Wir haben die Künstlerin Yvonne Kendall für ein Interview in ihrem Atelier getroffen. In ihren Arbeiten beschäftigt sich die Reutlinger Bildhauerin mit Themen wie Umwelt, Naturschutz, Politik und Gesellschaft. Ausgangspunkt ihrer Kunstwerke sind stets ihre persönlichen Erfahrungen und Emotionen.
Es ist kurz vor Weihnachten, frostig und eisglatt, doch beim Gedanken gleich bei Yvonne Kendall im Atelier zu sein und bei Croissant und Weihnachtsplätzchen über ihre Kunst zu sprechen, erwärmt mir das Herz. Es ist bereits das dritte Mal, dass ist dort bin. Doch bin ich jedes Mal aufs Neue gespannt, welche neuen Kunstwerke entstanden sind und mit welchen Themen sich die Künstlerin diesmal wieder auseinandergesetzt hat.
Yvonne Kendall stammt aus Birmingham, England, verbrachte einen Teil ihres Lebens in Australien aber seit mehr als 20 Jahren lebt und arbeitet sie in Reutlingen. Sie studierte Bildhauerei am Victoria College in Melbourne mit dem Abschluss Bachelor of Fine Arts im Jahr 1987.
Kendalls Plastiken
Ihr Oeuvre umfasst Plastiken aus verschiedenen Alltagsmaterialien und Collagen. Die Kunstwerke behandeln Themen aus Umwelt, Naturschutz, Politik und Gesellschaft. So zeigen sie meist aus einer philosophischen Blickweise heraus aktuelle Begebenheiten. Aus alten Landkarten werden Papierarbeiten mit bestickten Motiven. Aus Textilien, Holz und Elementen aus ehemaligen Alltagsgegenständen entstehen Plastiken mit metaphorischen Bedeutungen.
Die Arbeiten helfen Yvonne Kendall dabei aktuelle Gegebenheiten innerlich zu verarbeiten und ihrer Stimmung Ausdruck zu verleihen. Sie arbeitet stets autobiografisch und hat dabei keine Angst zu viel von sich bekannt zu geben und dadurch angreifbar zu werden.
Im Interview spricht sie mit uns über ihre Kunst, den Kunstmarkt sowie über ihre vergangenen und kommenden Highlights.
Liebe Yvonne, wann und wie bist du zur Kunst gekommen? Warum hast du dich für ein Studium der Bildhauerei am Victoria College, Melbourne entschieden?
Ich war schon immer Künstlerin, bereits als Kind. So stellte sich für mich nicht die Frage was ich nach der Schule machen werde. Kunst war das, was ich machen wollte. Ich war immer am gestalten und so war es für mich ganz natürlich Kunst zu studieren.
Ich war ein sehr sensibles Kind und fand in der Kunst die Möglichkeit mich zu verstecken. Die Kunst beschützte mich und bot mir einen sicheren Raum zwischen all den Gesellschaftsstrukturen.
Hast du dich dann am College sicher und beschützt gefühlt?
Es war sehr schwierig, da im Studium die eigene Kunst an Hand von Noten bewertet wurde. Als Student:in muss man seine Kunst verteidigen. Das ständiges Abwegen hat jedoch meine Kunst geformt hat und sich positiv darauf ausgewirkt.
Es gab offene Ateliers bei denen die Dozent:innen uns Studierende besucht haben. Das war eher schwierig für mich, da ich einfach nur meine eigene Kunst machen wollte. Die institutionelle Strukturen waren und sind bis heute für mich schwierig. In meiner Schulzeit war ich mithilfe eines Scholorships auf einer Privatschule. Diese Zeit war für mich sehr prägend. Dort wurde ich in meinem Tun bestärkt und unterstützt. Ich habe bis heute sehr gute Kontakte dahin.
All deine Arbeiten sind autobiografisch. Fürchtest du dich nicht dadurch sehr angreifbar zu werden?
Nein, nicht mehr. Vor sehr vielen Jahren teilten mir meine Kunstwerke Gefühlswelten mit. Jetzt schaue ich gerne darauf zurück und erinnere mich an die Emotionen, die ich zu jenem Zeitpunkt empfunden habe, wie zum Beispiel die ausgenommenen Plüschteddys. Hier habe ich das Innere nach Außen gestülpt. Diese Serie habe ich ausgestellt und eine der Arbeiten wurde von der National Gallery of Victoria erworben und bekommt bis heute eine große Resonanz. Als es zum ersten Mal in den Räumlichkeiten der National Gallery of Victoria ausgestellt wurde, wurde es neben Picassos „Weinende Frau“ ausgestellt. Während dieser Zeit habe ich selbst im Museum gearbeitet und beobachtet wie die Besucher:innen darauf reagieren. Viele waren aufgebracht oder reagierten sehr energisch drauf. Die Arbeit ist sehr konfrontierend, aber auch persönlich. Diese Reaktionen gefielen mir sehr, denn wenn Menschen auf die Kunst reagieren, dann ist es positiv, da man als Künstlerin es geschafft hat gewisse Triggerpunkte zu treffen.
Mir gefällt auch sehr der Austausch mit den Rezipient:innen. Als ich auf der Messe in Wien war, war der Kontakt zu den Käufer:innen sehr anregend. Ebenso finde ich es sehr schön, die Betrachter:innen zu motivieren und sie in ihrer Sichtweise auf die Kunst zu bestärken, da es für mich in der Kunst kein Richtig oder Falsch gibt. Es ist interessant die Menschen kennenzulernen, die meine Kunstwerke erwerben und auch noch danach den Kontakt zu ihnen zu pflegen.
Gibt es im Umgang mit Kunst Unterschiede zwischen Australien und Deutschland?
Es war für mich die richtige Entscheidung nach Europa zu kommen. Australien ist weit weg und lebt in seiner eigenen Blase. Die Bevölkerung ist verglichen zur Größe des Landes sehr klein. Für Künstler:innen gibt es leider somit auch weniger Chancen. Jedoch gibt es auch einen anderen Lebensstil. Der Fokus liegt mehr auf Sport, sodass die Künste weniger gefördert werden. Hier in Europa gibt es einen großen Austausch und für Künstler:innen große Entwicklungsmöglichkeiten. Die Menschen sind offen für die Kunst und diskutieren darüber.
Die Kunstvereine in Deutschland bieten Kunstinteressierten die Möglichkeit sich mit zeitgenössischen Künstler:innen auseinander zu setzen und bietet umgekehrt den Künstler:innen eine Plattform. Diese Art von Kunstinstitution gibt es in Australien leider nicht und somit fehlt hier ein Ort des Austausches. Es ist einfach eine andere Kultur.
Hast du Vorbilder?
Hmm, es gibt so viele Künstler, deren Arbeiten ich sehr schätze. Aber vermutlich keine spezifischen Vorbilder. Joseph Beuys war während meiner College-Zeit eine wichtige Persönlichkeit für mich, weil er so anders für alle war. Er arbeitete mit Objekten und arbeitete mit deren Energie. Das war und ist mir bis heute sehr wichtig.
Was möchtest du mit deiner Kunst deinen Sammler:innen mitgeben?
Ich möchte ihnen etwas geben, welches sie für Jahrzehnte inspiriert und sie genießen können. Ein Objekt, das sie an etwas erinnert und nicht nur ein Bild, welches sie aufhängen, aber dann wieder von der Wand nehmen und im Archiv vergessen.
Was möchtest du mit deiner Kunst bewegen?
Das geht mit der vorherigen Frage Hand in Hand. Es geht um uns als Menschheit und wie wir immer aufgeklärter werden. Es ist eine Kunst-Alchemie: Objekte verändern die Energiefelder, sind Schutzschilder oder reflektieren zurück.
Hattest du ein persönliches Highlight in den letzten Jahren?
Die Messe in Wien war für mich ein Highlight, aber auch die Ausstellung „Kendall, Palmer, Schaefer: Fliesszeit-Zwischenzeit“ in BT24 in Münsingen sowie der dazugehörige Katalog. Es hat mich natürlich auch sehr gefreut, dass meine Arbeiten bei „Kunst Reutlingen“ im Kunstverein Reutlingen ausgestellt wurde. Privat war die Reise nach Australien und der Austausch mit alten Freunden sehr erfreulich und die große Ausstellung in den Niagara Galleries in Melbourne war ein großer Höhepunkt. Aber auch das das unser Sohn seine Schule abgeschlossen hat. Nun kann für ihn ein neuer Lebensabschnitt beginnen.
Worauf freust du dich in 2023?
Ich freue mich sehr auf die Ausstellung im Künstlerbund Tübingen im November. Es wird meine erste Solo-Ausstellung im Künstlerbund sein und ich freue mich sehr das Tübinger Publikum kennenzulernen. Aber auch auf die Solo-Ausstellung in Wien.
Liebe Yvonne, herzlichen Dank für das Interview und dass ich dich im Atelier besuchen durfte! Es war ein wunderschöner Mittag und ich freue mich sehr auf die Ausstellung im November 2023 im Künstlerbund Tübingen. Wer Interesse an Yvonnes Arbeiten hat, kann uns gerne jederzeit kontaktieren.