„Nicht das Jüdischsein muss thematisiert werden, sondern der gesellschaftliche Umgang damit!“ – Ein Kunstprojekt gegen Antisemitismus

Unter den beiden Titeln „Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft“ und „Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!“ riefen die Tübinger Künstler:innen Lissi Maier-Rapaport und Peter Krullis ihr neues, politisches Kunstprojekt ins Leben, das von Mai bis Juni in der Glashalle des Landratsamtes Tübingen zu sehen sein wird.

Hintergrund & Anfänge

Kennengelernt hatten Lissi Maier-Rapaport und Peter Krullis sich 2019 bei dem über das Stichwort „MEMORIA“ laufenden Ausstellungsprojekt von Natalia Zumarán in der Kulturhalle Tübingens. Die Kunstschaffenden hatten sich hier in ihrer Installation unter dem Titel „Heres – Der Verlust der Menschlichkeit“ („Heres“ bedeutet Zerstörung und kommt aus dem Hebräischen) bereits mit Ausgrenzung, Stigmatisierung und nicht zuletzt der Deportation und Ermordung von jüdischen Personen im sogenannten Dritten Reich beschäftigt.

Bereits 2018 hatte Peter Krullis in diesem Zusammenhang eine Installation im Stadtmuseum Tübingen realisiert. Die Installation „Heres“ ist im Besonderen 23 Tübinger Juden und Jüdinnen gewidmet, welchen die Flucht und der Weg ins Exil verwehrt blieb und die schließlich im Dritten Reich ermordet wurden. Gleichzeitig bildeten Eindrücke des aktuellen jüdischen Lebens in Israel einen Bestandteil der Ausstellung. In erweiterter Form wurde die Installation nochmals 2019/20 in der Glashalle des LRA Tübingen gezeigt. Sowohl Peter Krullis als auch Lissi Maier-Rapaport sind lokal engagierte Künstler:innen Tübingens, die immer wieder auch politische Themen aufgreifen. Lissi Maier-Rapaport lebte zudem für mehrere Jahre in Israel, was sich auch in ihrer Kunst niederschlägt.

Bildleiste des Projektes, © Fotorechte: Lissi Maier-Rapaport und Peter Krullis.

Das Projekt

Nachdem die beiden Künstler:innen bereits in der Vergangenheit vereint diverse Auseinandersetzungen mit dem Thema Antisemitismus gestemmt haben, treten sie nun mit ihrem politischen Ausstellungsprojekt „Zusammen gegen Antisemitismus“, das das Thema in die Gegenwart rückt, erneut in gemeinsamer Sache in Erscheinung. Die Ausstellung setzt sich dabei aus sowohl einem künstlerischen als auch einem dokumentarischen Teil zusammen: Während ersterer aus einer Kombination von Porträts sowie Fotocollagen besteht, kristallisiert sich letzterer aus einer Interview- und Fragebogenaktion von mehr als 80 Personen heraus, deren Auswertungen in Zusammenfassungen präsentiert werden.

Für das Projekt wurden ganz zufällig sowohl Menschen jüdischer als auch nichtjüdischer Herkunft zum Thema Antisemitismus und jüdisches Leben in Deutschland befragt und dokumentiert. Das Kunstprojekt konzentriert sich also auf persönliche Erfahrungen und Aussagen von Personen, die gemeinsam mit ihren Fotoporträts gezeigt werden. Hierbei steht ihnen auch offen, auf welche Weise diese sich zeigen möchten.

Die Anzahl antisemitischer Straftaten in Deutschland steigt leider kontinuierlich an und befindet sich auch heute auf einem alarmierend hohen Niveau. Antisemitismus ist im Alltag präsent. Noch immer werden Aussagen wie „Du Jude“ als Beleidigungen u.a. auf Schulhöfen verwendet. Stereotypen, die mit Personen jüdischer Herkunft in Verbindung gebracht werden, verbreiten sich rasant, wodurch auch verbale oder physische Angriffe deutlich vermehrt stattfinden, die jedoch selten gemeldet werden. Nicht zuletzt wird der Anstieg auch durch die vor allem im Internet verbreiteten Verschwörungsmythen, besonders zu den Zeiten der Pandemie, sowie durch Hass gegen Israel begünstigt. Viele Menschen jüdischer Herkunft – hierbei sei außenvor ob säkular oder religiös – verbergen aufgrund dieser Entwicklungen ihre Identität in Deutschland, da sie sich zunehmend unsicher in der Mitte unserer Gesellschaft fühlen. Die Künstler:innen gehen dabei unter anderem folgenden Fragen nach, die auch heute noch aktuelle Begleiter für Nicht-Juden:Jüdinnen, aber allen voran Juden:Jüdinnen sind:

  • „Kann man sichtbar werden?“
  • „Wie lebt es sich ‚unsichtbar‘?“
  • „Was bedeutet für diese Menschen Antisemitismus?“
  • „Was sind ihre Erfahrungen?“

Dadurch ergibt sich den Kunstschaffenden die Notwendigkeit, sich immer wieder mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzen zu müssen. Weniger geht es hierbei darum, das Jüdischsein oder das Leben der Menschen mit jüdischer Herkunft in Deutschland zu thematisieren, sondern vielmehr um den gesellschaftlichen Umgang, der es immer wieder aus der Selbstverständlichkeit heraushebt. Der Gedanke, dass Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen zwar in unserer Gesellschaft existieren, aber nicht oder nur mit Vorurteilen gesehen werden, steht zusammen mit persönlichen Erfahrungen der Befragten im Mittelpunkt des Projektes, welches durch ein Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und dem Landkreis Tübingen gefördert wird.

Ausblick

Ursprünglich sollte die Ausstellung bereits im Januar 2022 im Landratsamt Tübingen gezeigt werden, musste jedoch aufgrund der pandemischen Lage um ein Jahr verschoben werden. Von Ende Juni bis Mitte September 2022 wurde die Ausstellung schließlich im Haus der Kulturen und Religionen in der Nazarethkirche in München zum ersten Mal in Präsenz gezeigt. Nun wird sie vom 16. Mai bis zum 7. Juli 2023 in der Glashalle des Landratsamtes Tübingen zu den regulären Öffnungszeiten kostenfrei zu sehen sein. Öffentliche sowie kostenlose Führungen finden jeweils am 15. und 21. Juni um 17.30 Uhr statt. Eine weitere Begleitveranstaltung ist bereits in Planung. Das Datum wird noch bekanntgegeben.

Die Vernissage findet am 22. Mai 2023 um 20 Uhr statt. Eröffnet wird die Ausstellung von Landrat Joachim Walter und dem Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus, Dr. Michael Blume, der das Thema einordnet. Anschließend werden in einem Gespräch des Kreisarchivars Dr. Wolfgang Sannwald zusammen mit Lissi Maier-Rapaport und Peter Krullis die Hintergründe und das Projekt erläutert. Für musikalische Begleitung sorgen Wolfgang Lindenfelser und Manuela Hardt (Musikschule Tübingen) mit Klezmer-Duetten.

Das Projekt von Peter Krullis und Lissi Maier-Rapaport ist jedoch nicht abgeschlossen, sondern soll mit weiteren Porträts und Stellungnahmen fortgeführt werden. Dies wird weiterführend durch die Stelle des Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus gefördert.
Bei Interesse ist es also auch noch möglich, selbst mit einem Porträt und einer Stellungnahme Teil der Ausstellung zu werden und so Solidarität zu zeigen. Wenn Du Teil dieses Projektes werden willst, dann melde Dich unter:

Bei Peter Krullis (werkstattatelier@arcor.de) oder Lissi Maier-Rapaport (Lissi-Maier-Rapaport@online.de)

„Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft? Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!“,
Führungen am 15. Juni sowie am 21. Juni (jeweils um 17.30 Uhr)
Vernissage: Montag, 22. Mai 2023, 20 Uhr
Landratsamt Tübingen, Wilhelm-Keil-Straße 50; Glashalle