Liebesgrüße aus Pisa – Der Palazzo Blu bekommt eine neue Gentileschi

Der Palazzo Blu in Pisa erhält aus Privatankauf ein neues Werk von Artemisia Gentileschi. Max Raulff berichtet über den Neuzugang des Museums.

Mit der neuen Reihe „Liebesgrüße aus Pisa“ erzählt euch unser Autor Max Raulff, was in der toskanischen Stadt und der Umgebung passiert und was man bei einem Besuch nicht verpassen sollte. Max Raulff ist Fotograf und hat Kunstgeschichte in Tübingen studiert und lebt seit kurzem mit seiner Familie in Pisa.


Max Raulff plaudert aus der Kunst- und Kulturszene der Toskana

Den Palazzo Blu in Pisa übersieht man nicht leicht, denn der imposante Palast aus dem 13. Jahrhundert ist, wie der Name verrät, tiefblau, blau wie der Himmel in diesen Sommermonaten, in denen die italienische Sonne gnadenlos auf das Pflaster knallt, und deutlich blauer als die trägen Wasser des Arno, die nur wenige Meter vor ihm ihren Weg von Florenz über Pisa bis ins Mittelmeer finden. 

Dennoch, so scheint es, ist das, was er beherbergt, erstaunlich wenig bekannt. Zumindest nicht bei den Tourist:innen, deren Ströme sich nach wie vor hauptsächlich auf der von Snackbars und Souvenirläden gesäumten Achse zwischen den Modeboutiquen nahe dem Bahnhof und der Piazza Vittorio Emanuele II und dem schiefen Turm auf der anderen Seite bewegen. Nur wenige, die nicht Italienisch sprechen, finden ihren Weg in den „Blauen Palast“, und so schade das auch ist, so konnte ich nicht umhin, die Stille, die Ruhe in seinen erstaunlich vielen Räumen zu genießen.

Artemisia Gentileschi – Eine Malerin erster Klasse

Daran jedoch könnte sich jetzt etwas ändern, nun, da ein neuer Star in den Palazzo einzieht. Sein Name: Artemisia Gentileschi. 
Angekauft aus einer Privatsammlung in Palermo zieht mit dem neuesten Erwerb des Palazzo Blu ein Weltstar der Barockmalerei, eine „Malerin erster Klasse“ in das Museum ein, das neben schiefem Turm und Battistero in Pisa und den Uffizien, der Ponte Vecchio und der Kathedrale in Florenz bisher stets ein Schattendasein zu führen schien. 

Artemisia Gentileschi selbst war Römerin, geboren 1593, verstorben 1654 in Neapel: Heute gilt sie uns als die wichtigste Vertreterin der italienischen Barockmalerei. Mit ihrem Werk führt sie die Tradition ihres Vaters Orazio Gentileschi fort – einem gebürtigen Pisaner. 
Auf eine Art und Weise kommt mit dem neuesten Ankauf der Sammlungen des Palazzo Blu nun die Familie Gentileschi nach Hause. 

Artemisia Gentileschi. „Il Cristo e la Samaritana“ im Palazzo Blu. Foto: Max Raulff.


„Il Cristo e la Samaritana“ – Eine Bildbeschreibung

Artemisia Gentileschis „Il Cristo e la Samaritana“ ist ein Spektakel der Stille. Der versunkene Blick der Frau zur Linken, die Augen nur halb geöffnet, in tiefer Trance – in tiefem Schlaf? Verzückt vom Anblick des Erlösers oder doch nur ermüdet von dessen Rede? Es ist ein rätselhafter, ein in seiner Art schlichtweg genialer Blick, den Christus im halben Profil erwidert. Die Gestik seiner Hände ist von enormer Qualität und bezeugt das unglaubliche Talent Gentileschis. Der fantastische Erhaltungszustand des Werkes tut sein Übriges. 

Auch farblich ist das Bild ein Spektakel. Das Kolorit des Werkes ist schlichtweg beeindruckend, und verknüpft das Werk mit der Farbgebung der in Neapel geschaffenen Werke Gentileschis. Das Goldgelb des Gewandes zur Linken, ihm gegenübergestellt das Blau-Rot der Kleidung Christi, das Blau des Himmels: Das neueste Stück der Sammlung des „Blauen Palastes“ ist eine farbliche Explosion, eine Offenbarung.
Am Ende aber sind es doch immer wieder die Hände, zu denen der Blick zurückkehrt, die Hände Christi, die linke nach vorn deutend, die rechte abwägend, beschwichtigend. Einzigartig in ihrer Feinheit erregen sie unweigerlich die Erinnerung an Handstudien Dürers. 
Bemerkenswert ist auch die Landschaft im Hintergrund der Szene: Nicht nur aufgrund der malerischen Qualität, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass nur wenige Werke Gentileschis eine komplette Landschaft im Hintergrund zeigen. Rechts oberhalb der Schulter Jesu lassen sich dessen Jünger erkennen, die sich auf dem Weg von der oberhalb liegenden Stadt hinab ins Tal befinden. 

Betritt man den Palazzo Blu, so betritt man eine stille Welt voller Schätze, Werke kleiner und unbekannterer Maler:innen, aber auch Werke großer Namen, Bilder von einer ungeahnten Qualität, einen Geheimtipp, dessen Sammlungen jetzt durch den Namen Gentileschi geehrt wurden.
Die Wirkung, die dieser Name auf die Besucherzahlen haben wird, bleibt abzuwarten. Fast ist man versucht, sich zu wünschen, dass der Palazzo Blu auch in Zukunft ein „Hidden Gem“ bleiben möge, denn eines ist klar: So nah ist man Artemisia Gentileschi bisher nur selten gekommen.