Carola Dewor ist Künstlerin und Kunstvermittlerin. In ihrem Atelier in den Pferdeställen gibt sie regelmäßig Malkurse. Schon mit 12 Jahren war ihr klar, dass sie Malerin werden möchte. Studiert hat sie in den 1980er Jahren an der HdK Berlin (heute UdK) bis hin zum Meisterschülerabschluss. Wir haben Carola in ihrem Atelier besucht und mit ihr über ihre Werkreihen gesprochen, sie gefragt was sie in ihrer Arbeit beeinflusst und was sie als Künstlerin zum Arbeiten benötigt.
Liebe Carola, vielen Dank, dass wir hier sein dürfen. Die momentan hier in Deinem Atelier ausgestellten Bilder sind vor allem Interieurs. Warum interessieren die Dich?
Interieurs haben mich immer schon interessiert – schon während des Studiums habe ich sie gemalt. Dieses hier, „Der Kummerstuhl”, finde ich sehr wichtig, denn es zeigt – auch durch den Titel – dass so ein Stuhl nicht einfach nur ein Sitzmöbel ist, sondern dass in diesem Stuhl etwas passiert, wenn man drauf sitzt. Da kommt so ein psychologischer Aspekt mit rein und das ist in all meinen Bildern ganz wichtig: Dieses Gefühl einer Geschichte, einer Erzählung… Ricarda Huch fand ich damals ganz toll und man sieht auch noch den Einfluss der neuen jungen Wilden. Klaus Fußmann war in dieser Zeit mein Professor und seine Bilder finde ich immer noch großartig.
Wie stark hat dich dein Professor während des Studiums beeinflusst?
Aktiv eigentlich wenig. Ich hatte mein Atelier außerhalb der Hochschule und er kam dann ab und zu für Gespräche vorbei. Seine Bilder hingegen haben mich sehr beeinflusst und auch seine Haltung, vom Sichtbaren zu kommen und nicht so sehr von konstruktiven oder anderen Ideen auszugehen. Das entspricht meinem Ursprung. Ich gehe in meiner Malerei immer von dem aus, was ich sehe.
Graphic Novels als neue Inspiration
Nach dem Studium hat mich allerdings erst einmal der Weg in die Abstraktion interessiert und darauf habe ich bis so ca. 2000 den Fokus gelegt. Dann hatte ich eine ziemlich schwere Krise, in der ich merkte, dass ich mich verzettelte, wo ich dachte, das bin ich gar nicht mehr. Über verschiedene Wege, zum Beispiel, über Graphic Novels, habe ich dann meinen Weg wieder gefunden.
Warum ausgerechnet Graphic Novels?
Die Zeichner:innen und Künstler:innen, die im Bereich der Graphic Novels arbeiten, haben mich sehr beeindruckt. Wir sind damals einige Male auf ein internationales Comicfestival in Luzern gefahren. Da zeigen hervorragende Künstler:innen ihre Arbeit und die Geschichten, die sie erzählen, sind sehr ergreifend. Darüber bin ich dann wieder dahin gekommen, wo ich ursprünglich herkomme.
Hast Du dann selbst Graphic Novels gemacht oder war es die Inspiration, die notwendig war?
Ich habe es versucht, aber habe dann schnell gemerkt, dass mich das langweilt. Immer die gleichen Figuren in den immer gleichen Positionen zeichnen… Für mich war es ein guter Motor. Ich bewundere Künstler:innen, die sieben oder acht Jahre an so einem Buch arbeiten, das ist aber nicht meins. Als Initialzündung zurück zu dem, wo ich herkomme, war es super.
„Berlin 1931” von Raúl und Felipe H. Cava war das erste Buch, das ich dort entdeckt habe. Er arbeitet darin sehr malerisch und hat die Panels eben alle gemalt. Das Filmische darin und die Art mit Farbe umzugehen haben mich sehr begeistert. Das Erfinderische in seinem Werk, die Lockerheit und die Farbgebung begeistern mich bis heute.
Wie ging es dann weiter?
Meine New York Reihe kam dann als Nächstes.
Ah, Du warst in New York?
Nein, von Apple gab es damals eine Empfehlung zu einer Webcam in New York: Christopher Street, Ecke 7th Avenue, und diese Webcam war Wahnsinn. Ich konnte – bis der nächste User kam – die Kamera bedienen als stünde ich vor Ort und hätte sie in der Hand. Damit konnte ich die Kamera hin und her, hoch und runter schwenken, und wirklich nah an die Menschen heran zoomen. Das hat mich sehr fasziniert. Ich war in den nächsten Jahren fast täglich und zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten dort. In diesem Café trafen sich Leute, die ich dann mehrmals gesehen habe. Es war ein wenig, wie wenn ich an dem Leben dort teilnehme.
Wie ein Geist auf Besuch in New York
Das heißt, Du hattest das Großstadterlebnis aus der Ferne?
Ja, wie so ein Geist. (Carola muss lachen) Das war schon als Kind mein Traum… ich bin unsichtbar, kann aber überall hinschauen und auch an verschiedenen Orten sein. Damit hatte sich irgendwie ein Kindheitstraum realisiert. Unglaublich. Und diese Kamera hatte eine Qualität, mit der ich selbst Details wie Fingernägel oder Knöpfe sehr gut sehen konnte. Über die Jahre habe ich dann an die 5000 Snapshots gemacht.
Wonach hast Du aus den 5000 ausgewählt?
Das ging schnell, ich erkenne sofort, was mich an einem Motiv interessiert. Das sind oft kompositorische Aspekte, die eine Rolle spielen, zum Beispiel die Spiegelung in diesem Bild („Starbucks“). Was mich an der Technik interessiert hat, ist der Aspekt, dass ich mit Ölpastellkreiden im kleinen Format keine Details darstellen kann. Schon dadurch ergibt sich ein anderer Eindruck und ich musste mich auf das Wesentliche beschränken. Wichtig für mich ist, dass es diese Motive tatsächlich so gab. Die sind nicht erfunden. Als die Kamera aber dann verschwunden war, musste ich mir etwas anderes überlegen.
Transsibirische Eisenbahn
Das heißt du arbeitest dich immer an einem Projekt fest?
Ja, ich arbeite an einer Reihe schon über mehrere Jahre, da ich mir dann mehrere Perspektiven erarbeiten möchte. Das geht nur über eine längere Auseinandersetzung mit einem Thema.
Anfang 2008 hat Google eine Kamera an die transsibirische Eisenbahn montiert und die gesamte Strecke gefilmt. Das war dann wieder etwas ähnliches. Ich konnte dabei sein, ohne mir die Mühe zu machen, mich auf die Reise zu begeben. In dieser Reihe gibt es wenige Bilder mit Figuren. Was mich dabei interessiert hat, war das Niemandsland und die postindustriellen Ruinen, die in dieser unwirklichen Weite stehen.
Postindustrielles Niemandsland
Mich hat mal jemand gefragt, warum ich solche Orte male. Erstens sehen sie aus wie überall auf der Welt. Und zweites komme ich einfach aus so einer Gegend. Ich komme aus einer Kleinstadt im Sauerland mit einer 500 Jahre alten Drahtindustrie und habe als Kind eher mit rostigen Schrauben gespielt als mit Puppen. Diese Atmosphäre, die mich zunächst abgestoßen hat – ich wollte immer von dort weg – hat nun für mich etwas Vertrautes. Nachdem ich das erkannt hatte, habe ich mich dann mit meiner Heimatstadt Altena auseinandergesetzt. Das hier ist so eine typische alte Villa. 200 Meter davon entfernt bin ich aufgewachsen… Diese Stimmung dieser Stadt ist einfach in mir drin. Da fühl ich mich zu Hause, da bin ich authentisch.
Diese Bilder haben aber auch etwas Trostloses…
(lacht) Ja, aber darum geht es mir nicht. Ich war im Mai in Köln auf einer Kunstmesse mit einem Stand. Da kamen dann ganz viele Leute, die die Orte erkannt haben. Für sie war das typisch Sauerland und sie fanden das auch nicht trostlos. Ich suche natürlich besondere Ecken, die jetzt nicht unbedingt hübsch sein müssen. Ich suche Orte mit Geschichte und das Neue ist mir noch häufig zu anonym. Für mich ist Altena ein faszinierender und besonderer Ort mit sehr engen Tälern und einer spannenden Geschichte. Die erzählt zum Beispiel Peter Prange, der hier in Tübingen lebt und arbeitet und auch aus Altena kommt.
Trotzdem, die Stadt an sich ist eigentlich austauschbar. Mir geht es darum, die Welt zu zeigen, in der wir leben. So wie sie sich mir zeigt. Dieses Motiv ist zum Beispiel aus einer chinesischen Stadt, das Foto habe ich geschickt bekommen. Da hat irgendjemand ein Gerüst an diese Ecke gestellt. Solche Konstruktionen interessieren mich. Oder dieses Bild vom Wennfelder Garten, als die Baustelle gerade im Entstehen war.
Es steckt noch viel Abstraktes in Deinen Bildern…
Ja, wichtig ist mir vor allem wie das Bild gemalt ist, zum Beispiel, dass der Pinselstrich sichtbar bleibt. Licht und Farbe spielen eine wesentliche Rolle in meinen Bildern. Erst dadurch werden sie lebendig. Das zeigt sich besonders eben in den Interieurs. Auch der Rhythmus der Bilder ist spannend. Dabei ist die Bestimmung der Orte an sich nicht so wichtig. Ich stöbere nach wie vor im Netz nach Bildern, die mich interessieren.
Fotos als Arbeitsgrundlage
Du arbeitest hauptsächlich mit Fotos?
Schon früher im Studium habe ich viel mit Fotos gearbeitet, auch mit Fotos, die ich selbst gemacht habe. Mich machen Fotos als Vorlage frei, da ich nicht an den Details festhalte. Transportieren möchte ich, was ich bei den Bildern empfinde, nicht nur das, was man sieht.
Machst Du für jedes eine Vorstudie?
Ja, ich untersuche jedes Foto zunächst zeichnerisch und dann auch mit Farbstudien, bevor ich mich an die Umsetzung mache. Ich muss mich erst vertraut machen, mich emotional annähern können. Im kleinen Format kann ich viele Techniken ausprobieren.
Welches Deiner Werke hat Dich bisher am meisten herausgefordert?
Mein Video „Melancholie des Verlusts“ – augmented painting, das mit der wunderbaren Unterstützung von Sabine Weißinger und Friedrich Förster von Casa Magica 2019 zur Eröffnung meiner Ausstellung in der Galerie im Gewölbe entstanden ist. Es war eine wunderbare Erfahrung meine Idee samt Bild, Text und Ton zu entwickeln und zu realisieren. Diese Arbeit werde ich in meiner Einzelausstellung in der Kulturhalle Tübingen erneut zeigen, die am 13. Oktober eröffnet hat.
Mehr Mäzene für die lokale Kunstszene
Was ist denn für Dich ein guter Ort, um als Künstlerin zu leben und zu arbeiten?
Ideal ist ein Ort, der Künstler:innen ein Umfeld bietet, in dem sie geeignete Räume für ihre Arbeit finden und die notwendige Unterstützung bekommen, um ihre Arbeit im Dialog mit dem interessierten Publikum präsentieren zu können. Wobei ich mir wünsche, dass lokale Sammler:innen auch Augen für die Perlen haben, die vor ihrer Tür liegen, statt ausschließlich große Namen zu kaufen. Mäzene wären toll, die gibt es aber leider so gut wie gar nicht mehr.
Ist es für Frauen schwieriger, sich in der Kunstszene zu etablieren?
Es ist sicher in den letzten Jahren einfacher geworden. Ich beobachte bei den international renommierten Galerien sogar einen leichten Trend nach oben. Dennoch bleibt noch viel zu tun, auch im Hinblick auf die Höhe des Preises, der die Werke von Künstlerinnen nach wie vor geringer ansetzt als die der männlichen Kollegen. Auch das ist beim Publikum wenig bekannt.
Deine Empfehlung für eine Kultur- oder Kunstinstitution in Tübingen oder für einen Ort, der für die Kunst gut ist.
… die Ateliers im Französischen Viertel, der Künstlerbund Tübingen e.V. mit seinen hervorragenden Ausstellungen in der Galerie in der Metzgergasse und natürlich die städtische Kulturhalle.
Vielen Dank Carola für die spannenden Aus- und Einsichten in Deinem Atelier.
Carola Dewors Arbeiten sind in der Ausstellung „The Place Within“ von 13. Oktober bis 10. November 2022 in der Kulturhalle Tübingen zu sehen.