Mit dem Titel „beziehungsweiße“ regen Elke Mauz, Jacqueline Wanner und Christine Ziegler in ihrer Gemeinschaftsausstellung zum Nachdenken an. Beziehung, weiß, beziehungsweise – es steckt so viel in diesem neu geschöpften Wort, inhaltlich sowie emotional. Der Titel „beziehungsweiße“ mit scharfem S lässt im ersten Augenblick an einen Rechtschreibfehler denken. Aber nein, er ist eine Kombination aus zwei Worten, die für die Betrachtung der Ausstellung in der Stadtbibliothek Reutlingen essenziell sind: Weiß und Beziehung.
Die Farbe Weiß
Weiß – gerne in der westlichen Hemisphäre bezeichnet als die Farbe der Reinheit und der Jungfräulichkeit. In buddhistisch oder muslimisch geprägten Kulturen ist Weiß hingegen als Farbe des Trauerns besetzt. Tod, Vergessen und Vergänglichkeit schwingen hier mit. So wie in den Werken „Fehlstellen“ und „Wir leben, wir kommen, wir sind“ von Jacqueline Wanner. Figuren positionieren sich zu einem Gruppenfoto und schreiten im nächsten Moment gemeinsam weiter. Doch wer ist noch da? Physisch, geistig, seelisch? Wanners Werke symbolisieren das Leben in seinen Zyklen – von Anbeginn, bis zum geistigen und körperlichen Zerfall. Es bilden sich auf dem Familienfoto Fehlstellen, die aber nie leer sind, denn sie sind gefüllt mit Emotionen und Erinnerungen.
In der Kunst dient Weiß oftmals als Grundierungsfarbe. Dies vornehmlich, um eine griffige Oberfläche zu schaffen, auf der andere Farbe gut haftet, aber auch, um dem Träger an Leerstellen eine Strahlkraft zu schenken.
Weiß bringt Helligkeit. Und gerade im Winter, wenn wir mit vielen tristen Tagen und viel Dunkelheit konfrontiert werden, zeigt uns Schnee, was seine Färbung und somit seine Strahlkraft mit uns macht. Genau das, was man im ersten Moment empfindet, wenn man sich oben auf der letzten Stufe dreht und den ersten Blick in die Ausstellung von Elke Mauz, Jacqueline Wanner und Christine Ziegler wirft. Die perfekte Ausstellung für die weißen Monate im Jahr.
In Beziehung stehen – nebeneinander und gemeinsam
Eng nebeneinander stehen die beiden Teekannen von Christine Ziegler. Sie berühren sich leicht, doch schauen sie sich nicht an, Ihre Hälse blicken parallel in eine Richtung. Ein Nebeneinander, das Vertrautheit zeigt. Ein Nebeneinander, das jede und jeder von uns oft so dringend benötigt, um sich wohlzufühlen und um Halt zu finden. Nicht allein sein, sondern gemeinsam die Welt entdecken: zusammen, in einer Beziehung.
Ob zu zweit, oder als Gruppe, wie in den drei Werken „Aufbruch“ und „Ankommen“ und „Zusammenkommen“ von Elke Mauz. Aus schwarz und weiß brennenden Ton formte die Künstlerin drei Personengruppen, die in ihrer Anordnung als Einheit auftreten, bei genauerer Betrachtung alle ein individuelles Erscheinungsbild innehaben. Gemeinsam treten sie uns Betrachtenden gestärkt gegenüber und stehen symbolhaft auch dafür, dass man zusammen mehr erreichen kann, ganz unabhängig von Herkunft, Lebensweise und Alter.
„In Beziehung stehen“ – das tun wir täglich. Vor allem untereinander. Doch auch diese Beziehungen sind alle unterschiedlich. Streng nebeneinander, edel gekleidet in Seide, Mohair und Alpacca, stehen die Holzkegel von Christine Ziegler. Manche stupsen sich an, reiben leicht aneinander. Andere sind sich schon nähergekommen, andere brauchen noch ein wenig Zeit. Doch eines haben sie gemeinsam: Sie gehen auf Tuchfühlung.
Zieglers Werk steht in Beziehung zu der Arbeit „Klatsch&Tratsch“ von Jacqueline Wanner. Aus Drechslerresten formte die Künstlerin eine Szene, die im Gegensatz zur sehr geordnet wirkenden Gruppe von Ziegler in einer interaktiven Bewegung verharrt. Die Figuren neigen sich einander zu, scheinen ihre Köpfe zusammen zu stecken. „Hascht scho ghört?“ „Aber na freilich!“ – der klassische Beginn des Tratsches – ein Moment, der uns allen bestens bekannt ist.
Die „Göttinnen“ von Elke Mauz
Die „Göttinnen“ von Elke Mauz thronen auf weißen Sockeln und treten in einen engen Austausch mit den Betrachtenden als auch untereinander. Positioniert in einer Gruppe verstärkt sich ihre Wirkung und lässt innehalten. Wen sehen wir in Ihnen? An wen erinnert uns die Göttin, ihre Form und ihr Aussehen? Bewusste wählte Mauz Frauensymbole angelehnt an prähistorische Kunst, an steinzeitliche Venusdarstellungen mit ihren ausgeprägten weiblichen Rundungen. Sie stehen für Fruchtbarkeit sowie Geborgenheit, aber auch für Stärke und Macht.
Elke Mauz, Jacqueline Wanner und Christine Ziegler schaffen gemeinsam Kunst
Höhepunkt der Ausstellung sind die Gemeinschaftsproduktionen, die Elke Mauz, Jacqueline Wanner und Christine Ziegler über die letzten Monate geschaffen haben. Es sind Werke, die nicht nur technisch herausragend sind, sondern auch einen wichtigen Inhalt in sich tragen: Gemeinschaft, Austausch, gegenseitige Akzeptanz, sowohl menschlich als auch fachlich.
Gemeinsam Kunst erschaffen, ja sogar Werke, an denen alle einen Anteil haben und ihr persönliches Know-How einbringen sollen. Wie geht man an eine solche Zusammenarbeit heran, vor allem, wenn normalerweise in ganz unterschiedlichen Medien und verschiedenen Materialien gearbeitet wird? Es braucht viel Kommunikation, Zuhören und Akzeptanz der Arbeitsweisen des Gegenübers. Man muss in eine enge Beziehung treten.
Im Gespräch der drei Künstlerinnen wurden nur wenige Eckpunkte festgelegt: Es wird auf Leinwänden gearbeitet und, da ja jemand anfangen musste, mit der Malerei begonnen. So bezog Jacqueline Wanner im ersten Schritt die Leinwände mit Japanpapier und öffnete mit ihren Formen jeweils einen Raum, auf den reagiert werden konnte. Dies geschah zusammen, indem sich die Künstlerinnen regelmäßig trafen und mit Keramik von Elke Mauz und Filz von Christine Ziegler die Szenen gemeinsam erweiterten. So formten sich einmalige Körper, Gefäße, die unglaublich viel in sich tragen – sowohl formal, als auch inhaltlich, stehen sie symbolisch für all die vielen Worte und Gedanken, die die drei Künstlerinnen die letzten Monate begleiten.
„Beziehungsweiße“ ist eine Ausstellung, die Gefäße, Figuren, ja Körper in Beziehungen bringt: untereinander und mit uns Betrachtenden. Es ist eine Ausstellung, die zum Nachdenken anregt, und vor allem die auch dazu anstößt künstlerische Arbeit weiter und vielleicht auch anders zu denken.
Und der Ausstellungstitel? Auch der ist wohl überlegt und beinhaltet eben keinen Tippfehler!