2019 beendete Antonio Robinia sein Meisterschüler-Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Seit etwa einem Jahr wohnt der 1989 im badischen Mosbach geborene Künstler nun auf der Schwäbischen Alb. Dort durften wir ihn bereits letzten Herbst in seinem Atelier in Undingen besuchen und sogar beim Malen zuschauen: zarte Farbschichten aus Acryl oder Pigment überlagern die meist bis zu zwei Meter großen Leinwände, auf denen sich lockere Pinselstriche zu rätselhaften Figuren fügen. Wie er zur Malerei kam und woher er seine Bildideen bezieht, konnten wir in einem Gespräch nun etwas genauer erfahren.
Julia: Vor deinem Kunststudium an der Akademie in Karlsruhe hast du eine Ausbildung zum Maler und Lackierer abgeschlossen. Wusstest du damals schon, dass du Künstler werden möchtest?
Antonio: Jap. Ich habʼ das meinem Chef direkt beim Bewerbungsgespräch gesagt, kein Witz.
Julia: Guter Einstieg. (lacht) Wie fand er das?
Antonio: Er hat gedacht, ich spinne. Nach zwei Monaten hat er dann gemerkt, verdammt, der meint das ernst. Meine Aussage war: Ich will eigentlich gar nicht Maler werden, ich will Künstler sein. Und darauf hat er sehr verwirrt reagiert.
Julia: Warum Maler und Lackierer, wenn du zuvor schon wusstest, dass du Künstler werden möchtest? Wie kam das zustande?
Antonio: Das kam so zustande, dass ich nach dem Zivildienst erst mal gar nichts gefunden habe und dachte, wenn ich was mache, dann etwas, das im Entferntesten mit Malerei zu tun hat – sodass ich wenigstens etwas über Farben und die Handhabung lernen kann. Das war also relativ spontan, ich habe Kohle gebraucht und musste arbeiten. Und die Kunstakademie Karlsruhe hatte mich zu dem Zeitpunkt abgelehnt. Was ich anhand der Bilder heute nur allzu gut nachvollziehen kann.
Julia: 2013 hast du dann angefangen, dort zu studieren. Was hat dich eigentlich zur Malerei gebracht?
Antonio: Volker, mein Stiefvater. Er hat mir irgendwann mit 13 oder 14 einfach eine Staffelei, eine Leinwand und Ölfarben geschenkt, und noch ein Buch dazu. Gezeichnet hatte ich ja vorher schon. Ich war begeistert und hab‘ es nie wieder aufgehört.
Julia: Du hast ja in Karlsruhe studiert. War das dein Wunsch oder hat sich das per Zufall ergeben?
Antonio: Wunsch. Definitiv. Das erste Mal war ich dort beim Tag der offenen Tür – damals vom Gymnasium aus – und ich war sofort begeistert. Ich kam rein ins Hauptgebäude und auf jeder Fensterbank standen nur leere Bierflaschen und lagen Zigarettenkippen. Da habe ich dann gedacht, das ist meins, das ist meine Umgebung. (lacht) Stuttgart war mir zu „clean“, da hab‘ ich dann ja auch meine Mappe gepackt und bin raus. Also beim Vorstellungsgespräch. Die hatten mir noch nicht mal abgesagt. Das war aber einfach nicht mein Metier. Und dann hat Karlsruhe zugesagt.
Julia: Das war wohl Schicksal. Gab es für dich besondere Highlights während des Studiums?
Antonio: „Häng den Scheiß von der Wand“. (lacht) Das war eines der großen Highlights, als mein Prof. Erwin Gross mit dem Kommentar zu mir reinkam. In dem Moment war es natürlich total deprimierend. Das Highlight, das daraus geboren wurde, war aber, dass sich die Malerei für mich verändert hat. Tatsächlich kann ich eigentlich jeden Tag als Highlight bezeichnen, weil es immer Spaß gemacht hat, im Atelier zu sein. Sobald ich dort hin konnte, war ich glücklich.
Julia: Dann hast du das richtige Studium gewählt! Nun zu deinen Bildern: sie sind meist mit Figuren bestückt. Spielt Narration hier eine Rolle?
Antonio: Nein überhaupt nicht. Früher hat es eine große Rolle gespielt, klar. Da habe ich auch irgendwie versucht, einen Sinn in die Bilder zu legen. Man liest z. B. was in der Zeitung und benutzt das für ein Bild, in der Hoffnung, man gibt einen Gedankenanstoß. Ich hab‘ damals irgendwelche Bilder gemalt über Freiheitskämpfer in Russland oder so und versucht, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was in der Welt geschieht.
Julia: Also ging es da auch um Gerechtigkeit?
Antonio: Ja, immer – bis mir bewusst wurde, dass das total langweilig, und die Erzählung gar nicht das Wichtigste ist. Man kann ja auch durch viel einfachere, reduziertere Sachen einen ähnlichen Effekt hinbekommen und die Leute zum Denken animieren. Das muss gar nicht mit einer politischen Sache zu tun haben. Ab und zu kommt das heute noch vor, aber selten. Mittlerweile geht es eher darum, die Sache irgendwie zu abstrahieren, zu reduzieren. Wegzukommen von dem ganzen Zeug, was ich bisher gemacht habe.
Julia: Möchtest du eigentlich abstrakt werden?
Antonio: Ne, gar nicht so richtig, aber ich will die Figuren abstrahieren. Und das aber auf meine Art und Weise. Dass die Figuren nicht mehr so klar und realistisch sein müssen, um etwas darzustellen. Dass man eher eine Ahnung hat, anstatt eine Figur. Als könnte es auch eine abstrakte Fläche sein, das ist das Ziel.
Julia: Woher beziehst du deine Bildideen? Was interessiert dich am meisten bei der Wahl des Motivs?
Antonio: Die Komposition der fotografischen Vorlagen interessiert mich eigentlich am meisten. Die Form, die Hell-Dunkel-Kontraste, wie die Figuren zusammengefügt sind und wie man das auf eine abstrakte Weise übertragen und verändern kann. Das interessiert mich, weil der Mensch in meinen Augen doch irgendwie ein abstraktes Wesen ist – den kapiert doch niemand. (lacht)
Julia: Das passt sehr gut zum nächsten Thema: Welche Fragen stellst du denn selbst an deine Bilder?
Antonio: Welchen Sinn sie ergeben und was sie von mir wollen. Fast in jedem Bild kommen diese Zweifel, wo man sich die Frage stellt, was will das Ding eigentlich von mir. Das heißt, es kommt die Frage auf, was will ich von dem, was ich da tue. Welchen Sinn gibt es mir, das Bild jetzt zu malen. Und dann changiert das zu dieser Frage, was will das Bild von mir. So nach dem Motto, jetzt sag mir mal, wie ich dich vollende, dass du existent bleiben darfst. Eine Botschaft zu senden, ist da gar nicht mehr drin. Jede*r soll seine*ihre eigene Interpretation machen. Das ist ja Sinn und Zweck eines Bildes – so frei wie möglich interpretierbar zu sein, aber trotzdem Anhaltspunkte zu bieten, um nicht ganz ins Wasser zu fallen. Deswegen bin ich ja auch kein abstrakter Maler.
Julia: An dieser Stelle eine Frage zur Verbindung mit deiner Schriftstellerei. Du meintest mal, dass umso mehr du geschrieben hast, auch deine Bilder freier wurden. Woran glaubst du lag das? Wo ist der Unterschied für dich in Text und Bild?
Antonio: Es war ja so, dass meine Bilder nicht interpretierbar waren, sondern schon eine Geschichte erzählt haben. Sie haben einen „Punkt“ gesetzt und davon wollte ich weg. Da ich ja vorher schon geschrieben hatte, bin ich immer mehr dazu übergegangen, den Punkt beim Schreiben zu setzen, in einer Geschichte, statt in einem Bild. Dadurch wurde die Kunst frei. Ich brauche offenbar beides, dass es für mich funktioniert. Zumindest brauchte ich das zu dem Zeitpunkt. Ein Bild ist für mich eher wie ein abstraktes Gedicht, mit einem offenen Ende.
Julia: Ein schöner Vergleich, wie beginnst du dann ein neues Werk?
Antonio: Leinwand aufspannen, nicht grundieren, auf den Boden klatschen und Farbe drauf. (lacht) Wasser, meistens tatsächlich, also nur Wasser, altes Wasser.
Julia: Das durften wir in deinem Atelier ja schon mit eigenen Augen sehen. Welche malerischen Entscheidungen sind für dich die schwersten?
Antonio: Die letzten 5%, also die ersten 5% und die letzten 5% – mit was fängst du an, nimmst du eine Vorlage, malst du frei raus, wo setzt du den ersten Strich. Die ersten paar Striche sind dann ausschlaggebend, ob die Komposition passt, weil ich bei meiner Maltechnik nichts retuschieren kann. Und die letzten 5% sind die, wo du den Schlussstrich setzt und sagst, jetzt ist es schlüssig und hat eine Strahlkraft. Das ist für mich immer das Wichtigste, dass das Bild eine Ausstrahlung hat. Das sind die letzten 5%. Die hinzubekommen ist das Schwierigste.
Julia: Und das dauert auch entsprechend lange?
Antonio: Der Mittelteil dauert tatsächlich relativ kurz. Die letzten 5% dauern dann meist mindestens genauso lange, wie der Rest vom Bild gedauert hat – mindestens. Manchmal fehlen sie einfach dauerhaft und dann bleibt das Bild halt auch in der Versenkung.
Julia: Die letzten 5% müssen also sein. Fallen deshalb auch so viele Bilder weg?
Antonio: 70%, für gewöhnlich. (lacht)
Julia: Frustrierend…
Antonio: Nein gar nicht. Du lernst ja dazu.
Julia: Bei dir gibt’s kaum ein Format unter zwei Metern. Was bedeutet die große Fläche für den Arbeitsprozess?
Antonio: Viel. Das hat einfach mit der Pinselschrift zu tun. Weil ich sehr wässrig arbeite, ist es sehr schwierig kleine Flächen mit dünnen Wasserstreifen zu bemalen. Einerseits ist also die Technik ausschlaggebend – dadurch gehe ich auch nicht so sehr ins Detail, denn die machen die Offenheit oftmals kaputt. Und zweitens: wenn die Menschen fast Lebensgröße haben, dann wirken sie natürlich umso dramatischer.
Julia: Geht es darum, dramatische Bilder zu malen?
Antonio: Es geht nicht um Tragödien, aber es soll nachdenklich machen. Jedes Bild sollte ein Stück weit kühl sein, sonst wäre es in meinen Augen Deko. Du gibst dem Bild schon ein bisschen Wärme, aber dann kommt das Messer. Die Unbequemlichkeit darf nicht weichen. Jonas Burgert sagte mal dazu „schöner Dreck“ – das was bleibt, wenn man alles andere wegnimmt. Dass alles, was existiert eigentlich eine Maske ist und drunter nicht mehr viel Ansehnliches bleibt, aber das Essenzielle. Dass man als Betrachter*in in sich hinabtaucht. Das ist eigentlich das höchste Ziel.
Julia: Und das ist dann wieder schön?
Antonio: Ja. Wenn man das erreicht, dann spürt man das auch selber. Dann ist es perfekt.
Julia: Du hast mir mal gesagt, dass das fertige Bild für dich nicht mehr so relevant ist. Was bedeutet dann der Malprozess für dich?
Antonio Robinia. Absolut-ist-Muss (Detail), Acryl und Pigment auf Leinwand, 150 x 180 cm, 2020. Antonio Robinia. Now (Detail), Acryl und Pigment auf Leinwand, 145 x 175 cm, 2020.
Antonio: Zweierlei – also der Malprozess gib mir zweierlei. Der eine, betrachtende, der stille Teil. Und der malende Teil. Der malende Prozess ist der, der Spaß macht und der betrachtende ist oft Terror. Wenn man nicht weiß, wie man weiter vorgeht und sich auch nicht auf etwas einlassen kann. Wenn man die Befürchtung hat, der nächste Pinselstrich könnte schon alles kaputt machen. So ist der Malprozess unterteilbar. Du hast einen Moment, in dem dich das Bild quält, und einen Moment in dem es dich extrem euphorisiert.
Julia: Und wenn es fertig ist?
Antonio: Da freust du dich kurz, dass es fertig ist, aber nach kurzer Zeit ist diese Euphorie dann auch weg und man widmet sich dem nächsten Objekt. Das ist beim Schreiben genau das gleiche. Buch fertig, Buch kommt raus, Buch vergessen. (lacht) Natürlich nicht vergessen, aber man ist halt schon wieder am nächsten Projekt.
Julia: Es fällt dir dann auch nicht schwer, dich von Bildern zu trennen?
Antonio: Nein, gar nicht, null die Bohne. Das ist eigentlich das, was mir am meisten Spaß macht, wenn jemand sagt, hey, mir gefällt das Bild und ich möchte es gerne haben. Auch ganz unabhängig vom Finanziellen. Ich weiß einfach, das hängt irgendwo an der Wand und jemand erfreut sich daran, oder rätselt vielleicht – er*sie interessiert sich dafür. Und man muss sich ja schon stark für ein Bild interessieren, dass man es sich an die Wand hängt. (lacht)
Julia: Jetzt mal eine ganz einfache Frage: Arbeitest du an mehreren Bildern gleichzeitig?
Antonio: Ja.
Julia: Warum? (beide lachen)
Antonio: Das ergibt der Prozess. Die Bilder trocknen unwahrscheinlich lange, weil ich ja mit viel Wasser male. Und dann wäre es langweilig, immer zu warten. Außerdem ist es gut, wenn man versucht mal eine Serie zu machen – was mir eher nicht gelingt (lacht) – die gleichen Farben zu verwenden und den Blick gleichzeitig auf eine Sache zu haben.
Julia: Bei aller Leichtigkeit der sich überlagernden Farbschichten begleitet deine Bilder doch häufig ein Gefühl latenter Bedrohung. Was interessiert dich an dem Eindruck unbekannter Gefahr?
Antonio: Davor hat der Mensch am meisten Angst – vor unbekannten Dingen. Ich glaube, du musst nicht mit der Pistole auf jemanden zielen, um ihm*ihr zu versichern, dass es böse Dinge auf der Welt gibt. Das leicht unbehagliche Gefühl, das doch so nah bei einem ist, dass man es für sich gewinnt, das ist das Ziel. Das ist auch ganz unabhängig von den Farbtönen, übrigens. Die Bilder müssen letztlich funktionieren und nicht gefallen. Und wenn sie funktionieren, gefällt es mir.
Julia: Hast du dann auch ein Lieblingswerk von dir selbst?
Antonio: Es gibt so zwei, drei Stück, die mir persönlich am nächsten kommen. Bei denen ich am meisten während der Betrachtung empfinde. „Der letzte Halt vor dem Unbekannten“ das auch in der Städtischen Galerie in Karlsruhe hing und das Diptychon, meine Maskenleute in „Selektion I & II“. Die zwei kommen mir sehr nah. Das sind Themen mit denen ich mich schon ewig beschäftige.
Julia: Würden dich andere künstlerische Medien auch reizen? Wenn ja, welche?
Antonio: Alles. (lacht) Momentan vor allem Bildhauerei, da habe ich tatsächlich sogar mal ohne Ende Skizzen gemacht. Das sind ganz grobe Sachen, so ein bisschen wie bei Edward Kienholz. Das Bild von den Arbeiten habe ich meistens schon im Kopf. Gleichzeitig ist es derzeit nicht realisierbar wegen den Umständen. Ich würde zum Beispiel viel mit Beton arbeiten und da habe ich nicht die räumliche Möglichkeit. Das gleiche gilt für Installationen, aber davor wäre wahrscheinlich noch Video, also in Richtung Performance, das interessiert mich.
Julia: Wow, du hast viel vor! Gibt es Künstler*innen, die dich besonders inspirieren?
Antonio: Definitiv. Ich hab mehrere Lieblingskünstler. Caravaggio ist ganz vorne mit dabei, dann Edouard Vuillard, aber auch die Farbigkeit von Beuys finde ich super. Und Daniel Richter ist klasse.
Julia: Abschließend noch ein paar Fragen zur Region: Wie würdest du das Kunstnetzwerk in Reutlingen und Tübingen bewerten?
Antonio: Zehn von zehn, tatsächlich. Ich finde es Wahnsinn, wie viel hier abgeht. Es sind zwar verhältnismäßig wenige Leute, aber sehr stark interessierte Menschen und die vernetzen sich grundlegend immer. Im Odenwald, wo ich herkomme, da sieht man sowas gar nicht. Zumindest war das damals so, vor meiner Studienzeit.
Julia: Hast du wünsche für die Kunstszene Tübingen, Reutlingen?
Antonio: Ich finde das Land und die Gemeinden könnten noch mehr für die Künstler und Künstlerinnen machen, die noch weniger bekannt sind. Dass sie eine Möglichkeit bieten, sich zu zeigen. Deshalb finde ich KUNE ja auch so klasse. (beide lachen) Ich fand euren ersten Atelierbesuch schon super, wie sich die Leute unterhalten haben, man merkt einfach, dass jeder und jede ein extremes Interesse daran hat. Ich kenne das von woanders her kaum, auch nicht von Karlsruhe.
Julia: Und eine letzte Frage für die besonders Neugierigen: Ist schon eine Ausstellung geplant?
Antonio: Im April, Mai gibt es eventuell eine Ausstellung in der Reutlinger Erlöserkirche, das ist wegen Corona aber immer noch eine unsichere Sache. Und im Moment läuft noch eine große Gruppenausstellung in Rom, bei der ich 30 kleinformatige Arbeiten zeige. Ansonsten ist noch nichts geplant. Aber wenn sich die Möglichkeit dann wieder ergibt, nach Corona: Sachen packen, Raum mieten und sofort loslegen!
Es bleibt also spannend! Lieber Toni, wir bedanken uns nochmal sehr für den herzlichen Empfang in deinem Atelier vergangenen Herbst und nun für dieses schöne anschließende Interview! Wir freuen uns schon auf die kommenden Ausstellungen – und auf unseren nächsten Besuch bei dir im Atelier!