MDF, mitteldichte Holzfaserplatten, ein Holzwerkstoff, der seit Jahrzehnten Einsatz findet, sei es auf Baustellen, im Werkunterricht in der Schule oder beim Ausbau des eigenen Campers. Unzählige weitere Verwendungsorte könnten hier aufgeführt werden. Auch in der Kunstszene ist der Einsatz von gewöhnlichen, gar alltäglichen Materialien, unter anderem durch die Arte Povera in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts forciert worden.
MDF ist stabil, gut zu bearbeiten und multifunktional einsetzbar. Faszinierend – so empfindet ihn auch die 24-jährige Künstlerin Antonia Nannt. So findet unter anderem MDF, bearbeitet mit einer CNT-Fräse, Einzug in ihre Kunstwerke. Es entstehen Plastiken mit strengen und organischen Formen. Sie spielen mit Licht, Schatten und dem Ausstellungsraum. Die Blicke der Betrachter*innen werden durch eingearbeitet Öffnungen geleitet. Je nach Position ändert sich die Raumwirkung der Rezipient*innen.
Immer noch sind wir fasziniert von der Arbeit Englischer Garten (decorated farm) von Antonia Nannt, die momentan im Kunstverein Reutlingen ausgestellt ist. Wir haben uns viel über das Kunstwerk unterhalten und uns gefragt, wer Antonia Nannt eigentlich ist, was sie so macht. So kam die Idee auf, ein Interview mit der in Berlin lebenden Künstlerin zu führen. Wir freuen uns, dass Antonia JA zu unserer Anfrage gesagt hat und wir euch deshalb heute unser Interview mit ihr präsentieren können.
Antonia Nannt. Ein Interview.
Liebe Antonia, wann und wie begann dein Leben mit der Kunst?
Ich bin auf ein naturwissenschaftliches Gymnasium gegangen, was ehrlich gesagt nicht sehr passend für mich war. Mich haben eher Sprachen und die Kunst interessiert. Ich hatte zwar einen Leistungskurs Kunst in der Oberstufe, musste dafür aber extra mit dem Zug in eine andere Stadt fahren, da er an meiner Schule nicht zustande kam – das sagt eigentlich alles aus. 2014 bin ich sehr spontan nach Amsterdam gezogen und habe dort mein Studium an der Gerrit Rietveld Academie begonnen. Ich war zuvor noch nie in Amsterdam oder hatte jemals in Erwägung gezogen dorthin zu ziehen, aber dann ging es irgendwie los. Ein Jahr studierte ich im Fine Arts Department.
Und wie bist du nach Berlin gekommen?
Ich habe das Studium zwar in Amsterdam begonnen, doch mir wurde relativ schnell klar: Ich muss noch was anderes ausprobieren. Damals sprach ich mit einer Freundin über meine Arbeiten und dann kam die Klasse von Manfred Pernice an der Universität der Künste in Berlin ins Gespräch. Nach Bewerbung und Gesprächen konnte ich zum nächsten Semester an die UdK wechseln und plane dort auch für nächstes Jahr meinen Abschluss. Letztes Semester war ich dann noch für einen Austausch an die Akademie der Bildenden Künste in Wien.
Woran bist du – auch während deiner Ausbildung – gewachsen?
Ich glaube tatsächlich an den Eigenheiten innerhalb der Institutionen, aber besonders auch am Miteinander und der Möglichkeit des Austausches untereinander, was ich in Zukunft absolut nicht missen möchte!
Was sind deine Ziele?
Momentan ist vor allem ein Ziel, mich und meine Arbeit handwerklich weiter zu entwickeln.
Was war dein absolutes Highlight in den letzten Jahren?
Ich glaube ein Highlight war eine Residency in Upstate New York letzten Sommer, abseits von Schnelligkeit der Stadt und dabei festzustellen, wie arbeiten dort funktioniert.
Oh wow, kannst du ein wenig davon erzählen?
Ich war fast einen Monat in New Lebanon einem ehemaligen Shaker Dorf, welches nordöstlich von Albany und circa drei Stunden nördlich von New York City liegt. Die Residency selbst ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Shaker Museum und wird von einigen Künstler*innen vor Ort organisiert.
Es besteht die Möglichkeit sich dort mit den Shakern zu befassen, sowie in einem Shaker Haus zu wohnen. Mich interessierten besonders die Möbel und Gegenstände, welche die Shaker selbst für ihre Gemeinschaft produziert haben. Entgegen meiner romantisierten Vorstellung gibt es dort viele andere Herausforderungen.
Was sind das für Herausforderungen?
Es gibt zwar viel Ruhe, allerdings auch weniger Ablenkung. Dies stellt die eigene Arbeitsweise in Frage.
Klingt nach viel Zeit zur Reflexion – bestimmt eine prägende Erfahrung.
Liest du in deiner Freizeit kunsthistorische Literatur?
Ich habe Schwierigkeiten online zu lesen und tendiere daher zum Buch. Generell würde ich (immer) gerne mehr lesen. Momentan lese ich Am Grund der Bilder von Jean Luc Nancy und Das Selbstbewusste Bild von Viktor I. Stoichita. Favoriten der letzten Zeiten waren auf jeden Fall auch Poetik des Raumes von Gaston Bachelard und Lernen von Las Vegas von Robert Venturi, Denise Scott-Brown und Steven Izenour.
Wie beeinflusst die momentane Situation dein Leben und deine Arbeit?
Ich habe auf jeden Fall schon lange nicht mehr so viel Zeit zu Hause verbracht und bemerke daher den Luxus als Kunststudentin immer in der Werkstatt und im Atelier arbeiten zu können sehr! Die (Aus-)Zeit zu Hause bringt aber auch neue Erkenntnisse über die eigene Arbeitsweise.
Sehr interessant. Vielleicht können wir an dieser Stelle gleich mal zu deiner Kunst und deinem Schaffen übergehen. Wie würdest du in nur drei Worten deine Kunst zusammenfassen?
Ich brauche vielleicht nur zwei: „Schwieriges Ganzes“.
„Schwieriges Ganzes“ – Was steckt dahinter?
Das „Schwierige Ganze“ bezieht sich auf ein Zitat von Robert Venturi aus dem Buch Komplexität und Widerspruch in der Architektur und beschreibt eine additive Herangehensweise von Erfahrungen und daraus gespeisten Assoziationen, welche durch ihre Vielfältigkeit an Komplexität gewinnen und deshalb ein „Schwieriges Ganzes“ bilden.
Ich finde dieses „Schwierige Ganze“ sehr spannend, da es scheinbar versucht verschiedene Materialien, Assoziationen und historische Einflüsse in Schichten zu versammeln, welche untereinander Spannung erzeugen. Die Spannungen wiederum führen zu einer Komplexität, welche als positive Erfahrung beschrieben werden kann, da die Leserichtung nicht vorbestimmt ist und es auch nicht sein will.
Wie ist dein Schaffensprozess?
Ich halte Formen, Farben und Oberflächen aus meinem Umfeld (fotografisch) fest. Oft sind es Merkmale der Architektur wie Fassaden oder eben Ausschnitte, Umrisse und Linien. Es entstehen Ansammlungen von Abbildungen und daraus formiere ich eine Versammlung.
Ich nenne diese Zusammenstellung gerne Versammlung, da es eine Gruppierung darstellt, welche meist die Grundlage für ein einzelnes Werk bildet. In den einzelnen Arbeiten geht es um diese akkumulative Arbeitsweise und deren Übersetzung. Das funktioniert wie eine Art Syntax.
Ebenso könnte man es auch als eine Collagetechnik verstehen. Daher spielt besonders auch Farbe, Muster und Symbolik eine große Rolle, da diese eine Art Kohärenz und Rahmung innerhalb der Arbeit schaffen können. Ich erstelle eine Art Hülle oder Behälter, einen Container für meine Versammlung und versuche dabei die verschiedenen Schichten der Hülle zu verbinden. Das Interesse am Container nährt dabei das dreidimensionale Interesse an Konstruktion, Raum und Material, wobei der Inhalt ein projiziertes, flaches Gewand ist.
Mit welchen Materialien arbeitest du? In/mit welchem Medium?
Ich würde es als ein Interesse für ein Dazwischen beschreiben, ob bei Material oder Medium. Etwas zwischen den Dimensionen und der Erforschung ihrer Oberfläche.
Wie wählst du das Material aus?
Das ist eine Frage, die mich sehr beschäftigt, da das Material selbst solch eine Kraft hat. Mich interessieren Materialien, die auf den ersten Blick vielleicht spröde erscheinen. Daher auch mein Interesse für MDF. Ich habe eine gewisse Abneigung, da es weder Holz noch Kunststoff ist und irgendwie aussagelos dasteht. Das finde ich jedoch spannend, denn der Gedanke der Aufwertung oder Verpackung, der Schein seiner Hülle interessiert mich.
Sind dir Regionalität und Nachhaltigkeit bei der Herstellung und Materialwahl wichtig?
Das kann ich bisher leider nicht behaupten, ich würde dies jedoch gerne in Zukunft in den Angriff nehmen und bin offen gegenüber neuen Materialien.
Woher nimmst du deine Inspiration?
Ich interessiere mich sehr für die Idee des Eklektizismus, also die Möglichkeit des (ungenierten) Aufgreifens und neu Zusammensetzens von Techniken und Stilen. Deshalb interessieren mich auch Symbole und Zeichensysteme. Malerische Ansätze mit Bezug zum Raum und Objekt wie beim Tafelbild und Trompe-l’œil beschäftigen mich auch sehr.
Machst du alles selbst? Welche Hilfsmittel benutzt du?
Ich mache alles selbst, versuche aber den Umgang mit neuen Techniken immer mehr auszunutzen und zu erlernen, momentan besonders die Möglichkeit mit der CNC-Fräse zu arbeiten.
Also ein ständiger Prozess des Erlernens? Woher hast du deine handwerklichen Fähigkeiten?
Ich finde es sehr wichtig und gut, dass wir in den Werkstätten der Kunsthochschulen mit einem Grundstock an handwerklichen Fähigkeiten ausgestatten werden, unter anderem in Holz- und Metallbearbeitung. Mein Interesse am Handwerk und dessen Möglichkeiten führen mich da immer weiter.
Das Handwerk fesselt mich vor allem aufgrund meines Interesses an Gebrauchs- und Alltagsgegenständen und deren Formgebung. Im Erlangen von handwerklichen Fähigkeiten und Prozessen kann man ein neues Verhältnis gegenüber diesen bekommen.
Arbeitest du auch parallel an mehreren Kunstwerken oder wird immer nur eines bearbeitet und fertiggestellt?
Ich glaube das ist alles irgendwie uneindeutig und soll auch so bleiben, da es eben viel um Gruppieren, Zusammensetzen und diese Dynamik geht. Also wahrscheinlich doch mehrere.
Hast du ein Lieblingswerk (von dir selbst)?
Lieblingswerk eher nicht, aber einzelne Ausschnitte und Motive aus Werken will ich gerne erneut aufgreifen und transformieren. So zum Beispiel florale Muster und Motive, welche auch schon bei der Arbeit Englischer Garten eine Rolle gespielt haben.
Was hältst du von der Stadt Reutlingen als Kulturstadt und ihrem Verhältnis zur Kunst?
Ich glaube Reutlingen hat sicherlich Potenzial und das Interesse scheint auch vorhanden zu sein. Es wäre toll, wenn es mehr experimentelle Formate geben könnte.
Wie ist es in Berlin?
Irgendwie gesättigter, aber man hat eben die Möglichkeit sich seine Nische zu suchen, was auch eine Besonderheit und Privileg ist!
Was hältst du von unserer Idee eine Plattform für Kunst im Raum Tübingen aufzubauen?
Für mich ist es sehr schön, da ich durch die Distanz oft nicht so viel mitbekomme, mich aber trotzdem zur Region verbunden fühle. Spannend und erfrischend finde ich vor allem eure Idee leerstehende Räumlichkeiten mit regionalen Künstler*innen zu bespielen.
Hast du Wünsche für die Kunstszene allgemein und für die in Tübingen und Reutlingen?
Mehr junge Kunst!
Hast du eine Kultur- und/oder Kunstinstitution, die du empfehlen kannst?
Ich mag die Sammlung Domnick in Nürtingen sehr gerne und gehe immer wieder dorthin. Besonders interessant finde ich dort die Verbindung von Kunst, Architektur und der Landschaft.