Daniel Knorr bittet in der Kunsthalle Tübingen zum Dialog
Die letzten Monate waren für uns alle nicht leicht. Die Kunst- und Kulturlandschaft hat es neben anderen Branchen besonders hart getroffen. Neue Lösungen mussten gefunden werden. Dementsprechend vielleicht auch neue Möglichkeiten und Chancen.
Der Ausstellungsbetrieb in der Kunsthalle Tübingen hat jedenfalls wieder volle Fahrt aufgenommen und präsentiert „DANIEL KNORR. WE MAKE IT HAPPEN“.
Daniel Knorrs Kunstwerke wirken im ersten Moment laut und bunt. Sie sind kraftvoll und inszenieren sich von selbst. Die ausgestellten Werke zeugen von einer unglaublich dynamischen Eigenwirkung und schaffen mit ihrer farbintensiven Ästhetik einen ersten Zugang für die Betrachter:innen. Der Künstler dürfte den meisten Kunstinteressierten nicht unbekannt sein. Mit seinen Aktionen gräbt er unter die Oberfläche und stellt Feststehendes in Frage. Ein sozialpolitischer Künstler durch und durch. Vielleicht braucht es gerade dieser Tage solche Künstler:innen, um einen aktiven Beitrag zu unseren gesellschaftlichen Debatten zu leisten.
Die erste Überblicksschau in Deutschland
Daniel Knorr ist ein global aktiver und agierender Künstler. In Rumänien geboren, lebt und arbeitet er heute in Berlin und Hongkong. Obwohl er mit vielen Aktionen bereits für Aufsehen gesorgt hatte – bei der documenta 14 2017 in Kassel ließ er während der gesamten Dauer weißen Rauch aus dem Zwehrenturm steigen und rief dadurch verschiedene Assoziationen der westlichen Kulturgeschichte hervor – wurde eine Überblicksschau in Deutschland über sein Gesamtwerk bislang nicht realisiert. Das Team der Kunsthalle um Dr. Nicole Fritz nutzte deshalb die einmalige Chance, sein Werk im Gesamten zu präsentieren und dabei den Fokus auf seine jüngst entstandenen Arbeiten zu legen.
Aktionen wie in Kassel oder Venedig1 sind einmalige Happenings, die selbstverständlich schwer im Museum nachzuholen sind. Dennoch werden sie im ersten Raum der Ausstellung „WE MAKE IT HAPPEN“ fotografisch dokumentiert. Außerdem werden dort weitere Arbeiten Knorrs vorgestellt. Dazu gibt es kleine Wandtexte, um den Zugang zu den jeweiligen Werken zu erleichtern. Vielfältig erscheint einem als Betrachter:in das Werk des Künstlers. Er arbeitet mit alltäglichen Materialien, wie Glasscherben oder Steinen, dann wieder mit Industrieabfall oder verkleidet Skulpturen des öffentlichen Raums mit Sturmmasken. Die sozialpolitische Komponente der Arbeiten offenbart sich – manchmal laut, manchmal leise – aber stets präsent.
Die folgenden Ausstellungsräume legen den Fokus auf seine jüngeren Arbeiten: Reliefartige Objekte in knalligen Farbtönen zieren die weißen Wände der Kunsthalle. Ein erster Zugang zu den Werken erfolgt über eben jene Farbigkeit, die das Auge beinahe zu überfordern versucht.
„Mich interessiert, unsere Zeit darzustellen, und dabei sowohl die Vergangenheit als auch den Ort, an dem wir uns befinden, zu berücksichtigen“. Daniel Knorr
Depression Elevations – Die Höhen der Tiefen
An den knallbunten, reliefartigen und gebogenen Objekten der Reihe Depression Elevations arbeitet Daniel Knorr bereits seit 2013. Die aus Polyurethan bestehenden Wandskulpturen finden je ihren eigenen Weg in den Raum. Sie alle eint ihre Bezugnahme auf einen real existierenden Ort. Denn sie sind in letzter Konsequenz verformte und um ihre Farbigkeit erweiterte, in einem komplizierten Verfahren gewonnene Abgüsse von Bodenbelägen, wie Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher oder Wegen von eindeutig bestimmbaren Orten. Damit schafft Daniel Knorr, ähnlich der Künstler:innen der Land Art, eine Dialektik zwischen einzelnen, alltäglichen Umgebungen und dem musealen Kontext. Im Gegensatz zu den Arbeiten der Land Art werden aber nicht die natürlichen Materialien in den Galerieraum oder das Museum transportiert. Vielmehr überträgt er diese durch einen Abdruck und erweitert sie mithilfe von künstlichem Material. Es scheint fast, als würde der Gedanke oder die Erinnerung an einen real existenten Ort durch Zugabe von Farbigkeit und künstlerischem Tun zum Kunstwerk erhoben.
Erst durch die Benennung der jeweiligen Titel wird dem:der Betrachter:in klar, um welchen Ort es sich bei dem Kunstwerk handelt. Zwei Komponenten schwingen hier bereits mit, die wir auch in den weiteren Kunstwerken Knorrs vorfinden: Mit ihrer konzeptionellen Gestaltung tragen sie den Gedanken an vergangene kunsthistorisch bedeutsame Epochen, wie die Minimal oder die Land Art in sich und werden über das Medium der Materialität zum künstlich geschaffenen Objekt stilisiert. Zweitens speichern sie die Spuren des Alltags in sich und suchen auf diese Weise das Gespräch mit dem:der Rezipient:in.
Canvas Sculptures – Leinwand Skulpturen
Die Serie der Canvas Sculptures kann als Weiterentwicklung der Depression Elevations gelesen werden. Sie gehören zu den aktuellsten Arbeiten von Daniel Knorr. Ähnlich wie die Werkserie ab 2013 öffnen auch die Canvas Sculptures Dialoge in den Köpfen der Betrachter:innen. Der Künstler arbeitet hier mit bekannten Motiven und Kunstwerken der westlichen Kunstgeschichte. Folglich stellen sie auf diese Art und Weise den Bezug zu Vergangenem her. Aber nicht nur die Inhalte sind hier gemeint. Mit Titel, Motiv und Materialästhetik spannt Knorr einen weiten Bogen bis zur jüngeren Kunstgeschichte.
Das Kunstwerk mit dem Titel Demoiselles d’Avignon Added Dimension II wird in seiner Zweidimensionalität aufgebrochen und neu geformt. Knorr spielt mit dem Trägermaterial Leinwand als solches. Es entsteht ein Dialog zwischen Vergangenem und Gegenwart und gleichzeitig kristallisiert sich ein völlig neues Kunstwerk heraus, welches sich ohne das Wissen um die Existenz der „ursprünglichen“ Demoiselles als eigenständiges Kunstwerk behauptet. Kunst verarbeitet sich hier selbst, stellt sich in Frage und erscheint im Endeffekt in völlig neuem Gewand. Die Polyurethan-Platten, mit welchen der Künstler arbeitet, ahmen die Beschaffenheit der Leinwand lediglich nach, besitzen in ihrer Materialität aber völlig andere Eigenschaften.
Reminiszenz an Jackson Pollock?
Was ist überhaupt Kunst und wer entscheidet, was Kunst ist? Mit dieser Frage können Stunden an Diskussionsmaterial gefüllt werden und es wäre dennoch kein Ende in Sicht. Spätestens seit Marcel Duchamps Aktion, ein Pissoir in den Museumsraum zu stellen und jenes als Kunst zu deklarieren, sind alle verwirrt. Objekte und Gegenstände des Alltags im musealen Kontext sind uns also durchaus vertraut.
Diesen Gedanken gilt es für die folgenden Kunstwerke im Hinterkopf zu bewahren. Knorrs Arbeiten wie Beetle aus der Serie Laundry von 2019 transportieren wiederum den Moment des Alltäglichen in den Museumsraum. Ausgestellt in der Kunsthalle Tübingen ist eines dieser besprühten Autos, zusammengesetzt aus mehreren Leinwandteilen. Andere hängen in ihre jeweiligen Einzelstücke zerteilt an den Wänden. Spannend ist das zugehörige Video zur Aktion selbst. Hier sehen wir einen vollen Ausstellungsraum auf der Art Basel im vergangenen Jahr und Knorrs Team, wie sie das noch weiße, abstrahierte „Auto“ durch einen Apparat fahren, der an eine Autowaschanlage erinnert. Die Funktionen sind ähnlich, das Ergebnis verblüffend. Aus den Düsen, die eigentlich für Wasser und Waschmittel vorgesehen sind, spritzt Farbe in unterschiedlichen Tönen; unkontrolliert finden die Farbspritzer ihren Weg auf das Leinwandauto und erinnern wiederum an einen bekannten Künstler: ist dies eine Erweiterung von Jackson Pollocks Action Paintings?
Die vielfältigen Arbeiten Knorrs faszinieren. Dabei sind sie so viel mehr als nur bunt. Knorr bietet seinem Publikum mehrere Ebenen an Fragen, Konzepten und Entwürfen an. In letzter Konsequenz geht es aber fast immer um das Ausloten der eigenen Position innerhalb unserer Gesellschaft, (sozial)politischer Diskussionen und das Befragen von Institutionen, wie dem Kunstmarkt. Dass diese sich nicht nur inhaltlich aus der Vergangenheit speisen, zeigt die Arbeitsweise Knorrs, die materialästhetisch stets auch Fragen an vergangene Epochen, Künstler:innen und ihre Kunstwerke stellt. Vielleicht ist es gerade dieses Spannungsverhältnis von materieller Erneuerung und aktuell diskutierten Debatten der Grund dafür, dass seine Kunst so aktuell und lebendig wirkt.
Ein neues Kunstatelier entsteht aus den Räumen der ehemaligen Bibliothek
Der Titel der Ausstellung passt zum neu gestalteten Atelier der Kunsthalle Tübingen, in dem künftig Workshops für Kinder und Erwachsene stattfinden sollen. Die hellen Räume, die zuvor den Bibliotheksbestand beherbergt hatten, erstrahlen in neuem Glanz und laden zum kreativen Arbeiten ein. So wurde der Lockdown dennoch mit kreativem Potential gefüllt und die Zeit genutzt, ganz im Sinne von WE MAKE IT HAPPEN.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 27. September 2020. Derzeit finden jeden Donnerstag um 18 Uhr Kurzführungen statt. Außerdem ist der Eintritt donnerstags für Studierende frei.
Daniel Knorr
Daniel Knorr wurde 1968 in Bukarest, Rumänien geboren. Er studierte Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Olaf Metzel. Mit mehreren Aktionen wie bei der documenta 14 in Kassel 2017 oder der Biennale 2005 in Venedig machte er auf sich aufmerksam. Die Ausstellung „WE MAKE IT HAPPEN“ ist die erste institutionelle Schau des Künstlers. Er lebt abwechselnd in Berlin und Hongkong.
1Auf der Biennale in Venedig im Jahr 2005 durfte Daniel Knorr sein Geburtsland Rumänien vertreten. Er stellte einen leeren Pavillon aus und löste damit einige Debatten aus, die von institutionskritischen Äußerungen bis hin zu politisch motivierten Diskussionen reichten.