Es wirkt, als ob der Raum des Kulturzentrums Zehntscheuer in Rottenburg nur auf die Werke von Gisela Jäckle gewartet hätte. Die Arbeiten der Künstlerin fügen sich symbiotisch in den hellen, mit einem Ziegelboden ausgelegten Ausstellungsraum ein. Diese Szenografie rahmt die Zeichnungen, Materialbilder, Installationen und Skulpturen. Sofort merkt man, dass die Arbeiten aus einer Hand stammen.
Gisela Jäckle studierte in den 1980er Jahren an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste Stuttgart. Wie ihrer Vita zu entnehmen ist, war dort die Begegnung mit Künstler und Professor Micha Ullman prägend für ihre künstlerische Ausbildung und somit auch für ihren Umgang mit Materialien. Die Gleichzeitigkeit von glatten und rauen Oberflächen, von Ursprung und Eingriff, evoziert die Spannung in ihren Skulpturen.
domicilium
Auf zwei Stufen reihen sich 48 schwarze Basalt-Steine. Ihre Grundflächen sind jeweils rechteckig. Aus einer Seite erhebt sich eine spitze Kante mit einer glatten Oberfläche. Sie sind so aufgestellt, dass die Spitzen nach oben ragen Durch diesen gewählten Aufbau gleichen sie in ihrer Form einem vereinfachten Modell eines Einfamilienhauses.
Die gesamte Szenerie erinnert demnach im ersten Moment an eine Theaterkulisse: Ordentlich aufgereiht und verwechselbar. Man wartet nur noch auf die Kompars*innen und Schauspieler*innen, die den ersten Akt eröffnen.
Bei näherer Betrachtung der kleinen Miniaturhäuser erkennt man allerdings individuelle Merkmale. Nicht nur die Höhe und Breite unterscheiden sich von Gestein zu Gestein, auch die kleinen Risse, die jedes Objekt in verschiedener Intensität durchziehen, individualisieren. Der Ergussgestein Basalt entsteht, grob zusammengefasst, bei der Erkaltung von Magma an der Erdoberfläche. Während dieses Prozesses bilden sich auch die Risse im Gestein, ganz zufällig und einmalig und allein von der Natur bestimmt.
Kupferarbeiten
Seit 2005 arbeitet Gisela Jäckle mit dem Material Kupfer. Dünne Kupferstäbe und -drähte verzweigt sie ineinander und formt Teppiche, Kugeln und Nester. Fast selbstverständlich darf die Form eines Kubus nicht fehlen. Kennen wir doch schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts die reduzierte Form des vom Minimal Art geprägten Würfels eines Donald Judds. Insbesondere Materialien, die vorwiegend in der Industrie Verwendung finden, haben Judds Interesse geweckt. Ob es sich bei dem Kupfer-Würfel von Gisela Jäckle um eine Hommage handelt oder um ein rein aus dem Prozess erschaffenes Werk, lässt sich nur vermuten. Nichtsdestotrotz sind in der Form, der Einfachheit und der Materialien Parallelen zur Minimal Art zu erkennen. Dennoch zeigt die Arbeit aufgrund ihres dünnen, widerspenstigen Materials keine glatte Oberfläche. Viele kleine Kupferdrähte springen aus der Form, lassen sich nicht bezwingen. Stellt man sich vor, über diese Oberfläche zu streichen, spürt man schon die Unebenheit des Würfels, die vielen kleinen Stiche in der Hand und die Rauheit.
Diese Eigenschaften des Materials lassen sich auch in den anderen Arbeiten der Künstlerin entdecken. Ein gemütliches Nest, das auf den zweiten Blick nicht ganz so wärmend und kuschelig wirkt. Es lohnt sich die Arbeiten von Gisela Jäckle zweimal zu betrachten und nachzudenken, was da eigentlich durch die Kombination der Formen und Materialien passiert.
Die Ausstellung „Schwingungsfelder. Materialbilder, Skulptur, Zeichnung” ist im Kulturverein Zehntscheuer e. V. noch bis zum 13. September 2020 zu sehen.