André Wischnewski in der Frischzelle_26

Der Künstler André Wischnewski erforscht in seinen Arbeiten die Strukturen und Funktionen des Comics. Wie arbeiten Sprache und Form zusammen? Worauf basiert das Genre? In filigranen Papierarbeiten und ausladenden Raumzeichnungen geht er diesen Fragen nach und stellt den Besucher*innen neue Sichtweisen vor.

Lese ich Romane, bilden sich fantasiereiche Bilder in meinem Kopf, die sich ungezwungen mit jedem Wort und Detail ändern, sich genauer strukturieren, bis sie schlussendlich ein filmreifes Fantasiekonstrukt bilden. Das Genre des Comics oder der Graphic Novel, gibt diese Bilder bereits vor und vereinfacht Leser*innen die Geschichte. Gleichzeitig öffnet sich aber durch diese künstlerische Geste eine neue Vermittlungsebene, die über Worte auf diese Weise nicht beschreibbar wären.

André Wischnewski

Der Künstler André Wischnewski erforscht in seinen Arbeiten die Strukturen und Funktionen des Comics. Wie arbeiten Sprache und Form zusammen? Worauf basiert das Genre? In filigranen Papierarbeiten und ausladenden Raumzeichnungen geht er diesen Fragen nach und stellt den Besucher*innen neue Sichtweisen vor.

André Wischnewski, 126315 mm with open end, 2019 Stahl Rauminstallation variabel © André Wischnewski - Kunstmuseum Stuttgart Frischzelle
André Wischnewski, 126315 mm with open end, 2019 Stahl Rauminstallation variabel Foto: Jessica Plautz © André Wischnewski

Frischzelle_26

Steigt man die Treppen zur Frischzelle_26 im Kunstmuseum Stuttgart hinunter, fällt sofort die raumfüllende Zeichnung 126315 mm with open end Wischnewskis auf. Die über zwei Stockwerke greifende Wand ist mit schwarzen Stahllinien versehen, die sich von der Wand abheben und in den Raum hineingleiten. Hinter dieser Wand schließt die Arbeit 101967 mm and Five Characters an. Auch diese bildet einen Raum, der die Besucher*innen einlädt hindurch zu gleiten und Teil dieses Bildes mit seinen schwarzen Rahmen zu werden. Sie werden zum weggelassenen Bild und füllen das Raumcomic. Durch die eigene Bewegung springt man von Bild zu Bild und wird Teil der selbst erzählten Geschichte. Gleichzeitig blickt man durch den Raum und entdeckt narrative Details, andere Personen und den in der Ecke stehenden Schoko-Gartenzwerg von Dieter Roth, der aus konservatorischen und Sicherheitsgründen diesen Platz in dieser Ecke niemals verlassen wird und von Wischnewski in das Werk integriert wurde.
Die Titel der Raumzeichnungen verweisen jeweils sowohl auf die Länge der verwendeten Schwarzstahls-Rundstäben als auch auf die Variabilität des Werkes, die sich nach der Ausstellungssituation richtet und scheinbar die vorgegebenen Grenzen sprengt.

André Wischnewski 101967 mm and Five Characters, 2019 Stahl, Holz, Diabas, Blech Rauminstallation variabel Foto: Jessica Plautz © André Wischnewski, Kunstmuseum Stuttgart, Rauminstallation, Dieter Roth, Zwerg
André Wischnewski, 101967 mm and Five Characters, 2019 Stahl, Holz, Diabas, Blech Rauminstallation variabel Foto: Jessica Plautz © André Wischnewski

 

In diesen Raumzeichnungen, die sich fast über die gesamte Ausstellungsfläche erstrecken, sind weitere Werke des Künstlers integriert, wie rot lackierte Waggons aus Metall (DOKDOK_DOKDOK, 2016) oder ein Kreis, der mit den Materialien Plexiglas und Kalkstein eine Art Stadtlandschaft bildet (merged, 2018). Demgegenüber befindet sich unter der Treppe des Kunstmuseums die Arbeit Map 1. Hierbei handelt es sich um eine Karte, die von Wischnewski detailreich manipuliert wurde und zahlreiche fantasievolle Ortsnamen aufweist, die Worte der Akustik aufgreifen, wie sie häufig in Comics mit „Wusch“ und „Boom“ vorkommen. Die Karte lädt ein, die Orte zu entdecken und sich durch diese zu navigieren.

 

Im weiteren Ausstellungsbereich lässt sich natürlich auch das Medium Comic als Buch vorfinden. Hinter Glasscheiben arrangiert, sind die Comicbücher von Wischnewski präzise und mit Vorsicht bearbeitet worden. Entlang der Rahmungen und der Lautmalereien des Comics schnitt Wischnewski die Bilder heraus, sodass in den Werkgruppen Soundbook und Soundpiece nur noch das reine Gerüst des Comics verbleibt. Hierdurch legt er die Wesensmerkmale, die das Comic von anderen Medien unterscheidet, frei und legt den Fokus auf die Elemente, die als „gegeben“ übersehen werden.

André Wischnewski Soundpiece 1, 2016 Messerschnitt, Comicheftseiten 20,8 x 14,3 cm Foto: André Wischnewski © André Wischnewski
André Wischnewski Soundpiece 1, 2016 Messerschnitt, Comicheftseiten 20,8 x 14,3 cm
Foto: André Wischnewski © André Wischnewski

In der Frischzelle_26 zeigt das Kunstmuseum Stuttgart seit 2005 junge Künstler*innen der Region. In den letzten Jahren handelte es sich häufig um Absolvent*innen der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart oder Karlsruhe. Die oder der jeweilige wissenschaftliche*r Volontär*in ist für die Auswahl, die Vorbereitungen und Durchführung der kleinen Ausstellungsfläche in der Sammlung zuständig. Die Frischzelle_26 ermöglicht somit Raum für die ersten institutionellen Erfahrungen für angehende Wissenschaftler*innen sowie Künstler*innen. 

In der Einzelausstellung zum Werk André Wischnewskis hat die Nachwuchs-Kurator*in Elisabeth Kuon ihr außerordentliches Gespür gezeigt und eine spannende, tiefgreifende und junge Position gewählt. Die Ausstellung ist im Kunstmuseum Stuttgart noch bis zum 06.09.2020 zu sehen.

André Wischnewski (*1983 in Crivitz, DE) studierte nach einer Ausbildung zum Bauzeichner sowie einem Studium an der Freien Kunstakademie Mannheim an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Harald Klingelhöller. Sein Studium der Bildhauerei schloss er im Frühjahr als Meisterschüler ab.