Wir treffen Nina Joanna Bergold mit einer leichten Verzögerung von einem Jahr im Living Museum Alb in Buttenhausen. Aus der Teilnahme an der Gruppenausstellung „Schutz.Raum – Positionen im Innen und Außen“, die im Sommer 2023 in Buttenhausen zu sehen war, wurde leider nichts; der Zeitplan der Ludwigsburger Künstlerin war in den vergangenen Monaten einfach zu voll. Dafür steht eine Zusammenarbeit im kommenden Jahr nun fest und unsere KUNE-Autorin Argiro Mavromatis erarbeitet gemeinsam mit Bergold ein inklusives Ausstellungsprojekt für den Sommer 2024. Wir nutzen die Gelegenheit, um mit der dynamischen Frau, die auch monumentale Formate nicht scheut, ein Gespräch über ihre Arbeit und vergangene wie aktuell anstehende Projekte zu führen.
KUNE: Liebe Nina, das Jahr 2023 war ein sehr geschäftiges und erfolgreiches Jahr für dich. Der Kunstverein Ulm hat dir eine Einzelausstellung gewidmet, du hast mit „Freiflüge und Tauchgänge“ deine erste Ausstellung in der Stuttgarter Galerie Valentien eröffnet und aktuell ist eine Einzelausstellung in der Städtischen Galerie Ehingen zu sehen. Was waren deine persönlichen Highlights und kommst du überhaupt noch zur Arbeit im Atelier?
NJB: Für mich gab es dieses Jahr tatsächlich einige Highlights – neben den genannten Ausstellungen und vor allem der auf Dauer angelegten Zusammenarbeit mit der Galerie Imke Valentien, die viel für mich bedeutet, würde ich sagen, dass die Ausstellung im Weißen Häusle in Hechingen („Raumstation“) im Frühjahr und die Ausstellung in der Städtischen Galerie Ehingen („das da dazwischen“) – die gerade noch läuft – auf jeden Fall mit dazugehören. Besonders die Arbeit mit den jeweiligen Teams und Verantwortlichen der Vereine und Institutionen ist bei jeder Ausstellung anders und macht viel Spaß. Meine Aufbauten sind ja zeit- und arbeitsintensiv, dadurch brauche ich jedes Mal auch einige Helfer und jedes Mal lerne ich so auch neue sehr spannende Leute kennen. Ich würde daher sagen, die Arbeit im Atelier und die Arbeit vor Ort beim Aufbau und beim Begehen der zukünftigen Ausstellungsräume gehen Hand in Hand – das eine geht für mich nicht ohne das andere. Zum Glück wohne ich in der Nähe meines Ateliers und kann meine Zeit dort voll ausnutzen.
KUNE: Sprechen wir zunächst über deine raumeinnehmenden Installationen, die du wie Scherenschnitte in PVC-Folien schneidest. Auf welchen Wegen kamst du zu diesem außergewöhnlichen Material? Und hängt der Griff zum Messer mit deinem abgeschlossenen Medizinstudium an der Uni Tübingen zusammen?
NJB: Zur Teichfolie kam ich über den Hochdruck. Ich habe zunächst Linoldrucke gemacht, die dann immer größer wurden (meine Zeichnungen brauchen häufig eine gewisse Größe). Irgendwann wurde das Druckverfahren mir dann aufgrund der Größe zu aufwändig – es ging nur per Löffelabdruck, das hab ich allein irgendwann nicht mehr bewältigt – ich habe dann in Experimenten mit einigen verschiedenen Folien festgestellt, dass ich das, worum es mir eigentlich geht, nämlich die scharfe schwarze Linie, das Spiel zwischen Positiv und Negativ, auch sehr gut im großformatigen Scherenschnitt erreichen kann. Von da aus war nur noch ein sachkundiger Kommentar eines häufigen Baumarktbesuchers notwendig, der mir die Teichfolie als großflächig vorhandenes und gut schneidbares Material empfohlen hat. Dass es dann Rauminstallation geworden ist, hat sicherlich etwas mit der Eigenschaft der Folie zu tun, sich eben nicht wie ein relativ starres Papier zu verhalten, sondern in den dreidimensionalen Raum zu drängen.
Was das Messer mit dem Medizinstudium zu tun hat – eigentlich recht wenig? In der Medizin hat es mich immer mehr zur Theorie als zur Praxis hingezogen, vor der Arbeit am Patienten hatte (und habe) ich einen großen Respekt. Aber wer weiß, vielleicht ist das eine Art der Kompensation – im Atelier kann ich sehr ungebremst das Messer schwingen. Das war im OP eher selten der Fall.
KUNE: Von 2009 bis 2016 hast du Freie Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Prof. Cordula Güdemann und Prof. Volker Lehnert studiert. Von 2018 bis 2019 warst du Meisterschülerin im Weißenhof-Programm der ABK Stuttgart. Welche Aspekte dieser akademischen Ausbildung an einer Kunsthochschule waren für dich ausschlaggebend für die Weiterentwicklung deiner Arbeiten?
NJB: Ich würde sagen, die Einflüsse der Professor:innen und Mitstudent:innen, die Gespräche über die Arbeit, die Frage nach dem, was ich hier eigentlich mache, waren wichtig für mich. In der Grundklasse bei Volker Lehnert habe ich meine Liebe zur Druckgrafik und generell zur Zeichnung vertiefen können und einige für mich neue Künstler:Innen kennengelernt – zum Beispiel ist auch die Arbeit von Bettina van Haaren, die ich über Volker Lehnert in der Grundklasse kennengelernt habe, sehr wichtig für mich.
In der Fachklasse bei Cordula Güdemann habe ich neben einigen Ausflügen in die Malerei dann vor allem in den letzten Jahren meine zeichnerischen Ansätze weiterentwickelt.
Wir haben uns in mehreren Architekturprojekten zusammen mit Architekturstudierenden sowohl in praktischen Arbeiten als auch in mehreren Exkursionen speziell mit Räumen und Architektur in Bezug auf Kunst beschäftigt. Das hat sicher einiges mit meiner Begeisterung für verschiedene Ausstellungsräume zu tun und mit der Raumzeichnung „in die Räume hinein“, so wie ich sie mit der Folie nun mache. Was toll war, war dass wir bei Cordula Güdemann auch viele Klassenausstellungen machen durften und so schon richtig gut in die Ausstellungsplanung et cetera hineingekommen sind.
Im Weißenhof-Programm (Meisterschülerin) schließlich habe ich die zeichnerische und installative Arbeit mit Räumen noch mit Susanne Windelen und Petra Lanfermann (Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen) vertiefen können. Auch die Gespräche und Themen in der kleinen Meisterschüler:innen-Gruppe, sowohl unter den Studierenden wie mit eingeladenen Akteuren in der Kunstwelt, waren sehr wertvoll.
Meine Einflüsse haben aber eigentlich schon vor dem Studium an der Akademie angefangen: Im Zeicheninstitut der Uni Tübingen, wo ich Medizin studiert habe, habe ich jahrelang jede Woche stundenlang bei Frido Hohberger Aktzeichnung und Aktmalerei üben können. Hier habe ich auch einen meiner ersten Lehrer und sicher sehr großen Einflussfaktor, Jörg Mandernach, kennengelernt.
KUNE: In der vergangenen Ausstellungen konnte man neben deinen charakteristischen Folienschnitten auch neue Arbeiten und andere Zugänge zu Materialien sehen. Großformatige Arbeiten auf Holz tauchen auf, immer auch Grafiken und neu auch sogenannte TuscheCuts. Was ist der Kitt, der diese unterschiedlichen Arbeiten und Serien zusammenhält?
NJB: Da würde ich ganz klar sagen: die Zeichnung, der Raum und die Figur. Ich verwende in allen meinen Arbeiten klare Linien und Elemente des Hochdrucks (Positiv-Negativ, Schwarz-weiß, Linie und Fläche), dazu kommen virtuelle und tatsächliche Räume, die ich innerhalb der Arbeit anlege. In den Holzarbeiten wird der „Raum“ von der Maserung des Kiefernholzes gebildet, den ich dann mit meinen Linien und Flächen weiter fülle. Bei den TuscheCuts geschieht das über Schichtungen und hineingeschnittene Öffnungen. Die Figur ist ebenfalls überall dabei – zumindest in Teilen und manchmal mehr erfühlbar als sichtbar.
KUNE: Beim Betrachten deiner Arbeiten gibt es Momente des Erkennens und des Verschwimmens. Auch dann wenn die Linien und Verbindungen sehr klar umrissen sind, ist man damit beschäftigt, immer wieder neu zu entschlüsseln, was man genau sieht und wie das Gesehene zusammenhängt. Welche Themen treiben dich an? Und welche Rolle spielt das Rätselhafte für dich in deiner Arbeit?
NJB: Meine Themen kommen aus der Naturwissenschaft und aus dem Zeitgeschehen – oft ist das miteinander verknüpft. Ich begeistere mich (vielleicht als „Laie mit ein wenig Vorwissen“) sowohl für Quantenbiologie und für Theorien über das Bewusstsein als auch für Raumfahrt und für Soziologische Modelle – und das immer wieder in Verbindung mit unserem Körper und wie er mit der Welt interagiert. Ich finde es spannend, wie die verschiedensten Themen sich doch immer wieder begegnen und überlappen. Wohin gehen wir als Gesellschaft, was verändert sich an unseren Hirnen durch unsere zunehmend genutzten technischen Hilfsmittel? Wie machen wir sie uns zu eigen? Was passiert in und mit unseren Körpern, wenn wir Schnittstellen schaffen zur Umwelt, und wie fluid ist die Grenze eigentlich zwischen einem Körper zur Umwelt? Wo steckt unser Bewusstsein? Wie unterscheiden sich die verschiedenen Beobachtungsformen – was unterscheidet den Blick der Kunst auf diese Themen vom Blick der Wissenschaft? Wie sind wir in unseren verschiedenartigsten „Netzen“ gefangen – oder sind wir darin gehalten? In der Hinsicht ist das Rätselhafte vorprogrammiert: Alle diese Fragen sind letztendlich auch in der Wissenschaft noch offen. Ich stelle lieber Fragen oder fantasiere ein wenig.
KUNE: Im Living Museum Alb werden 2024 Arbeiten von dir im Dialog mit Arbeiten von Künstler:innen mit Heim- und Psychiatrieerfahrung gezeigt. Für die Menschen vor Ort, die nicht ohne Weiteres die Möglichkeit haben Ausstellungen zu besuchen, ist das auch eine tolle Gelegenheit, deine Kunst hier in Buttenhausen sehen zu können. Was hat dich dazu bewogen, ein Zeitfenster in deinem vollen Terminkalender diesem Projekt im sehr ländlichen Raum zu widmen?
NJB: Ich finde das Projekt unglaublich spannend und es wird sicher für alle Seiten eine Bereicherung. Die Künstler:innen im Living Museum haben einen sehr direkten, sehr künstlerischen und oft unverstellten Blick auf die Dinge – häufig beherrschen sie die Reduktion auf das Wesentliche meisterhaft. Ich finde es toll, wie gut man sich und der Kunst an sich in diesem Raum und in dieser Location begegnen kann. Wie oben erwähnt, findet ein großer Teil meiner Arbeit auch vor Ort statt – beim Aufbau und in der Interaktion mit Räumen und Gegebenheiten. Für das Living Museum Alb möchte ich eine neue Rauminstallation machen. Da freue ich mich sehr drauf! Außerdem hoffe ich, dabei mitzuhelfen, dass viele den Weg nach Buttenhausen finden und sich das Konzept anschauen – und vielleicht auch mitmachen wollen.
KUNE: Ausblick, neue Projekte, worauf freust du dich?
NJB: Neben dem Living Museum habe ich Ende nächsten Jahres zusammen mit der Malerin und Radiererin Karin Brosa eine Ausstellung in der Kreissparkasse Ravensburg – das sind auch sehr große spannende Räume, wir haben mit dem Titel „Okular“ auch ein schönes Konzept erarbeitet. Auf diese Zusammenarbeit und auf die Arbeit im Atelier freue ich mich – ich habe schon wieder ein paar neue Materialien gefunden, die ich unbedingt auf Scherenschnitt-Tauglichkeit testen muss …
Noch bis 1. Dezember zeigt die Städtische Galerie Ehingen Arbeiten von Nina Joanna Bergold im Rahmen der Einzelausstellung „das da dazwischen“.