Am 1. März endete DAS Film Festival in Berlin: die Berlinale. Für zwei Wochen werden dazu Dokumentationen, Kurzfilme und kommende Blockbuster aus aller Welt gezeigt. Mit über 300 Filmen ist es natürlich unmöglich das Festival als Ganzes zu erfassen. Die Filmkritikerin Katja Nicodemus sagte zur Eröffnung im 3sat treffend: „Die Berlinale ist mit 360 Filmen, von denen man vielleicht 5% sehen kann, größer als man selbst“ – eine konstruktive Überforderung. Es soll daher um zwei Filme gehen, die sobald es wieder möglich ist, in den deutschen Kinos zu sehen sein werden. Allerdings möchte ich niemanden spoilern – daher wird es weniger um die Handlungen der Filme gehen als um deren Umgang mit Zeit.
Zuletzt wurde mit Parasite ein Film bei den Oscars ausgezeichnet der mit knapp über zwei Stunden, sogenannte Überlange hat. Ebenfalls nominiert für mehrere Oscars nominiert war Regisseur Martin Scorsese. Dieser lieferte mit The Irishman ein drei stündiges Werk über die Machenschaften der Mafia der 1970er Jahre in den USA. Ein Trend zu längeren Filmen lässt sich feststellen, es ist allerdings ein schmaler Grat zwischen lang und langweilig. Im Kino ist es kaum möglich sich dem Film zu entziehen, man gibt sich für diese Zeit ganz in seine Hände.
Zurück zur diesjährigen Berlinale: In der Sektion Wettbewerb waren unter anderem die deutsch/niederländische Produktion Berlin Alexanderplatz sowie das amerikanische Drama Never Rarely Sometimes Always, welches mit den Silbernen Bären der Jury ausgezeichnet wurde, nominiert. Im Gegensatz zu den vorher genannten Filmen ist dieses mit einer Laufzeit von 101 Minuten eher kurzweilig, bei über drei Stunden ist die freie Buchverfilmung Berlin Alexanderplatz hingegen doppelt so lange.
Never Rarely Sometimes Always
Schaut man sich nun die beiden Handlungzeiträume an, zeigt der Beitrag aus den USA einen Tag aus dem Leben einer heranwachsenden Teenagerin. In langsamen, aber eindrucksvollen und bewegenden Bildern wird eine Geschichte erzählt, die bewegt und in bestimmten Szenen fast wehtun. Den Titel bekommt das Stück von einem Multiple-Choice Test, den die Protagonistin mit „Never – Rarely – Sometimes – Always“ beantworten soll. Hier muss nicht nur die Hauptdarstellerin mit den Tränen kämpfen. Das Ende des Filmes kommt fast schon abrupt und lässt viele Fragen offen, die allerdings nicht vom Film beantworten werden müssen.
Berlin Alexanderplatz
Ganz anders hingegen ist der Film von Regisseur Burhan Qurbani. Dieser erzählt die Geschichte von Franz / Francis, einem afrikanischen Flüchtling. In fünf Kapiteln entsteht eine Lebensgeschichte, die sich über mehrere Jahre erstreckt. Die Kapitel geben den Zuschauer*innen eine zusätzliche Einteilung zur Orientierung. Immer wieder werden dabei Rückblenden und Traumsequenzen eingeschnitten, sodass man zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her springt. Dadurch entsteht ein unruhiges Bild, das die Spannung bis zum Ende hochhält, auch wenn die Spannungskurve gegen Ende etwas abfällt und der Film an gewissen Stellen seine Längen hat. Die Geschichte fesselt und zieht einen von Anfang an mit seinen grellen Farben in seinen Bann.
Zudem überzeugen die drei Hauptdarsteller*innen Jella Haase, Albrecht Schuch und Welket Bungué in ihren Rollen. Interessant ist auch die Übersetzung des Romans Berlin Alexanderplatz von 1929 (bzw. die gleichnamige Serien Verfilmung von Rainer Fassbender, 1980 zu sehen auf Amazon) ins Berlin von heute. Dadurch wird aus dem kriminellen Franz Biberkopf, der Flüchtling Francis und das Geschehen in aktuell gesellschaftliche Probleme wie Flüchtlingsunterbringung, Drogen- und Menschenhandel eingeschrieben.
Die beiden Verfilmungen haben eine ganz unterschiedliche Umgangsweise mit Geschwindigkeit, Rhythmus sowie Zeit und stehen im genauen Gegenteil zueinander. Berlin Alexanderplatz wirkt in seiner Aufmachung beinahe episch – kann aber definitiv mit den guten Kritiken mithalten. Der Film sollte mit seinen kraftvollen Farben und Tönen im Kino gesehen werden, auch wenn er mit seiner Länge einiges an Sitzfleisch abverlangt. Auch für Never rarely sometimes always kann ich eine Empfehlung aussprechen – das kurzweilige Drama konzentriert sich auf ein paar Charaktere, die glaubhaft dargestellt werden.
Berlin Alexanderplatz, 2020, 183 Minuten
Kinostart: 16. Juli
Niemals Selten Manchmal Immer, 2020, 101 Minuten
Online kaufbar