GEDOK Reutlingen – Herstory. Wie wir wurden, was wir sind. Volume I

Der erste Teil einer Reihe zur Ausstellung “GEDOK Reutlingen - Herstory. Wie wir wurden, was wir sind.” taucht ein in den Blick der Frau auf Kunst, Künstlerinnendasein und künstlerisches Arbeiten. Die Sammlung von Beschreibungen und Eindrücken ermöglicht einen Einblick in die Ausstellung und eröffnet eine neue Perspektive. Aus männlicher, als auch aus weiblicher Perspektive.

Die Ausstellung beleuchtet nicht nur die Künstlerinnen der GEDOK Reutlingen, sondern zeigt auf, wie vielfältig Kunst von Frauen sein kann. Dabei wird der Aspekt des Weiblichen nicht offensichtlich in das Blickfeld der Betrachtenden gerückt. Vielmehr tritt das Frausein zugunsten der Kunst in den Hintergrund. 

Anhand mehrerer Artikel möchten wir nun einen Einblick in die Ausstellung der GEDOK Reutlingen im Kunstverein Reutlingen geben. Dabei liegt das Augenmerk auf der Kunst und deren vielseitigen Erscheinungsformen. Die Weiblichkeit ist dabei stets präsent, darf allerdings nicht als Ausgangspunkt der Betrachtung gesehen werden. 

Unterteilt in einzelne Rundgänge geben wir in den folgenden kurzen Beschreibungen einen Einblick in die Arbeitsweisen der Künstlerinnen sowie das Erscheinungsbild der einzelnen Kunstwerke. So wird die vergangene Ausstellung dauerhaft verfügbar gemacht und der Blick auf Frauen in der Rolle der Künstlerin kann überdauern. 

Ulrike Holzapfel: Unvorhersehbar, 2009, Acryl auf Leinwand.

Ulrike Holzapfel – Unvorhersehbar, 2009, Acryl auf Leinwand

Die Farbe Rot korrespondiert mit schwarzen Formen. Als Basis des Gemäldes zieht sich ein schwarzer Balken am unteren Rand des Werks entlang. Obwohl sich keine gegenständlichen Strukturen erkennen lassen, spüren wir bei der Betrachtung ein natürliches Gleichgewicht, das die Komposition fast selbstverständlich wirken lässt. 

Ingrid Swoboda: Detail aus der Serie “Körperbilder”, 2000, Acryl auf Leinwand.

Ingrid Swoboda – Aus der Serie “Körperbilder”, 2000, Acryl auf Leinwand

Die Grenzen der Wahrnehmung verschwimmen. Wir reiben uns die Augen, aber der Schleier in unserem Sichtfeld bleibt. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich feine Strukturen, die in Summe ein diffuses Bild ergeben. Wir lassen uns auf das Gemälde ein und versinken  in rotem Nebel, der uns aus dem Werk heraus zu umgeben scheint. 

Petra Blum-Jelinek: Detail aus ROT 3020, 2021, Mischtechnik, Collage, zweiteilig.

Petra Blum-Jelinek, ROT 3020, 2021, Mischtechnik, Collage, zweiteilig

Handelt es sich um ein Gemälde? Um eine Skulptur? Um eine Mischform? Die beiden Collagen bewegen sich in einem Raum zwischen Malerei, Bildhauerei und Gegenstand. Die Oberflächen einiger Materialien werden sichtbar gemacht und kreieren eine Vorstellung des Herstellungsprozesses. Die rote Farbe, die das Werk und den Titel dominiert, verunklärt  konkrete Assoziationen allerdings und hebt den Gegenstand auf die Ebene der Kunst. 

Ingrid Swoboda: Exil, 2020, Acryl auf Leinwand.

Ingrid Swoboda, Exil, 2020, Acryl auf Leinwand

Der Titel impliziert Flucht, Abschluss, Ausgang und Ende einer Situation. Ein unangenehmes Gefühl beschleicht uns bei der Betrachtung des Werks, denn die Assoziationen mit dem Exil schwingt permanent mit. Können wir eine Figur erkennen? Wollen wir etwas auf das Werk projizieren? Oder flüchten wir uns in diese Vorstellung, um nicht mit dem eigenen Ende, der eigenen Flucht konfrontiert zu sein?

Marie Brunner-Heber: Rosetta I, 2017, Keramik.

Marie Brunner-Heber, Rosetta I, 2017, Keramik

Von oben herab blicken wir auf eine große Keramik, die vielleicht die Form einer Schale hat. Aufgrund der dominanten Oberflächenstrukturen erscheint eine Nutzung als Gegenstand zur Aufbewahrung allerdings sinnfrei. Es wird deutlich, dass die Form ein irritierendes Moment auslöst, das uns mit der irreführenden Auswirkung von Oberfläche, Struktur und Formgebung in unserer Wahrnehmung konfrontiert.

Kathrin Fastnacht: Gestirn gelb, 2008, Radierung.

Kathrin Fastnacht, Gestirn gelb, 2008, Radierung

Die Farben Grau und Schwarz dominieren die kleinformatige Radierung. Sofort fällt also die runde gelbe Form im linken oberen Eck ins Auge. Das Werk ist farblich in drei Bereiche unterteilt. Während die beiden Flächen in der rechten Bildhälfte lediglich von den Farben Grau und Schwarz erfüllt sind, befinden sich auf der linken Seite der Radierung diese sonnenähnliche gelbe und eine ovale schwarz-weiße Form. Beide erinnern an Himmelskörper. Ein Gedanke, der vom Titel unterstützt wird. Blicken wir also durch eine Art Fenster in einen surrealen Himmel? Gedanken an die Endlichkeit des Selbst und die Unendlichkeit des Universums entstehen. 

Eva Funk-Schwarzenauer: White Out, 1989, Doppelwandgefäß (Raku).

Eva Funk-Schwarzenauer, White Out, 1989, Doppelwandgefäß (Raku)

Die Unversehrtheit einer Keramik oder eines Porzellangefäßes ist stets anzustreben und ein kleiner Riss der Oberfläche kommt einer kompletten Zerstörung gleich. Der seltsam anmutende Gegenstand scheint allerdings nur aus Rissen und Sprüngen zu bestehen und diese in seine Gestalt aufgenommen zu haben. Entgegen der gleichmäßigen und ununterbrochenen Struktur auf der oberen Fläche, scheint rund um den Kern des Doppelwandgefäßes das Chaos zu herrschen. Es gibt keinen Anfang, kein Ende und keine klare Linie. Und trotzdem strahlt der Gegenstand Stabilität und eine gewisse Gesamtheit aus.

Ulla Frenger: Morgenlicht, 2010, Ton (Rauchbrand).

Ulla Frenger, Morgenlicht, 2010, Ton (Rauchbrand)

Fast animalisch windet sich das Objekt auf dem Podest. Die Farben reichen von Weiß über einen bräunlichen Ton, bis hin zu einem fast bedrohlich wirkenden Schwarz. Wie ein archäologisches Fundstück wird es zur Schau gestellt. Allerdings scheint es dafür zu groß zu sein und weckt eher Assoziationen mit einem außerirdischen Objekt. Nicht einzuordnen und in seiner Form abstrakt, lässt uns das Werk im Dunkeln, das womöglich durch unsere Fantasie erhellt werden kann. 

Gisella Codara: Stillleben, 2015, Strukturiertes Papierporzellan.

Gisella Codara, Stillleben, 2015, Strukturiertes Papierporzellan

Wie ein Haufen von Kegeln stehen  die unterschiedlich eingefärbten Kunstwerke auf dem Boden. Man glaubt Flaschen und Dosen zu erkennen. Etwas, das uns sehr bekannt erscheint. Doch etwas wirkt nicht in dieser Interpretation irritierend. Die rillenförmige Struktur, die sich über die gesamten Oberflächen zieht, durchbrechen den Blick. Es wird klar, dass es sich um Abbildungen von Flaschen und Dosen handelt und nicht um die Objekte selbst. 

Roswitha Zeeb: Makro M3, 2008, Acryl auf Leinwand.

Roswitha Zeeb, Makro M3, 2008, Acryl auf Leinwand

Formen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben mögen, fügen sich bei längerer Betrachtung zu einem abstrakten Gemälde zusammen. Dabei keimt die Vermutung auf, dass es sich um einen Ausschnitt eines größeren Ganzen handelt. Eine Blüte? Ein Körperteil? Eine menschliche Aura? Das Feld der möglichen Interpretationen scheint fast unendlich. Doch wir können, wie der Titel verdeutlicht, sicher sein, dass es sich um den Blick auf das große Ganze handelt. 

Jolanta Switajski: Bewegung, 2015, Holz, geschliffen.

Jolanta Switajski, Bewegung, 2015, Holz, geschliffen

Die Skulptur hat keinen Anfang und kein Ende. Unendlich verschlingt sie sich in sich selbst und scheint sich beinahe auf dem Boden fortzubewegen. Holz, das sich in einer sehr langsamen Geschwindigkeit fortbewegt, die vom menschlichen Auge nicht wahrgenommen werden kann, wird hier mit genau dieser Tätigkeit in Verbindung gebracht. Genau genommen ist das Holz gar nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, sobald es zu Kunst verarbeitet wird. Ein Paradox, das uns vor die Frage der tatsächlichen Bedeutung von Kunst, Werk und Betrachtendem stellt. 

Gerburg M. Stein: Alptraum, 2004, Acryl auf Leinwand.

Gerburg M. Stein, Alptraum, 2004, Acryl auf Leinwand

Alpträume können subjektiv betrachtet sehr konkret sein. Was sie jedoch alle gemeinsam haben, ist das Bedrohliche. Abstrakt als dunkle Fläche dargestellt, sieht jeder seine persönlichen Ängste in dem Gemälde. Dämonen, finstere Gestalten oder eine unangenehme Situation. Was das Dunkel konkret darstellt, verändert sich je nach betrachtender Person stark. Welche Gefühlswelt ausgedrückt wird, ist allerdings universell verständlich. 

Elke Mauz: Baumfrau, 1996, Keramik.

Elke Mauz, Baumfrau, 1996, Keramik

Der Titel spiegelt das Sichtbare wider. Ein Frauenkörper schält sich aus einem verrotteten Stück Holz. Doch das Material, aus dem das Objekt besteht, verhält sich gegensätzlich dazu. Keramik – Ein Material, das oftmals mit Geschirr oder anderen Gebrauchsgegenständen in Verbindung gebracht wird, verliert seine vertraute Optik und wird zu einem übersetzenden Element. Keramik wird zu Holz und dieses wird zu einem Frauenkörper. Der Prozess, dem die Materialien im Blick der Betrachtenden unterliegen, macht die künstlerische Arbeit sichtbar. 

Maria Brunner-Heber: Aufbruch, 1996, Keramik (Raku).

Maria Brunner-Heber, Aufbruch, 1996, Keramik (Raku)

Die Venus, die sich in dem Werk abbildet, kann als Symbol für die Historie der Region angesehen werden. Auf der Schwäbischen Alb entdeckt, zählt sie zu den frühesten archäologischen Funden. Vielfach interpretiert und mythisch aufgeladen, hat sie weltweite Aufmerksamkeit generiert. Durch die Sichtbarmachung des Reproduktionsprozesses wird ihr hier allerdings das Alleinstellungsmerkmal und die herausragende Stellung in der Forschung genommen. Sie wird somit von ihren Forschungszusammenhängen gelöst und als Kunstwerk herausgestellt. 

Barbara Kollross, Totem und Paar, 2004, Montage aus Gold, Silber, Turmaline und Kupfer

Präsentiert wie in einem Geschäft für Schmuckgegenstände, wird doch schnell klar, dass die Werke eine weitere Komponente beinhalten. Der Titel lässt darauf schließen, dass es sich um eine Mischung aus traditionellen Formen und innovativem Design handelt. Schmuck, der also nicht alleine Schmuck ist, sondern aufgrund der Komponente des künstlerischen Unterbaus, zum Kunstwerk wird. 

Barbara Kollross: Totem und Paar, 2004, Montage aus Gold, Silber, Turmaline und Kupfer.

Barbara Kollross, Weiße Welle, 2018, Gold, Silber, Elfenbein

Elfenbein zählt zu den nur selten verarbeiteten Materialien in der Kunst und bringt eine tiefgreifende Geschichte mit sich. Das tierische Produkt wird geformt und erlangt damit ein neues Dasein. Ob sich der Titel  auf diese Entwicklung vom lebendigen Material hin zum Bestandteil eines Kunstwerks bezieht, bleibt in der Interpretation verborgen. Im Vergleich zu Gold und Silber findet beim Elfenbein allerdings eine subjektiv und historisch geprägte Auseinandersetzung mit dem Material und damit auch dem Werk selbst statt. 

Inge Rau: Leipzig XOX, Graffiti I + II, 2006, Digitaldruck auf Acrylglas, Beton.

Inge Rau, Leipzig XOX, Graffiti I + II, 2006, Digitaldruck auf Acrylglas, Beton

Fast wie ein Mahnmal erscheinen die beiden Objekte im Ausstellungsraum. Erinnern beinahe an die Reste der Mauer an der deutsch-deutschen Grenze. Allerdings wird schnell deutlich, dass es sich bei dem Material, auf dem sich die Graffitis befinden, um Glas handelt. Durchsichtig und in einer Interaktion mit dem umgebenden Raum stellen die Werke keinerlei Begrenzung dar. Vielmehr scheinen sie die Betrachtenden dazu einzuladen hinter die Oberfläche zu blicken und das Werk aus unterschiedlichen Positionen in den Blick zu nehmen. 

GEDOK

Die Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen, wie GEDOK ausgeschrieben zu lesen ist, hat sich die Förderung ihrer Lebens- und Arbeitssituation zum Ziel gemacht. Es handelt sich also von Grund auf um eine herausragende Position, die von Frauen in Kunst, Musik und Literatur eingenommen werden. Eine Situation, die bei der Betrachtung der Ausstellung stets mitschwingt.