Festival für elektronische Künste
Festivals finden in Tübingen über das Jahr verteilt so einige statt. Festivals, die regionale Musiker vorstellen, Gastronomen der Stadt eine neue Plattform bieten oder das Verlangen der Jugend nach elektronischer Musik befriedigen. All diese Festivals haben sich im Laufe der Jahre einen Namen in der Tübinger Kulturszene gemacht. Aber was ist denn eigentlich mit der Kunst? Was ist mit den jungen Menschen, die sich für Kunst interessieren? Was ist mit dem Tübinger Kunstbetrieb abseits der Kunsthalle?
Ein Forum für Gegenwartskunst
Die Antwort auf all diese Fragen gibt das Forum für zeitgenössische Künste – Shedhalle Tübingen e.V. Seit 18 Jahren bietet der Verein nun ein Forum für zeitgenössische Künste und bespielt dabei das breitgefächerte Feld der unterschiedlichen Medien, mit denen sich die Kunst unserer Zeit befasst. Jahrelang konnte man im Rahmen zahlreicher Ausstellungen, Konzerte und Workshops in diese interessante Welt der Gegenwartskunst eintauchen, sich mit Künstler*innen und Kunstschaffenden unterhalten und einen interessanten und unmittelbaren Austausch erfahren.
Seit letztem Jahr ist es allerdings leise geworden um den Verein und wer mit dem Gedanken, auf Kunst treffen zu wollen, vor der Shedhalle im Tübinger Schlachthofareal steht, wird erstaunt sein. Für Kunst ist in diesen Räumen nämlich seit einigen Monaten kein Platz mehr. Stattdessen tummeln sich dort Student*innen, um in den ehemaligen Ausstellungsräumen ihrem Hunger nachzugeben und in der provisorischen Mensa das Mittagessen zu sich zu nehmen. Der Hunger nach Kunst und Kultur wird also von einem sehr menschlichen Bedürfnis nach Nahrung ersetzt.Seither befindet sich der Verein in der Schwebe, hat keine festen Räume, um Ausstellungen zu zeigen und verschwindet von Tag zu Tag immer mehr aus dem Gedächtnis der Leute.
Trotz all dieser Felsen, die die Stadt der unabhängigen jungen Kunstszene und vor allem dem Verein zwischen die Füße legt gibt es einen Silberstreif am Horizont, denn sie ist nicht unterzukriegen die Kunst. Das GENERATE!° Festival entsteigt jedes Jahr wieder aufs Neue als Phoenix aus der Asche und beeindruckt die Besucher nachhaltig. Wenn einem der Raum genommen wird sucht man sich neue Orte, um kreativ zu sein. Das kann ein Schaufenster auf der lebhaftesten Straße Tübingens oder ein Raum im Schloss Hohentübingen sein, an dem man seiner Kreativität freien Lauf lassen kann. Vor allem ist es bereits seit einigen Jahren allerdings das Schlachthaus unweit der ehemaligen Wirkungsstätte des Vereins, das Raum für die große Show bietet, bei der regionale und internationale Künstler*innen in Live Performances ihren Umgang mit elektronischen Medien in der Kunst zeigen.
Der Club der neuen Eindrücke
Dass vor den Türen des Clubs schon die wummernden Bässe der lauten Musik zu hören sind, ist wohl allen bekannt, die einmal dort waren. Dieses Mal jedoch hört es sich irgendwie anders an. Etwas verstörend, aber die Neugierde auf die Geschehnisse im ersten Stock des alten Schlachthauses wird geweckt.
Schrill, laut, faszinierend
Betritt man die, vom Nachtleben gezeichneten, Räume des Schlachthaus Clubs, wird man bereits im Vorraum mit den flirrenden Bildschirmen des Künstlers Thorsten Fleisch konfrontiert. Das Bewusstsein wird sofort auf den eigenen Blick und das Sichtbare und Unsichtbare in unserem, von Bildschirmen und künstlichem Licht geprägten, Alltag gelenkt. Mit dieser unmittelbaren Konfrontation mit dem Themenfeld der digitalen Medien im Kopf, betreten wir nun den Raum des Geschehens, holen uns an der Bar ein Bier und lassen uns ein auf diesen außergewöhnlichen Abend.
Es ist laut, schrill, verstörend und faszinierend zugleich. Der Medienkünstler Eric Raynaud erforscht in seinem Werk Vector Field die Manipulation von vektoriellen Streams in Echtzeit. Das Resultat sind Projektionen, die einen in ihren Bann ziehen und scheinbar bis an das Ende des Universums reichen, vereint mit einer Geräuschkulisse, an die sich das ungeschulte menschliche Gehör einige Zeit gewöhnen muss.
Menschliche und nichtmenschliche Existenz
Gefolgt wird das Spektakel von einer poetischen Performance der Künstlerin V Ly, in der sie die Beziehungen von menschlichen und nichtmenschlichen Organismen in den Blick nimmt. Im Zentrum der Arbeit [ _ ] |{ _____ } stehen Quallen, die die Künstlerin in Aquarien mit jeweils unterschiedlichem Salzgehalt im Wasser bettet. Dabei werden die Reaktionen der Organismen mit Wassermikrophonen aufgezeichnet, sodass sie zu einem späteren Zeitpunkt als akustische Artefakte wiedergegeben werden können. Sphärische Klänge, Resultate früherer Performances, begleiten das kontemplative Vorgehen der Künstlerin, sodass eine fast andächtige Stille den Club erfüllt und Gedanken über die Existenz, das Sein und den Kosmos durch unsere Köpfe kreisen.
Collage eines Traums
Eine kurze Pause, ein kurzes Aufatmen, die nächste Performance wird allerdings bereits fast unmerklich von den ehrenamtlichen Helfern aufgebaut. Imaginarium, der Titel des Werks, verrät bereits, dass wir uns auch hier mit unseren Gedanken, Träumen und Vorstellungen auseinandersetzen dürfen. Der Künstler Ari Dykier nutzt symbolartig aufgeladene Bilder und fügt sie zu Collagen zusammen, die in einem scheinbar endlosen Fluss über die Leinwand schweben. Der / die Betrachter*in gerät in eine Art Trancezustand. Gedanken fangen an sich zusammenzufügen. Assoziationen entwickeln sich zu traumhaften Gebilden. Eine andere, eine entfernte und zugleich sehr persönliche Welt tut sich auf, in die das Werk jeden einlädt einzutauchen, unterzutauchen, darin aufzugehen.
Der Rhythmus des Körpers
Bevor die Nacht letztendlich vollkommen in die Hände der elektronischen Musik und des Rausches übergeben wird, setzt sich die letzte Performance des Festivaltags mit der Geschichte des “Dub’s”als elektronische Musikrichtung und dessen atmosphärischer Wirkungskraft auseinander. Begleitet von Visuals des Tübinger Künstlers Timo Dufner geht Michael Fiedler dem Mythos “Dub” auf den Grund und kreiert im Zuge dessen eine rhythmische Soundkulisse, der sich die Besucher*innen hingeben können. Eine pulsierende Bewegung entwickelt sich im Raum. Es wird getanzt. Ein Lächeln breitet sich auf den Gesichtern aus. Womöglich eine Antwort auf die Frage, was das Prinzip “Dub” ausmacht.
Erschöpft von den vielen Eindrücken und Gedankenanstößen verlassen wir den Club in die kalte Novembernacht, tauschen bei einer letzten Zigarette unsere prägendsten Gedanken über den Abend aus und nehmen ein wenig Dub, Poesie und Flimmern mit nach Hause.
Dieser Freitagabend gibt allerdings nur einen kleinen Einblick in das breitgefächerte Programm, das das ehrenamtlich arbeitende Team der Shedhalle auch dieses Jahr wieder auf die Beine gestellt hat. Filmvorführungen und Installationen im öffentlichen Raum gehören ebenso zum Programm des Festivals, wie Workshops, Lesungen und Diskussionen über die Themen unserer Zeit. Ein umfangreiches Programm, das im Laufe der Festivalwoche alle auf eine Weise abholen kann, die einen bleibenden Eindruck hinterlässt und womöglich Gedanken über unser digitales Zeitalter und die Position, die Kunst darin einnimmt, anregen kann. Wir freuen uns auf das Festival im nächsten Herbst und die Eindrücke, die es uns bringen wird.