Ignacio Uriarte

Ignacio Uriarte entfloh den tickenden, tackendern und brummenden Geräuschen des Büros und wurde Künstler. Ein Künstler, der diese tickenden, tackerneden und brummenden Geräusche in den Ausstellungsraum bringt. Unterschiedliche Büromaterialien werden bearbeitet, neu angeordnet und in einen fremden Kontext gesetzt.

17:00 Uhr – Feierabend. Stift, Geodreieck, Ordner und Schreibmaschine werden bis zum morgigen Tag wieder an ihre Plätze gerückt, bis wieder ein neuer Arbeitstag beginnt. Es gibt Menschen, die diesen alltäglichen Trott des Büroalltags mögen, ja sogar brauchen. 

Ignacio Uriarte aber nicht. Er entfloh den tickenden, tackendern und brummenden Geräuschen des Büros und wurde Künstler. Ein Künstler, der diese tickenden, tackerneden und brummenden Geräusche in den Ausstellungsraum bringt. Unterschiedliche Büromaterialien werden bearbeitet, neu angeordnet und in einen fremden Kontext gesetzt.

Bei seiner Arbeit verfolgt Uriarte nicht nur eine bestimmte künstlerische Technik. Fotografien, Zeichnungen, Collagen, Bilddruck, Installationen, Sound- und Videoarbeiten sind in seinem Werk vertreten.

Die Ausstellung „Verwaltungsakte“, die noch bis zum 10. November 2019 im Kunstmuseum Reutlingen/konkret zu sehen ist, zeigt Uriartes technische Vielfalt und seinen Ideenreichtum. Bei dem Besuch der von Holger Kube Ventura kuratierten Ausstellung sind dabei drei Werke besonders in Erinnerung geblieben.

DIN-A4-All-Over

Ignacio Uriarte: Diagonal Random Folds, 2019, Wandinstallation aus 480 DinA-4 Blättern, 238 x 1260 cm Detail in der Ausstellung Verwaltungsakte im Kunstmuseum Reutlingen konkret zu sehen
Ignacio Uriarte: Diagonal Random Folds, 2019, Wandinstallation aus 480 DinA-4 Blättern,
238 x 1260 cm Detail. Copyright: beim Künstler; Foto: Jessica Plautz.

Blanco DIN-A4-Blätter, mehrfach an scheinbar zufälligen unterschiedlichen Stellen gefaltet, werden an der Ausstellungswand zu einem Gesamtbild angebracht. Die durch die Faltung entstandenen Linien stehen hervor und bilden Schatten, gehen dann von Papierstück zu Papierstück über, sodass sich eine reliefartige Landschaft bildet. Stören im Alltag diese Knicke im Papier massiv, will das Auge hier den labyrinthartigen Linien folgen, schauen, wohin sie führen und wo sie schließlich enden.

Blocs

Ignacio Uriarte: Blocs, 2019, 3 Displays mit jeweils 8 Decollagen, je 29,7 x 21 cm im Kunstmuseum Reutlingen konkret in der Ausstellung Verwaltungsakte zu sehen
Ignacio Uriarte: Blocs, 2019, 3 Displays mit jeweils 8 Decollagen, je 29,7 x 21 cm.
Copyright: beim Künstler. Foto: Jessica Plautz.

Drei angerissene Schreibblöcke sind nebeneinander aufgestellt. Blickt man zunächst auf einen Einzelnen, erkennt man das Herausreißen von Fresszetteln, wie man sie früher selbst in der Schulzeit zum Briefe schreiben oder Kügelchen werfen verwendet hat. Man wird abgeholt und gleichzeitig bei der Betrachtung der sich daneben befindenden Blöcke in eine Landschaft hineingezogen. Sie kann an Reisfelder irgendwo in Asien erinnern oder an weiße, kalte Schneelandschaften in den Bergen. Genau diese Spannung von Bekanntem und Neuem, von Vergangenem und Entfernten macht Blocs so faszinierend.

Rubber Band Carpet

Ignacio Uriarte: Rubber Band Carpet, 2012, Bodeninstallation aus Gummiringen, variable Dimensionen im Kunstmuseum Reutlingen konkret in der Ausstellung Verwaltungsakte
Ignacio Uriarte: Rubber Band Carpet, 2012, Bodeninstallation aus Gummiringen, variable Dimensionen. Copyright: beim Künstler; Foto: Jessica Plautz.

Unzählige kleine, beigefarbenen Gummis sind akkurat nebeneinander auf dem Boden verteilt. Scheinbar mit Fingerspitzengefühl wurden sie innerhalb eines rechteckigen Musters angeordnet. Auf den ersten Blick ergeben sie ein Bild, verschwimmen wie Pixel zu einem Ganzen. Nur von Nahem erkennt man, wie jeder einzelne Gummi seine eigene Form behält, vom Boden abhebt oder doch scheinbar heimlich einen anderen berührt.

Dem eigenen Drang, ein Kunstwerk zu berühren, müssen Betrachter*innen bei Uriartes Werk standhalten. Die Einfachheit und das Alltägliche der Materialien und deren Anordnung verführt die Bestandteile der Kunstwerke “mal so eben” in die Hand nehmen zu wollen. Kurz schauen, was dann passieren könnte. Natürlich würde man zunächst im strengen Ton von den Aufsichten ein “Bitte nicht Anfassen” oder “Bitte nicht so nah” hören, aber was würde mit dem Werk passieren? Was würde mit mir passieren, wenn ich plötzlich ein blanco DinA-4 Blatt oder einen Ordner von einem Kunstwerk in der Hand halten würde? Würde es das Gefühl zum generellen Objekt verändern? Würde es mich zu einem anderen Umgang mit meinen Büromaterialien anregen? Und was würde mit dem Kunstwerk passieren? Könnte es dem Ganzen standhalten oder wäre es dann “nur noch” eine Anreihung von Gummis und Papieren? Nun, diese Fragen werden nicht beantwortet werden können und bleiben im Verborgenen. Aber genau das ist, was die Spannung der Werke Uriartes ausmacht. Mal schauen wie der nächste Bürotag aussieht… .

Ignacio Uriarte

ist 1972 in Krefeld geboren. Studierte zunächst Betriebswirtschaftslehre in Madrid und Mannheim bevor er 1990 ein zweijähriges Studium der Audiovisuellen Kunst im Centro de Artes Audiovisuales in Guadalajara, Mexiko, abschloss. Seine Werke sind international in Einzel- und Gruppenausstellung vertreten.