? Erst 300 Jahre später wurde der Surrealismus thematisiert; wenige Jahrzehnte später erst die Abstraktion, die das Weglassen dieser Fäden erst ermöglicht hätte. Nichtsdestotrotz teilt diese kompositorische Kurve das Bild in zwei Teile. In einen größeren, dunkleren Teil sowie in einen helleren, unteren Teil. Vielleicht zeigt das Bild das Dunkle und Helle des Lebens, sozusagen „Gute und schlechte Zeiten“. Bei wem jetzt die Titelmelodie einer Serie im Ohr klingt: Sehr gerne!

Gleicher Ausgangspunkt – Unterschiedliche Deutungsschwerpunkte

Dieses Mal sind sich unsere Autor:innen ziemlich einig in ihrer Betrachtung des Gemäldes. Allen fällt zunächst die Anordnung der (Feld-)Früchte und der starke Helligkeitskontrast auf. Davon ausgehend setzen sie aber unterschiedliche Schwerpunkte. Rebecca stellt die Fragilität des dargestellten Moments heraus, während Maik in der Darstellung von Obst und Gemüse eine Möglichkeit für den Maler sieht, seine Virtuosität unter Beweis zu stellen. Paul betont das mathematisch Genaue der Konstruktion und Jessica denkt weiter über den Gegensatz von Licht und Dunkelheit nach.

Aber das ist bestimmt noch nicht alles – jetzt seid ihr gefragt, liebe Leser:innen: Wie deutet ihr dieses Stillleben? Welche Aspekte fallen euch dazu noch ein? Schreibt es uns in den Kommentaren!