Es ist August in Italien und die Städte, die Strände, die Museen und die Promenaden sind voll.
Karawanenartig schieben sich Tourist:innen aller Herren Länder, den Blick fest auf einen kleinen in der heißen Luft flirrenden Wimpel gerichtet, durch die Gassen und über die Plätze. Sie tappen verzweifelt auf ihren Smartphones herum, um einen der ramponierten E-Scooter vor ihnen zur Bewegung zu motivieren, schauen jungen Italienerinnen in bunten Kleidern hinterher und studieren mehr oder weniger ratlos die Speisekarten der zahllosen Restaurants, die die Plätze säumen.
Doch nicht in allen Städten. In der Tat scheint Italien für die meisten seiner ausländischen Besucher:innen aus einer Hand voll Städten zu bestehen. Rom, natürlich, Mailand, Florenz, eventuell Pisa, sicherlich Venedig und inzwischen auch Neapel, das dieses Jahr Rekordbesuchszahlen verzeichnet.
Natürlich haben sich die Zeiten geändert, die Tage, in denen das Reiseland Italien hinter dem Tiber endete, sind vorbei und immer mehr Menschen wagen sich in den Süden des Landes, nach Puglia, nach Sizilien. Dennoch gibt es auch noch heute, in Zeiten, in denen – so scheint es – kein noch so abgelegener Winkel der Welt den Kameras reisender Influencer:innen entkommen kann, Städte, in die sich kaum eine Touristin oder ein Tourist verirrt.
Foggia in Nordapulien
Die zentral in Nordapulien gelegene Stadt und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz bildet das Zentrum einer der größten Ebenen Italiens und ist umgeben von Weizenfeldern und Olivenhainen, die sich bis zu den Bergen im Westen und an die Klippen des Nationalparks Gargano im Osten erstrecken.
Foggia, das muss man leider sagen, hatte nicht besonders viel Glück in seiner Vergangenheit: Mehrere Erdbeben und Kriegsverwüstungen hinterließen ihre Narben in der Stadt, und Mussolini hinterließ ein Rathaus von fragwürdiger, architektonischer Qualität in der Form eines riesigen Ms in ihrem Herzen.
Auch an „traditionellen“ Touristeninformationen hat Foggia nicht allzu viel zu bieten. Dennoch hätte die Stadt, nicht zuletzt wegen ihrer Lage, durchaus Potenzial: Nicht weit vom Meer, quasi am „Tor“ zum Gargano und damit zu den schönsten Stränden Italiens, wenn nicht Europas gelegen und nur eine Autostunde von Bari liegt die Stadt als Knotenpunkt zentral im nördlichen Apulien.
Doch das hier soll kein Führer für Foggia werden, auch wenn es freilich einiges Interessantes und Schönes zu berichten und zu erkunden gäbe. Mir geht es um eine architektonische Besonderheit Foggias, die mir auf zahllosen, langen Spaziergängen immer wieder ins Auge fiel: Die Rede ist von den zahlreichen Kirchen der Stadt.
Die Kirchen von Foggia
Santuario di Padre Pio
Neben seiner Kathedrale und einer Reihe wunderschöner, alter Kirchenbauten wie etwa der Kirche „Jesu e Maria“ nämlich zieht sich eine ganze Kette moderner Kirchenbauten durch die Stadt.
Der moderne Kirchenbau hat durchaus Tradition in Puglia: Nur wenige Autostunden entfernt, wiederum im Herzen des Gargano, befindet sich das „Santuario di Padre Pio“, des Lokalheiligen Kapuzinermönches Pio von Pietrelcina, der hier im Jahr 1968 starb und vor allem für das Erscheinen von Stigmata an seinen Händen Berühmtheit erlangte. Heute ist sein Körper in einem gläsernen Sarkophag aufgebahrt im Zentrum der neu erbauten Wallfahrtskirche, direkt neben dem ursprünglichen Kloster, in dem Padre Pio sein Leben verbrachte, Besucher:innen zugänglich. Das monumentale Bauprojekt, umgesetzt nach Plänen des Stararchitekten Renzo Piano und vollendet im Jahr 2004, steht in einem gewissen, nicht unironisch gemeinten Kontrast zu dem Ideal vom „ärmlichen Leben“, das Padre Pio stets lebte und lehrte.
Doch darum soll es heute nicht gehen.
Moderne Kirchenbauten wie die Wallfahrtskirche in San Giovanni Rotonda, wenngleich auch in deutlich kleinerem Maßstab, finden sich auch in Foggia, und sind meiner Meinung nach durchaus den einen oder anderen Spaziergang durch die Stadt wert. Denn sind wir doch einmal ehrlich: Als Besucher:in Italiens ist man, doch nie ganz frei von einer gewissen Erwartungshaltung, was die Architektur und vor allem die Kirchenarchitektur angeht. Wir erwarten reich dekorierte Fassaden mit Reliefs und Figurenschmuck, goldgrundige Malereien und marmorne Böden, in denen sich das Licht, das durch die bunten Glasfenster fällt, in allen Farben spiegelt.
Ein Bild, das sicherlich seine Begründung hat, dem aber einige der Kirchenbauten Foggias so gar nicht entsprechen wollen.
Parrochia San Pio X Papa
Ein Beispiel hierfür ist etwa die Kirche „Parrochia San Pio X Papa“ im Südosten der Stadt.
Die ebenfalls Padre Pio gewidmete Kirche besticht durch ihren erschlagenden Minimalismus. In hartem Farbkontrast von Eierschalengelb, Dunkelrot und strahlendem Blau ist ihre Fassade eingefasst vom wie mit dem Lineal gezeichneten Dach. Das Zentrum der Fassade bilden ein schmuckloses Rosettenfenster, ein kleines Vordach, darunter ein Ikonenbild – das ist alles. Und doch: Die Kirche am Stadtrand Foggias ist schön. Kommt man abends an ihr vorbei, so glüht ihre Fassade im roten Licht der untergehenden Sonne Apuliens, während sie morgens fast bläulich im kühlen Morgenlicht zu strahlen scheint. Sie strahlt eine Ruhe aus, die sich auf ihre Besucher:innen und auch auf den kleinen Platz vor ihr zu übertragen scheint. Derselbe Effekt lässt sich in ihrem Inneren feststellen, das abgesehen von einem modernen, aber durchaus nicht reizlosen Wandbild an der Rückseite des Hauptraums ebenfalls durch seinen beruhigenden Minimalismus besticht.
Chiesa Parrchiale Beata Maria Vergine Madre della Chiesa
Einige Gehminuten weiter findet sich die „Chiesa Parrchiale Beata Maria Vergine Madre della Chiesa“. Ebenfalls in strenger, minimalistischer Geometrie errichtet hat ihre Architektur eine völlig andere Wirkung. Hier recken sich auf allen vier Seiten zackenartig pyramidale Fenster gen den stahlblauen Himmel während ihre Fassade selbst nur kleine, schießschartenartige Fenster hat und zum eigentümlich wehrhaften Eindruck des Baus beiträgt.
Parrocchia Sant’Antonio da Padova
Das Spektrum architektonischer Ausdrucksmöglichkeiten wird wiederum erweitert durch die Kirche „Parrocchia Sant’Antonio da Padova“, wiederum am nordöstlichen Rand der Stadt.
Das Äußere der Kirche, die ich durch die Familie meiner Verlobten selbst sehr gut kenne, ist ein schlicht gehaltener Bau aus Sandstein, Waschbeton und Glas. Über einen sandbraunen Unterbau zieht sich ein wie aus einem einzigen Guss geschaffen wirkendes Dach, das in der Mittagssonne strahlend weiß leuchtet. Wie eine Decke über den Kirchenraum geworfen wirkt der Beton unwirklich leicht und fließend. Im Inneren sind die Wände der Kirche ebenfalls in braunem Sandstein gehalten, der im zickzack-strukturiert die Sogwirkung des Raumes nach oben hin unterstützt und zudem der Hauptgrund für die einzigartige Akustik des Kirchenbaus sein dürfte. Umgeben von einem kleinen Park mit hohen Pinienbäumen auf der einen und einem Sportplatz auf der anderen Seite bildet sie einen Pol der Ruhe am Rande der Stadt.
Foggia also, und warum nicht?
Warum nicht einmal die ausgetretenen Pfade entlang den Perlen Italiens verlassen und einen Ausflug ins Unbekannte wagen? In ein unbekanntes Italien, in eine Stadt, die nicht immer schön ist und sich vielen italienischen Klischees hartnäckig zu verweigern scheint, dafür aber mit ganz eigenen Reizen lockt und mit Orten, die es noch zu entdecken gilt.
Freilich, für den Titel des „hidden gem“ auf Seiten wie AirBnb oder Lonely Planet wird es nicht reichen – doch andererseits ist diese Auszeichnung ohnehin mit Vorsicht zu genießen, habe ich sie doch bereits in Verbindung mit beispielsweise der Pizzeria „Gino Sorbillo“ in Neapel gesehen, bei der man aufgrund der Massen an Besucher:innn nicht weniger als drei Stunden Wartezeit einplanen sollte. Denjeningen, die sowohl diesen entkommen möchten und sich trauen, hinter die Scheuklappen der eigenen ästhetischen Erwartungshaltung zu blicken, lege ich einen Besuch in Foggia wärmstens ans Herz.
Man kann hier übrigens auch sehr gut essen.
Wirklich.