„Beschreiben Sie mir mal das Bild“, so die augenzwinkernde Aufforderung. Der Mössinger Wolfgang Klink sitzt mir gegenüber und ich betrachte sein Gemälde: Acryl auf Leinwand, 70 x 100 cm, Farbtenor blau. Dann kommen weiße Schriftzeichen zur Geltung, die von schwarzer Farbe akzentuiert und teilweise auch wieder überkritzelt sind. Schemenhaft sind bunte Farbkleckse zu erkennen und ein wolkiges Gebilde in der Mitte hebt sich als aufhellender, nebeliger Dunst von der übrigen Fläche ab. Ein geschriebenes Bild. Das Gemälde trägt den Titel „Universal Declaration of Human Rights“. Es ist eine Abschrift aus der Erklärung der Vereinten Nationen.
Das Werk reiht sich ein in die aktuelle Serie von Schriftbildern des Künstlers, die er in diesem Jahr anlässlich des 75. Jubiläums der allgemeinen Menschenrechte erarbeitet.
Teilweise lässt sich der Text, der in lateinischen Großbuchstaben gehalten ist, entziffern, teilweise ist er bis zur Unleserlichkeit übermalt.
Handschriftlichkeit als Zeichen subjektiver Betroffenheit
Die Verschleierung und Unkenntlichmachung des Textes sind beabsichtigt und sollen einerseits Neugierde wecken, aber auch zugleich die Gefährdung und Fragilität des Ideals einer humanen Welt zum Ausdruck bringen. Die Betrachtenden werden mit dem Gegenteil dessen konfrontiert, was gesucht wird. Irritation statt Klarheit. Motivation zum Prozess der Entzifferung.
Was verbindet der Künstler mit dem Begriff „Schriftbilder“? Einerseits die Darstellung von Schrift im herkömmlichen Sinne, wie es zum Beispiel die Persönlichkeit eines Menschen zum Ausdruck bringt beziehungsweise wie sie zur Informationsübermittlung dient. Andererseits werden Schrift und Text zu skripturaler Kunst mit eigener ästhetischer Ausdruckskraft.
Was steht im Vordergrund? Text oder Bild?
Damit sind wir bei der Frage: Was steht im Vordergrund? Text oder Bild? Es ist wohl die Verschränkung von beidem, wobei die Unlesbarkeit durch Verfremdung und gegebenenfalls Übermalung bewusst als Gestaltungsmittel dient, um das Interesse am Text anzuregen.
Manche Gemälde sind in englischer Sprache, manche in deutscher Sprache gehalten. In ihrem ästhetischen Erscheinungsbild ähneln sie etwas dem Aesemic Painting, was Klink jedoch bestreitet. Denn er sieht sie als skripturale Kunstwerke mit decodierbaren Strukturen und Zeichen, also mit Bedeutung und einem versteckten Wiedererkennungswert.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)
Vor 75 Jahren wurde unter dem Eindruck der noch präsenten Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges am 10. Dezember 1948 die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR) verabschiedet. Dies war die Voraussetzung für den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Es war die rechtlich nicht bindende Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, um zukünftig Kriege zu verhindern. Als Grundlage diente die Internationale Menschenrechtscharta.
Schon die Präambel erklärt als grundsätzliche Absicht „Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“, und Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an „die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau“.
Die Tatsache, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verschriftlicht,- international übersetzt wurde und auch 1993 eine internationale Konferenz in Wien zur Folge hatte, ist eine der großen Errungenschaften der Menschheit. Trotz dieser großen Bedeutung ist die Erklärung dennoch per se auf allen Ebenen fragil.
Die 30 Artikel der AEMR enthalten grundlegende Ansichten über die Rechte, die jedem Menschen zustehen sollten, „ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“ und unabhängig davon, in welchem rechtlichen Verhältnis er zu dem Land steht, in dem er sich aufhält. Mit Übersetzungen in mehr als 460 Sprachen (nach Angaben des Office of the High Commissioner for Human Rights) ist sie einer der meistübersetzten Texte.
Durch Amnesty International kommt der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weltweit auf auf ziviler unabhängiger Ebene ein immenser Zuspruch entgegen. Politisch wird der UN-Sicherheitsrat zur Verantwortung gezogen. Die Verantwortung liegt jedoch im Grunde bei jedem einzelnen Menschen, da es sich eben um einen allgemeinen Anspruch handelt. Die Kausalität lässt sich nicht leugnen. Dennoch stellt die AEMR keinen rechtlichen, beziehungsweise völkerrechtlichen Kanon dar. Sie ist als solche justiziabel nicht einklagbar. […] Die Erklärung ist also kein völkerrechtlicher Vertrag und daher nicht als solcher verbindlich.
Mit dem Mittel der „Verundeutlichung“ des Textes symbolisiert Wolfgang Klink treffend die unvollkommene, brüchige Umsetzung der Menschenrechtserklärung und weiterer globaler Übereinkommen in unserer realen Welt.
Derzeit sind Werke von Wolfgang Klink zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausgestellt in der Galerie kubiKunst, Die Bilderwerkstatt – Die Kunst der Einrahmung in Mössingen.