Wer sieht was? Heilige Familie von Anton Raphael Mengs

Das Motiv der Geburt Christi begegnet uns in der Kunst unzählige Male, doch die Darstellungen unterscheiden sich in allen möglichen Aspekten voneinander. Wie der Klassizist Anton Raphael Mengs seine Heilige Familie zum Leuchten bringt und dabei auch noch unsere Emotionen anspricht, erzählen euch vier unserer Kunsthistoriker:innen.

Auch dieses Weihnachtsfest findet unter ungewöhnlichen Umständen statt. Ein weiteres Jahr neigt sich dem Ende zu. Die notwendigen Einschränkungen durch die Pandemie haben auch für Frust gesorgt. Umso mehr freuen wir uns auf die Weihnachtstage. Ruhe finden und das Jahr gemütlich ausklingen lassen, am besten gemeinsam mit den Menschen, die uns am nächsten stehen. Weihnachten wird gerne mit dem Wort Besinnlichkeit in Verbindung gebracht und gilt als Fest der Liebe. Doch warum eigentlich? Traditionell ist es ein Familienfest. Gemeinsam mit den Eltern, Geschwistern, Partner:innen, Verwandten und engsten Freund:innen verbringen wir Zeit – singen, lachen, kochen zusammen leckeres Essen. Wir freuen uns aneinander. Vielleicht ähnlich wie Maria und Joseph, die in Bethlehem im Stall ihren Blick vom Neugeborenen nicht abwenden konnten.

Dankbarkeit, Solidarität und Nächstenliebe – das sind Werte, die in unseren Alltag einfließen, die wir uns besonders zum Weihnachtsfest ins Gedächtnis rufen. Gerade zum Jahresende lassen wir alle das Jahr Revue passieren, ganz unabhängig von Glauben und kulturell verankerten Traditionen. Wir erinnern uns an das Geschehene, an das Gute, das Schlechte und sind dankbar für alles, das wir erreicht haben, für das Leben und die Gesundheit. Solidarität und Nächstenliebe sind für unsere Gesellschaft so wichtig wie kaum zuvor.

Diese drei Werte stehen traditionell in Verbindung mit Weihnachten und so auch mit unserem heutigen „Wer sieht was?”-Kunstwerk. Die  „Heilige Familie” von Anton Raphael Mengs (*1728, †1779) entstand 1754/55 und zeigt die verschieden Stationen, denen der Künstler im Laufe seines Lebens begegnete: die Auseinandersetzung während des Studiums mit Raffael und Michelangelo, die Zeit als sächsischer Oberhofmaler am Hofe Friedrich Augusts II., die zahlreichen Reisen nach Rom, Venedig und Florenz sowie die Aufnahme in die berühmte Accademia di San Luca in Rom. Mengs profitierte vom Austausch mit Kolleg:innen und ihren künstlerischen Positionen und setzte sich inspiriert von seinem Freund Johann Joachim Winckelmann mit antiken Vorbildern auseinander. Er traf mit seiner ganz individuellen künstlerischen Sprache den Geschmack der Zeit und wurde so zum Wegbereiter einer neuen Kunstrichtung: des Frühklassizismus. 

Wir freuen uns nun darauf, gemeinsam mit euch tiefer in das Werk Heilige Familie einzutauchen und sind gespannt, welche Emotionen und Gedankenwelten sich bei euch eröffnen werden. Teilt sie gerne mit uns in den Kommentaren.

Anton Raphel Mengs: Heilige Familie, 1754/1755, Öl/Holz, 66,8 x 47,8 cm, Städtisches Museum Braunschweig.

Maik:

Strahlend ruht das Christuskind in den Armen seiner Mutter Maria und im Zentrum des Gemäldes von Anton Raphael Mengs. Es ist in vielerlei Hinsicht der Mittelpunkt der Komposition: Als einzige Lichtquelle im Bild beleuchtet es die Szene dramatisch. Die Falten in den Gewändern Marias und Josephs in unmittelbarer Nähe des Kindes treten besonders plastisch hervor. Weiter strahlt das Licht nach oben und erhellt so die schwebenden Putten. Die dadurch entstehende Lichtfläche bildet eine pyramidale Struktur, die die Heilige Familie mit den Engeln als Bildthema betont. Als hellster Punkt zieht das Kind die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf sich. Über die Blickachsen wird dann die weitere Bildbetrachtung gelenkt: Vom Kind zu Maria, hin zu Joseph über mehrere Putten nach oben.

Mengs entfernt sich im Gemälde vom klassischen Bildtypus der „Anbetung der Hirten“, der über mehrere Jahrhunderte die Darstellungen der Weihnachtsgeschichte dominiert hat. Nicht die Hirten, die vom Feld zur Krippe kommen, stehen im Mittelpunkt der Darstellung, sondern allein die Heilige Familie. Nicht nur das Zurücktreten der Hirten, auch die unklare örtliche Positionierung der Szene stellt einen Bruch mit der Bildtradition dar. Anstatt die Figurengruppe um Christuskind in einen Stall oder eine Landschaft einzubetten.. Aus der erzählerischen Darstellung der Geschichte benutzt Mengs Lichtführung und Komposition, um die Familie der konkreten irdischen Welt zu entziehen und macht sie so zu einem überzeitlichen und dem Irdischen entrückten Motiv.

Lena:

Im Neuen Testament wird Christus selbst als das „Licht der Welt“ (Joh. 8,12) beschrieben, der als das „wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh. 1,9) in diese Welt hineingeboren wurde. Er war ein Retter, aber er rettete zu diesem Zeitpunkt niemanden. Er musste sogar selbst gerettet werden. Die Familie musste fliehen, um das Baby vor Herodes, dem König der Juden, zu retten. Trotzdem pries Gott ihn als den Retter an, denn er wusste, welche Wunder Jesus bewirken wird.  Dies kann man auch auf die derzeitige Situation interpretieren: Wir hoffen auf die endliche Besserung der Lage und das Eintreffen der Normalität. Wir sehnen uns nach der Nähe anderer Menschen und großen Familienfesten, welche speziell an Weihnachten schmerzen, wenn sie nicht möglich sind. Vielleicht rufen wir uns in den Sinn: Gott tut die Dinge nicht so, wie wir denken, sondern so, wie er weiß, dass sie funktionieren werden. Verlieren wir nicht die Hoffnung darauf, dass es bald besser wird. 

Mengs verwendete hier das strahlende Licht, das von dem Jesusknaben ausgeht und ihn als Gottessohn und als Hoffnungsbringer auszeichnet. Jesus, der in diese Welt hineingeboren wird, um Licht in die Welt zu tragen. Einen Glimmer von Hoffnung.  Des Weiteren bringt Mengs die Bedeutung der Liebe, hier im Speziellen die Mutterliebe und die Familienliebe in Szene. Maria, welche liebevoll auf ihren Sohn hinab blickt und ihn warm hält. Joseph, der sich schützend über die beiden lehnt. Sowohl die Komposition, als auch die Farbigkeit des Gemäldes heben diese Liebe hervor.  Schon hier ist die Bedeutung der Familie so wichtig, wie sie für viele von uns an Weihnachten ist.

Anna Katharina: Dem Licht auf der Spur

Nicht mittig, sondern den Bildschwerpunkt etwas nach unten verschoben, leuchtet die hellste Lichtquelle und überstrahlt sich fast selbst. Das weiße Gewand des Jesuskindes flimmert aus sich selbst heraus und blendet uns als Betrachtende. Schützend umsorgen Marias Arme das Kind, um ihm Geborgenheit zu geben, schützend umschließen sie das Licht, um dieses zu bündeln. Unser Blick lässt sich kaum von ihm abwenden und das Neugeborene zieht uns immer wieder in seinen Bann, genauso wie die Putten neugierig nach unten blicken. Doch deren von unten angestrahlte Gesichter animieren uns zur Bewegung und führen unseren Blick sowohl nach oben in den Himmel, als auch durch den lebendig-flackernden Lichtschein wieder zurück zum Kind in der Krippe. Nur der Putto linkerhand schaut seitwärts nach rechts und es scheint fast so, als fordere er uns auf, in die Weite im Hintergrund zu blicken, dort wo am Horizont hinter den Hügeln die diffuse Dämmerung anbricht. Ist das die Hoffnung als Licht in der Ferne? 

Um einen Ausgleich in der Komposition zu schaffen, steht dem hellen Lichtpunkt eine einerseits luftig aufgebauschte Wolke gegenüber, die andererseits durch ihre graue Farbe steinig schwer wirkt. Ist das die dunkle Wolke der Vorahnung und Resignation? Angeordnet in einem Dreieck haben sich drei Putten am oberen Bildrand auf der Wolke zusammengedrängt niedergelassen. Die drei Putten darunter hingegen schweben dynamisch mit ihren in Weiß gehaltenen Flügelchen vor der Wolke, also ob sie einen Windhauch erzeugen wollen, um die Wolke zu vertreiben und das Licht der Dämmerung, den Hoffnungsschimmer, sowie das Leuchten des Kindes über der gesamten Szenerie zu verbreiten.

Natalie:

Anton Raphael Mengs gilt als Wegbereiter und Vertreter des Klassizismus. Seine Arbeiten sind jedoch auch von seinen italienischen Vorbildern geprägt. So sieht man in dem Gemälde „Heilige Familie“ eine Bildidee, die zuerst von Malern in Flandern wie Hugo van der Goes umgesetzt wurde und später auch in den Darstellungen der italienischen Künstler:innen vorkam. Correggio positionierte in „Die Heilige Nacht“ (1529–1530) das Jesuskind und Maria leicht rechts im Bild. Von ihnen geht ein strahlendes Licht aus, ja gar das ewige Licht.

Mengs reduzierte die Figurengruppe auf das Jesuskind, Maria und Joseph. Sie werden von einer Puttengruppe flankiert. Das Jesuskind ist in ein weißes Tuch gewickelt, Maria trägt ein rotes Kleid mit blauen Gewand und Joseph ist als Hirte dargestellt. Anders als in vergleichbaren Arbeiten sind hier keine Stallsituation oder architektonische Elemente abgebildet.Die Figurengruppe bildet ein Dreieck, von dessen Mitte die Lichtquelle ausgeht. Die Form wird von den Putten aufgegriffen. Mengs schafft es durch die Konzentration auf das Wesentliche eine Bildaussage zu treffen, die für die Weihnachtszeit von Bedeutung ist.

Wir danken dem Stadtmuseum Braunschweig für die Bereitstellung der Reproduktion.