Eine Wallfahrtskirche ist jedoch für das evangelische Württemberg zunächst einmal überraschend – zumal aus Sicht eines Tübingers, der hier in einem Zentrum des Protestantismus lebt. Doch die Außengrenze des protestantischen Herzogtums Württemberg lag bis 1805 direkt hinter Tübingen – schon der heutige Ortsteil Hirschau war Teil des katholischen Herrschaftsgebiets der Habsburger.
Wallfahrer im Weggental
Die Wallfahrt ins Weggental nahm ihren Anfang im 16. Jahrhundert und alles begann, wie an jeder Wallfahrtsstätte, mit einem (sehr) kleinen Wunder: Das im Mittelalter aufgestellte Andachtsbild der Muttergottes verschwand ab 1517 mehrmals auf unerklärliche Weise – kehrte aber immer wieder wie durch ein Wunder zurück. Daher wurde rund um das Andachtsbild zunächst eine kleine Kapelle gebaut. Erst als der Jesuitenorden die Betreuung der Wallfahrtsstätte übernahm, wurden Pläne für einen größeren Neubau entworfen.
Baubeschreibung
Doch zunächst zu den Basics: Was gibt es denn vor Ort konkret zu sehen? Die Wallfahrtskirche zur schmerzhaften Muttergottes erhebt sich über einem rechteckigen Grundriss. Nach dem Eintreten steht man in einem großen Raum: Das Langhaus ist auf ein vierjochiges Schiff reduziert und geht direkt in den Chor mit gerundeter Apsis über, das Querhaus entfällt. Strukturiert wird der Innenraum durch Pfeilerreihen an der Außenmauer, wodurch kleine Kapellennischen mit großen Rundbogenfenster entstehen. Ein fortlaufendes, nur von Gurtbögen rhythmisiertes Tonnengewölbe deckt das Langhaus. Der ursprünglich vorhandene Glockenturm wurde im 18. Jahrhundert durch einen Dachreiter ersetzt.
Das Vorarlberger Münsterschema
Mit diesen Merkmalen folgt die barocke Kirche dem Vorarlberger Münsterschema. Geprägt wurde es von der Auer Zunft aus Vorarlberg. Vor allem in Süddeutschland, Österreich und in der Schweiz ist dieser Bautyp verbreitet und prägt dort die Ausformung barocken Kirchenbaus. Der Baumeister der Weggentalkirche, Michael Thumb, stammte aus einer Architektenfamilie und lernte sein Handwerk bei der Auer Zunft. 1682 begann er mit dem Bau der Wallfahrtskirche zur schmerzhaften Mutter Gottes im Weggental. 13 Jahre später wurde sie fertiggestellt und präsentiert sich bis heute wie aus einem Guss.
Royale Ausstattung
Die Innenausstattung der Kirche aus den Jahren 1700-1730 ist komplett erhalten und widmet sich dem Leben Marias. Das Ensemble aus Skulpturen, Andachtsbildern und Seitenaltären ist typisch für Kirchen des Barock. Das Besondere im Weggental ist aber, dass auch hier kaum Änderungen vorgenommen wurden. Damit präsentiert sich die ganze Kirche heute in ungewohnter Einheitlichkeit. Durch das große Langhaus und dem Verzicht auf das Querhaus wird der Blick auf den Hochaltar gelenkt, der 1730 vom Habsburger Kaiser gestiftet wurde. Das Altarbild zeigt die Kreuzabnahme, daneben weitere Darstellungen aus dem Leben Marias. Im Mittelpunkt steht aber ein kleines Andachtsbild aus dem späten Mittelalter – eben jenes, dessen wundersame Tätigkeit die Wallfahrt ins Weggental auslöste.
Figur der schmerzhaften Muttergottes
Einige Spuren der Renaissance sind im barocken Bau der Weggentalkirche dann doch zu finden. Vor allem die Marienskulptur direkt am Eingang gehört dazu. Sieben Schwerter stecken in Marias Brust und erinnern an die sieben Schmerzen Marias, die der Kirche ihren Namen gaben. Sie bestehen zum einen aus dem Mitleiden mit der Passion Christi und umfassen die Momente, in denen sich Maria und Christus auf dessen Weg ans Kreuz begegneten: Die Pietà, Kreuzabnahme und Beweinung, ist der sechste Schmerz Marias und wurde zu einem populären Motiv der Kunstgeschichte. Die Schmerzen Marias stehen aber auch für die Entfremdung von der Mutter und ihrem Sohn, beispielsweise wenn der 12-jährige Christus sich von der Familie abwendet, um im Tempel zu bleiben.
Idyllische Lage im Weggental
Die Kirche und das Weggental sind untrennbar miteinander verbunden. Nicht nur durch das barocke Mesnerhaus und die Konventsgebäude, auch durch den Stationengang (ähnlich einem Kreuzweg) verschmelzen Kirche und Umgebung. Die Weinberge rund um die Wallfahrtskirche werden von der Urbansbruderschaft, der ältesten Winzerzunft Rottenburgs, gepflegt – Figuren des Schutzheiligen der Weinberge sind immer wieder am Wegesrand zu entdecken.