Am 16. März 2023 war Clara zu Besuch in der Hermann-Berg-Straße Balingen. Dort begrüßt die Galerie Meinlschmidt den Frühling mit Urbildern des Lebens. „Archaios 1–3“ steht auf dem kleinen Schild neben drei großformatigen Ölgemälden, die mehr als 30.000 Jahre alte „Urkunst“ der Schwäbischen Alb zeigen. Venus, Löwenmensch und Pferdchen sind mir aus Museen geläufig. Hier in dem Schaufenster des Kunsthauses Balingen, neben dem thailändischen Imbiss Tuk-Tuk, spiegeln sie sich im Vorbeilaufen als etwas vergangenes Gegenwärtiges.
„Viva la Vida – Lebe das Leben“ in Balingen
Meine Aufmerksamkeit wird auf das Plakat der aktuellen Ausstellung gelenkt, das jeweils am Fenster und an der Eingangstür klebt: „Viva la Vida – Lebe das Leben“. Die Ausstellung ist noch bis zum 29. April 2023 zu sehen. Im Innenraum der Galerie begegnen mir auf bunten, teils kubistisch anmutenden, großformatigen Ölgemälden Porträts mit Blättern und Blüten, die an Dschungel erinnern. Irgendwie fühle ich mich von diesen Porträts offen angeschaut.
Hier treffe ich im Rahmen der Vernissage auf Simone Faltermaier, Künstlerin aus Albershausen bei Göppingen. Wir sprechen über ihre künstlerische Motivation, über ihre Arbeitstechnik und über die Inhalte und Namensgebungen ihrer Bilder.
Trotz ihrer steil begonnenen Karriere als freischaffende Künstlerin in den Genres Konzeptkunst, Multimedia-Installation, Performance und Video widmet sich Simone seit Jahren bedingungslos dem Zeichnen und der Malerei. Die Position des „l’art pour l’art“ wurde von ihr – während ihres Kunststudiums in München – oftmals hinterfragt und konnte sie nicht hinreichend inspirieren. Ihre persönliche Reise führte sie nach Asien aufgrund ihrer Faszination für die fernöstliche Mythologie und Kultur.
„Die Kompassnadel wies mir den Weg nach innen, um herauszufinden:
Was ist meine tiefste Motivation
Was bewegt mich?
Worum geht es mir in meiner Kunst?“
Aus einem geplanten vorübergehenden Aufenthalt in Indien wurden acht Jahre. Während dieser Zeit versuchte die Künstlerin, einen lebendigen, bewussten Zugang zum Ursprünglichen, zum Elementaren, zur Natur zu gewinnen. Später wurde sie aufgrund von persönlichen Bekanntschaften mit der Kultur Mexikos vertraut. Auch dort weilte sie für längere Zeit und erlebte eine Fülle an Inspirationen.
Kunst eröffnet neue Blickwinkel
„Einerseits erklärt sich Kunst von selbst. Doch manchmal ist es gerade die Inspiration des Künstlers oder der faszinierte frische Blick eines Kindes, das wilde Diskutieren unter Freunden, das den gewissen Funken überspringen lässt. Weil sich damit ganz neue Blickwinkel eröffnen. In diesem Sinne hoffe ich, dass gleich die Funken sprühen!“
Mit dieser dynamischen Ansprache werden die Besucher:innen der Vernissage von der Künstlerin begrüßt. Simone bekennt sich dabei selbst nicht nur als „Schöpferin dieser Werke, sondern auch als ewige Liebhaberin“. Sie betrachte ihre Kunstwerke als einen „kontinuierlichen Dialog mit den Bildern und den Menschen, die ihnen den Raum geben, zu wirken“ und ergänzt: „Meine Kunst verwandelt mich und in ihr entdecke ich immer wieder neu die Kraft der Verwandlung. In meiner Kunst erwacht meine innere Welt zum Leben.“
Eine Hommage an Frida Kahlo
Sind es also Selbstporträts, in denen diese Kontinuität des Dialogs gepflegt wird? Ein Blick auf das wohl wichtigste Bild der Ausstellung wird der Gepflogenheit des „l’art pour l’art“ meiner Ansicht nach in jeder Hinsicht gerecht: Es ist eine Verkettung von Zitaten in einer neu interpretierten Reproduktion des zur Ikone gewordenen Frida Kahlo-Porträts – mit der Phrase „Viva la Vida“ als Schriftzug mitten im Bild. Dieser Schriftzug ist ein Bildtitel, mit dem Frida Kahlo selbst eines ihrer Porträts versah und der jetzt in Simone Faltermaiers Werk auf einer aufgeschnittenen Wassermelone auftaucht und titelgebend für die Ausstellung wird.
Ist es willkürlich, dass mir Frida Kahlo und Simone als geistig wesensverwandt erscheinen? Wie Simone es selbst äußert, ist das Bild rein als „eine Hommage an die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo und als Fingerzeig auf die Magie der Kunst [zu betrachten]. Stolzen Hauptes blickt uns Frida direkt an – gekürt mit dem Schnurrbart des großen Surrealisten Dalí. Getragen von den Wurzeln des Lebens, gekrönt von dem Symbol der Unendlichkeit, in ihr Haar geflochten. Frida malte, was sie am besten kannte – sich selbst.“
Auf meine Frage nach ihrer Meinung zum Diskurs des Genderns möchte die Künstlerin nicht unbedingt eingehen. Sie spricht jedoch die hinduistische Lehre an, nach der jeder Mensch eine weibliche und männliche Eigenschaft in sich hat. Das ist ein Teil der Quintessenz des Lebens, die Sie in den anderen Kulturen für sich entdeckt habe und was sie mit ihren Bildern weitervermitteln möchte.
Andere Kulturen in Simone Faltermaiers Oeuvre
Die Trilogie „AF-RI-KA“ neben dem Eingang wird indirekt in Beziehung zu den porträtierten Urstücken der Schwäbischen Alb im Schaufenster gesetzt: Afrika steht symbolhaft für die Wiege der Menschheit, die Höhlenkunst symbolhaft für die Wiege der Kunstgeschichte. Für „AF-RI-KA“ hat sich die Künstlerin in die traditionellen Muster afrikanischer Kulturen vertieft. Dabei ist ihre Beziehung zu diesen aus dem Verhältnis zu ihr vertrauten Menschen heraus entstanden, die der jeweiligen afrikanischen Kultur entstammen.
„Alles begann in Afrika. Vor zwei Millionen Jahren betrat in Afrika die frühe Form des Menschen die Bühne des Lebens – die Wiege der Menschheit: Kain & Abel – We are one. Zwei Gesichter in einem -vereint in einer Lotosblume. Das Finale der AF-RI-KA-Trilogie schließt den Zyklus der Versöhnung unter den Menschen. Voran geht die Wiederaufrichtung der weiblichen Kraft, die Bereitschaft der Vergebung und die tiefe Einsicht, dass wir alle EINS sind.“
Also ist es die irdische Ursünde, wenn man so will, die in jedem Menschen veranlagt ist, die schließlich in die Erkenntnis der Brüderlichkeit mündet (Kain und Abel waren ja Brüder ein und derselben Mutter), welche im dritten Bild der Trilogie durch die respektvollen, achtsamen, ja versöhnenden Gegenüber dargestellt wird. Es ist ein Kunstwerk, das Menschlichkeit, Versöhnung, Vergebung und auch Hoffnung vermitteln soll, losgelöst von jeglicher Nationalität oder Kategorisierung.
Als Antwort auf die Frage, inwieweit sie von der Kunst der klassischen Moderne geprägt wurde, bekennt sich Faltermaier als eine begeisterte Verfechterin des synthetischen Kubismus, dem Spiel mit den Farben und Formen. Gefühle und die Formen der Natur, der Pflanzen und Tiere, im harmonischen Einklang mit dem Menschen, dienen ihr als Vorlage.
Da mich die Bilder in ihrer dynamisch frischen Art ein bisschen daran erinnern, frage ich vorsichtig, ob Simone es sich vorstellen könnte, als StreetArt-Künstlerin zu arbeiten? „Das fände ich super!“ lautet die Antwort. Ihr gefalle die bunte, belebende Kunst des Graffiti – wobei Street Art im weitesten Sinne ja die Kunst im öffentlichen Raum bezeichne. Unsere Städte hätten es aber nicht mehr unbedingt nötig, aus der Tristesse zu erwachen. Es habe sich in den letzten Jahren viel getan, dass die Städte belebter wirken.
Zu der Technik ihrer Gemälde ist noch der schwarze Malgrund beachtenswert, der neben einer Weite und Leere etwas genuin Schöpferisches birgt. Die Farben scheinen von innen zu leuchten. So wird die Fülle des Lebens in den dialoghaften Porträts offensichtlich.
„Schwarz ist für mich die Kraft, die alles absorbiert, um neues Leben zu erwecken. Wie ein Samenkern aus der Erde aufkeimt, so geschehen auch die Wunder der Inspiration, initiiert durch einen Lichtfunken, der neue Werke zum Leben erweckt.“
Alles im Leben hat zwei Seiten
Besonders frappierend erscheint dies in dem Gemälde mit dem Titel „Wohimakowiw“. „Wohimakowiw“ ist das Zitat einer nordamerikanischen Schamanin. Es bedeutet so viel wie „Alles im Leben hat zwei Seiten“. Als mir Simone ihr Bild erläutert, welches sie unter dem Einfluss dieses Zitats malte, kommt mir eine legendenhafte Assoziation in den Sinn. Es ist das Bild eines Paares: links im Bild die Frau und rechts der Mann. Nach einer Diskussion bzw. Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden erblüht bei der Frau das Verständnis und die Einsicht gegenüber ihrem Partner. Dieser Moment strahlt etwas aus, wovon sein Gesicht angeleuchtet wird. Simone formuliert es folgendermaßen: „Immer. Weiblich und männlich – Nacht und Tag – Anfang und Ende – Frage und Antwort – Einatmen, Ausatmen… in dem einen steckt der Funke des anderen. So enthüllt sich in jedem Augenblick das Spiel der ewigen Wandlung in Natur und Geist, Pflanze und Mensch, Erde und Universum.“
Auch in der Ausstellung selbst finden sich charakteristische Gegensätze, die sich wiederum ergänzen: neben dem paradiesischen Bild „Hallo Olaf“, das sich als Ausdruck purer Lebensfreude offenbart, steht die Vanitas-Trilogie, die ihre Inspiration durch das mexikanische Fest des „Día de los muertos“ erhielt. Für Simone ist die Vanitas-Trilogie „ein zarter Verweis auf die Vergänglichkeit. Die hauchdünne Hülle wird in all ihrer Schönheit facettenhaft durchleuchtet und dem Grasgrün neuer Gedanken gegenübergestellt“.
Liebe Simone, herzlichen Dank für dieses wunderbare künstlerische und lebendige Gespräch!
Der Galerie Meinlschmidt ist die Konzeption einer Wohnkultur übergeordnet. Sie wurde vom Unternehmen Meinlschmidt Raumkonzepte GmbH begründet und dient der Neuerschließung regionaler, aufstrebender Künstler:innen. Unter der Leitung des Galeristen Horst Kemmler möchte das Unternehmen „Bilder, Skulpturen und Möbel synergetisch zusammenbringen, um für ein einzigartiges Raumerlebnis zu sorgen“, wie es auf der Homepage heißt.