In zwei süddeutschen Städten werden gerade zahlreiche Künstlerinnen in den Fokus genommen. Beide Ausstellungen bieten künstlerische Entdeckungen durch die letzten 150 Jahre.
Gegenwärtig sind Künstlerinnen in zahlreichen Häusern ausgestellt: in der National Gallery in London (Artemisia), im Düsseldorfer Kunstpalast (Angelika Kauffmann, Powerfrau, Influencerin) oder jüngst die Fantastischen Frauen in der Schirn, Frankfurt, oder auch Anfang des Jahres im Prado in Madrid (A Tale of Two Women Painters). Daneben gibt es aber momentan oder in naher Zukunft zahlreiche kleinere Ausstellungen im näheren Einzugsgebiet von Tübingen. Da könnte man meinen, dass dieses Thema nun bald abgegrast sein müsse, Künstlerinnen wohin man sieht. Wir stehen aber erst am Anfang der kunstwissenschaftlichen, historischen und archivalischen Aufarbeitung zu Künstlerinnen und das, obwohl seit den 1970er Jahren die Forderung nach dieser Aufarbeitung immer wieder laut wurde.
Kunstgeschichte und Frauen
Die erste explizit auch kunsthistorische Exploration in die Errungenschaften von Künstlerinnen fand 1976 statt. Linda Nochlin und ihre Co-Kuratorin Ann Sutherland Harris ließen in einer wegweisenden Schau im Los Angeles County Museum of Art 400 Jahre Kunst von Künstlerinnen auffahren. Der 1971 von Linda Nochlin vorgelegte Essay „Why have there been no great women artists?“ zeigt auf, dass die Frage nach den großen Künstlerinnen und ihrer Abwesenheit in der Kunstgeschichte nur die Spitze eines Eisbergs ist, der unter der Oberfläche aus ganz anderen Fragen besteht. Was gilt denn als exzellent und was als Kunst? Damit einher geht auch die Frage nach der sozialen Ordnung oder dem, wer eigentlich nun bestimmt was als Kunst zu gelten hat.
Künstlerinnen heute
In den letzten fünfzig Jahren hat sich aber doch einiges für Künstlerinnen getan. Inzwischen gibt es zum Beispiel mehr Kunststudentinnen als -studenten an den deutschen Akademien und die Frage, ob Frauen überhaupt Kunst machen können, haben zahllose Künstlerinnen zu Genüge positiv beantwortet. Dennoch sind die Überblickswerke der Kunstgeschichte in Bezug auf Künstlerinnen noch sehr ausbaufähig und Künstlerinnen werden mehr als Addendum der „echten“ Kunstgeschichte unterrichtet. Es gibt auch immer noch Ausstellungen, in denen sich der Frauenanteil maximal im einstelligen prozentualen Bereich befindet. Wir können also für jede historische Aufarbeitung dankbar sein, und uns freuen, dass es sich der Südwesten scheinbar auf die Fahnen geschrieben hat, das Thema näher zu beleuchten. Dafür sprechen nicht nur die beiden hier besprochenen Ausstellungen, sondern auch die trinationale Wanderausstellung zum 600. Geburtstag der Mäzenin Margarethe von Savoyen, die ab September 2020 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zu sehen sein wird.
„Beruf: Künstlerin!“
In der Städtischen Wessenberg-Galerie Konstanz wird noch bis 30. August 2020 die Kunst von zehn deutschen Malerinnen am Bodensee gezeigt.
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Die Ausstellung beginnt in einem Raum, in dem die „Pionierinnen“ aus Konstanz vorgestellt werden, also vier Künstlerinnen, die hauptsächlich im 19. Jahrhundert und vor dem Recht der Frauen auf ein Kunststudium in Konstanz tätig waren. Mit ein paar wenigen, aber eindrucksvollen Bildern werden die Genres vorgeführt, mit denen sich Frauen im Allgemeinen zu dieser Zeit begnügen mussten: Porträts, Stillleben und das ein oder andere Andachtsbild. Ganz kurz wird in der ausliegenden Ausstellungszeitung die Lage der Künstlerinnen um die Jahrhundertwende in einer weitgehend frauenfeindlichen Welt thematisiert. Die weiteren Räume sind sechs Künstlerinnen gewidmet, die dem 20. Jahrhundert zugerechnet werden. Der virtuelle Rundgang durch die Ausstellung, den die Leiterin der Galerie Dr. Barbara Stark für die virtuell stattfindende Vernissage durchgeführt hat, bietet einen guten Überblick über die Vielfalt der gezeigten Arbeiten.
Reicht der gemeinsame Nenner Frau?
Der Ausstellungsbesuch wirft zahlreiche Fragen auf. Hätten die zehn Frauen von sich selbst als Künstlerin von Berufs wegen gesprochen? Dürfen wir das dann von Ihnen sagen? Wie anerkannt war ihre Arbeit damals und in welchem Verhältnis stehen die Werke zu denen anderer Künstler*innen ihrer Zeit? Und die alles beherrschende Frage bleibt: was verbindet die Frauen miteinander, außer dass Ihnen das weibliche Geschlecht zugeschrieben wird? Die Ausstellung präsentiert zehn sehr unterschiedliche Positionen und Persönlichkeiten fast kommentarlos nebeneinander und, bis auf eine Ausnahme, sind sie zueinander nicht in Beziehung gebracht worden. Was sie verbindet ist ihr vorübergehender Wohnort am Bodensee, die Tatsache, dass sie Frauen sind, dass sie gemalt, gezeichnet und gedruckt haben, und dass sie weitgehend in Vergessenheit gerieten. Dementsprechend wird die kunsthistorische Einordnung, zugunsten der Biographien der Künstlerinnen, an die Seite gedrängt. Diese sind in aller Kürze an der Wand und in angenehmer Länge in der Zeitung nachzulesen.
Die Informationen fokussieren also hauptsächlich auf die biographischen und historischen Umstände der Künstlerinnen. Es ist heute auch kaum mehr vorstellbar, dass der Ehemann einer jungen Frau ihre Kunstausübung mit einer Selbstverständlichkeit verbieten kann, wie es der Ehemann von Gertraud Herzger von Harlessem (1908–1989) tat, der im Übrigen selbst auch Künstler war. Und die asiatischen Einflüsse auf Ilna Ewers-Wunderwald (1875–1957) lassen sich ohne einen Hinweis auf ihre Reisetätigkeit nicht erklären, so wie Katharina Weissenborn (1884–1978) in den Kontext der Orientmaler eingeordnet gehört. Als Besucher*in bräuchte man mehr Informationen, um beispielsweise die Illustrationen in die zeitgenössische Buchkunst einordnen zu können und um die Referenzen und Inspirationen zu verstehen, die zu diesem oder jenem Werk geführt haben könnten. Ein wenig mehr Hilfestellung darf man dem Publikum gerne mitgeben, vor allem wenn mehr als nur das Kunstbeflissene Publikum angesprochen werden soll. So bleiben die malerischen und buchkünstlerischen Referenzpunkte offen. Das aber bietet Raum und Gelegenheit für weitere Ausstellungen und Recherchen.
Ab 20. September wird im Hesse Museum Gaienhofen übrigens eine Ausstellung zu Ilna Ewers-Wunderwald zu sehen sein: „Grenzgänge. Ilna Ewers-Wunderwald (1875–1957) als Illustratorin, Übersetzerin und Autorin“.
„Netzwerkerinnen der Moderne“
Die städtische Galerie Böblingen zeigt mit „Netzwerkerinnen der Moderne“ eine große Sonderausstellung zum 100 jährigen Jubiläum des Frauenkunststudiums.
Ein abgewandelter VVS Plan empfängt die Besucher*innen am Eingang und zeigt die wichtigsten Stationen im Frauen Kunstnetzwerk der letzten 150 Jahre. Neben den Institutionen, die für die Ausbildung zur Künstlerin zur Verfügung standen, sind auch politische Ereignisse vermerkt, wie die Einführung des Frauenwahlrechts oder feministische Eckpfeiler, wie Virginia Woolfs heute noch aktuelle Schrift „Ein eigenes Zimmer“. Im Plan überlagern sich so zeitliche und räumliche Strukturen und der Weg in die Zukunft endet in der jetzigen Ausstellung in Böblingen: so weist uns Böblingen einen Weg in die Zukunft.
Frauenkunststudium und Künstlerinnenvereinigungen
Der Plan vermittelt in komprimierter Form, was die Ausstellung zeigt: dass Frauen seit 1919 offiziell an der damaligen Königlichen Württembergischen Kunstschule—die heutige Akademie der Bildenden Künste—studieren konnten. Davor war es Frauen nur auf Empfehlung möglich gewesen, eine künstlerische Ausbildung zu bekommen, aber immerhin acht weibliche Künstlerinnen hatten diesen Schritt seit 1864 getan. Es gibt also schon seit 150 Jahren Frauen im Südwesten, die sich professionell mit Kunst auseinandersetzen, nur sind sie bis heute selten thematisiert worden.
Mit der Gründung des Württembergischen Malerinnenvereins in Stuttgart, heute der Bund Bildender Künstlerinnen Württembergs e.V., hatten sich die Künstlerinnen 1893 zusammengetan und 1907 ein Atelierhaus eröffnet. Im Laufe des 20. Jahrhunderts gründete sich dazu eine Ortsgruppe des deutschlandweiten Vereins Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen, kurz GEDOK, der seit 1955 ein eigenes Atelierhaus in Stuttgart betreibt. Beide Vereine fördern bis heute in Stuttgart und der Region Künstlerinnen durch Stipendien, Ateliers und Ausstellungen.
Von der klassischen Moderne zur Kunst der Gegenwart
Die Städtische Galerie Böblingen, die seit ihrer Gründung viele Arbeiten von Künstlerinnen in ihre Sammlung aufgenommen hat, versucht diesen eine Plattform zu bieten. „Netzwerkerinnen der Moderne“ ist nun schon die dritte Ausstellung, die Corinna Steimel in der Städtischen Galerie Böblingen zu diesem Themenkomplex kuratiert hat. Da durch diese Ausstellungstätigkeit viel neues Material ans Licht getreten ist, wurde der damals schnell vergriffene Katalog „Die Klasse der Damen—Künstlerinnen erobern sich die Moderne“ neu überarbeitet und wird noch dieses Jahr wieder zu erwerben sein.
Noch viel stärker als die erste Ausstellung ist die Jetzige nun den Gegenwartskünstlerinnen gewidmet. Denn neben den zehn ausgestellten Künstlerinnen der klassischen Moderne, sind 40 Künstlerinnen von einer unabhängigen Fachjury[1] für diese Ausstellung ausgewählt worden. Es sind diese zeitgenössischen Positionen, die die Ausstellung dominieren und aufzeigen, wie vielfältig der künstlerische Ausdruck sein kann. Dabei thematisieren zahlreiche Arbeiten die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Ziemlich eindrucksvoll wird das von der raumgreifenden und monumentalen Scherenschnittarbeit von Nina Joanna Bergold gezeigt. Die in den Raum gespannte Teichfolie bringt vier Wollknäuel ins Leben, auf und in denen Frauenfiguren turnen. Vielleicht klettern sie aber auch über abstrahierte Versionen von sich verschränkenden Himmels- oder Erdkarten, die durch die Präsentation ebenso evoziert werden wie die Scherenschnitte der Lotte Reiniger oder die Spinnarbeit der Arachne. Diese Arbeit schwebt zwischen den Stockwerken der Ausstellung und vernetzt so nicht nur im übertragenen Sinne.
Von verschüchtert bis selbstbewusst — der Akt durch die Jahrhunderte
Die ausgestellten Arbeiten sind thematisch sortiert und so kommen die vielen Generationen der Künstlerinnen in einen überzeitlichen Dialog. Der Akt ist zum Beispiel ein im frühen Frauenkunststudium stark umstrittenes Genre. Ohne ihn lassen sich die menschlichen Proportionen nur schwer erlernen, doch für Frauen ist es im neunzehnten Jahrhundert nicht schicklich, den nackten menschlichen Körper zu zeichnen oder zu malen. Da bekommt der Rückenakt der Alice Haarburger eine ganz neue, fast rebellische Dimension. Diese Arbeit hängt zwischen den Arbeiten von Künstlerinnen des 21. Jahrhunderts, die völlig anders mit diesem Thema umgehen: Johanna Wittwer liefert mit zahllosen kleinen Zeichnungen, manche davon kaum so groß wie Briefmarken, eine kleine Ausstellung in der Ausstellung, in der die Frauenakte selbstverständlich neben den Zeichnungen von Walen oder Autos hängen und dabei selbstbewusst und oft (selbst)ironisch eigene kleine Erzählungen bilden.
Die Überlagerungen der Bilder führen dazu, dass sie sich gegenseitig kommentieren und einen Meta-Dialog über die Darstellung der Frau an sich zu führen beginnen. Alessia Schuth hingegen zeigt den malerischen Blick auf den eigenen Körper. Die Aktmalerei wird so zur malerischen Inbesitznahme des eigenen Körpers, der monumental in die Bildfläche eingespannt ist. Der Gegensatz zu dem zaghaften kleinen Aktbild von Alice Haarburger, das doch wahrscheinlich in seiner Zeit revolutionärer war, als es uns heute scheint, könnte nicht größer sein.
Kirche, Küche, Kinder?
Frauenrollen wurden in der jüngeren europäischen Vergangenheit gerne durch die drei Ks (Kirche, Küche, Kinder) repräsentiert, weshalb diese Themen in allen Jahrzehnten von Künstlerinnen aufgegriffen wurden. Sei es in der Malerei von Emma Joos, deren Junge Frauen in der Kirche oder Mutter mit Kind (1920) deutlich den Einfluss der Impressionisten zeigt oder in den vielen zeitgenössischen plastischen Arbeiten und Installationen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Anja Luithle, die in den frühen 1990er Jahren an der Akademie in Stuttgart studierte, ist im mittleren Stockwerk mit einigen Arbeiten vertreten, die sich mit Frauenrollen beschäftigen. Besonders eindrücklich und im Raum präsent ist „Meine Suppe“, eine kinetische Installation.
Anja Luithle. Meine Suppe. 2008, Sechsteilige kinetische Installation aus Gießharz, Kochlöffel, Stahl, Motoren, Aluminium, sps, Gesamtmaße variabel. ©Städtische Galerie Böblingen Ausstellungsansicht: 3 Hamburger Frauen. Zenobia’s Echo. 2019, Wandgemälde,
Acryl und Kreide auf Wand, ca. 200 x 500 cm. ©Städtische Galerie BöblingenAnna Huxel. Google Earth. 2016, Öl auf Leinwand, 200 x 240 cm. Foto: Gitta Bertram Emma Joos. Junge Frauen in der Kirche. o.J., Öl auf Leinwand, 83 x 63 cm. Foto: Gitta Bertram
Mehrere große Emailkochtöpfe stehen aufgereiht auf dem Boden, in jedem ein Kochlöffel. Diese fangen an zu tanzen, sobald der*die nichts ahnende Betrachter*in an ihnen entlang geht. Der Tanz scheint mit zunehmendem Momentum der Löffel immer aggressiver zu werden und lautes Geklapper an den Töpfen ist das Resultat. Vielleicht schaut ihr selbst, ob der Tanz der Kochlöffel so harmlos ist wie er zunächst scheint. Die direkt daneben präsentierten Büsten wichtiger alter Herren—Ministerpräsident Späth als auch Oberbürgermeister Klett—,von Bildhauerin Hanne Schorp-Pflumm, bilden für den Tanz der Kochlöffel keinen unangebrachten Gegenpart. Mit ihrem starren Blick scheinen sie kein Interesse an dem Kampf der unsichtbaren Köchinnen zu haben. Sie werden damit für die Besucher*innen zum Sinnbild für die „gesellschaftlich sanktionierte Form“ einer Projektion, die „kaum hinterfragt wird“. Dieses Zitat verwendet zwar Kirsten Kleie in ihrem Text zu der Arbeit „resolution in—out“, in der sie unser erlerntes Bildverstehen in Bezug auf die Perspektive in Frage stellt, doch wird dieses in Frage stellen des Erlernten und des als normal wahr genommenen eben auch durch den Dialog der Arbeiten im Raum generiert.
Durch die thematischen Bezüge wird deutlich, dass sich die gesellschaftliche Situation für Frauen, insbesondere für Künstlerinnen, geändert hat. Das Frauenkunststudium ist heute so selbstverständlich, dass es dafür keinen eigenen Namen mehr braucht. Frauen überwiegen heutzutage sogar an den Kunstakademien in Baden Württemberg. Dass die drei Hamburger Frauen Ergül Cengiz, Henrieke Ribbe und Kathrin Wolf aber in dem Text zu ihrer Wandarbeit „Zenobia’s Echo“ darauf aufmerksam machen, dass es nach wie vor keine Selbstverständlichkeit ist, als Frau ausgestellt zu werden, macht deutlich, dass noch viel getan werden muss. Hinter ihren Worten steckt die Erfahrung der immer noch fehlenden Akzeptanz von Künstlerinnen, worauf aktuell eine kleine Dokumentation von STRG_F aufmerksam macht: Warum ist die Kunst von Frauen weniger wert?
Beide Ausstellungen leisten deshalb einen wichtigen Beitrag dazu, die zahlreichen, oft noch unbekannten Künstlerinnen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die vielfältigen Werke, die hier sowohl für Konstanz als auch für Böblingen nur im Ansatz vorgestellt werden konnten, sind es wirklich wert, dass man sie sieht. In Böblingen hätten etwas weniger Objekte den einzelnen Objekten mehr Raum zum Atmen und zum Erzählen gewährt. Die Ausstellung zeigt so aber das Potential zu weiteren (Einzel-)Ausstellungen der Künstlerinnen auf. Man kann nur hoffen, dass die wunderbare Arbeit der beiden städtischen Galerien zu diesem Thema nicht abbricht und dazu weitere Galerien und Museen animiert, zu Künstlerinnen zu forschen und sie auszustellen.
[1] In dieser Fachjury saßen u.a. die Kunsthistorikerinnen Dr. Rita Täuber, Kuratorin Kunsthalle Heilbronn, und Dr. Edith Neumann, Vizedirektorin Stadtpalais Stuttgart, teilnahmen sowie die Malereiprofessorin Cordula Güdemann, Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.