Noch bis 28. Juni 2020 zeigt der Kulturverein Zehntscheuer e.V. Rottenburg am Neckar im Kulturzentrum Zehntscheuer in der Rottenburger Altstadt die Ausstellung „Dekade in Schwarz“ von Marcus Fauser. Das historische Gebäude empfängt den:die Besucher:in mit einem Sammelsurium schwarz-weißer Gemälde. Gemälde? Fotografien? Eine Mischung aus beiden Techniken? Sind sie wirklich schwarz-weiß?
Die Frage nach mehr
Diese Fragen stellt man sich bei einem Ausstellungsbesuch. Sie drängen sich auf, denn egal, wie nahe man an die Werke herantritt: Vieles bleibt unergründlich. Die menschliche Wahrnehmung wird bei der Betrachtung auf eine harte Probe gestellt. Der Versuch Landschaften oder Gesichter zu erkennen, läuft ins Leere. Es muss doch mehr geben, als die Farbe, als die Strukturen, als das pure Werk.
Rückkopplung
So wird der:die Betrachter:in immer wieder an den Beginn des Gedankengangs zurückgeworfen, der ihn:sie durch die gesamte Ausstellung begleitet – Was sehe ich? Eine Rückkopplung. Diese kann sich positiv oder negativ für das betroffene Objekt auswirken. Sie kann also zu einem Mehrwert oder einem Rückschritt des Betrachtungs- und Assoziationsvorgangs führen. In beiden Fällen löst sich der Vorgang von Zeit und Raum und wird so für den Künstler zum Sinnbild für die Unendlichkeit. Diesen Umstand, das Werden und Vergehen, nutzt Fauser, um den Zufall besser kontrollieren zu können. Der Gedanke, dass das Prozesshafte stetig fortschreitet und sich unabhängig von den Ereignissen bewegt, die im Laufe der Zeit stattfinden kann, hat eine beruhigende Wirkung. Auf den Künstler gleichermaßen, wie auf den:die Betrachter:in.
Prozess
Die Frage nach dem menschlichen Dasein und dessen Prozesshaftigkeit liegt im Interesse des Künstlers, sodass seine Werke einen bestimmten Moment dieses Daseins festhalten. Der übergeordnete Prozess läuft fort. Ein Ist-Zustand wird allerdings vom Künstler herausgegriffen und auf der Leinwand mumifiziert. Als Materialien für diese Arbeit dient ihm Tusche, Ölfarbe, Acrylfarbe und -lack, weitere Lacke, aber auch Wasser und Kaffee. Die Werke sind also keineswegs schwarz-weiß, wie sie auf den ersten Blick scheinen.
Mehr als Schwarz
Obwohl nur diese beiden Farben zum Einsatz kommen, eröffnet sich dem:der Betrachter:in ein wesentlich breiteres Spektrum an Farbebenen. Grautöne, Zwischenspiele der Farbe, der Kunst, des Lebens. Jedes Werk öffnet einen Raum zu weiteren Momentaufnahmen, die im übergeordneten Prozess entstehen und eine Verbindung zu dem dargestellten Augenblick im Werk vor unseren Augen haben. So entsteht für jede:n Betrachter:in ein völlig unterschiedliches Bild. Beeinflusst von individuellen Erlebnissen, Gedanken und Phantasien setzt sich das endgültige Werk erst im Kopf dessen zusammen, der:die es zu einem bestimmten Zeitpunkt anblickt. Mit jedem Besuch entdecken wir so eine völlig neue Ausstellung.
Moment des Innehaltens
In der Psychologie ist die Rückkopplung eng mit der Wahrnehmung des Selbst und dessen Außenwirkung verbunden. Ein Umstand, der auf die Werke von Marcus Fauser zu übertragen ist. Wie nimmt der Künstler seine Werke wahr und welche Außenwirkung haben sie auf den:die Betrachter:in? Sie stellen einen Moment des Innehaltens dar, der für jedes Individuum, das sich im Kreislauf des Werdens und Vergehens befindet, eine spezifische Bedeutung hat. Obwohl die Werke einen Moment aus diesem Prozess herausgreifen und versuchen ihn festzuhalten, verändern sich die Arbeiten im Laufe dieses Vorgangs, sodass sie heute ein anderes Bild zeigen, als es morgen der Fall ist.
Welt der Kunst
Ein oder gar mehrere Besuche der Ausstellung sind also durchaus zu empfehlen. Begleitet von medialen Arbeiten, die die Rückkopplung als Themenbereich in Marcus Fausers Werken veranschaulichen, zeigt der Kulturverein Zehntscheuer e.V. Rottenburg am Neckar ein breites Spektrum von Fausers Gemälden. Bei freiem Eintritt bietet die Einrichtung einen Ausflug in das Jetzt und Hier, in die phantastische Welt unserer Gedanken und der Kunst.