Antenne Berlin #3: Über Farbe
Normalerweise kann man sich am Wochenende in Berlin nicht entscheiden zu welcher Ausstellungseröffnung man gehen möchte. Durch Covid-19 hat sich das verändert, seit Anfang Mai öffnen die Museen und Galerien zumindest allmählich wieder ihre Türen. Aufwändige Projekte und aufgeschobene Ausstellungen werden vorerst allerdings noch ohne größere Vernissage eröffnet. Was übrig bleibt ist ausschließlich die Kunst, die man nun wieder live und in Farbe erleben kann. Live und in Farbe Dies trifft im Besonderen auf die im Juni eröffnete Einzelausstellung der deutschen Malerin Katharina Grosse im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin zu. Zuletzt zeigte die Künstlerin ihre großformatigen Arbeiten zuletzt unter anderem im Frieder Burda Museum in Baden-Baden und in der Prager Nationalgalerie. Die im wahrsten Sinne raumfüllende Installation im Hamburger Bahnhof erinnert sicher auch an ihre Arbeit Rockaway in New York, die im Rahmen der gleichnamigen vom MomaPS1 veranstalteten Biennale entstand. Hier verwandelte sie ein altes, von Hurricane Sandy heruntergekommenes Militär-Gebäude in ein begehbares farbenfrohes Kunstwerk. Fast der komplette Boden in der Historischen Halle ist mit Farbe bedeckt! In der Mitte des Ausstellungsraums ragt de Besucher*in eine riesige Skulptur, die an einen Eisberg erinnert, entgegen. Diese nimmt den Farbverlauf seiner Umgebung ein; kaum zwischen Ausstellungsraum und Kunstwerk kann unterschieden werden. Die Farbe in der Ausstellung It wasn’t us wurde großflächig auf aufgesprüht von Ausstellungshalle über den Innenhof bis zur Fassade des Museums. Beim Betreten des Kunstwerks verschmilzt man fast damit. Die Ausstellung wird dadurch zum immersiven Erlebnis. Die Kunst von Grosse ist nicht auf Leinwände limitiert. Sie endet nicht einmal mit dem Museum. Der Ausstellungsraum öffnet sich am Ende der Halle und gibt den Blick ins Freie frei, Von hier an geht das Kunstwerk weiter über den ganzen Innenhof bis zum Erweiterungsbau des Museums – die Rieckhallen. Extra für die Ausstellung wird hier der Seiteneingang zugänglich gemacht, so kann man seinen Ausstellungsrundgang fortsetzen. Die Ausstellung von Katharina Grosse ist nicht nur eine beeindruckende Erfahrung für die Besucher*innen, sondern auch ein politisches Signal – die Verbindung der Historischen Halle mit den Rieckhallen, in denen sich (noch) die Sammlung Flick befindet. Diese ist einer der bedeutendsten Sammlungen für Kunst des 20. Jahrhundert, die nur noch bis 2021 einen Platz dort haben – danach endet der Vertrag. Ebenso ist geplant, dass der Anbau durch Wohnungsneubauten ersetzt werden soll. Grosse führt die Besucher*innen mit ihrer Farbspur über den Hof direkt in die Sammlung und schafft so mit ihrer Kunst eine weitere Verbindung zwischen Museum und Rieckhallen, zwischen Gegenwart und Zukunft. Sammlungen verlassen Berlin Die Sammlung Flick ist nicht die einzige Sammlung, die dieses Jahr auf Grund ihres Abzugs in den Schlagzeilen stand. Ebenso kündigte bereits Thomas Olbricht seinen Weggang aus der Auguststraße mit dem Me Collectors Room an und Julia Stoscheck macht nun ihre Andeutungen wahr und gibt ihren gerade erst eröffneten Standort in Berlin auf. Beide werden fortan ihre Arbeiten in Nordrhein-Westfalen zeigen, Stoschek hat schon eine Dependance in Düsseldorf und Olbrichts Sammlung geht an das Museum Folkwang in Essen. Vor allem das fehlende Interesse und Unterstützung der Stadt sind ein Grund für die Abgänge. Wie man an der Sammlung Flick sieht – diese stehen auf dem Areal eines Wiener Immobilienkonzern. Dieser möchte hier Eigentumswohnungen bauen, so bleibt kein Platz für die Kunst oder das Museum. Seit der Eröffnung im Jahr 2004 bis heute zeigte der Hamburger Bahnhof jährlich zwischen einer und drei Ausstellungen mit Werken aus der Sammlung von Friedrich Christian Flick, damit ist im September 2021 Schluss, wenn einer der bedeutendsten Privat-Sammlungen nach Zürich weiterzieht. Die Ausstellung It wasn’t us von Katharina Grosse ist bis zum 10.01.2021 in und um den Hamburger Bahnhof zusehen. Laufzeit: Katharina Grosse – It wasn’t us14.06.2020 – 10.01.2021
Antenne Berlinale #2: Über Zeit
Am 1. März endete DAS Film Festival in Berlin: die Berlinale. Für zwei Wochen werden dazu Dokumentationen, Kurzfilme und kommende Blockbuster aus aller Welt gezeigt. Mit über 300 Filmen ist es natürlich unmöglich das Festival als Ganzes zu erfassen. Die Filmkritikerin Katja Nicodemus sagte zur Eröffnung im 3sat treffend: „Die Berlinale ist mit 360 Filmen, von denen man vielleicht 5% sehen kann, größer als man selbst“ – eine konstruktive Überforderung. Es soll daher um zwei Filme gehen, die sobald es wieder möglich ist, in den deutschen Kinos zu sehen sein werden. Allerdings möchte ich niemanden spoilern – daher wird es weniger um die Handlungen der Filme gehen als um deren Umgang mit Zeit. Zuletzt wurde mit Parasite ein Film bei den Oscars ausgezeichnet der mit knapp über zwei Stunden, sogenannte Überlange hat. Ebenfalls nominiert für mehrere Oscars nominiert war Regisseur Martin Scorsese. Dieser lieferte mit The Irishman ein drei stündiges Werk über die Machenschaften der Mafia der 1970er Jahre in den USA. Ein Trend zu längeren Filmen lässt sich feststellen, es ist allerdings ein schmaler Grat zwischen lang und langweilig. Im Kino ist es kaum möglich sich dem Film zu entziehen, man gibt sich für diese Zeit ganz in seine Hände. Zurück zur diesjährigen Berlinale: In der Sektion Wettbewerb waren unter anderem die deutsch/niederländische Produktion Berlin Alexanderplatz sowie das amerikanische Drama Never Rarely Sometimes Always, welches mit den Silbernen Bären der Jury ausgezeichnet wurde, nominiert. Im Gegensatz zu den vorher genannten Filmen ist dieses mit einer Laufzeit von 101 Minuten eher kurzweilig, bei über drei Stunden ist die freie Buchverfilmung Berlin Alexanderplatz hingegen doppelt so lange. Never Rarely Sometimes Always Schaut man sich nun die beiden Handlungzeiträume an, zeigt der Beitrag aus den USA einen Tag aus dem Leben einer heranwachsenden Teenagerin. In langsamen, aber eindrucksvollen und bewegenden Bildern wird eine Geschichte erzählt, die bewegt und in bestimmten Szenen fast wehtun. Den Titel bekommt das Stück von einem Multiple-Choice Test, den die Protagonistin mit „Never – Rarely – Sometimes – Always“ beantworten soll. Hier muss nicht nur die Hauptdarstellerin mit den Tränen kämpfen. Das Ende des Filmes kommt fast schon abrupt und lässt viele Fragen offen, die allerdings nicht vom Film beantworten werden müssen. Berlin Alexanderplatz Ganz anders hingegen ist der Film von Regisseur Burhan Qurbani. Dieser erzählt die Geschichte von Franz / Francis, einem afrikanischen Flüchtling. In fünf Kapiteln entsteht eine Lebensgeschichte, die sich über mehrere Jahre erstreckt. Die Kapitel geben den Zuschauer*innen eine zusätzliche Einteilung zur Orientierung. Immer wieder werden dabei Rückblenden und Traumsequenzen eingeschnitten, sodass man zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her springt. Dadurch entsteht ein unruhiges Bild, das die Spannung bis zum Ende hochhält, auch wenn die Spannungskurve gegen Ende etwas abfällt und der Film an gewissen Stellen seine Längen hat. Die Geschichte fesselt und zieht einen von Anfang an mit seinen grellen Farben in seinen Bann. Zudem überzeugen die drei Hauptdarsteller*innen Jella Haase, Albrecht Schuch und Welket Bungué in ihren Rollen. Interessant ist auch die Übersetzung des Romans Berlin Alexanderplatz von 1929 (bzw. die gleichnamige Serien Verfilmung von Rainer Fassbender, 1980 zu sehen auf Amazon) ins Berlin von heute. Dadurch wird aus dem kriminellen Franz Biberkopf, der Flüchtling Francis und das Geschehen in aktuell gesellschaftliche Probleme wie Flüchtlingsunterbringung, Drogen- und Menschenhandel eingeschrieben. Die beiden Verfilmungen haben eine ganz unterschiedliche Umgangsweise mit Geschwindigkeit, Rhythmus sowie Zeit und stehen im genauen Gegenteil zueinander. Berlin Alexanderplatz wirkt in seiner Aufmachung beinahe episch – kann aber definitiv mit den guten Kritiken mithalten. Der Film sollte mit seinen kraftvollen Farben und Tönen im Kino gesehen werden, auch wenn er mit seiner Länge einiges an Sitzfleisch abverlangt. Auch für Never rarely sometimes always kann ich eine Empfehlung aussprechen – das kurzweilige Drama konzentriert sich auf ein paar Charaktere, die glaubhaft dargestellt werden. Berlin Alexanderplatz, 2020, 183 MinutenKinostart: 16. Juli Niemals Selten Manchmal Immer, 2020, 101 MinutenOnline kaufbar
Antenne Berlin: Raffael in der Gemäldegalerie Berlin
Die großen Namen der Kunstgeschichte ziehen immer noch Massen in die Museen – so gibt es auch 2020 wieder neue Betrachtungen der alten Meister. Beispielsweise Monet im Barberini in Potsdam oder Anselm Kiefer in Mannheim, die Gemäldegalerie in Berlin zeigt noch bis Ende April einen bedeutenden Vertreter der italienischen Renaissance: Raffael. Alles neu am Kultur Forum Während vor den Türen der Bau des Museum des 20. Jahrhunderts gerade begonnen hat, gibt es in der Gemäldegalerie einige Neuerungen. Im Foyer klärt eine riesige LED Leinwand über aktuelle und kommende Ausstellungen auf. Willkommen im neuen Jahrzehnt! Dadurch entdecke ich einen weiteren großen Namen, der in Süddeutschland nicht unbekannt sein dürfte: die Sammlung Würth präsentierte in der ebenso neu arrangierten Wendelhalle der Gemäldegalerie den britischen Künstler Anthony Caro mit einer großen Installation. Der Jahresbeginn bietet sich dafür an seine Jahreskarte zu verlängern, bereits für 50€ ermäßigt erlangt man so Zutritt in alle (Sonder-)Ausstellungen der Staatlichen Museen (lohnt sich bereits ab der 8. Ausstellung). Angesichts der Vielzahl an Institutionen, die alleine am Kulturforum versammelt sind, rentiert sich das schon. Neben der Gemäldegalerie sind noch das Kupferstichkabinett, die Kunstbibliothek und das Kunstgewerbemuseum durch das Kulturforum miteinander verbunden. Raffael in Berlin Mit „nur“ sechs Werken Raffaels ist die Ausstellung vergleichsweise klein. In einem abgedunkelten Nebenraum erwarten die Zuschauer*innen unter dem Untertitel Die Madonnen der Gemäldegalerie sechs Madonnenbilder aus verschiedenen Einrichtungen Berlins sowie einer Leihgabe der National Gallery London. Alle haben gemein, dass sie aus seinem Frühwerk (ca.1500 – 1508) entspringen. Interessant ist ebenfalls die Sammlungsgeschichte, welche in der Ausstellung thematisiert wird. Anfang 1900 gab es einen regelrechten Hype um Raffael und seine Zeitgenossen – in dieser Zeit wurden die Gemälde von Friedrich Wilhelm III angekauft. Genauso das Werk, welches heute in London zu sehen ist, war damals zum Kauf angedacht, ging stattdessen an den Duke of Northumberland. Von der Sammlungsgeschichte geht es zur Präsentationsgeschichte – so tritt der/die Besucher*in neben dem ersten Infotext zunächst vor einen leeren Rahmen. Hierbei handelt es sich um ein von Karl Friedrich von Schinkel entworfener Rahmen im Stil der Neorenaissance. Alle Madonnen von Raffael, die einst im Alten Museum hingen, waren von Schinkel gerahmt, darüber gibt die Entwurfsskizze daneben Auskunft. Dies sind spannende Aspekte der Kunstwerke, über die man nicht in jeder Ausstellung etwas außerhalb des Katalogs erfährt. Doch auch die Kunstwerke selbst sind natürlich den Besuch wert. Vor allem die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Heiligenbild fallen auf. Man kann etwa die Entwicklung in Raffaels Arbeit sehen, aber auch den Fortschritt in der Kunstgeschichte selbst – da die Ausstellung chronologisch angelegt ist und nur einen kleinen Ausschnitt seines Œuvres Anfang 1500 thematisiert. Während die frühen Bilder (Madonna Solly und Madonna Diotallevi) noch kaum individuelle Gesichtszüge zeigen, ist bei der Madonna mit den Nelken die Stofflichkeit, die Physognomie und die Proportionen durch den Bildausschnitt viel detaillierter ausgearbeitet. Imposant ist vor allem das fast ein Meter breite Rundbild Madonna Terranuov. Das Gemälde in Tondoformat bildet sozusagen das Zentrum der Ausstellung. Dies geht auf eine frühere Präsentation von Wilhelm Bode zurück: Der Namensgeber des Bode–Museum auf der Museumsinsel hängte die Werke in einer Reihe nebeneinander. In den 1950er Jahren, als die Gemäldegalerie noch in Dahlem zu finden war, wurden die Madonnen im sogenannten Raffael–Kabinett ausgestellt. Ebenfalls mit der Madonna Terranuova in der Mitte. Damit ist die Ausstellung eine nette Reminiszenz an die damalige Inszenierung und setzt sich auch in der Ausstellungsgestaltung mit der Präsentationsgeschichte auseinander. Eine Ausstellung des Kupferstichkabinetts stellt innerhalb der Räume der Gemäldegalerie Zeichnungen Raffaels und dessen Lehrer sowie Schüler aus. Als Ergänzung zur Ausstellung zeigt es viele druckgraphische Blätter und gibt auch hier einen Überblick über die Entwicklung des Genres in der Renaissance. Mir ist dabei eine Radierung aus dem 19. Jahrhundert aufgefallen, die Raffael vor einer Staffelei des Vaters darstellt. Dort malt er bereits als Heranwachsender seine erste Madonna. Es lässt sich somit festhalten, dass die kleine Einzelausstellung einen kleinen aber sehr detaillierten Einblick in die frühe Schaffensphase eines der großen Maler der Renaissance gibt und sich dabei mit der eigenen Sammlungsgeschichte auseinandersetzt. Dabei ist es genauso möglich, die imposanten Madonnen Raffaels in einem Raum zu bestaunen. Einen Steinwurf vom Kulturforum entfernt findet sich am heutigen Abend das Who-is-Who der Hollywood Szene zur Berlinale ein, dazu beim nächsten Mal mehr. Gemäldegalerie | Raffael in Berlin. Die Madonnen der Gemäldegalerie 13.12.2019 – 26.4.2020