Im Gespräch mit: Christian Jankowski

Wir haben den Künstler Christian Jankowski für ein Interview in der Kunsthalle Tübingen getroffen. Ausgehend von seiner neuen Ausstellung „I was told to go with the flow“ haben wir über seine Arbeiten, seine Kunstpraxis und über Tübingen gesprochen.

Wir treffen Christian Jankowski beim Aufbau der Ausstellung „I was told to go with the flow“ in der Kunsthalle Tübingen. Die größeren Arbeiten stehen bereits; einige Fotografien liegen gerahmt und vorsortiert auf dem Boden und warten darauf aufgehängt zu werden. Ab und zu kommen Aufbauhelfer:innen und haben eine Frage an Jankowski – Passt die Höhe der Hängung hier? Wie wollen wir diese Arbeit ausleuchten? Vor den Kunstwerken haben wir mit Jankowski über die Arbeiten in der Ausstellung gesprochen, über seine Arbeitspraxis und darüber, was er mit Tübingen verbindet.

Im Vordergrund der ein Stocherkahn mit Kunsttransportkisten, rechts ein Tisch mit Werkzeug, im Hintergrund bereits Bilder an der Wand.
Christian Jankowski, Ausstellungsansicht I Was Told To Go With The Flow

Zum Einstieg ganz provokant: Was hältst Du von Tübingen?

Ich fühle mich an meine Heimat erinnert – Ich komme ja aus Göttingen, ebenfalls eine Studentenstadt. Ich fühle mich hier also sehr wohl. Gleichzeitig wusste ich am Anfang der Recherche nicht, womit ich hier arbeiten kann. Aber über das Thema, auf das Nicole Fritz, die Direktorin der Kunsthalle, und ich uns dann für die Ausstellung geeinigt haben, kristallisierte sich das dann heraus. In der Ausstellung geht es ums Reisen – ausgehend von meiner Arbeitspraxis. Ich bin weniger der Künstler, der alleine im Atelier arbeitet und das dann in die Welt schickt. Es ist bei mir eher so, dass ich überall hinreise und sehe, was für ein Millieu oder was für eine Atmosphäre mir entgegenkommt. Und dann beiße ich mich irgendwo fest und versuche, andere Menschen dafür zu gewinnen, etwas mit mir zu realisieren.

Da passt dann der Stocherkahn als Fortbewegungsmittel in Tübingen.

Genau, auch wenn der Kahn hier in der Kunsthalle seines Sinns enthoben ist – es gibt hier zu wenig Wasser, als dass er zur Bewegung dienen könnte. Aber er musste vom Neckar nach hier oben in den Ausstellungsraum transportiert werden. Das war auch ein tolles Bild vor dem Eingang hier.

Christian Jankowski steuert einen Stocherkahn mit Kunsttransportkisten beladen auf dem Neckar.
Christian Jankowski, I Was Told To Go With The Flow, 2022 Ortspezifisches Projekt für die Kunsthalle Tübingen Foto: Wynrich Zlomke

Und zum Thema Reise oder Fortbewegung kommen die Transportkisten hinzu.

Genau, das sind hier die Transportkisten einiger Kunstwerke und auch wenn sie unterschiedlich alt sind, zeigen sie alle Benutzungsspuren. Zum Beispiel Aufkleber der Ausstellungsorte oder der Transportfirmen oder Kennzeichnungen wie „Handle with Care“. Sie rufen also zur Vorsicht auf, die geboten ist, wenn Kunst reist. Das fand ich reizvoll für eine Skulptur: Die Kisten, die sonst das schützen, was sich darin befindet, werden jetzt selbst zur Kunst. Man sieht etwas, auf das man sonst nicht achtet und das bekommt so eine ästhetische Qualität. Durch meine Fahrt auf dem Neckar haben sie sozusagen die Taufe zum Kunstwerk erfahren. Zusätzlich gibt es die Besprühungen mit Titeln von Selbstoptimierungs- oder Life Coaching Büchern, die oft die Metapher des (Lebens-) Weges aufnehmen. Ich sehe darin auch eine Parallele zur Kunst, die für mich auch mit der Hoffnung auf Veränderung verbunden ist, was ganz persönlich sein kann.

Der Stocherkahn hat in Tübingen Tradition, auch mit dem Stocherkahnrennen. Aber es hat doch auch etwas Touristisches…

Der Begriff des Tourismus passt vielleicht ganz gut zu meinem kontextuellen Arbeiten. Jetzt bin ich hier in Tübingen, sonst bin ich in Japan und arbeite dort mit Massagemeister:innen oder in Polen mit Gewichtsheber*innen der Nationalmannschaft. Das sind immer so kleine Visiten, die ich da mache. Das ist aber gar nicht negativ gemeint. Wir alle haben eingeschränkte Horizonte und wenn man einmal in ein anderes Land, in eine andere Kultur schaut, erweitert das unseren Horizont. Es sagt ja zudem etwas aus, wo Tourist:innen die Kamera zücken und was sie interessant finden. Genauso ist das bei mir.

Fünf Soldat:innen stehen Rücken an Rücken in einem Therapiezimmer, der Therapeut sitzt hinter ihnen in einem Sessel.
Christian Jankowski, Defense Mechanism, 2021

Gibt es denn etwas Bestimmtes, das Dich interessiert? Was für Szenen sind das, die du aufnimmst?

Ich versuche ein Bild zu machen, das in der Art noch nicht dagewesen ist. Es geht darum, wirkungsvolle Bilder zu machen und Menschen reagieren auf Bilder, die noch nicht so abgenutzt sind. Ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin, wenn ich merke, das habe ich noch nicht gesehen, das interessiert mich. Dann ist die Chance da, dass es vielleicht auch andere interessiert.
Das geht auf unterschiedlichen Wegen. Zum Beispiel strebe ich manchmal die Vermischung von zwei Welten an. In der Arbeit „Defence Mechanism“ – auch eine neue Arbeit – sind das die kriegerische Welt einer Spezialeinsatztruppe des rumänischen Militärs und die eines Therapeuten. Die Soldaten stürmen ein Haus und dann ein Zimmer und man erwartet eine Art von Gegenattacke, aber tatsächlich stellt sich heraus, das ist ein Therapieraum. Es geht also um zwei Logiken, zwei Welten, die aufeinandertreffen. Einmal dieses streng Hierarchische, die Organisation gegen das Individuum und dagegen derjenige, dessen Kernkompetenz das Sprechen über Gefühle ist – das sind zwei Extrempositionen, in denen Menschen sich befinden können. Es gibt zudem eine weitere Ebene in Form eines Voiceovers durch einen deutschen Therapeuten und eine rumänische Therapeutin, die das Geschehen kommentieren und zum Beispiel so das Verhalten des Therapeuten im Film analysieren, der im Angesicht der bewaffneten Soldaten aus der Rolle fällt. Beide Welten sind von der anderen überfordert, finden aber doch zusammen.

Gleichzeitig steckt aber auch Ironie oder ein Augenzwinkern mit drin, oder? Welche Rolle hat Humor für Deine Arbeiten?

Das ist nicht unbedingt das Ziel der Arbeiten. Die Ironie kommt für mich dann mit ins Spiel, wenn es wirklich um etwas geht. Durch Ironie kann man sich schützen – wenn es an den Kern einer Sache geht, lacht man kurz drüber und sagt lieber ich nehme es ja nicht ganz so ernst. Das ist das alte Spiel der Maske, die deswegen so wichtig ist in der Kunst. Es ist zum Beispiel nicht der wirkliche Tod, wenn man ein Requiem hört, sondern eine verkünstelte Form davon. So wird ein schwieriges Thema verdaubar. Die Ironie oder der Humor nimmt bei mir diese Funktion der Maske ein.

Ein etwa 4 Meter auf 7 Meter großes Gemälde steht schräg im Raum. Es zeigt eine Plastik Kippenbergers im Garten der Sammlerfamilie Grässlin.
Christian Jakowski, Kippenberger Bühnenbild – Der Garten Grässlin, St. Georgen, 2013

Mit der Maske kommen wir auch in den Bereich des Theaters – wie ein übergroßer Raumteiler schreiben sich Bühnenbilder für das Theaterstück „Kippenberger! Ein Exzess des Moments“ in die Architektur der Kunsthalle ein.

Diesen Raum haben wir mit „Vagabund im Kunstbetrieb“ überschrieben. Hier geht es um Reisen in andere Genres der Kunst, zum Beispiel ins Theater. Ich wurde von Angela Richter und dem Schauspiel Köln eingeladen, das Bühnenbild für dieses Theaterstück zu gestalten. Ich habe also in der Vorbereitung Fotografien gemacht von Orten, an denen Martin Kippenberger gewirkt hat, die aber auch gleichzeitig mythische oder legendenhaft sind – hier zum Beispiel die Paris Bar in Berlin, die Buchhandlung König und der Garten der Sammlerfamilie Grässlin in St. Georgen. Diese Vorlagen wurden dann von den Bühnenmaler:innen auf große Leinwände übertragen, die von den Schauspieler:innen selbst bewegt werden konnten.
Nach der Laufzeit des Theaterstücks, habe ich die Leinwände weiter genutzt für eine Videoarbeit, bei der ich mit Schauspieler:innen  und Freund:innen Episoden aus Kippenbergers Leben nachgestellt habe. Das erinnert vielleicht an ein Biopic aus dem Fernsehen. Und auch hier gibt es wieder einen Blick von außen: Immer wieder taucht ein Professor auf und analysiert die Strategien der Legendenbildung. Hierfür habe ich mit Drehbuchautor:innen aus Singapur zusammengearbeitet, um eine ganz neue Perspektive einzunehmen.

Ein Bildschirm mit breitem, schwarzen Rahmen. Darauf: Schauspieler:innen stellen eine Szene aus Martin Kippenbergers Leben vor der Kulisse der Buchhandlung König.
Christian Jankowski, Die Legende des Künstlers und andere Baustellen, Video, 2016

Es geht also um die Heroisierung eines Künstlers, aber auch um die Dekonstruktion der Legendenbildung.

Genau, darauf spielt auch der Titel an: „Die Legende des Künstlers und andere Baustellen“.

Hast du aus dieser Erfahrung auch Lehren für deine eigene Praxis gezogen?

Das war so ähnlich wie bei der Selbsthilfeliteratur – man kann sich die Inhalte aneignen, aber kann man das direkt anwenden? Ich kann das meinen Studierenden erklären, aber selbst nachmachen geht nicht.

Die Ausstellung „I WAS TOLD TO GO WITH THE FLOW“ ist noch bis zum 30.10.2022 in der Kunsthalle Tübingen zu sehen.