Vor Kurzem durften wir dem Künstler Raphaël Verscheure einen Besuch in seinem Atelier abstatten. Der in Frankreich geborene und aufgewachsene Künstler lebt bereits seit etlichen Jahren in Deutschland, zunächst in Tübingen, dann in Freiburg und nun in Hirschau. Wir haben ihn mit Fragen gelöchert. Zu seiner Kunst, seiner Arbeitsweise und seinem aktuellen Ausstellungsprojekt im Restaurant Liquid Kelter in Tübingen. Freut euch auf die neueste Edition „im Gespräch mit“.
Raphaël, du hast uns schon verraten, dass es in deinen aktuellen Kunstwerken um Spuren, Fügungen und bestimmte Momente im Leben geht. Bist du durch solch einen Moment auch zur Kunst gekommen?
Ich habe als Kind gern gemalt. Meine Großmutter mütterlicherseits hat ganz viel gemacht: Wandteppiche, auch Keramik, Figurenkrippen aus Ton usw. Als ich zwölf Jahre alt war, haben meine Eltern sich getrennt und als ich mit meiner Mutter umgezogen bin, war direkt neben unserer Wohnung dienstags immer ein Kunstkurs. Da wollte meine Mutter hin und hat mich mitgenommen. Es gab einen Kursleiter und jeder durfte ausprobieren, was er wollte.
Das war also eine dieser ersten Begegnungen oder auch Fügungen, wenn man so will, die dich in diese Bahn gelenkt haben?
Ja. Mit zwölf Jahren fand auch der erste Austausch mit Deutschland statt. Damals ging es nach Krailing, einem Vorort von München. Wir sind immer mit der S-Bahn in die Stadt gefahren und das war sehr beeindruckend für mich. An den S-Bahnstationen die bunten Wände zu sehen, die bunten Graffitis und so. Und erst später, als ich dann angefangen habe zu studieren, hatte ich einen Kommilitonen aus Belgien, der gesprüht hat. Das hat mich fasziniert. Die Übertragung oder Umsetzung von einer kleinen Skizze auf eine riesige Wand. Die Möglichkeiten, die sich mit dem Medium der Sprühdose ergeben: Übermalungen, weiche Farbübergänge und -verläufe, Schattierungen… da war ich dann angefixt.
Wann wusstest du, dass du Künstler werden möchtest?
Ich hab immer durchgehend gemalt, aber der Gedanke, das zu studieren, war für mich immer ein bisschen abschreckend. Die Kunstwelt ist eine eigene Welt und ich dachte mir: Was mach ich, wenn es nicht klappt? Dann hab ich nichts anderes. Deshalb hab ich in Frankreich Geographie und Umweltschutz studiert und nach dem Bachelor bin ich für dreieinhalb Jahre nach Tübingen gegangen, um Deutsch zu lernen. Dort habe ich dann im Café Haag gearbeitet und gemeinsam mit Felix Schwarz (Mango), einem Sprayer aus Tübingen, haben wir eine monatlich wechselnde Ausstellung auf die Beine gestellt. Die Reihe hieß One Day Heros und das war ein bisschen Kunst und Subkultur. Felix Schwarz kannte die Szene hier sehr gut und der hat immer super Gigs geholt für die Vernissagen. Wir hatten einmal eine Breakdancer Crew aus Stuttgart, die Dirty Mammas oder Konzerte oder DJs, es war immer ein Event. Gleichzeitig war es eine Art Plattform für junge Künstler*innen aus Tübingen, um denen die Möglichkeit zu geben für einen Monat auszustellen und wir haben das dann eben mit einer Feier kombiniert.
Dann hab ich mich schließlich doch entschieden, mit dem Studium weiterzumachen und bin nach Freiburg an die Pädagogische Hochschule. Da konnte ich dann Kunst studieren, ohne ausschließlich Kunst zu studieren. Das Risiko also quasi ein bisschen minimieren. Und das war für mich genial. Die ganzen Räumlichkeiten, Werkstätten und Ateliers. Da hab ich unglaublich viel gelernt: Druckgrafik oder auch Fotografie. Das war eine gute Zeit. Danach hab ich gedacht, ok, das mit dem Lehrer sein ist nicht so meins und ich hab bei Boesner in Freiburg angefangen zu arbeiten. Das ist ein Großhandel für Künstlerbedarf und das war, naja, genial (alle lachen)! Direkt quasi an der Quelle zu sein und vor allem ganz viel über Materialien zu lernen und vieles auszuprobieren, das war sehr schön. Dort habe ich dann hauptsächlich in der Rahmenabteilung gearbeitet, auch Rahmungen für Galerien und Museen und so, aber auch für tolle Künstler*innen. Die Druckerpresse (zeigt auf die Presse hinter sich) habe ich von Peter Dreher, der sein Leben lang dieses Mostglas gemalt hat.
Und in Freiburg hab ich dann nach der Zeit an der PH ein Gemeinschaftsatelier gefunden. Das war auf dem Gelände von der Brauerei Ganter. Und die Gruppe, mit der ich dort gearbeitet habe, hieß FilmKunstKommune. Das waren hauptsächlich Fotograf*innen und Filmemacher*innen. Da gab es dann auch Gruppenausstellungen und so weiter. Und dann sind wir wieder nach Tübingen gezogen und ich musste mich erstmal verkleinern. Ich hab von zu Hause aus gearbeitet. Mit kleinen Kindern im Haus ist das nicht so einfach. Deshalb bin ich jetzt froh, dieses Atelier gefunden zu haben.
Wie war für dich als Künstler die erste Zeit hier in Tübingen?
Als ich wieder zurück nach Tübingen kam, habe ich im Glasur-Labor der Familie Butters in Ofterdingen gearbeitet. Philipp Butters, der Sohn des Gründers, ist DJ und den kenn ich noch von damals, bevor ich nach Freiburg gegangen bin. Und der hat tatsächlich auch auf meiner Hochzeit in Frankreich aufgelegt. Als er gehört hat, dass ich nach Tübingen zurückkomme, hat er gemeint, dass sein Vater Hilfe gebrauchen könnte. Und so bin ich dazu gekommen und habe dort zwei Jahre gearbeitet. Das hat mir richtig viel Spaß gemacht. Und vor allem: Dieses Material – dass man aus Gesteinsmehl, verschiedene Arten, die zusammengefügt werden, einfach so eine Farbe entstehen lässt, die erst nach dem Brand zur Geltung kommt, das ist faszinierend. Diese Rohstoffe, die alle Mineralien sind, verändern durch das Brennen ihre Eigenschaften, z.B. ein blasses Lila wird vielleicht beim Brennen krass blau oder eine rote Pulverglasur, die dann schließlich gelb wird, je nachdem wie schnell man brennt, wie lange man brennt usw. Jede Glasur reagiert anders. Es gibt Glasuren, die laufen, andere, die nicht laufen, andere die deckend sind, wieder andere lasierend… Und ja, der Hauptteil meiner Arbeiten im Moment sind eben diese Spuren und auch diese Glasuren-Geschichten.
Wie gehst du an ein Werk heran?
Also der erste Schritt ist die Grundform. Dann folgen mehrere Studien. Von der Bleistift-Skizze, über Öl, bis hin zur dreidimensionalen Umsetzung in Ton. Als erstes setz ich mich mit einer Form auseinander. Dann kommt Farbe drauf und je nachdem versuche ich mehr Tiefe oder weitere Elemente hinzuzufügen. Auch bei der Farbe gibt es Experimente. Je nach Saugfähigkeit der Leinwand grundiere ich sie mit verschiedenen Schichten Gesso. Und dann reagiert die Farbe, die ich darauf auftrage unterschiedlich. Beispielsweise mit Tusche und der nächste Schritt wäre z.B. mit Überlagerungen von Schichten, wo man im Hintergrund diese Spuren erkennt und die teilweise dann abgestuft sind. Da ist dann eine gewisse Tiefe im Bild, die einfach durch diese Überlagerungen erzeugt wird. Obwohl es jetzt kein Relief hat.
Du arbeitest also hauptsächlich im Medium der Malerei, richtig?
Ja genau. Es gab immer Momente in meinem Leben, die mich geprägt haben und diese Spuren, Linien sind für mich so ein bisschen die Darstellung des Lebens. Die Wege, die man nimmt. Manchmal ist man gezwungen, einen anderen Weg zu nehmen, da ist auch ein gewisser Zufall dabei, die mit dieser Glasur-Geschichte kombiniert ist.
Eines Tages hab ich ein kleines Stück Treibholz am Strand gefunden. Ich empfand das so, als hätte das Holzstück sein Leben gelebt, man konnte die Jahresringe erkennen, die Form war abgenutzt. Und man erkennt die Spuren und die Zeit usw. und das hat mich zu einer Serie angeregt.
Und dieses Holzstück ruft bei mir das Bedürfnis hervor, es immer wieder auf verschiedene Art und Weise darzustellen. Sachen, die mich für eine gewisse Zeit prägen und die ich dann für eine gewisse Zeit umsetze, mit verschiedenen Techniken.
Arbeitest du dann an mehreren Werken gleichzeitig, also auch an mehreren Stadien innerhalb eines Kunstwerks gleichzeitig?
Absolut. Denn ich hab meistens ganz viele Projekte, die feststehen und ich mach viele Farbstudien, mit verschiedenen Grundierungen und arbeite eher seriell. Es sind Experimente: Ich trage Farbe auf, um zu schauen, wie reagiert sie, um sie dann später in größeren Formaten umzusetzen. Das ist auch ein Lernprozess, denn man muss sich mit jedem Material, das man nutzt, beschäftigen, um zu wissen, wie es wirkt. Um gewisse Effekte zu erzeugen, muss man es irgendwie für sich erprobt haben, finde ich.
Trotz aller Farbigkeit bleiben die meisten deiner Kunstwerke einer monochromen Farbpalette verhaftet. Ist das so richtig?
Das ist jetzt zum Teil so, ja. Oft sind die Vasen eben auch so, von denen ich mir dann Inspiration suche, was die Farbigkeit angeht. Es gibt natürlich dann Töpfer, die auch mit verschiedenen Schichten arbeiten. Und es gibt auch Unterglasuren, um verschiedene Farben zu erzeugen. In einigen Farbstudien habe ich dann versucht, diese Farbigkeit nachzuahmen, wie beispielsweise einen Kristalleffekt.
Und nur kurz dazwischen: Diese Spuren, die mich beschäftigen, der Ursprung der Spur sozusagen, ist auch per Zufall entstanden. Als ich bei Boesner in Freiburg gearbeitet hab, ist per Zufall ein Abdruck eines Gabelstaplers auf dem Boden entstanden. Das hat mich auch eine Weile beschäftigt und ich hab das auch als Prägung gemacht oder auf Leinwand. Das war ein bisschen auch der Anfang von dieser Spuren-Geschichte. Und die sind dann Schritt für Schritt weiterentwickelt worden. In Stuttgart (Raphaël hatte im vergangenen Jahr eine Ausstellung in der Galerie ABTART, Anmerkung der Autorin) hatte ich diese kleinen Formate dabei. Das waren einfach Übungen, wo ich hunderte von diesen Kleinformaten erstellt hab, um diesen Schwung zu üben und auch, um mit den Farben zu spielen. Dann wurde es größer und bunter, bis es dann zu den großformatigen Leinwänden gekommen ist. Das ist auch ein Prozess, von klein auf, dann die Technik und üben, üben, üben, bis es steht und bis man auch selbst damit zufrieden ist, um dann den nächsten Schritt zu wagen.
Das heißt, du malst auch nicht mit Vorlagen, sondern es ist tatsächlich dein Schwung?
Ja genau. Und das sind jetzt die neueren Sachen, die ein bisschen simpler gestaltet sind. In anderen Arbeiten findet man dann die Spuren wieder. Manchmal im Vordergrund, manchmal eher zurückhaltend. Oder im Verlauf.
Wenn ich die Linie seh, kann ich die Kante halten. Die Spur ist ja schon da. Dann setz ich sie manchmal zwei oder dreimal an. Und wenn ich dann mit mehreren Farben drüber gehe, erkennt man manchmal nur noch einen Strich. In den Spuren kommt manchmal auch die Graffiti-Geschichte wieder hervor, dieses kalligraphische, wo man die Handbewegung, auch die Pinselführung, die sehr akkurat sein muss, erkennt. Das ist für mich sehr wichtig.
Also durchaus auch eine repetitive Arbeitsweise?
Durchaus ja. Es geht aber mehr darum, die Geste immer und immer wieder zu üben, um sich die Bewegung einzuprägen. Auch um zu testen, wie viel Farbe brauch ich, wie viel Druck, etc. Also innerhalb dieser Spuren entsteht erst diese abgerundete, weiche Form, die dann mehr und mehr verfremdet wird. Mit verschiedenen Formen von Struktur und neuen Elementen.
Wo und wie findest du die Inspiration oder Anregung für deine Kunstwerke?
Auch das sind oft zufällige Begegnungen oder Momente. Ich bin in Frankreich an einem kleinen See aufgewachsen. Vor einiger Zeit hab ich meine Kinder dorthin mitgenommen. Und das ist wieder diese Geschichte, das Leben und die Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen und so. Jedenfalls gibt es an diesem See Tannenwälder und es ist ziemlich bergig. Dadurch wirkt das Wasser sehr grünlich und tiefblau und ja genau, so eine Wasserspur, ist auch etwas, was ich mit dem Leben verbinde. Aber auch das ist wiederum ein Prozess. Diese Spur hab ich in allen Formaten, von den größeren Papierarbeiten, mit so kleinen Effekten drin. Es fängt auf Papier an, erst klein, dann groß und wenn ich mich sicher fühle, kommt es auf die Leinwand.
Die Farbe, das ist eine intensive Auseinandersetzung. Ich verbringe Stunden damit, meine Farben zu testen, die Mischung auszuprobieren, die Verhältnisse, durch Überlagerungen von einem hellen Blau zu einem dunkleren zu kommen. Dann diese Geschichte von Nass in Nass zu arbeiten: Die Spur Nass in Nass wird überlagert und zum Teil trocknet die Stelle schon ein im Papier. Aber die Stellen, die noch feucht sind, werden dann vom Pinsel abgetragen und dann entsteht wiederum so eine Tiefe und auch dieser Glasur-Effekt.
Du arbeitest in Teilen also mit sehr nasser Farbe. Wellt sich das Papier da nicht? Oder wie schaffst du es, dass es sich eben gerade nicht wellt?
Das Papier ist entscheidend. Manche Papiere sind zu dünn und dann wellt es sich auch. Und dann eignet es sich nicht. Teilweise nehme ich dann Kupferdruckpapier, das hat ein bisschen ne andere Eigenschaft, weil für eine Radierung z.B. muss man ein Papier erst einlegen in Wasser und dann zwischen Glasplatten pressen, damit die Fasern sich ein bisschen lockern und hier arbeite ich ähnlich. Ich hab so große Buchbinder-Platten, und das Papier klemm ich mit Gewichten dazwischen, damit es flach trocknet. Dadurch wird es vom Bild her zwar wellig, aber es ist komplett plan. Aber da entsteht dann diese Tiefe, die einfach nur durch die Farbe erzeugt ist.
Nochmal zurück zu den Spuren. Wenn man so will, gab es gleich mehrere Momente, in deinem Leben, die dich sehr geprägt oder nachhaltig beeindruckt haben. Einmal der Abdruck des Gabelstaplers aus deiner Zeit in Freiburg und dann das Holzstück, das du am Strand gefunden hast.
Ja, genau. Aber dann erkenn ich sie immer wieder. Also z. B. jetzt, als wir in Frankreich waren, hab ich auf einem Parkplatz so Autospuren entdeckt. Der Parkplatz befindet sich in der Nähe des Lac du Salagou, der Boden dort enthält viel Eisen und ist dadurch sehr rot. Und diese Farben und Spuren fand ich so interessant, dass ich gleich eine kleine Serie angefangen habe (eines der Kunstwerke aus dieser Serie wird auch in der kommenden Ausstellung in der Kelter zu sehen sein, Anmerkung der Autorin). Die Autospuren sind immer übereinander gelagert in diesem Sand und die frischesten haben die anderen überschrieben. Und das hab ich dann auch wieder versucht Nass in Nass abzutragen und das sind wirklich die Farben, die ich dort im Sand gesehen hab. Und diese Art kommt auch ein bisschen vom Graffiti. Wenn man sprüht, geht es auch darum gesehen zu werden, aber auch zu schauen, was machen die anderen? Deshalb bin ich auch ständig am schauen, oben und unten und überall. Und das nutze ich jetzt für solche Sachen, weil ich da vielleicht ein anderes Auge oder ein geschultes Auge habe. Es gibt einfach manchmal auch ganz kleine Sachen, die ich von der Ästhetik oder der Form oder was auch immer mag und das versuche ich dann gleich umzusetzen. Diese Elemente nutze ich unter anderem auch in meinen Cyanotypien. In Stuttgart in der ABTART hatte ich die auch dabei. Die Cyanotypie ist der älteste fotografische Prozess. Sie wurde 1842 von dem Engländer John Frederick William Herschel erfunden. Und er hat eine chemische Zusammensetzung gefunden, die ein Papier fotoreaktiv macht. Und früher hat man so beispielsweise Familienporträts gemacht. So wurde dann dieses Berliner Blau erzeugt, das durch den chemischen Prozess entsteht, nachdem man es belichtet hat und mit Wasser ausgewaschen hat. Legt man es in Rooibostee oder so ein, entsteht dieser Sepia-Ton. Und dieses Verfahren ist super, wenn man kein Fotoatelier zum Entwickeln hat, weil man es zuhause machen kann. Und ich hab mit kleineren Formaten angefangen und die Elemente, die sich da drin befinden, sind z.T. auch Fotos oder Zeichnungen von mir, die kombiniert sind, collagiert und überlagert, um das Bild zu erzeugen. Auch hier kommt dann wiederum diese Spur ins Spiel. Und dieses Blau, ja ich weiß auch nicht, irgendwie bin ich davon fasziniert.
Das sind dann quasi die Negative?
Genau, das sind Negative. Und das, was belichtet wird, also das, was nicht blau ist auf der Platte, wird blau auf dem Papier. Das was dort dunkel ist, ist hier dann hell. Oder bei manchen hab ich was abfotografiert und auf Folie gedruckt, weil ich eine bestimmte Form haben wollte, um das dann einzubauen.
Und wie viele Schichten kannst du da übereinander machen? Irgendwann reagiert das doch nicht mehr oder?
Genau, dann musst du die Belichtungszeit verlängern. Wenn du im August belichtest, um die Mittagszeit oder wenn du im November um 18.00 Uhr belichtest, dann ändern sich die jeweiligen Belichtungszeiten. Das ist eben auch ein Prozess. Du musst es ausprobieren. An einem Tag klappt es super, aber am nächsten Tag sind vielleicht Wolken am Himmel. Dann musst du auch länger belichten. Das hat auch eine gewisse Willkürlichkeit.
Das heißt also, du belichtest nur mit Sonnenlicht?
Ja. Oldschool sozusagen (alle lachen).
Können wir einen Blick auf deine älteren Arbeiten werfen?
Ja. So ältere Arbeiten aus dieser Zeit hab ich nicht mehr viele. Aber da sieht man auch, dass diese Struktur mich schon damals interessiert hat. Zehn Jahre alte Arbeiten… Das war, bevor ich diese Glasuren hergestellt hab, aber da habe ich mich schon mit diesen Strukturen und so beschäftigt. Ich hab schon damals versucht, mit diesen Farbüberlagerungen und Schichten zu arbeiten. Und ja, also im Prozess, ich fange mit Acryl an und versuch es dann zu dieser Glasur zu bringen. Schritt für Schritt. Und das sind Bilder, die hängen jahrelang bei mir, bis ich der Meinung bin, sie sind fertig. Oder ich bin damit zufrieden. Und deshalb gibt es auch viele Arbeiten in meinem Atelier, die noch gar nicht fertig sind.
Gibt es für dich ein absolutes Lieblingskunstwerk unter diesen Vielen?
Hm, also es gibt einige, die ich mir tatsächlich selber hängen würde, wenn ich Platz zuhause hätte (lacht). Aber ich hab tatsächlich keine von mir zuhause. Ne Zeit lang hab ich, wenn ich was verkauft hab, von jemand anderem was gekauft. Jetzt bin ich soweit, wenn ich was verkaufe, dann kauf ich Materialien. Weil ich hab endlich Platz dafür. Und ja, das tut gut. Weil ich weiß, wenn ich Zeit hab, dann kann ich auch arbeiten. Es gibt aber viele, die mir richtig gut gefallen.
Fällt es dir schwer, ein Kunstwerk gehen zu lassen, wenn jemand etwas kauft? Wir haben das schon öfter von Künstler*innen gehört.
Ne, tatsächlich freu ich mich. Manchmal schicken mir die Leute dann ein Foto, wo es hängt. Das finde ich sehr schön. Manchmal hab ich auch die Gelegenheit die Sachen dann vor Ort anzuschauen.
Gleichzeitig bedeuten mir meine Arbeiten sehr viel. Als Ausdruck der Seele versuche ich Emotionen zu wecken. Ich finde es sehr schön, wenn Menschen meine Kunstwerke sehen und es bei ihnen was bewirkt. Da spielt für mich dann nicht nur die Ästhetik eine Rolle, sondern auch das, was dahinter steckt. Das Schönste für mich ist es, wenn jemand zu mir sagt: “Du, ich habe mit Kunst nichts zu tun, aber das, was du da machst – das kann ich fühlen.”
Pierre Soulages, der Name ist schon öfter im Gespräch mit dir gefallen. Welche Verbindung gibt es zwischen ihm und dir?
Eigentlich nur diese eine Begegnung, das war der pure Wahnsinn. Für mich war Soulages immer ja, ein abstrakter Künstler, naja, halt doch: Sein druckgraphisches Werk finde ich richtig gut. Also seine Radierungen und die Bronzereliefs, die er gemacht hat. Aber diese abstrakten Malereien, die älteren Werke, haben mich nie angesprochen. Aber wenn du den Mensch Soulages siehst, der so ist, wie du und ich. Der ist hundert Jahre alt und steht neben dir und redet mit dir, als würdest du in der Schlange beim Bäcker stehen.
Magst du noch ein bisschen genauer erzählen, wie diese Begegnung zustande kam?
Das war ganz zufällig. Mein Grundschullehrer, Guilhem Beugnon, der mich damals in meiner Malerei sehr unterstützt hat, ist Generalsekretär der Renaissance Française, einer Gesellschaft, die die französische Kultur unterstützt. Die verleihen einmal im Jahr eine goldene Medaille für Leute, die die französische Kultur im Ausland besonders verbreiten. Und letztes Jahr wurde Pierre Soulages mit der Goldmedaille geehrt. Und es gab eine Preisverleihung. Aufgrund seines Alters war es nicht möglich, daraus eine riesige Feier zu machen und er wollte das auch nicht groß. Mein Grundschullehrer meinte dann, ach du bist ja zufällig zuhause, wenn wir dorthin fahren, wir brauchen jemanden, der Fotos macht. Und so bin ich dazu gekommen, dorthin zu gehen. Das war zwei Wochen vor der Ausstellung in Stuttgart in der ABTART. Und der Grundschullehrer meinte zu Soulages: „Ja, der (zeigte auf mich) hat nächste Woche eine Ausstellung in Stuttgart. Und Soulages so: „Ah Stuttgart, da hat meine Karriere angefangen.“ Durch den Domnick. Und dann hat er tatsächlich, ein Künstler, der weltweit berühmt ist, mit mir gesprochen und mir von Stuttgart erzählt und das war super. Das hat mich sehr geehrt und gefreut. Das war wirklich ein Erlebnis.
Und dieser Lehrer, der dir sozusagen zu dieser Begegnung verholfen hat, war dein Grundschul-Kunstlehrer?
In der Grundschule, das war ne kleine Schule, wurde man von der ersten bis zur vierten Klasse von einem Lehrer in einem Raum unterrichtet. Also vier Stufen in einer Gruppe. Und das war sehr gut. Wir haben viel gemacht und der Lehrer war auch sehr streng. Aber immer, wenn ich meine Matheaufgaben fertig hatte, dann durfte ich malen.
Also hast du auch eine gewisse Förderung durch diesen Lehrer erfahren?
Ja, auf jeden Fall. Wir sind mittlerweile auch befreundet. Das war auch der Lehrer, der meiner Mutter gesagt hat, als wir umgezogen sind, dass es dort diesen Kunstkurs gibt. Auch da hat er also ein bisschen dahintergesteckt.
Du probierst also sehr viel aus, experimentierst mit Farbe, Material-, Eigenschaften usw. Arbeitest du auch mal klassisch in Öl?
Tja ja, nach dieser Soulages-Begegnung musste ich mit Licht und Schatten, der Struktur von der Spur experimentieren. Das ist im Moment noch im Entwicklungsstadium.
Ich glaub, das ist auch als Künstler*in ganz spannend. Zu sehen, wie sich ein Werk entwickelt, das erstmal mit einem Gedanken beginnt.
Ja total. Ich hab das Glück, dadurch dass ich früher wenig Platz hatte, musste ich auch viel auf Papier machen. Und Papier lässt sich gut lagern. Und von daher habe ich auch ganz viele ältere Arbeiten noch. Und ich erkenne selbst eine Entwicklung. Das ist wirklich ein Prozess und jedes Mal kommt etwas Neues dazu. Und das ist definitiv bereichernd.
Arbeitest du mit anderen Künstler*innen auch mal zusammen oder stehst du im Austausch mit anderen Künstler*innen?
Also in meiner Zeit in Freiburg hab ich viel FÜR Künstler*innen gearbeitet. Werner Berges z.B., für ihn hab ich ein wenig mehr gemacht, Aufhängungen zum Beispiel, solche Geschichten. Und, auch in Freiburg, bei Herbert Maier, bei dem hab ich an der PH eben Druckgrafik gelernt und verfolge auch immer seine Arbeiten, sehr spannend. Aber so wirklich zusammengearbeitet hab ich mit einem Freund aus Freiburg, Tom Brane. Mit ihm zusammen hatte ich eine Ausstellung, bevor wir weggezogen sind. „Sein und nicht Sein“ hieß sie. Und auch das war wiederum ein bisschen der Anfang von dieser Spuren-Geschichte. Zu der Zeit wurde bei uns beiden unabhängig voneinander eine Autoimmunerkrankung diagnostiziert und so haben wir uns durch dieses Projekt mit dem Thema „Leben“ auseinandergesetzt. Wir haben dann die Räume für die Ausstellung gehabt, die relativ groß waren, so um die 500 qm. Die durften wir dann für ein Wochenende bespielen und hatten davor drei Wochen Vorlaufzeit. Wir haben vor Ort verschiedene, interaktive Ausstellungsstücke kreiert unter anderem Videos, Installationen, verschiedene Sachen, wo auch die Besucher*innen mitwirken konnten. Und mit Tom habe ich immer noch guten Kontakt, aber er ist sehr eingespannt und nimmt sich immer die größten Projekte und macht aktuell in Freiburg für das neue Stadion die ganze Außenwand, die besprüht wird.
Würdest du dir wünschen, dass es in der regionalen Kunstszene mehr Austausch unter Künstler*innen oder auch Kulturschaffenden geben würde?
Ja klar. Ich fände das super und würde gern mehr Austausch haben. Und deshalb bin ich auch auf der Suche nach einem Raum, wo ich auch besser Leute einladen kann. Ich würde gern auch vielleicht mal ein offenes Atelier-Wochenende machen und wir malen gemeinsam oder machen ein bisschen Musik. Aber das ist hier in diesem Atelier nicht möglich. Aber vielleicht ergibt sich das ja noch.
Es fehlt eigentlich eine Art Co-Working-Space für Künstler*innen, Kulturschaffende oder einfach nur Kreative, richtig?
Ja, als ich bei diesem Glasur-Hersteller gearbeitet habe, dachte ich mir hey, das wär doch super, wenn ich das kombinieren könnte: Ne Ausstellungsfläche und ne Atelierfläche, wo ich einfach bildende Künstler*innen einladen kann, bei uns mit Keramik zu experimentieren. Leute, die sonst wenig bis gar nichts damit zu tun hatten, um die Sachen dann auch vor Ort auszustellen und zu präsentieren. Und ich glaube für Viele wäre es spannend, weil sie vielleicht keinen Zugang dazu haben.
Das heißt, du hast auch noch kein wirkliches Netzwerk hier in der Region, würdest dir aber ein solches durchaus wünschen?
Nein, noch fehlt ein solches Netzwerk. Wir sind jetzt zwei Jahre hier und ich musste erstmal selbst schauen, wie läuft das hier. Wir mussten uns einleben, haben viel am Haus gearbeitet, die Kinder waren noch sehr klein. Jetzt so langsam und seit ich diesen Raum habe, hab ich auch wieder mehr Zeit. Und ich denke, das kommt so Stück für Stück. Und ich denke es wäre gut, Leute kennenzulernen und sich auszutauschen.
Einige von uns waren im vergangenen Jahr bei der Ausstellung in der Galerie ABTART. Wie kam es dazu, dass du dort ausstellen konntest?
Bei Boesner haben wir die Leinwände für Adrian Falkner bespannt, Smash, ein Sprüher aus Basel, der damals steil nach oben ging. Er hat viel in Detroit ausgestellt, auch in Paris und so und einmal hab ich ihn angerufen und gefragt, ob ich ihn im Atelier besuchen darf. Wir machten einen Termin aus, ich bin hingefahren und dann haben wir uns in der COLAB Gallery in Weil am Rhein getroffen. Da gibt’s zweimal im Jahr eine wechselnde Ausstellung mit jeweils zwölf Künstler*innen. Das sind so Boxen und jede*r Künstler*in darf sie so gestalten, wie er oder sie möchte. Dort waren wir verabredet. Und er meldete sich und meinte: „Ach du, mir ist was dazwischen gekommen. Das Büro, das meinen Ausstellungstext für Stuttgart übersetzen sollte, ist ausgefallen und jetzt muss ich mich drum kümmern. Es muss morgen um 18 Uhr zum Druck.“ Und ich so: ja, was brauchst du? Und er meinte deutsch-französisch. Und ich so: komm, zeig mir den Text, ich bin schon da… Und vielleicht kann ich das auch machen. Und ich war so aufgeregt. Und hab den Text nur überflogen und dachte mir, ach ja, easy. Und hab dann also gemeinsam mit ihm sein Atelier angeschaut. Und abends fahr ich nach Hause, mach den Laptop auf, leg den Text daneben und dachte so: oh oh. Ein kunsthistorischer Text. Die Hälfte der Vokabeln hab ich überhaupt nicht verstanden. Puh, dachte ich. Ne das kann nicht sein. Dann hab ich meine Mutter angerufen (Sie ist Deutsche). Und hab sie gefragt, ob sie mir schon mal das Gröbste vorbereiten kann. Dann haben wir gemeinsam immer Seite für Seite übersetzt, hin und her geschickt und schließlich haben wir für die Ausstellung von Smash in der Galerie ABTART den Katalog übersetzt. Eine Mitarbeiterin der Galerie kannte ich noch aus meiner früheren Zeit in Tübingen. Und eines Tages hat sie gefragt, ob ich bei ner Ausstellung helfen kann. Man bräuchte Hilfe, einige Bilder zu hängen. Und ich bin dann dorthin, um zu helfen. Einige Zeit später hatte ich eine Ausstellung in den Räumen von Vivat Lingua und die Frau Abt kam dorthin und hat sich das angeschaut. Und die Leute von Vivat Lingua kenn ich wiederum von früher aus meiner Zeit in Tübingen. Ja und so fügt sich wieder eins zum anderen. Spuren: Das eine führt zum nächsten, man begegnet sich bei der nächsten Abbiegung wieder, manchmal trennen sich die Wege oder kreuzen sich nochmal…
Vielleicht reden wir jetzt noch ein wenig über dein aktuelles Ausstellungsprojekt „Traces/ Spuren“ in der Kelter in Tübingen, die am 26. September eröffnet wird. Ein Restaurant ist doch ein eher ungewöhnlicher Ort für Kunst. Wie kam das zustande?
Ja, das ist wiederum das Leben. Bevor ich nach Freiburg gegangen bin, hab ich im Café Haag hier in Tübingen gearbeitet. Es gab damals noch Studiengebühren, also musste ich nebenher zusätzlich Geld verdienen. Und ich hab dann in der Kelter gekellnert. Im Restaurant damals. Und der Manolis, der jetzt das gesamte managed, der hat damals auf der Bar-Seite gearbeitet und der ist immer zu seinem Chef gegangen und meinte so: „… der ist gut…“ (lacht) und jetzt neulich bin ich dort gewesen und er meinte: „Ah bist du noch in Freiburg?“ Und ich sagte: „ Nene, ich wohne hier (in Tübingen, Anmerkung der Autorin)“. Und er fragte mich: „Was machst du so?“ Und ich erzählte ihm, dass ich Bilder male. Und daraufhin kam die Frage, ob ich nicht Lust hätte, da was zu machen. Und das ist jetzt eine Wiederaufnahme. Denn es haben schon öfter Leute dort ausgestellt. Und er möchte da jetzt auch wieder mehr machen.
Wie dürfen sich die kommenden Besucher*innen dann den Aufbau der Ausstellung vorstellen? So als kleine Preview, bevor sie dann live vor Ort sind?
Naja, das war erstmal ein wenig schwierig. Hier im Atelier sind die Wände grau, grauer Beton und dort ist viel Stahl, viel Holz. Ich bin aus dem Urlaub zurückgekommen und dachte, das wird super. Und als ich dann dort war, dachte ich ahh, was mach ich jetzt. Mein Auto ist ja in Frankreich liegen geblieben. Ich brauch Material. Und ja, ne, ich denke das wird gut. Jetzt steht auch schon ein bisschen was. Ich finde, das, was jetzt schon hängt, sehr stimmig und es passt auch zu den Räumlichkeiten und ich freu mich sehr.
Wie lange werden wir deine Kunstwerke in der Kelter bestaunen dürfen?
Die Ausstellung bleibt bis Ende des Jahres dort. Und das heißt, die haben während der Jazz & Klassik Tage viele Veranstaltungen, wenn es kälter wird, kommen die Leute vielleicht auch ein bisschen mehr rein. Die Tische schön mit Abstand. Da ist genug Platz. Das heißt, wenn ich Glück habe, sehen das ein paar Leute.
Wie viele Kunstwerke werden in der Ausstellung zu sehen sein?
Also es hängt noch nicht alles, schwer zu sagen. Ich will auch nicht alles zuklatschen, es soll stimmig sein. Ja, jetzt hängen so circa zwölf würde ich sagen und es kommen mindestens nochmal so viele dazu.
Ein paar abschließende Worte, wie du deine Kunst beschreiben würdest?
Also, ich versuche in meiner Arbeit ständig in Bewegung zu bleiben. Es ist für mich sehr wichtig, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Damit meine ich nicht nur die Materialien, sondern auch die verschiedenen Techniken und Anwendungen… es ist ein permanenter Lernprozess, der es mir ermöglicht, meine Ausdrucksformen stetig zu erweitern. Diese Entwicklung ist wie bei vielen Künstler*innen Teil des künstlerischen Prozesses. Das „Handwerk“ spielt für mich eine bedeutende Rolle. Hier im Atelier gibt es ganz viele Sachen, die nie gesehen oder gezeigt werden – Arbeitsschritte und Zwischenstadien, die man nicht unbedingt in einer Ausstellung sieht, die aber von großer Bedeutung sind, um das fertige Kunstwerk besser verstehen zu können. Es fällt mir schwer, über meine Kunst zu sprechen. Es gibt Ideen, die bewusst umgesetzt werden, aber das Meiste kommt aus dem Bauch, intuitiv, aber mit Sicherheit sowohl bewusst als auch zum Teil unterbewusst durch Erlebnisse und Ereignisse geleitet.
Ich finde es sehr schön, dass ihr euch die Zeit genommen habt, hier reinzuschnuppern. Es war sehr schön mit euch. Vielen Dank!
Wir sind jetzt schon total gespannt und freuen uns auf die kommende Ausstellung. Raphaël, dir danken wir zunächst für den herzlichen Empfang in deinem Atelier, deine herrlich aufgeschlossene Art und dass wir dich und deine tolle Kunst kennenlernen dürfen. Außerdem fühlen wir uns zutiefst geehrt, dass wir für die Eröffnung die einführenden Worte beisteuern dürfen. Ein für beide Seiten spannendes und ergiebiges Treffen. Vielen Dank dafür!