Arbeiten im Kollektiv ist zum Beispiel in der Theaterszene weit verbreitet, unter Kurator*innen und Kunst- und Kulturvermittler*innen aber noch nicht ganz so etabliert. Anna Schiestl, Domenika Chandra und Hanna G. Diedrichs gen. Thormann haben sich auf diese Arbeitsform eingelassen und sich 2020 auf die Kurator*innenstelle im Kunsthaus Steffisburg beworben. Wir haben sie gefragt, wie sie ihre Arbeit als Kuratorinnenkollektiv empfinden und was sie dabei gelernt haben.
Ursprünglich dachten sie darüber nach, sich einzeln oder als Duo auf die Stellenausschreibung im Kunsthaus Steffisburg zu bewerben, aber nach einem gemeinsamen Durchsprechen der Vor- und Nachteile war der Wunsch da, zusammen etwas zu gestalten.
Wir hatten einfach Lust, etwas zu machen!
Domenika: Wir hatten dann zunächst ein Gespräch zu dritt über die Vor- und Nachteile einer Bewerbung im Kollektiv oder zu zweit. Die Überlegung war eher, in welcher Zweier-Konstellation haben wir mehr Chancen, angenommen zu werden. Nach dem Gespräch haben wir aber entschieden: Wir bewerben uns als Kollektiv.
Hanna: Ich war zu Beginn schon etwas unsicher, denn über die Arbeit im Kuratorinnenkollektiv hatten ich noch nicht wirklich nachgedacht. Zu zweit konnte ich mir das noch vorstellen, man hört ja immer wieder von Doppelspitzen und Stellenteilungen. Zu dritt kam es mir dann doch sehr abstrakt vor. Wie soll das denn funktionieren?
Dass das Thema ihres ersten Ausstellungszyklus sich mit dem Thema „Gemeinschaft“ befasst, ist deshalb auch kein Zufall. Ihre Diskussionen über das gemeinschaftliche Nachdenken und ihr Nachdenken über ihre Gemeinschaft wollten sie in dem Ausstellungszyklus auf andere Weise thematisieren.
Anna: Das war ein Grundimpuls für das ganze Projekt, dass wir es so interessant fanden zu dritt in einem Kollektiv zu arbeiten. So war unsere Arbeit der Ausgangspunkt für unser Projekt. Natürlich kam die aktuelle Pandemiesituation dazu, denn das war der erste „freie Sommer“ nach der ersten Lockdown-Erfahrung. Und wir wollten dann von uns ausgehend weiter den Begriff Gemeinschaft untersuchen.
Eine gemeinsame Grundlage
Die drei Kuratorinnen sind sich einig: Dass es so schnell zu einer fruchtbaren Diskussion kam, lag daran, dass es zwischen ihnen ein klares Verständnis gibt, wie sie sich das Ausstellen vorstellen und welche Rolle die Vermittlung dabei spielt.
Domenika: Wir sehen beides als Einheit. Wir waren uns einig, dass Vermittlung nicht als Zusatz kommt, an einem späteren Zeitpunkt, sondern sie mitbedacht wird. Und auch mit den Menschen, mit der Nachbarschaft und den breiteren Gruppen zusammen passiert, die an der Konzeption beteiligt sind.
Hanna: Ja, aber wir haben auch darüber nachgedacht, was wir im Vergleich zu anderen Museen eigentlich gern anders machen möchten.
Die Arbeit am Konzept hatte zu dritt eine größere Dynamik
Neben den Gemeinsamkeiten waren es aber auch die Unterschiede, die dazu führten, dass sich die drei zusammenschlossen. Alle drei haben zwar Kunst- oder Kulturwissenschaften studiert, sich dann aber in andere Richtungen spezialisiert. Domenika studierte im Master Ausstellungsvermittlung [jetzt Curatorial Studies] an der ZHdK, Anna Kulturanalyse an der Uni Zürich, und Hanna Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft an der Uni Tübingen. Alle drei haben im Museum für Gestaltung gearbeitet und sich dort kennengelernt. Ihre unterschiedlichen Perspektiven sind es, die die drei in ihrer Arbeit zusammen schätzen.
Anna: Es hat sich ziemlich schnell herausgestellt wie viel unterschiedliches Know-how zusammenkommt. Das ist schon nochmal krasser in einer Dreierkonstellation.
Domenika: Auch die Arbeit am Konzept hatte zu dritt eine größere Dynamik. Wenn man zu zweit ist, kann es sein, dass man schnell aufgibt…
Anna: Oder anders gesagt, man einigt sich zu zweit eben schneller.
Domenika: Genau. Das ist schön formuliert.
Anna: Und die dritte Person ist nun in der Diskussion oft ein Störfaktor und man muss nochmal zurück. Das ist anstrengend.
Domenika: Genau. Wenn man zu dritt ist, dann kommt oft ein ‚Hey, das könnte aber auch anders…‘ oder ‚Nein, das finde ich nicht so gut…‘ und dann dreht man noch eine Runde und noch eine. Dadurch wird alles viel mehr bearbeitet und wird in sich kohärenter.
Anna: Man dreht vielleicht ein paar extra Runden, aber das was dann dabei herauskommt, ist für mich immer besser als das was wir nur zu zweit ausgekocht hätten. Es hat wirklich einen Mehrwert.
Hanna: Dadurch, dass wir das zu dritt erarbeiten, geht nichts raus, was nicht schon mindestens einmal diskutiert wurde und was nicht von mindestens drei Paar Augen gelesen wurde. Das ist schon eine große Qualitätssteigerung. Aus meiner jetzigen Perspektive heraus fehlt mir das sehr in meiner Arbeit im Museum. Derzeit plane ich ein eigenes Ausstellungsprojekt im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern und ich vermisse diese verschiedenen Haltungen und den intensiven Austausch: ‚Schau mal aus der Perspektive ist das aber so…‘ oder ‚Rede doch mal mit der Person, die kann dir sicher weiterhelfen‘ und das Verfertigen der Gedanken in einer Diskussion. So bin ich in meiner eigenen Gedankenwelt drin.
Domenika: Es hilft, um sich selbst und die eigene Arbeit zu reflektieren. Was machen wir hier überhaupt? Wie können wir es machen? Begrifflichkeiten, Definitionen, … man kann da schon auch mit sich selbst reden, aber… (lacht)
Anna: Ja, man kennt die Antwort dann halt schon… (lacht) Um nochmal auf die Vorteile eines Kollektivs zu sprechen zu kommen: Es kommt also nicht nur sehr viel Know-how zusammen, es kommen auch drei Netzwerke zusammen! Es hat schon einen Impact wenn man zu dritt auftritt.
Aber gerade heutzutage ist so ein Vorgehen vielleicht auch notwendig, wenn man Fragen der Diversität beachten möchte.
Gitta: Woran habt Ihr Euch denn orientiert?
Anna: Eins der wenigen Kollektive aus dem kuratorischen Bereich, das mir präsent war, war Assemble. Dieses britische Kollektiv war meine persönliche Referenz. Die arbeiten auch mit Menschen zusammen, die beispielsweise ihre Häuser aufgrund von Gentrifizierung verlassen müssen, um einen Mehrwert mit ihren Projekten zu schaffen. Ich fand es immer sehr interessant was sie aus ihrem Arbeitsprozess erzählt haben. [z.B. in diesem YouTube Video] Im Kollektiv sind mehrere Leute und ihr Entscheidungsprozess ist sehr demokratisch. Entschieden wird erst wenn alle mit einem wie auch immer gearteten Kompromiss leben können. Das ist schon hart. Man weiß ja, wie lange es dauert, wenn man eine kleinere Gruppe ist.
Gitta: Das ist sehr konsequent.
Anna: Ja, und auch sehr zeitaufwändig. Aber gerade heutzutage ist so ein Vorgehen vielleicht auch notwendig, wenn man Fragen der Diversität beachten möchte. (Auch wenn wir kein wirklich diverses Kollektiv sind.) Man kann seine Entscheidungen dann nämlich auch mit einer anderen Haltung kommunizieren.
Strukturen galt es auf zwei Ebenen zu finden
Gitta: Wie holt ihr euch die Zeit, die für diese Prozesse notwendig ist?
Hanna: Das ist etwas, was ich am Anfang unterschätzt habe. Die verschiedenen Vorteile, die wir schon angesprochen haben, habe ich gesehen, wie die unterschiedlichen Perspektiven und das Know-how. Wovon ich aber auch ausgegangen bin, ist die Arbeitsteilung unter drei Personen. Ich dachte, die Arbeit wird dann mindestens genauso schnell erledigt, wie wenn man das allein macht. So war es aber nicht. Ich kann dann die Leute schon verstehen, die möchten, dass einfach jemand jetzt eine Entscheidung fällt und dann ist das Thema vom Tisch.
Anna: Der Umfang dieses Projekts hat uns Ressourcenmäßig an unsere Grenzen gebracht. Nach diesem Jahr und den drei Ausstellungen, brauchen wir auch erst einmal eine Pause. (lacht) In der Intensität drei Projekte in einem Jahr durchzuführen ist schon etwas verrückt.
Hanna: Vor allem, da wir alle drei hauptberuflich in anderen Jobs tätig sind.
Domenika: Man muss aber auch sagen, dass wir ja gar keine Strukturen hatten. Das hat sich jetzt schon geändert. Wir stehen jetzt an einem anderen Punkt. Jetzt können wir schon Arbeiten aufteilen. Wir wissen jetzt wen wir für was ansprechen müssen. Ein zweites Jahr wäre für uns jetzt viel ressourcenschonender.
Anna: Stimmt und Strukturen galt es ja auf zwei Ebenen zu finden. Auf der einen Seite mussten wir unsere Struktur als Kollektiv finden, auf der anderen Seite kannten wir aber auch die Infrastruktur des Ortes und des Kantons nur bis zu einem gewissen Grad. Wir mussten erst herausfinden, wie zum Beispiel die Bildungsdirektion in dem Kanton funktioniert.
Domenika: Auch unsere Prozesse haben wir optimiert und das Vertrauen ineinander ist gewachsen. Am Anfang haben wir noch Protokolle geführt, aber jetzt wissen wir, dass wir uns aufeinander verlassen können, das Aufgaben erledigt werden und Deadlines eingehalten werden. Sowohl unter uns, als auch mit der Institution. Alles vereinfacht sich.
Gitta: Wie sah die Zusammenarbeit denn konkret aus? Habt ihr dann die Aufgaben untereinander aufgeteilt?
Anna: Ich denke, wenn wir nächstes Jahr so weiter machen würden, dann müssten wir die Aufgaben aufteilen. Für dieses Projekt sind wir einfach reingesprungen, vielleicht etwas blind. Zu dem Zeitpunkt als wir uns für das Projekt entschieden haben, hatten wir alle einfach Lust, etwas zu machen und so wollten wir auch alle in allem involviert sein.
Hanna: Wenn man im Kollektiv arbeitet, gibt man einen Teil seiner kuratorischen Deutungsmacht ab. Dann ist man nicht die eine Person, die diese Ausstellung gemacht hat oder eine These aufgestellt hat. Das heißt für mich aber auch ein wenig, dass ich bei den Prozessen, die zu der Ausstellung führen, dabei sein will und die mitgestalten möchte. Da möchte ich mich dann nicht herausziehen. Außerdem hatte ich zumindest vorher nicht mit den beiden anderen intensiv zusammengearbeitet. Da musste man sich auch erst einmal kennenlernen. Vielleicht spielt das auch eine Rolle, ein Gewöhnungsprozess, der ablaufen muss.
Gitta: Hattet ihr im Vorfeld darüber geredet, wie ihr arbeiten wollt?
Domenika: Das ist ein Muss! Immer wieder, mit Abstand.
Hanna: Für mich war das ein wenig zu spät. Wir haben am Anfang etwas darüber geredet, aber nicht so ausführlich. Wenn ich nochmal neu ein Kollektiv gründen würde, dann würde ich noch viel mehr darüber reden oder analysieren, was für Bedürfnisse haben die Einzelnen, wer braucht welche Strukturen beim Arbeiten und wie kommen wir da zusammen? Was für Strategien können wir gemeinsam entwickeln, was für Arbeitsvorgänge, Kommunikationswege finden wir, dass sich alle damit wohl fühlen.
Anna: Aber manches merkt man erst im Verlauf. Da muss man einfach mal anfangen.
Hanna: Ich war das aber auch nicht gewohnt darüber zu sprechen. Ich kenne das aus meinen vorherigen Arbeitskontexten nicht. Da hatte ich Vorgesetzte, die haben vorgegeben, was ich wie zu bearbeiten hatte.
Domenika: Das ist etwas, was der kollektiven Arbeit inne liegt. Es ist auch etwas anderes, als Einzelperson im Arbeitskontext aufzutreten. Als Kollektiv muss man immer verhandeln: Wo ist man noch Kollektiv, worüber benötigt es Austausch und was kann man dann wieder aufteilen und vereinzeln? Es ging uns nicht darum, die Arbeit zu verteilen, sondern um einen Austausch, der produktiv ist. Das kann man nicht von Anfang an definieren. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir diese Dinge trennen könnten. Was müssen wir als Kollektiv besprechen und was können wir einzeln lösen, ohne den Kollektivgedanken aufzulösen.
Neuer Umgang mit Kolleg*innen
Hanna: Ich merke schon, dass mich unsere Arbeit sehr beeinflusst hat in dem worauf man beim Arbeiten achten kann. Meine neuen Kolleg*innen habe ich jetzt direkt gefragt, wie sie am liebsten von mir kontaktiert werden wollen, soll ich persönlich kommen, wollt ihr eine Mail oder einen Anruf? Darüber hatte ich mir vorher keine Gedanken gemacht.
Anna: In dem Bereich, in dem wir alle tätig sind, braucht es schon eine hohe Sozialkompetenz. Und auch schon in dieser Runde muss man diese Kompetenzen ausbauen und entwickeln. Dann muss man sich noch dazu fragen, wie man mit den Personen arbeitet, die zum Projekt dazu kommen.
Domenika: Ich habe auch argumentativ sehr viel durch unsere Arbeit gelernt, was ich in meinen Beruf mitnehmen kann. Ich fühle mich viel sicherer und traue mir sehr viel mehr zu.
Uns wurde eine enorme Offenheit und Unterstützung entgegengebracht für alles was wir konzeptionell gebracht haben.
Gitta: Was war für Euch das Beste an dem Projekt?
Anna: Dass wir eine unglaubliche Offenheit von Seiten des Kunsthauses erfahren haben. Das ist ein Verein auf ehrenamtlicher Basis, das sind Leute, vor allem der Präsident Urs Dolder, die sehr viel dort reinstecken. Uns wurde eine enorme Offenheit und Unterstützung entgegengebracht für alles was wir konzeptionell gebracht haben. Wir haben nie für irgendetwas ein Stopp-Zeichen bekommen.
Domenika: Sehr viel Unterstützung. Er hat uns wie … Kraft gegeben und uns Vertrauen gezeigt, das uns motiviert hat. Da steht jemand hinter uns, der für uns und unsere Entscheidungen einsteht. Das ist nicht selbstverständlich und das erfährt man nicht oft und das ist das Coole an dem Projekt.
Herzlichen Dank an Anna, Domenika und Hanna für die spannenden Einblicke in Eure Arbeit! Wir hoffen sehr, dass das nicht Euer letztes gemeinsames Projekt war.
Mehr über das aktuelle Ausstellungsprojekt von Kollektiv Kollektiv erfahrt ihr im Blogbeitrag „Was bedeutet uns Gemeinschaft heute?“.