Plattform 11 – Pop-up Galerie in der Outletcity Metzingen

Für zwei Wochen konnte das Künstler-Kollektiv „Plattform 11“ die ehemalige Hugo-Boss Outlethalle zu einer Kunstaustellung umgestalten. 31 junge künstlerische Positionen aus Stuttgart und Umgebung schufen so einen Raum für interdisziplinären Austausch, der auch die Grenzen elitärer Kunstschau hinterfragen sollte. Die technische Bandbreite erstreckte sich dabei von klassischer Malerei über monumentale Portraitfotografien bis hin zu Bildern aus Sand.

Schon vor den Türen der ehemaligen Fabrikverkaufs-Halle von Hugo Boss fällt auf, dass hier etwas Neues zu sehen sein muss. In großen Lettern begrüßt uns an der Fassade der Schriftzug Plattform 11. Kein Blick nach innen, die Neugier steigt. Nur eine Rolltreppe führt in den ersten Stock. Schon der Weg nach oben entführt den Besucher in einen Raum, weitab vom Shoppingtreiben auf den Straßen. 

Auf beachtlichen 800 Quadratmetern erstreckt sich eine Ausstellungsfläche, die von 31 künstlerischen Positionen bespielt wird. Entsprechend groß ist auch die thematische und technische Bandbreite: neben klassischer Malerei finden sich filigrane Filzstiftzeichnungen, monumentale Portraitfotografien, digitale Illustrationen, textile Installationen, surreale Holzskulpturen, gesellschaftskritische Objektkunst und sogar Bilder aus Sand.

Schauplatz für junge Kunst

Das Künstlerkollektiv Plattform 11 entstand aus dem Anliegen, einen Schauplatz für junge Künstler*innen aus Stuttgart und Umgebung zu schaffen – als Bindeglied zwischen kleinen Szenen-Ausstellungen und dem großen Kunstbetrieb. Autodidakten und Profis wird hier gleichermaßen ein Raum für interdisziplinären Austausch geboten, der auch die Grenzen elitärer Kunstschauen hinterfragt. 

Die weiten Flächen des ehemaligen Outletstores bieten dazu eine Atmosphäre von Anspruch und Lockerheit, in der ein besonders unmittelbarer Kontakt mit der Kunst möglich wird. Unauffällige Lounge-Musik begleitet das Sehen, lenkt dabei aber nicht vom Wesentlichen ab. Ungezwungen lässt sich das Auge von der farbigen Vielfalt leiten und stößt in jedem Gang auf neue Reize. 

Ausstellungansicht, Plattform 11 in der Outletcity Metzingen, 2020. © Plattform 11, Foto: Julia Berghoff.

Geisterhafte Farbwesen

Schemenhafte Figuren, deren Köpfe an Totenschädel oder Masken erinnern, bestimmten die beinahe dystopisch anmutenden Malereien von Salvatore Della Rocca. Starke Hell-Dunkel-Kontraste schaffen eine gleichzeitig belebende Dynamik. Hierbei sticht eine Farbe in der überwiegend olivgrünen Tonigkeit besonders hervor: Akzente in hellem Rosa erzeugen einen skurrilen Gegenpol zu der eher beklemmenden Grundstimmung. Aus lockeren Strichen formen sich Figuren, Wesen und beobachtende Mienen, die unvermittelt auch wieder in abstrakte Farbgesten übergehen. Mithilfe malerischer Mittel fügen sich Della Roccas Bildwelten so gewissermaßen zu geisterhaften Erscheinungen. 

Monumentales und Filigranes

Surreal, hochgradig bizarr und ausgesprochen einnehmend muten auch die monumentalen Fotoarbeiten des Künstlers Vince Voltage an. Befremdlich inszenierte Portraitaufnahmen spielen mit der facettenreichen Spannung aus Abstoßung und Anziehung. Unter anderem schauen uns hier zwei Frauenköpfe mit starrem Blick entgegen; die eine trägt eine rosafarbene Perücke aus Flamingos, die andere eine mit eisernen Dornen besetzte Maske – welche wohl nicht zufällig Assoziationen zu Fetischkleidung weckt. Eine unterschwellige Erotik macht sich breit, gepaart mit einer Schönheit des Morbiden. Inmitten der beiden schrill bekleideten Frauen ist nun eine fast vollkommen schwarze Aufnahme platziert. Über den schemenhaften Umrissen eines männlichen Oberkörpers sticht nur die gold glänzende Totenkopfmaske aus der Dunkelheit hervor. Archaische Präsenz trifft auf futuristische Absonderlichkeit.

Neben Monumentalem ist jedoch auch Filigranes zu entdecken. Freya von Bülows Fineliner-Zeichnungen vereinen zeichnerische Klarheit mit subtilem Humor. In ihrer Arbeit „2020“ bezieht sie sich dabei auf die tagesaktuelle Maskenpflichtdebatte und präsentiert eine fantasievoll arrangierte U-Bahn-Szene. Während der Blick nun von einem Fahrgast zum nächsten wandert, mag sich ein leichtes Schmunzeln einstellen. Welch vielfältige Möglichkeiten es doch geben kann, sein Gesicht (mehr oder weniger) angemessen zu bedecken.

Freya von Bülow, 2020, Fineliner auf Papier, 2020. © Freya von Bülow, Foto: Julia Berghoff.

Mickey Mouse und ein Maschinengewehr

Mit kritischem Humor begegnet uns auch ein Objekt des Künstlers Georg Barinov. Unter einem vermeintlich mikroskopischen Gestell liegt Mickey Mouse – alle Viere von sich streckend, an Armen und Beinen festgenagelt. Mickey schaut aber nicht in eine vergrößernde Linse, sondern in den Lauf eines Revolvers. „Trigger“ nennt er sein Werk und weist damit unmissverständlich auf einen alltäglichen Widerspruch hin, der nur allzu gerne verdrängt wird. So fortschrittlich die moderne Wissenschaft sein mag, ist sie doch immer noch auf Versuche an lebenden Tieren angewiesen. Ob Mickey Mouse erlegt wird, entscheiden somit letztlich wir, beim Kauf jeder Medikamentenpackung oder Salbentube. 

Ein Maschinengewehr, auf Augenhöhe an der Wand befestigt, leitet unterdessen die Installation der Gruppe Schillerhof ein. Die täuschend echte Schusswaffe gleicht einem Mahnmal, dessen Geschichte sich in den dahinter aufgereihten Fotografien durchleben lässt. Blutige Körper, protestierende Menschen, internationale Pressebilder und dazwischen monochrome Schnappschüsse aus dem Stuttgarter Schlossgarten. „Aktivisten installieren Heckler-&-Koch-Schriftzug“ lautete die entsprechende Schlagzeile zu dieser Aktion. In großen weißen Hollywood-Lettern thronte der Firmenname dort auf einer kleinen Anhöhe, womit  auf ironische Weise das Maß an Scheinheiligkeit menschlichen Handelns zur Schau gestellt wurde. Denn Anlass zur Empörung bot der umstrittene deutsche Waffenhersteller erst 2019, indem er rechtswidrig Sturmgewehre in mexikanische Krisengebiete lieferte. Das Unternehmen kam letztlich mit einer Bußgeldstrafe davon.

Abstrakte Vernetzungen

Neben aktiver Gesellschaftskritik gibt es weitere ästhetische Anregungen aufzuspüren. Eine Art Netz aus sich windenden gold-schwarzen Verästelungen überzieht die Sandmalerei Tim Bengels. Hinter dem Formengewirr scheint keine wirkliche Ordnung auszumachen zu sein und doch mutet die umherzuckende Struktur beinahe zellenhaft an. Die ungewöhnliche Wahl eines Heptagons als Grundform unterstützt den Eindruck organischer Materie zusätzlich. Nach längerer Betrachtung beginnt sich das gold-glühende Geflecht sogar optisch in Bewegung zu setzen und um ihr eigenes Zentrum zu rotieren. Unzählige schwarze und weiße Sandkörner verwendete Bengel für das „earth alien“, was dem flirrenden Gebilde schließlich seine filigrane Anmut verleiht. 

Tim Bengel, earth alien, 2020, schwarzer und weißer Sand, Blattgold auf Aluminium. © Tim Bengel, Foto: Julia Berghoff.

Naturgewalt und Nebelschwaden

Von mikroskopischer Nahsicht führen uns Mariya di Angelas Aquarelle nun in weit entfernte  Landschaften. Nur eine einsame Figur steht hier im Angesicht eines aus dichten Wolkenbändern hervorragenden Bergmassivs. Die kleine Betrachterfigur dient dabei gleichzeitig als Größenmaßstab und Identifikationsmittel. Di Angela bewegt sich so ganz dezidiert in der Tradition romantischer Landschaftsdarstellungen des 19. Jahrhunderts und bedient sich hierin der ästhetischen Kategorie des „Erhabenen“. Umgeben von Naturgewalten wird der Mensch auf seine eigene Existenz zurückgeworfen. Im Angesicht seiner  Vergänglichkeit scheint sich nun auch die Landschaft zu diffusen Farbnebelschwaden aufzulösen. 

Mariya di Angela, Bliss, 2020, Aquarell auf Papier. © Mariya di Angela, Foto: Julia Berghoff.

Für nur zwei Wochen entstand diese ausgesprochen vielseitige Ausstellung, bevor auch sie sich wieder auflösen musste. Das Wichtigste bleibt aber dennoch: der Eindruck, die Erinnerung und das Erleben von unmittelbarem Sehen. 

Ausstellungansicht, Plattform 11 in der Outletcity Metzingen, 2020. © Plattform 11, Foto: Julia Berghoff.