Fotograf, Maler, Kunsthistoriker. Das ist Max Raulff. Tiefgründige Fotografien, Grafiken, die zum Nachdenken anregen und Landschaften, die man einfach nur begehen möchte, finden sich in seinem Œuvre.
In seinen Fotografien fängt er häufig äußerst intime Momente ein. Dies mit einer unglaublich sensiblen Art und Weise. Als Rezipient*in fühlt man sich der Szene zugehörig, dennoch als stille*r Teilhaber*in. Der Augenblick wird durch diese Anwesenheit nicht zerstört. Man gehört einfach dazu. So fühlt man sich auch beim Betrachten seiner Malerei. Wie gerne würde man durch diese Landschaften schlendern.
Doch Max haben wir nicht als Künstler kennengelernt, sondern als unseren Kommilitonen. Stundenlang saß er mit mir gemeinsam in Museen vor Werken. Stundenlang haben wir über sie diskutiert. In der Burse saßen wir immer wieder im gleichen Arbeitsraum, lasen in unseren Büchern und tauschten uns über diese aus. Referatsthemen wurden durchgesprochen, Tipps für Ausflüge ausgetauscht und neu Entdecktes gezeigt. Es war eine tolle und sehr bereichernde Zeit.
Auf einer gemeinsamen Reise in die Provence habe ich erfahren, dass Max Künstler ist. Er machte Bilder von den ungewöhnlichsten Szenen, von Alltagsszenen. Nie werde ich seine Freude vergessen, wenn er mit seiner Kamera los zog und eben diese Momente fest hielt. Seine Fotografien sind unglaublich tiefgründig und sie faszinieren mich bis heute. Umso mehr freue ich mich über dieses Interview und darüber, dass ihr hier Max und seine Kunst kennenlernen könnt.
Ach ja: Schaut mal in seine Online Ausstellung Subterranean Homesick Blues rein. Er zeigt Fotografien aus den letzten fünf Jahren.
Max Raulff. Eine Fragerunde zu deinem Leben.
Max, wie würdest du dich beschreiben?
Ich würde mich als kreativen und offenen Menschen beschreiben, der ein großes Interesse an verschiedenen Kulturen und ihren künstlerischen Ausdrucksweisen hat; gleichzeitig bin ich aber auch oft sehr nostalgisch und altmodisch.
Worin äußert sich deine nostalgische und altmodische Art?
Ich arbeite gern mit alter Technik, zum Beispiel mit analoger Fotografie und entwickle meine Fotos auch selbst. Außerdem arbeite ich gerne mit Ölfarbe, und mache Holz- und Linolschnitte, zeichne mit Kohle… das sind ja auch alles „alte“ Techniken, wenn man so will.
In gewisser Weise ist es bestimmt auch eine Einstellungssache. Ich glaube, dass meine Freund*innen diese Frage bestimmt besser beantworten könnten.
Das klingt gut. Gemeinsam ist das auch echt schöner. Wann und wie bist du eigentlich zur Kunst gekommen?
Zur Kunst bin ich zunächst durch meine Eltern gekommen, die mich schon sehr früh in Museen mitgenommen haben. Wie die meisten Kinder habe auch ich sehr viel gemalt, aber anders als die meisten habe ich nicht mehr damit aufgehört. Das Gleiche gilt für die Fotografie: Mit ungefähr sechs Jahren hab ich angefangen mit den alten analogen Kameras meines Vaters herumzuspielen. Er hat dann versucht mir die Technik dahinter zu erklären, wovon ich natürlich kein Wort verstanden habe. Fotos hab ich trotzdem immer gemacht.
War es immer schon dein Wunsch Kunsthistoriker und Künstler zu werden?
Künstler, ja. Ich wollte mich immer schon auf verschiedenste Art und Weise ausdrücken und hab im Lauf meines Lebens Dutzende verschiedener Techniken und Stile ausprobiert. Die Kunstgeschichte kam erst später dazu.
Was hast du studiert und würdest du es wieder studieren?
Ich hab zunächst Archäologie studiert, an der mich aber, wie mir allmählich klar wurde, vor allem die kunsthistorische Seite anzog. Den Bachelor hab ich dann schon in Kunstgeschichte und Archäologie gemacht, und die Kunstgeschichte ist dann meine Sache geblieben. Die Frage, ob ich wieder studieren würde, kann ich reinen Gewissens mit „Ja!“ beantworten.
Welche Vorteile bringt dein Kunsthistorikerdasein deinem Künstlerdasein? Woran bist du, auch während deines Studiums, gewachsen?
Ich habe, nicht zuletzt dank einiger akademischer Lehrer*innen, das genaue Hinsehen gelernt. Ich habe die Alten Meister entdeckt und sehe, auch wegen meines Archäologie- und Geschichtsstudiums, oft den antiken Formen- und Motivhintergrund. Ich habe gelernt, auf wie viele Arten und Weisen man einem Kunstwerk begegnen kann, und bin definitiv an der Herausforderung gewachsen, einen Zugang zu verschiedensten Kunstwerken und -formen zu finden. Das ist nicht immer leicht, vor allem nicht, wenn einen ein*e Künstler*in oder ein Werk auf den ersten Blick nicht interessiert – was sich nicht selten im Verlauf der Auseinandersetzung mit einem Werk dann verändert.
Was sind deine Ziele?
Meine beruflichen Ziele?
Auch. Vielleicht besser deine Wünsche.
Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gern im Kunsthandel arbeiten. Ich habe vor drei Jahren einmal mehrere Wochen als Intern beim englischen Auktionshaus Christie’s in London verbracht, das war eine enorm spannende und inspirierende Zeit, die in mir den Wunsch geweckt hat, selbst beruflich in diese Richtung zu gehen. Natürlich würde mich auch das Museum als Berufsfeld interessieren, keine Frage. Allerdings will ich auf jeden Fall weiterhin als Künstler aktiv sein und weitere Ausstellungen machen. Auch mit der von mir mitbegründeten Künstler & Eventagentur Vernissage, die letztes Jahr in Rom entstanden ist, möchte ich weiterarbeiten und an bisherige Erfolge anknüpfen. Generell möchte ich versuchen, immer offen für Neues in der Kunst zu bleiben.
Wo siehst du dich in 10 Jahren?
Ich hoffe, in 10 Jahren in einem Job zu sein, der mich erfüllt. Gern würde ich mit Fotografien und Malerei, beispielsweise in einem großen Auktionshaus oder sogar selbst als freier Kunsthändler arbeiten. Fast noch wichtiger aber ist mir die Arbeit als Künstler und Fotograf. Sehr gern würde ich weitere Ausstellungen umsetzen, mit verschiedensten Künstler*innen zusammenarbeiten und einige der Projekte von meiner konstant wachsenden Liste abarbeiten.
Gab es persönliche Highlights in den letzten Jahren?
Ein Highlight waren definitiv die Ausstellungen meiner Künstlergruppe Vernissage in Rom: Wir hatten mit dem Stadio Dominiziano direkt an der Piazza Navona und einem stillgelegten Krankenhaus von 1934 unglaubliche (wenngleich auch herausfordernde) Locations und haben tolle Veranstaltungen auf die Beine gestellt, an denen ich in der Doppelrolle als Kurator und Künstler beteiligt war. Die Ausgabe der Repubblica mit meinem Foto im Kulturteil habe ich bis heute aufgehoben.
Wow, das ist beeindruckend. Und war sicher eine sehr interessante und prägende Erfahrung. Stichwort Zeitung: Wie bleibst du up to date, was die Kunstbranche angeht?
Ich habe immer schon viel Zeitung gelesen, dazu kommen Zeitschriften, die ich mehr oder weniger regelmäßig lese – das sind Kunst-, Design- und Architekturzeitschriften wie Apollo oder ArtNews bis hin zur Vogue. Aber natürlich kriege ich auch viel über Social Media mit. Mein Tipp: Folgt so vielen Museen, Sammlungen und Kultureinrichtungen, wie möglich! Aber auch Einzelpersonen! Gerade die kleineren Sammlungen und Einzelpersonen sind teilweise besonders aktiv. Große Museen, wie zum Beispiel der Prado in Madrid – ein persönliches Lieblingsmuseum meinerseits –, machen oft virtuelle Führungen über Instagram.
Was sind weitere Lese-Tipps?
Empfehlen kann ich zum Beispiel das New Yorker Magazin, das es für Student*innen als Online-Abo schon sehr günstig zu beziehen gibt. Aber auch Bücher lese ich viel. Wer sich wie ich für den Kunstmarkt interessiert, dem kann ich das Buch „Kunst ist käuflich“ von Dirk Boll, dem Direktor von Christie’s in London, empfehlen.
Für das Thema spanisches Barock, mit dem ich mich ja für meine Bachelorarbeit auseinander gesetzt habe, empfehle ich das Buch „The Vanishing Man“ von Laura Cumming, bei dem es um ein angebliches, verschollenes Gemälde von Diego Velázquez geht – das liest sich wie ein Krimi. Sehr interessant ist auch „Vermeer’s Hat“ von Timothy Brook: Hier schildert der Autor anhand kleinster Details in Vermeer-Gemälden den Handel und Kulturaustausch der Welt des 17. Jahrhunderts.
Krimi… Manchmal könnte man die aktuelle Situation, diese Beherrschung durch einen Virus, auch so nennen. Beeinflusst die momentane Situation dein Leben und deine Arbeit?
Meine Masterarbeit, an der ich gerade sitze, profitiert von der Klausur. Aber auch da macht es einem das Virus nicht leichter, denn die Bibliotheken sind nur eingeschänkt geöffnet. Als Fotograf habe ich natürlich zurzeit wenig bis kaum etwas zu tun, jedenfalls nicht, was den kreativen Aspekt meiner Arbeit angeht. Allerdings habe ich endlich mal Zeit, meine sämtlichen Negative zu sortieren und meine Website neu aufzubauen, was auch nicht schlecht ist.
Zeit habe ich jetzt auch viel zum Malen und Zeichnen. Eigentlich eine gute Sache. Allerdings leidet man nach ein paar Wochen doch unter der Einsamkeit, und ich persönlich bin jemand, dessen Inspiration und Motivation stark vom direkten Austausch mit anderen abhängt. Über Skype und Telefon – na gut, das geht auch, aber es ist nicht dasselbe. Gerade schreibe ich ja auch meine Masterarbeit, in der ich mich mit der Ikonographie der Freiheitsstatue und ihrer Verwendung im 20. Jahrhundert, vor allem bei den Sowjets und Nazis, auseinandersetze.
Wollen wir uns etwas über deine Kunst unterhalten. Du bist Fotograf und Maler. Vielleicht erstmals zu deiner Photographie. Kannst du sie in drei Worten beschreiben?
Noir – street – intim.
Oh, wow, eine sehr spannende Kombination! Wie kam es dazu?
Ich war schon immer stark vom Film und vor allem vom Film Noir und dessen Ästhetik beeinflusst, was auch daran liegt, dass geschätzte 75% meiner Arbeiten schwarzweiß sind. Gleichzeitig versuche ich, wenn ich zum Beispiel Menschen fotografiere, sehr intime Fotografien zu machen, dicht an den Menschen zu arbeiten. Wenn ich beispielsweise eine bestimmte Gruppe fotografiere wie die Heroinjunkies, die ich 2017 über Wochen hinweg begleitet habe, dann versuche ich, sie nicht von „außen“ zu fotografieren, sondern ein Teil ihrer Gruppe und ihrer Welt zu werden und das Ganze von „innen heraus“ zu dokumentieren und mich dabei, so gut es geht, in ihre Lage zu versetzen, ihre Perspektive einzunehmen. Mein Credo „Inside, looking out“ bringt es vielleicht ganz gut auf den Punkt. Dennoch würde ich sagen, dass die Ästhetik der Straßenfotografie – mit der ich ja auch angefangen habe – alle anderen Formen der Fotografie, die ich mache, durchdringt.
Mit welchen Materialien arbeitest du?
Verschiedene Kameras (analog und digital), Skizzenbuch, und in seltenen Fällen auch einmal Kunstlicht. Normalerweise bevorzuge ich natürliches Licht; wenn ich Kunstlicht nehme, benutze ich gerne alte Studioscheinwerfer aus den 70er Jahren, die ich mal auf einem Flohmarkt gekauft habe: Die machen ein besonders weiches und irgendwie „altmodisches“ Licht – leider sind sie auch sehr schwer, echte Stromfresser und man kann sich prima die Pfoten daran verbrennen.
Hoffentlich bleiben keine Brandwunden! Inwieweit planst du denn deine Fotografien?
Das kommt immer darauf an, was ich fotografiere: Bei Straßenfotografie überlege ich mir meistens nur grob, wo (in welchen Teil der Stadt, in der ich gerade bin) ich gehen will und laufe dann so lange herum, bis ich mich verirrt habe.
Portraits oder Modefotografie brauchen etwas mehr Vorbereitungszeit: Ich muss einen Ort finden, der sich als Hintergrund eignet und dennoch nicht das Bild dominiert, das Licht muss stimmen, und so weiter. Oft gehe ich dann schon vor dem Termin da vorbei und mache ein paar Fotos, um mich an das Licht zu gewöhnen oder um zu sehen, zu welcher Tageszeit es am schönsten ist. Manchmal treffe ich die Personen auch schon vor dem eigentlichen Termin auf einen Kaffee oder ein Glas Wein, damit man sich kennen lernen und eine Beziehung herstellen kann.
Dein Schaffensprozess ist also davon abhängig, was du fotografierst?
Genau. Generell kann man sagen, dass mein Prozess eigentlich nie richtig beendet ist: Oft krame ich nach Jahren noch alte Fotos hervor und finde Details, die ich – wenn es möglich ist – verändere oder beim nächsten Mal anders machen würde. Manchmal entdecke ich auch erst nach Jahren Fotos in meinen Archiven, die ich plötzlich gut finde und publiziere, während andere wieder verschwinden. In gewisser Weise ist meine Produktion also ständigem Wandel unterworfen.
Drei Worte zu deiner Malerei:
Figurativ – modern – nicht stilgebunden.
Wie würdest du sie Laien näher bringen?
Ich habe viele Stile ausprobiert und tue das weiterhin. Ich bin nicht sicher, ob ich „meinen“ Stil schon gefunden habe. Darin sehe ich nichts Negatives, im Gegenteil halte ich das für eine hilfreiche Unruhe, weil sie mich vielseitig arbeiten lässt. Derzeit arbeite ich an einer Reihe von Landschaften, die stark von Edward Hopper und seiner Farbtheorie beeinflusst sind, die sich allerdings wieder enorm von den schwarz-weißen, auf meinen eigenen Fotos basierenden Portraits der vorherigen Serie abheben.
Mit welchen Materialien arbeitest du? Wie wählst du das Material aus?
Inzwischen arbeite ich fast nur noch mit Ölfarbe. Die Tatsache, dass sie tagelang nass bleibt und man so sehr lange an einem Bild arbeiten kann, war dabei für mich ausschlaggebend. Außerdem mag ich ihre Materialität: wie sie aussieht, wie sie riecht, wie sie sich unter dem Pinsel verhält. Zum Zeichnen nehme ich oft Kohle oder Bleistifte. Wie viele Künstler*innen, die ich kenne, habe ich eine Stifterolle mit Dutzenden verschiedenen Stiften darin, von denen ich im Schnitt drei benutze.
Und wie beginnst du deine Arbeiten? Mit einer Idee oder einem Strich?
Meine aktuellen Landschaftsmalereien mache ich meist alla prima, direkt mit Öl auf die Leinwand: Ich skizziere grob die Formen dessen, was ich malen will und mache dann eine Farbstudie, trage also verschiedene Farben auf die entsprechenden Stellen im Bild und schaue, ob es mir gefällt und ob die Farbtöne harmonieren. Bei der vorangegangenen schwarz-weißen Serie habe ich mit Kohlestift direkt auf die Leinwand gemalt und im Unterschied zur jetzigen, pastosen Malweise mit stark verdünntem Öl lasierend gemalt, so dass die Skizze noch sichtbar bleibt.
Arbeitest du auch parallel an mehreren Kunstwerken oder wird immer nur eines bearbeitet und fertiggestellt?
Zu den Eigenschaften von Ölmalerei gehört ja, dass die Gemälde Wochen brauchen, um zu trocknen, so dass man oft lange warten muss, bis eine Malschicht fertig ist, um weiter zu machen. Da ich prinzipiell eher ungeduldig bin, male ich daher oft an mehreren Sachen gleichzeitig, wobei das dann wiederum meist Werke einer Gruppe oder Serie sind. Gerade jetzt arbeite ich an vier verschiedenen Landschaften.
Inwieweit verknüpfst du Fotografie und Malerei?
Oft sind Fotos Ausgangspunkt für meine Gemälde, manchmal auch meine eigenen: Das war wie gesagt bei der erwähnten Portraitserie in schwarz-weiß vom letzten Jahr der Fall.
Sind dir Regionalität und Nachhaltigkeit bei der Herstellung und Materialwahl wichtig?
Ich versuche, meine Materialien – sei es jetzt Film, Photochemie oder Ölfarbe – regional zu kaufen und somit kleine Läden zu unterstützen. Etwas schwieriger natürlich ist es mit der Herstellung: Der Film kommt aus Japan oder England (Kodak), die Ölfarbe wird meist auch importiert.
Woher nimmst du eine Inspiration?
Die Werke anderer Künstler*innen sind eine große Inspiration: Ich gehe viel in Museen und sammle Kataloge. Neben meiner Staffelei steht ein Tisch mit Kunstbänden, in denen ich nach Inspiration suchen kann. Gleichzeitig verarbeite ich oft Dinge meines Alltags und meines Privatlebens. Einige Serien sind auch durch Zufall entstanden, wie etwa mein Junkie-Projekt: Das war völlig ungeplant.
Hast du Vorbilder?
Die Frage eines Vorbilds für meine Fotografie lässt sich leicht beantworten: Einer der ersten Fotografen, dessen Werk ich kennengelernt habe, war der amerikanisch-schweizerische Robert Frank, der mit seinem Band „The Americans“ die USA der 50er Jahre – zwischen Beatniks und Rassentrennung – auf einzigartige Art und Weise einfing. Seine Bildästhetik prägt mich bis heute und hat mich zur Straßenfotografie gebracht. Ähnliches gilt für die deutsche Fotografin Barbara Klemm, die als die bekannteste deutsche Pressefotografin der Nachkriegszeit berühmt ist und mir als enge Freundin meiner Familie nicht nur eine Inspiration, sondern auch Lehrerin und Kritikerin war. Daneben habe ich die Fotografien des Kriegsfotografen Robert Capa immer bewundert. Auch sein Leben ist interessant, er hat ja selbst ein Kriegstagebuch geschrieben, das unter dem Titel „Slightly out of Focus“ veröffentlicht wurde.
Was die Portrait- und Modefotografie angeht, habe ich immer das Werk des deutschen Modefotografen Peter Lindbergh bewundert, der leider – ebenso wie Robert Frank – letztes Jahr gestorben ist. Was ich an seinen Arbeiten immer besonders geschätzt habe, ist die Tatsache, dass seine Modelle nur wenig geschminkt sind und er kaum retuschiert – die eigentliche Hauptrolle in seinen Fotografien hat das Licht, das er wie wenige andere genial einzusetzen wusste.
Was die Malerei angeht würde ich jetzt spontan Lucian Freud und Edward Hopper als große Vorbilder bezeichnen.
Hast du ein Lieblingswerk einer*s anderen Künstler*in?
Ich fange jetzt nicht von den Meninas oder von der Olympia von Manet an, weil ich dann vom Hundertsten ins Tausendste käme. Eines meiner Lieblingsfotos stammt von Robert Frank, es ist das berühmte Titelbild des Bandes „The Americans“ mit dem Bus: Vorn sitzt eine ältere Frau, in der Mitte zwei Kinder und hinten zwei Schwarze: Die verschiedenen Arten, wie sie aus dem Bus heraus in die Kamera gucken, und der gesamte Bildaufbau, das alles spricht Bände über die politische Situation Amerikas in dieser Zeit und macht das Foto für mich zu einem Meisterwerk der Straßenfotografie.
Hast du ein Lieblingswerk von dir selbst?
Ich mag das Portrait „Johny“ sehr gern, es basiert auf einer Fotografie von mir. Eines meiner Lieblingsfotos ist definitiv die Aufnahme von dem Kuss, das mit der schwarzen Frau im Vordergrund, das ich letztes Jahr in Rom gemacht habe.
Was möchtest du gerne mit deiner Kunst bewegen?
Mit meinen Fotografien, vor allem den Straßenfotos, möchte ich gern Geschichten erzählen, bzw. Geschichten in den Köpfen des Betrachters entstehen lassen – wie ein Bild aus einem Film. Vor allem aber geht es mir bei meinen Portraits um die Menschen auf den Fotos und ihre Geschichten, ihr Menschsein, ihr Leben.
Das Festhalten einer Persönlichkeit? Wie schön! Kannst du eine lustige Anekdote aus deinem „künstlerischen“ Leben erzählen?
Als ich das Foto von „Johny Fingers“, einem der Junkies aus London, machen wollte (auf dem ja auch eines meiner Bilder basiert), fragte er mich „Teeth in or teeth out?“. Ich wusste nicht was er meint. Plötzlich spuckt er einen Satz falscher Zähne in seine Hand und wirft mir dieses absolut irre Grinsen entgegen. Ich war so perplex, dass ich mich kaum aufs Fotografieren konzentrieren konnte (weshalb, wenn ihr genau hinseht, die Schärfe bei dem Bild auch nicht ganz optimal auf dem Gesicht sitzt, aber was soll’s…).
Es ist eine wunderbare Aufnahme und mit der kleinen Geschichte noch authentischer! Nun noch ein paar allgemeine Fragen, wenn es für dich okay ist. Wie vernetzt du dich in der Kunstszene?
Ich gehe oft auf Veranstaltungen wie Ausstellungseröffnungen und zu Vorträgen. Gleichzeitig nehme ich oft selbständig Kontakt zu Künstler*innen auf. Das ist etwas, das ich durch meine Arbeit in der Künstlergruppe in Rom gelernt habe. Gerade arbeite ich zum Beispiel an einer Fotoserie über Künstler*innen in ihren Ateliers, für die ich einen Maler aus London einfach über Instagram angeschrieben habe – inzwischen verbindet uns eine Freundschaft und er hat mich sogar in eines seiner Bilder „hineingemalt“.
Würdest du dich als gut vernetzt sehen?
Teilweise. Ich bin ganz gut international vernetzt, aber manchmal fehlt mir ein lokaler Bezug: Menschen vor Ort, mit denen man etwas auf die Beine stellen kann, so wie ich das in Rom getan habe.
Was hältst du von der Stadt Tübingen als Kulturstadt und ihrem Verhältnis zur Kunst?
Daran könnte man arbeiten.
Das geht wohl vielen Städten so. Kennst du einen Ort auf dieser Erde, an dem deiner Meinung nach Künstler*innen und Kulturschaffende perfekt zusammenarbeiten und die Kunst einen angemessenen Stellenwert erfährt?
Du sprichst vom Paradies, richtig? Ich hatte immer das Gefühl, dass London ein guter Ort für den künstlerischen Austausch ist, und auch in Rom gab es eine lebendige Szene. Daneben übrigens eine ziemlich desorganisierte Universität…
Was hältst du von unserer Idee, eine Plattform für Kunst im Raum Tübingen aufzubauen? Sinnvoll? Verrückt? Unnötig?
Warum so eng? Warum nicht für die weitere Region: die Alb, die Bodenseeregion usw.?
Ja, vielleicht sollten wir darüber mal nachdenken… Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Veränderung. Hast du Wünsche für die Kunstszene Tübingen und Stuttgart?
Dass sie nach der Aufhebung des Lockdown noch existieren möge.
Ja, das hoffen wir doch auch! Nun zu meiner letzten Frage: Hast du eine Kultur-und/ oder Kunstinstitution in deiner Stadt, die du empfehlen kannst?
In Stuttgart die Staatsgalerie, das Kunstmuseum und Clubs wie das Goldmarks, in denen ich oft fotografiere, in Frankfurt das Städel, das MMK, das Liebighaus…
Lieber Max, herzlichsten Dank für diesen wirklich wunderbaren Austausch, für den Einblick in deinen Alltag, in dein kunsthistorisches wie auch künstlerisches Schaffen. Sehr freuen wir uns, dass wir gemeinsam mit dir viele Jahre in der Burse verbringen durften und uns nie aus den Augen verloren haben. Auf die kommenden gemeinsamen Projekte, auf die Zukunft!