In der Schweiz bleiben keine Wünsche offen – egal ob Landschaft, Kunst oder Schokolade. Gerade mit dieser Kombination kommt man in Bern, Luzern, Zürich und Winterthur gänzlich auf seine Kosten.
Schon aus der Ferne fällt eine lange und dürre Figur im unteren Geschoss des Berner Kunstmuseums ins Auge. Grob bearbeitet und doch grazil steht sie da, den Blick zu den hereintretenden Besucher*innen gerichtet. Alberto Giacomettis unverkennbare Formensprache wird von weiteren Größen des 19. und 20. Jahrhunderts begleitet: ob Paul Klee, Auguste Rodin, Gustave Courbet oder auch Mark Rothko.
Die zwei schwebenden Farbfelder auf dunkelbraunem Grund der Arbeit „Nr. 7“ bilden das Zentrum eines beeindruckenden „Dreiklangs“ im angrenzenden Raum. Umrahmt von einem frühen „Dripping“ Jackson Pollocks und einer ungewöhnlichen Schnitttechnik Lucio Fontanas, dient Rothkos abstrakter Impressionismus hier als ausgleichender Ruhepol. Die abwechslungsreiche Kombination aus Skulptur und Malerei bietet eine spannende und internationale Bilderreise durch die letzten Jahrhunderte. Der gesamte Sammlungsbestand reicht dabei von der Gotik bis zur Gegenwart.
Wer sich zudem mit dezidiert deutscher Kunstgeschichte befassen will, darf den dort gezeigten Dokumentarfilm zum „Fall Gurlitt“ nicht verpassen. Denn das Kunstmuseum Bern erbte 2014 die Sammlung von Cornelius Gurlitt mit zahlreichen Werken expressionistischer Malerei und Grafik. Der spektakuläre Kunstfund in Gurlitts Münchner Wohnung im Jahr 2012 – bei dem knapp 1.300 Werke aufgrund des Verdachts von Raubkunst beschlagnahmt wurden – ging später monatelang durch die Presse.
Eine Sammlung und viele Welten
Etwas über eine Stunde von Bern entfernt, geht es weiter nach Luzern – und für nur einen Halt lohnt sich der Besuch hier schon. Ein großer Schriftzug schmückt das ehemalige Bankgebäude, in dem sich die Sammlung Rosengart befindet. Bereits mit dem ersten Hereintreten wird klar, dass sich die Kunst hier in einer perfekten Symbiose mit den eleganten und weitläufigen Räumen befindet. Wer sich für Picasso und Klee begeistert, ist hier goldrichtig. Beiden Künstlern wurde jeweils ein ganzes Stockwerk gewidmet. Das Erdgeschoss steht dabei ganz im Zeichen von Picassos Facettenreichtum – farblich als auch formal. Knallbunte Portraits, graue Frauenbilder und sogar Keramiken bilden einen anregenden Parcours durch Picassos vielseitige Formensprache. Wäre das nicht schon genug, eröffnet der Weg ins Untergeschoss noch ein weiteres, ganz eigenes Universum.
Der Fries an „Kleeblättern“ scheint kaum zu enden. Wand um Wand reihen sich die insgesamt 125 Aquarelle, Zeichnungen und Gemälde Paul Klees, unter denen jedes Werk eine neue Überraschung bereit zu halten scheint. Der Rundgang gleicht einem bewegten Panorama in Klees fantastische Bilderwelten, wobei lediglich ein Durchlauf nicht ansatzweise ausreicht.
Das Obergeschoss hält unterdessen weitere Entdeckungen des 19. und 20. Jahrhunderts bereit. Von Claude Monet über Paul Cézanne bis hin zu Édouard Vuillard werden die verschiedensten Ausdrucksweisen des Impressionismus bzw. Post-Impressionismus erfahrbar. Ein auffälliges Hochformat Vuillards zeigt dabei, wie einnehmend der zarte Grenzbereich von Räumlichkeit und Fläche, von Gegenstand und Abstraktion, doch sein kann.
Von Rodins Höllentor bis zu Hodlers Berglandschaften
In der Hauptstadt Zürich angekommen, bietet das dortige Kunsthaus eine Vielzahl visueller Verlockungen, die allein eine ganze Woche füllen könnten. Schon vor dem Eingang steht ein Monument der modernen Bildhauerei – Auguste Rodins Höllentor. Im Museum selbst geht es hochkarätig weiter, denn hier wird man in allen Epochen fündig. Von den Alten Meistern, über den nordischen Expressionismus, bis hin zu zeitgenössischer Videokunst. Ein Fokus auf Schweizer Künstler gibt Ferdinand Hodler wiederum gesonderte Präsenz. Seine linear angelegten, geradezu kantigen Berglandschaften stehen dabei den auffällig parallel komponierten Personenportraits gegenüber. Auch die großen Seerosenformate Claude Monets bekamen einen ganzen Raum im Museum. Das lebendige Farbenspiel der Leinwände wird hier mit Rodins dynamischer Formensprache auf besonders interessante Weise gekreuzt.
Nach dem kulturellen Programm lohnt es sich den kulinarischen Teil im angrenzenden Restaurant des Kunsthauses zu absolvieren. Auch einen Besuch im renommierten Züricher Schauspielhaus direkt gegenüber sollte man auf keinen Fall missen.
Bei einem Spaziergang durch die Altstadt gibt es weitere Kunstfunde. Das Fraumünster ist mit mehreren Glasfenstern Marc Chagalls ausgestattet, in denen sich abstrakte Farbfelder und mystische Tierwesen zu heilsgeschichtlichen Szenen verbinden. Verweilt man einen Moment, kommt man bei gutem Wetter in den besonderen Genuss, jedes der Fenster wahrhaftig strahlen zu sehen.
Ein anderer Ort, der neben Erholung auch beeindruckende Flugschauspiele vor dem Züricher Stadtpanorama liefern kann, ist der Lindenhof. Mit Blick aufs Großmünster zeigen ganze Taubengeschwader hier nur allzu gerne ihren bemerkenswerten Formationsflug.
Eine Symbiose aus Kunst und Architektur
Auf dem Weg zurück nach Deutschland liegt ein letzter Stopp in Winterthur. Idyllisch am Rande eines Waldes steht die Villa des ehemaligen Kunstsammlers Oskar Reinhart (1885–1965). Mehr als zweihundert Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen entführen den/ die Besucher*in in eine Reise durch die europäische Kunstgeschichte. Die edel gestalteten und historischen Räume stehen in perfekter Harmonie mit den gezeigten Werken von der Renaissance bis hin zum Expressionismus. Neben einem Portrait von Lucas Cranach d. Ä. trifft man bspw. auf Francisco de Goyas gleichermaßen sonderbares wie sensationelles „Stilleben mit drei Lachsscheiben“ von 1808. Es hat geradezu etwas Magisches, welch skurrile Schönheit des Alltäglichen der Künstler hier offenlegt.
Im Kontrast zu den kleineren, salonartigen Räumen steht nun der weitläufige Saal der angebauten Gemäldegalerie. Sofort stellt sich ein Gefühl der Ruhe ein. Der warm leuchtende und raffiniert gemusterte Holzboden verleiht dem Raum eine zeitlose Eleganz, die sich vor den Kunstwerken bewusst zurücknimmt. Werke von John Constable oder Claude Lorrain treffen hier auf französische Impressionisten wie Auguste Renoir und Claude Monet als auch ihre unmittelbaren Vorläufer – die gemeinsam den Schwerpunkt der Sammlung bilden.
In Paul Cézannes „Chatêau Noir“ von 1885 verbinden sich locker geschwungene Pinselzüge mit einer beinahe statisch-linearen Formensprache. Gerade diese Gegensätze verleihen der von Bäumen umgebenen Durchsicht auf das „Schwarze Schloss“ letztlich Spannung. Das Geflecht aus Blättern und Zweigen changiert permanent zwischen Gegenstand und Abstraktion, wodurch der Farbe wiederum besondere Aufmerksamkeit zukommt. Sie ist hier das eigentlich lebendige Bildmedium.
Direkt gegenüber und in völlig anderer Weise behandelt Picasso nun Farbe als Stimmungsträger. Die frühe Arbeit „Bildnis Mateu Fernández de Soto“ von 1901 ist vollflächig von einem zarten Blauschimmer überzogen. Die Haut des jungen Mannes erscheint sogar grünlich und doch wird schnell klar, dass dem Werk ein feines Gespür für Farbbeziehungen zugrunde liegt. So konzentriert Mateu sich seiner Arbeit im Bild widmet, so stellt sich nach kurzer Zeit auch beim Betrachten eine bemerkenswerte, ja erholsame Ruhe ein. Für den Rundgang durch die Sammlung Reinhart und die letzte Station auf der Kunst-Tour durch die Schweiz konnte es an diesem Tag kaum einen schöneren Abschluss geben.