Natur mitten in der Neckarstadt Tübingen

Ralf Bertscheit verwandelt den Künstlerbund Tübingen in einen Begegnungsort mit der Natur. Seine Rauminstallation, die über 150 Arbeiten des Künstlers präsentiert, lässt viele Vorbeilaufende innehalten und einen Blick durch die Fenster werfen. Die Hängung der Papier- und Leinwandarbeiten ist einfach bezaubernd, um nicht zu verharren. Ein Text von Jessica Plautz und Elisabeth Weiß.

Eng beieinander, in einem festen Raster gehängt, findet man aktuell über 150 Arbeiten von Ralf Bertscheit im Künstlerbund Tübingen. Den Betrachter:innen begegnen dabei über 130 neue Zeichnungen auf Papier. Diese sind fein säuberlich mit schmalen, fast unsichtbaren Nägeln direkt an der Wand befestigt. Unterbrochen werden sie von einigen etwas größeren Leinwänden.  

Eine raumeinnehmende bildnerische Installation 

Beim Betreten der Ausstellung in der Metzgergasse 5 wird der Gast augenblicklich Teil der raumeinnehmenden Installation. Die auf den ersten Blick schwarz-weiß wirkenden Arbeiten formen sich durch die von Bertscheit gewählte Hängung zu einem großen Gesamtkunstwerk.  

Ausstellungsansicht im Künstlerbund Tübingen. © Ralf Bertscheit, Foto: Elisabeth Weiß.

So werden die Betrachtenden von der Ausstellung vereinnahmt, mit solch einer schier unglaublichen Fülle an Werken konfrontiert, dass im ersten Moment eine Fokussierung gar unmöglich erscheint. Das Auge selbst weiß nicht, worauf es blicken soll. Das Sprichwort „Vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen” scheint hier vorerst ganz passend. 

Doch ist es nicht genau das Wandeln durch den Wald, durch die Natur, das einen Raum zur Entfaltung bringt, eine Möglichkeit sich selbst zu erden und wieder Halt zu finden? So bewegt man sich also durch die Natur Bertscheits, durch seine in der Kunst festgehaltenten Momente dieses uns alle umgebenen Kosmos. Dieses Gefühl kommt durch die dichte Hängung zustande, bei der die vermeintlich nicht zueinanderpassenden Einzelarbeiten auf einander Bezug nehmen und somit zusammengehören – sowohl inhaltlich als auch räumlich. 

Ein Dschungel in der Metzgergasse 

Mit „Welcome to the jungle!” begrüßt Ralf Bertscheit die Besucher:innen der Vernissage seiner zweiten Künstlerbund-Ausstellung. Dass er damit nicht nur auf seine enge Hängung der Werke, die bei manchen auch für Diskussionen sorgt, hinweist, sondern auch auf den Titel der Ausstellung „Natur”, kann passender nicht gewählt werden.  

Das Thema Natur scheint bei der ersten Betrachtung der Kunstwerke nicht sofort assoziativ aufzutauchen, schließlich fehlen doch die erwarteten Farbtöne typischer Naturlandschaften. Doch sie sind da! Beim Streifzug an den Blättern und Leinwänden vorbei begegnen einem genau diese. Punktuell, achtsam eingesetzt mit Respekt, vielleicht sogar mit einer gewissen Zuneigung nehmen sie in den Einzelpositionen ganz unterschiedlichen Raum ein. Einmal ganz bescheiden, ein anderes Mal eher fordernd. 

Mitten in unberührter Natur – ein Atelier auf dem Gütle 

Umgeben von Natur, mitten drin, entstehen die Kunstwerke Bertscheits. Denn auf seinem Gütle hat der Künstler in einer Gartenhütte sein Atelier eingerichtet. Direkt vor den Fenstern: Apfel-, Birnen-, Kirsch, Zwetschgen und Walnussbäume. Wiese, Büsche, Brennnessel – der Waldrand ist in Sichtweite.  

Der Wind bewegt die Blätter und Äste, die Früchte gedeihen, die Büsche und Bäume wachsen. Ralf Bertscheit beobachtet alles. Sein Interesse gilt schon immer den Strukturen und Prozessen der Natur. Der Künstler verarbeitet in seinen Kunstwerken die Systeme, die nicht unbedingt erkennbar sind, denen aber alle permanent ausgesetzt sind. 

Bei der Arbeit mitten in der Natur versuche er stets zwischen Bewusstsein und einem Sich-fallen-lassen zu malen und hat bei den All-over-Motiven nie ein Anspruch auf Richtigkeit. Es seien seine naiven Vorstellungen von Zellteilung und der Natur. Und so wie die Zellen wachsen, so lässt er auch seine Zeichnungen und Malereien wachsen. 

Bei der Eröffnung stellt Ralf Bertscheit Verbindungen mit dem Weißen Album der Beatles, Stevie Wonders „The Secret Life of Plants”, dem literarischen Werk „Die unglaubliche Reise der Pflanzen” von Stefano Mancuso, sowie mit Goethes Metamorphosenbegriff her. Momente, die ihn in seiner Arbeit und seiner Vorstellung von Natur, sowie der Hängung mit Sicherheit stark beeinflusst haben. Aber auch ohne diesen Kontext wären die Arbeiten und deren installative Präsentation eine klare künstlerische Position von einem (naiven) Naturverständnis.  

Die Ausstellung „Natur” von Ralf Bertscheit ist noch bis zum 18. Februar im Künstlerbund Tübingen zu sehen. Öffnungszeiten sind Do & Fr, 16–19 Uhr, Sa, 11–14 Uhr. Der Eintritt ist frei. Ralf Bertscheit wird stets vor Ort sein und freut sich über Gespräche.